Wohlstandsverlust und Vielfachkrise des Kapitalismus

Nach dem (vorläufigen) Sieg in der Systemkonkurrenz überschlugen sich die Adepten des realexistierenden Kapitalismus regelrecht in ihrem Triumphalismus. Ab nun werde es geschichtlich in Harmonie, ewigem Wachstum und beständigem Wohlstandszuwachs weitergehen. Vier Jahrzehnte später prägen indes, und beileibe nicht nur in linken Diskussionen, die Begriffe einer „multiplen Krise“, „Polykrise“, „Vielfachkrise“ oder „Multi-Krise“ des Kapitalismus das Debattenfeld.

Denn schon kurz auf seinen selbstgefälligen Fanfarenstoß holten die „Tequila Krise“ 1994/95, die „Asien Krise“ 1997/98 und die „US-Dotcom-“ bzw. „High Tech-Krise“ 200/2001 die triumphalistischen Illusionen und Versprechen ein. Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09, der Eurokrise 2010/11, der Krise der Reproduktion, der Corona- und Wirtschaftskrise 2020/21, der Rückkehr der Hochinflation 2022/23, über Hungerkrisen und humanitäre Katastrophen, die aktuelle Verschuldungskrise der sogenannten 148 Low- und Middle Income Countries, der neuerlichen Konjunkturkrise, verschränkt und verstärkt mit der Klimakrise und manifesten Umweltkatastrophen entwickelt sich der Kapitalismus in einer verdichteten Permanenz von Krisen und steckt in einer schweren „multiplen Krise“.

Was Wunder, dass in dieser „Vielfachkrise“ nicht nur die Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen und Vermögen abermals zunimmt, sondern auch Wohlstandseinbußen Platz greifen. Was Ersteres anbelangt haben nicht zuletzt Thomas Pikettys eingehende Untersuchungen in langer Frist die ausgeprägt U-förmige Entwicklung gezeigt. Die Ungleichheit erreicht zunächst um den Ersten Weltkrieg herum einen Höhepunkt, um sich dann bis Mitte der 1970er Jahre zu verringern. Eric Hobsbawm bezeichnete den darin prägenden, grob drei Jahrzehnte lange währenden Aufschwungs-Zyklus des kapitalistischen Westens in der Nachkriegszeit bekanntlich als das „Goldene Zeitalter des Kapitalismus“. Seitdem erhöht sich die Ungleichheit wieder.

Plastischer: Während die Generation unserer Großeltern bzw. Eltern nach 1945 am wirtschaftlichen Aufschwung zumindest noch zu einem Teil zu partizipieren vermochte (natürlich im eingegrenzten Rahmen der bestehenden Eigentums-, Profit- und Machtverhältnisse), und im Rückblick auf ihre Jugend einen stetigen Wohlstandszuwachs verbuchen konnte, verkehrt sich diese Entwicklung zunehmend ins tendenzielle Gegenteil. Dementsprechend wies wiederum die Statistik Austria gerade einen einschneidenden Wohlstandsrückgang aus.

„Noch kritischer“ als die verhaltene Wirtschaftsleistung, „ist die Lage zu beurteilen, wenn man den österreichischen Wohlstand nach Bruttoinlandsprodukt pro Kopf betrachtet“, so die Statistik Austria. „Hier liegen wir mittlerweile im Bezug auf das vierte Quartal 2023 2,8 Prozent niedriger, als es noch im vierten Quartal 2019 der Fall gewesen ist. Der Wohlstand hat also in den letzten Jahren doch ein gutes Stück nachgelassen.“

Prominente Sozialwissenschaftler sehen die kapitalistischen Gesellschaften denn auch strukturell allesamt „im Fahrstuhl nach unten“ fahren. Vor diesem Gesamthintergrund bedarf es zur Sicherung und Erhöhung unseres Wohlstands daher auch eine grundsätzlichere Perspektive als die immer brachialer an der Realität zerschellenden Traumwandlereien eines sozial-ökologischen Kapitalismus.

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