Krieg und Ökozid in Rojava

Gegen Ende des 20. Jh. setzte eine breitere Debatte ein, ob die Konflikte und Kriegsgefahren um den Zugang zu Wasser im 21. Jh. nicht eine ähnliche Bedeutung gewinnen werden, wie im 20. Jh. jene des Kampfs um Öl. Kaum im Blick steht dahingegen bis heute der gezielte Einsatz von Wasser- (und Umwelt-)politiken als Waffe in hybriden Kriegen. Dabei bedient sich etwa die Türkei seit Langem vor aller Welt Augen dieses Instruments und seit bereits 2015 insbesondere gegen die Demokratische Föderation Nord- und Ostsyrien. „In Rojava“, so die Kampagne „Make Rojava Green Again“ – die unter obiger Überschrift am Dienstag in Innsbruck und am Donnerstag in Wien dazu je eine Diskussionsveranstaltung abhalten wird – „dreht die Türkei den Menschen das Wasser ab, zerbombt Olivenhaine und setzt Felder in Brand“. Aber wo bleiben eigentlich Joe Bidens und seiner europäischen Marionetten, allen voran Annalena Baerbocks, Aufschrei: Ankara „habe sich entschieden“ das nicht ersetzbare Lebenselixier Wasser als „ein ganz bewusst gewähltes Instrument in einem hybriden Krieg als Kriegswaffe“ gegen die Zivilbevölkerung einzusetzen und „zielgerichtet ganze Regionen zu destabilisieren“, wie sie vor einem Jahr noch anderweitig lautstark propagandistisch krakeelten, während der NATO-Partner in seinem realen Wasser-Krieg stillschweigend die Lizenz der „westlichen Wertegemeinschaft“ in Händen hält.

„Rojava, vor allem mit seinem Kanton Cizire, dessen Landschaft durch endlos scheinende Weizenfelder gezeichnet ist, galt jahrzehntelang als Kornkammer Syriens. Die Region war bekannt für das größtenteils aus Afrin stammende Olivenöl, welches auch in die westliche Hemisphäre exportiert wurde. Dieser Status ist heute mehr denn je in Gefahr – eine ganze Region droht auszutrocknen und die Anzeichen einer humanitären Katastrophe werden deutlicher“, so Lukas Spelkus in einem Artikel für medico international.

Und er fährt fort: „Die Trockenheit hat mehrere Ursachen. Zum einen sind es die durch den fossilen Kapitalismus zunehmenden und – mit Blick auf die weltweiten Waldbrände im wahrsten Sinne des Wortes – ‚befeuerten‘ Auswirkungen des Klimawandels auf die Region. Syrien war bereits 2006 bis 2010 von einer der intensivsten und längsten Dürren seit vielen Jahrzehnten betroffen, über die Forscher:innen sagen, dass sie bereits eine Folge des Klimawandels gewesen sei. Dürren und damit einhergehende Ernteausfälle nehmen jährlich nicht nur zu, sondern werden allmählich zur Norm und damit existenzbedrohend für die dort lebende Bevölkerung. Dazu kommt, dass in Rojava durch global abgeschwächte Winde immer weniger Niederschlag fällt, was die Trockenheit weiter vorantreibt. So breitet sich die Wüste unaufhaltsam weiter aus und verwandelt die einst grüne Landschaft in eine ockerfarbene Einöde. Dieser Prozess wird zudem seit einigen Jahren durch die Türkei vorangetrieben, die Wasser sprichwörtlich als Waffe einsetzt.“

Dahingehend streicht etwa auch Thomas Schmidinger heraus: „1987 wurde erstmals in einem Abkommen zwischen Syrien und der Türkei vereinbart, dass die Türkei mindestens 500 Kubikmeter Euphrat-Wasser pro Sekunde nach Syrien fließen lassen muss. In den letzten Jahren hielt sich die Türkei allerdings nie an dieses Abkommen.“ Ja, die durchgelassene Menge wird seit 2017 aus politischem Kalkül systematisch reduziert. Die Wasserblockaden des Euphrats und des Tigris (der beiden Hauptwasseradern Syriens und des Iraks), dienen im Rahmen der neo-osmanischen Ambitionen Ankaras darüber hinaus gleichzeitig der politischen Erpressung Damaskus‘ und Bagdads durch die Türkei.

Zugleich zielen der Umweltkrieg und die Umweltkriegsführung auch auf die kurdischen Regionen der Türkei ab, die sie ebenfalls mit voller Wucht treffen. Dabei ist „seit 1977, nach Beendigung des Vietnamkrieges, in dessen Verlauf die US-Streitkräfte die ökologische Kriegsführung zum erstenmal in der Kriegsgeschichte zum integralen Bestandteil einer Militärstrategie gemacht hatten“, wie der Umwelt- und Friedenswissenschaftler Knut Krusewitz seit Langem nicht müde wird hervorzuheben und auszubuchstabieren, dieser Kriegstyp „völkerrechtlich [explizit] verboten“.

Nichts desto trotz fungieren gerade seitens der Türkei die gezielte Natur- und Umweltzerstörung sowie Wasserpolitik als probates Kriegsmittel.

Brandstiftung und Naturzerstörung als probates Kriegsmittel Ankaras

So, man erinnere sich, wurden etwa im Spätsommer vor zwei Jahren durch die faschistische AKP/MHP-Regierungskoalition im Krieg gegen Kurdistan zum aus dem Klimawandel und spekulationsgetriebenen Brandstiftungen entsprungenen Flammeninferno zudem noch systematisch Wälder und Felder abgebrannt. Daneben taten auch noch die Folgen der jahrzehntelangen neoliberalen Austeritätspolitik für den Zivilschutz sowie ein tödlicher Mangel an Brand- und Katastrophenprophylaxe und -Ausrüstung das ihrige hinzu. Gerade in der Türkei, die zwar über hunderte Kampfjets, aber keine brauchbaren Löschflugzeuge verfügt.

Grenzen übergreifend bedient sich der „Palast“ in Ankara dabei, wie betont, auch in der Demokratische Föderation Nord- und Ostsyrien / Rojava gezielt der Naturzerstörung, um mit Wasserknappheit, Bränden, in Brand gesteckten Weizenfeldern und Ernteeinbußen das Selbstverwaltungs-Projekt in Nord- und Ostsyrien an der türkischen Südgrenze auch auf diesem Weg zu destabilisieren und in die Knie zu zwingen – und der Guerilla ihr Terrain abzufackeln.

Letzten Aspekt betreffend hatte die türkische Armee in der Omerya-Region bei Nisêbîn damals beispielsweise begleitend zu ihrer Militäroperation bewusst einen Eichenwald in Brand gesteckt. Aus vorgeblichen „Sicherheitsgründen” wurde parallel über Stunden die Brandbekämpfung verhindert. Gezielte Brandstiftungen – und in Westkurdistan (Rojava) auch Artillerie- und Drohnenangriffe auf Wälder, Äcker, Felder und die kritische Infrastruktur – sind ein gängiges und wieder zunehmendes Kriegsmittel im Arsenal der Militär- und Außenpolitik sowie der Aufstandsbekämpfung Ankaras. Entsprechend erklärten kurdische Medien seinerzeit auch: „Jedes Jahr lodern in Nordkurdistan verheerende Brände, die tausende Hektar Wald und Anbaufläche verschlingen. Insbesondere seitdem die türkische Regierung 2015 die Friedensgespräche mit der PKK einseitig abbrach, lässt sie die Wälder in den kurdischen Gebieten wieder systematisch niederbrennen. Das ist Teil der seit der Staatsgründung 1923 in Kurdistan gültigen Aufstandsbekämpfung und Vertreibungspolitik.“

Die ökologischen Verheerungen gegen die Lebensgrundlagen Rojavas

Die Demokratische Föderation Nord- und Ostsyrien / Rojava selbst hat zudem noch die ökologischen und ökonomischen Folgewirkungen jahrzehntelanger Abhängigkeit und Ressourcenausbeutung zu tragen. Im Interesse der einschlägigen Herrschaftsverhältnisse wurde die Wälder der Region systematisch abgeholzt und fielen der wirtschaftlichen Ausrichtung auf Monokulturen zum Opfer. Jahrzehntelang war es in den westkurdischen Gebieten verboten Bäume zu pflanzen. Die Böden und Gewässer wurden auf vielfältige Weise, nicht zuletzt durch den massiven Einsatz von Chemikalien in der Landwirtschaft, schwerst belastet.

Erst das als „Rojava-Revolution“ bekannte Selbstverwaltungs-Projekt beendete diesen Raubbau und stellte untrennbar mit seinem Emanzipations- und Freiheitskampf zugleich die ökologische Frage ins Zentrum.

Dabei hat sich die Region seit Beginn an allerdings der als gezielte Kriegsmittel eingesetzten Umweltzerstörung durch die Türkei, den IS und den weiteren mit Ankara verbündeten islamistischen Terrormilizen zu erwehren. Neben den ständigen militärischen Angriffen und Interventionen, sowie der Besetzung weiter Territorien Nord-Ostsyriens durch die Türkei und einem totalen wirtschaftlichen Embargo, bedient sich die Türkei insbesondere der Staudämme als Waffe. Aufgrund der sowohl massiven Wasserentnahme wie vor allem aus politischem Kalkül gegen die Selbstverwaltungsgebiete in Nord- und Ostsyrien gibt es seit Jahren einen dramatischen Rückgang der Wassermengen der nach Rojava fließenden Flüsse – allen voran der beiden für die Region zentralen Flüsse des Xaburs und Euphrats – und ein stetes Absinken des Grundwasserspiegels und der Pegelstände der Seen. Mittels gezielter Ableitungen sollen die kurdisch geprägten Selbstverwaltungsgebiete trocken gelegt werden. Beide Lebensadern der Region (und darüber hinaus) sind heute auf einem historischen Tiefstand abgesunken. Die türkische Wasserpolitik führt über die dadurch verursachten schweren landwirtschaftlichen Nutzungs- und Bewässerungsprobleme in den ohnedies schon von Dürren geplagten Gebieten aber auch zu einer bedrohlichen Trinkwasserverknappung. Dieser Mangel an sauberem Wasser paarte sich 2020/21 zumal noch mit den Hygiene-Herausforderungen gegen die Corona-Pandemie und befeuert die Ausbreitung von Krankheiten wie etwa der Infektionskrankheit Leishmaniose. Verschärft wird die Misere darüber hinaus durch gezielte Sabotageangriffe von türkischen Spezialeinheiten resp. ihrer djihadistischen Verbündeten auf Wasserwerke und Pumpstationen. Parallel haben die Mörderbanden des IS auf ihren Rückzügen zudem systematisch Brunnen in der Region vergiftet, zahlreiche Lebensadern und riesige Mengen an Öl in Brand gesteckt, sowie zahllose Wasserzuflüsse verschlossen.

Einher mit alledem schlagen die versiegenden und vielfach zu Rinnsal verkümmerten Wasserläufe zugleich auf die Stromversorgung durch und unterminieren die Stromgewinnung aus Wasserkraftwerken. „Wasserkraftwerke, die genug Strom für die gesamte Region produzieren könnten, liegen teilweise still“, so der Journalist Lars Hermes. „Nahezu jede Stadt in Nord- und Ostsyrien leidet inzwischen unter täglichen Stromausfällen. Dies wirkt sich auch auf den Betrieb wichtiger Infrastruktur einschließlich der Gesundheitseinrichtungen aus.“ Mit dazu sind wichtige Wasserwerke mit den türkischen Besetzungen der Region zwischenzeitlich unter Kontrolle Ankaras und mit dem „Palast“ verbündeter Milizen gefallen. Desweiteren wurden, um noch einmal mit Lars Hermes fortzufahren, „Alternativen zu Wasserkraftwerken … in der Vergangenheit immer wieder Ziele türkischer Luftangriffe. So bombardierte die Türkei [etwa] am 20. November [2022] auch das Öl- und Elektrizitätswerk in der Nähe von Teqil Beqil. … Das Öl- und Elektrizitätswerk … ist nun komplett zerstört.“

Zu alldem noch hinzu ist es wie herausgestellt nicht erst seit der latenten Hegemoniekrise des Regimes, sondern seit Jahren gängige Praxis des türkischen Militärs, bestehende Wälder in den kurdischen Regionen der Türkei bis Syrien abzubrennen, die Felder zu zerstören, die Verfügbarkeit von Wasser auszutrocknen und Wassermangel als Waffe einzusetzen. Dass dies nicht zuletzt den fundamentalen UN-Garantien auf Zugang aller Menschen zu sauberem Trinkwasser sowie dem Verbot ökologischer Kriegsführung diametral widerspricht, wird Kurdistan betreffend bestenfalls, wenn überhaupt, im Kleingedruckten vermerkt. Ein zum bisher genannten zusätzliches Ziele dabei ist, den Menschen in den Kurdenregionen die Lebensgrundlagen, sowohl ökonomisch als auch ökologisch zu nehmen und sie dadurch zum Umsiedeln zu zwingen.

Das Umweltdesaster als zudem politisch befeuerter Kollateralschaden

In den kurdischen Regionen in der Türkei wiederum wird das Umweltdesaster noch zusätzlich durch die rigide Absetzung der HDP-Bürgermeister in der Türkei befeuert. Denn durch das System der Zwangsverwalter wird in den nordkurdischen Gebieten in der Türkei nicht bloß der Krieg systematisiert und in dessen Zuge die Natur und die Umwelt weiter zerstört. Die HDP-Gemeinden in der Türkei hatten zuvor sehr wichtige Versuche gezielter ökologischer Landwirtschaft gestartet, mehrere Projekte zur Aufforstung von Wäldern und ökologischen Parks in Städten in Gang gesetzt, oder auch Recyclingprogramme vor allem in Bezug auf Abfallvermeidung sowie bei Nutzung von Abwässern und etc. gestartet. Mit der Zwangsverwaltung wurden auch diese kassiert und das Feld wieder den blanken Profitinteressen heimischer und multinationaler Konzerne anheimgegeben.

Zur Abrundung des tatsächlichen Bildes seien abschließend freilich auch noch Hasankeyf, Munzur oder die Kaz Berge erwähnt. Durch die Vernichtung dieser Naturwunder wird auch die Geschichte der Welt und der Menschheit zerstört und destruiert.

Näher am Thema Interessierten seien daher abschließend noch einmal auf die beiden Diskussionsveranstaltungen von „Make Rojva Green Again“ verwiesen:

Krieg und Ökozid in Rojava: Di. 30.5., 19:00, Café Lotta, Haller Str. 1, Innsbruck

Krieg und Ökozid in Rojava: Do. 1.6., 19.00 Uhr, Der Knoten, Heinzelmanngasse 17, 1200 Wien

Foto: Make Rojava Green Again

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