Kampf um den Ölpreisdeckel

Der Ölpreisdeckel der EU droht zu Versorgungslücken zu führen und den Ölpreis in die Höhe schnellen zu lassen. Washington diskutiert Ölexportverbot – zu Lasten der EU.

Dass das mit der nun „wertebasierten“ Öl- und Gas-Versorgung der EU politisch ohnedies bloß ein ausgemachter Treppenwitz ist, dürfte sich rumgesprochen haben. Aber nach dem Gas-Versorgungs- und Gaspreis-Desaster dürfte der mit Anfang Dezember geplante Ölpreisdeckel gegen das russische Schmiermittel des europäischen Produktionsmodells, der Union und europäischen Energieversorgung wohl endgültig auf den Kopf fallen. Denn trotz der unermüdlichen devoten Bittgänge ins reaktionäre Scheichtum Saudi-Arabien oder in die Föderation der Vereinigten Arabischen Emirat – die vielmehr selbst gerade im großen Stil russisches Öl kaufen –, den diversen Pilgerwegen ins SklavenarbeiterInnen-Emirat & Al-Kaida Finanzier Katar, der gefeierten neuen Partnerschaft mit dem Königreich Marokko, der letzten die Westsahara als kolonialen Besitzstand haltenden Macht, oder dem neuen Energiepartner im Osten, dem autokratisch regierten Aserbaidschan (samt deren diverser Kriege) …  – es hakt vorn und hinten, bis hin zur fehlenden Infrastruktur für den Komplettumbau der Energieversorgung weg von russischen Lieferungen. Da vermag noch nicht einmal der Umstand, dass man Prinz Bin Salman, bis vor kurzem noch persona non grata, nun als Ehrengast im Élysée-Palast empfängt, Abhilfe zu schaffen. Zumal die Saudis mit dem jüngsten „OPEC plus“-Beschluss einer Senkung der Fördermenge um zwei Millionen Barrel pro Tag, nach bereits längerem Lockerungsprozess ihrer Beziehungen zur USA, zwischenzeitlich endgültig als unsicherer Kantonist im westlichen Wirtschaftskrieg in Washingtons-Ungnade gefallen sind. Zu alledem schmiert auch der Euro kontinuierlich ab, was die Kosten der überwiegend in Dollar festgelegten Weltmarktpreise für Energieträger in EU-Europa zusätzlich anheizt. Die EU hat sich in eine Sackgasse manövriert und die einstigen europäischen Kolonien, die Schwellenländer des globalen Südens, abhängigen Länder wie selbst die vormaligen Vasallen haben kein Interesse mehr, erneut die Lakaienrolle des neuen westlichen Weltordnungskriegs zu geben – wie es von der Afrikanischen Union, über den einstigen latein- und südamerikanischen Hinterhof, dem Nahen und Mittleren Osten, bis aus Asien unisono heißt. Und dahingehend kann die OPEC-Entscheidung tatsächlich als handfeste Brüskierung der USA und des Westens gelesen werden. Denn von Biden, über Yellen, bis zur US-Spitzendiplomatie abwärts wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, ein Zurückfahren der Ölproduktion, das dann sogar noch größer ausfiel als von den westlichen Hauptstädten überhaupt befürchtet, zu vermeiden. Anstatt dem teils herrischem Ton, teils flehentlichem Appell Folge zu leisten, setzte es aus Saudi-Arabien, Kuweit, den Emiraten und den weiteren sogar noch extra aufgesuchten Ländern eine regelrechte Ohrfeige auf offener weltpolitischer Bühne. Und nun droht auch noch Ungemach seitens der USA – wie „german-foreign-policy“ in einem aufschlussreichen Beitrag „Kampf um den Ölpreisdeckel“ gerade darlegte, den wir nachstehend in gekürzter Fassung wiedergeben. Denn Biden steht vor wichtigen Kongresswahlen im November, weshalb die Administration gerade erhebliche Ausfuhrbeschränkungen des schwarzen Goldes bis hin zu einem Ausfuhrverbot diskutiert. Ein restloses Ausbeuten der US-Vorkommen auf Teufel komm raus und damit einergehende Erhöhung der US-Erdölfördermenge als Ausgleichsalternative wiederum scheint nicht nur ein unrealistisches Unterfangen, die US-Fracker sind zudem keine staatlichen Unternehmen sondern profitorientierte Konzerne die ihre Förderpolitik nicht einfach auf Zuruf aus Washington ausrichten, sondern an die Biden lediglich appellieren kann oder die sich solches – soweit für sie überhaupt stemmbar – durch teure Kompensationen (etwa die geforderten Freigaben neuer prekärer Bohrgebiete) bezahlen lassen. Und auch die strategische Reserve der USA, die anzuzapfen ohnehin ein abenteuerliches Spiel wäre, ist mehr oder weniger blank. Da mag nun auch US-Finanzministerin Janet Yellen nach einem Ölpreisdeckel für das russische Schmiermittel auf den Weltmärkten krakeelen, dem drohenden Ungemach für Europa schafft das keine Abhilfe. Mehr noch: ein solcher Deckel sorgte und sorgt vielmehr auch unter den anderen „OPEC plus“-Mitgliedern für erhebliche, virulente Unruhe.

Die EU droht mit ihren Plänen zur Deckelung des Preises für russisches Öl einen dramatischen Anstieg des Ölpreises und womöglich sogar eklatante Versorgungsprobleme auszulösen. Russland hat angekündigt, sich dem Preisdeckel nicht zu beugen und kein Erdöl zu liefern, sollte es zur Einhaltung eines von der EU festgesetzten Höchstpreises genötigt werden. Die Lage ist ernst: Gegenwärtig wird mehr als die Hälfte der russischen Ölexporte von Tankschiffen transportiert, die griechischen Reedern gehören und nicht mehr fahren dürfen, falls Russland den Preisdeckel nicht einhält. Gelingt es nicht, EU-Tanker komplett durch Schiffe aus nichtwestlichen Staaten zu ersetzen – die Chancen dafür werden als gering eingeschätzt –, dann ist mit ernsthaften Versorgungslücken und mit einem rasant explodierenden Ölpreis zu rechnen. Die Hoffnung, andere Ölförderer könnten einspringen, ist mit dem Beschluss der OPEC+-Staaten aus der vergangenen Woche geplatzt, ihre Ölförderung um zwei Millionen Barrel pro Tag zu kürzen. Die US-Administration tobt; in Washington wird über ein Ölexportverbot diskutiert. Die USA sind aktuell einer der wichtigsten Lieferanten Europas.

Marktmacht

Mit ihrem Ölpreisdeckel, den sie in der vergangenen Woche beschlossen hat, will die EU verhindern, dass ihr Ölembargo gegen Russland komplett ins Leere läuft. Kein Mitgliedstaat der Union darf ab dem 5. Dezember noch russisches Öl einführen; Ausnahmen gelten nur für drei Länder, die auf Pipelinelieferungen angewiesen sind – Ungarn, die Slowakei, die Tschechische Republik –, und für Bulgarien, das noch bis 2024 russisches Öl auch per Schiff importieren darf. Nun könnte Russland sein Öl künftig einfach an andere Länder verkaufen und Einnahmen in gleicher oder doch zumindest in ähnlicher Höhe erzielen. Das will die EU unterbinden und dazu in Abstimmung mit den G7 einen Höchstpreis für russisches Öl festlegen, der wenig über den Produktionskosten liegt. Um den Höchstpreis durchzusetzen, will sie die Tatsache nutzen, dass Tankschiffe aus Griechenland, Zypern und Malta einen überaus großen Marktanteil halten; laut Branchenangaben wurden von März bis August rund 55 Prozent des russischen Öls allein von Tankern in griechischem Besitz exportiert. Die EU hat nun sämtliche Dienstleistungen für russische Ölexporte, auch die Verschiffung, verboten, sofern das Öl oberhalb des Höchstpreises veräußert wird. Darüber hinaus sollen Versicherungsleistungen untersagt werden. Dabei ist die Union auf die Unterstützung Londons angewiesen, dessen Marktanteil bei Versicherungen klar dominiert.

Mangel und Teuerung

Schon seit Monaten werden in Branchenkreisen Zweifel laut, ob der EU-Ölpreisdeckel wie gewünscht funktioniert oder ob er nicht dem Westen erheblich stärker schadet als Russland. Die Lage ist komplex. Bisher hat kein Land jenseits des transatlantischen Bündnisses bzw. der G7 sich bereiterklärt, den Preisdeckel anzuerkennen. Moskau hat angekündigt, ihn nicht akzeptieren zu wollen. Zuletzt exportierte Russland rund 1,15 Millionen Barrel pro Tag aus seinem fernen Osten in asiatische Länder, vor allem nach China und Indien; dazu nutzte es weitgehend eigene Schiffe oder Schiffe aus asiatischen Ländern, denen der EU-Preisdeckel nichts anhaben kann. Zugleich exportierte es aber auch rund 4,45 Millionen Barrel pro Tag aus Häfen in der Arktis, an der Ostsee oder dem Schwarzen Meer, die überwiegend von Tankern aus der EU transportiert wurden; dies wäre nicht mehr möglich, sollte Moskau den Preisdeckel tatsächlich weiterhin ablehnen. Damit fehlten auf dem Weltmarkt gewaltige Mengen an Öl; der Preis schnellte dramatisch in die Höhe, Versorgungslücken wären recht wahrscheinlich. Letzteres träfe insbesondere auf Diesel zu, da Russland riesige Mengen davon exportiert. Branchenkenner warnen, die EU habe keine echte Alternative zur Versorgung mit russischem Diesel; es drohe gravierender Mangel.

[…]

Die OPEC+ stellt sich quer

Der einzige offensichtliche Ausweg aus dem Dilemma bestünde darin, die Erdölförderung weltweit außerhalb Russlands dramatisch auszuweiten und russisches Öl damit überflüssig zu machen. Darum bemühen sich die westlichen Mächte schon lange. … Sämtliche Bemühungen sind bislang erfolglos geblieben. Statt ihre Ölförderung auszuweiten, haben die OPEC+-Staaten vergangene Woche sogar beschlossen, ihre Förderung um zwei Millionen Barrel pro Tag zu kürzen – so viel wie nie seit den drastischen Drosselungen in der frühen Phase der Covid-19-Pandemie. Offiziell wurde die Kürzung damit begründet, die Weltwirtschaft steuere auf eine Rezession und damit zugleich auf einen deutlich sinkenden Ölverbrauch zu. Hinter den Kulissen heißt in der Ölbranche allerdings, der unerwartete Schritt sei eine recht deutliche Protestreaktion auf den Versuch der westlichen Mächte, den Ölpreisdeckel durchzusetzen. Gelänge der Versuch, dann verlören die OPEC+-Staaten die Macht, den Ölpreis maßgeblich zu bestimmen. Deshalb gehen sie dagegen vor.

Washingtons Prioritäten

Der Konflikt dauert an. Während die EU daran arbeitet, den Ölpreisdeckel durchzusetzen – damit erhielte sie ihrerseits maßgeblichen Einfluss auf die Bestimmung des Ölpreises –, droht Washington den OPEC+-Staaten mit Konsequenzen. Aktuell wird über ein Gesetzesvorhaben mit der Bezeichnung NOPEC diskutiert, das es erlauben soll, souveräne Staaten dem US-Kartellrecht zu unterwerfen und sie vor US-Gerichten abzuurteilen; konkret soll es möglich sein, den OPEC+-Staaten wegen Kartellbildung in den USA den Prozess zu machen. Weil der jüngste, durch die OPEC+-Förderkürzung verursachte Ölpreisanstieg den US-Benzinpreis in die Höhe treibt und damit die Chancen der Partei von US-Präsident Joe Biden reduziert, sich in den Zwischenwahlen Anfang November zu behaupten, wird in Washington auch über ein Erdölexportverbot diskutiert, um in der Endphase des Wahlkampfs die Benzinpreise zu stabilisieren. Das wöge … die EU schwer: Dass es den Staaten Europas seit Kriegsbeginn gelungen ist, ihre Öleinfuhr aus Russland bereits deutlich zu reduzieren, liegt auch daran, dass die Vereinigten Staaten ihre Öllieferungen erheblich ausgeweitet haben und im August bereits rund 1,6 Millionen Barrel Erdöl pro Tag nach Europa lieferten. Fällt dies weg, weil die US-Administration eine Wahlniederlage verhindern will, dann sitzt Europa auf dem Trockenen.

Ungekürzte Fassung im Original

Bild: Jernej Furman/flickr

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