Die Inflation wird gewöhnlich nach den Gang- und Laufarten der Pferde unterschieden: schleichende, trabende, galoppierende. Und die Gäule haben grad erneut die Sporen erhalten und nochmals eine Gangart zugelegt: 9,3% im Juli, die höchste Teuerungsrate seit Februar 1975. Ja, der Teuerungsschub des Wocheneinkaufs sprang gar um irrsinnige 19% empor. Und die Teuerungswelle wird im Herbst und Winter noch weiter anziehen.
Damit liegt die Inflation im Land heute wieder auf einem Niveau wie im Gefolge des sogenannten ersten Ölpreisschocks 1973/74 und über jenem des zweiten Ölpreisschocks 1979/1980. Die Herbst-KV-Runden markieren so den weichenstellenden Lackmustest gewerkschaftlicher Lohnpolitik im Zeichen der höchsten Inflation seit Dekaden sowie unter entfesselten geopolitischen Wirtschaftskriegsbedingungen und einem Sanktions-Amoklauf.
Mit allerspätestens 19. September, der Forderungsübergabe der MetallerInnen, steht der ÖGB vor der Feuertaufe. Metaller-Chefverhandler Rainer Wimmer hat schon mal brustgeschwellt getönt:
„Wir werden ganz sicher nicht unter dieser [Jahres-]Inflationsrate abschließen, im Gegenteil, wir werden einen Reallohnzuwachs verhandeln.“
Es wird sich weisen ob dieses unverbindliche „verhandeln“ nur ein Freudscher Versprecher zu „erstreiten“ oder „erkämpfen“ war, oder schon die Hintertüre für einen gewerkschaftlichen Umfaller bildet.
Eines jedenfalls, das hat selbst der britische Economist mittlerweile zähneknirschend vermerkt, kann heute nüchtern bilanziert werden: der europäische Sanktionswahn im von Brüssel, Berlin, London und Paris entfesselten Weltordnungs-Wirtschaftskrieg gegen Moskau erweist sich mehr und mehr als schlagender Bumerang. Während Russland sich recht immun gegen den Versuch und die Absicht, es mit immer neuen Sanktionspakete „ruinieren“ zu wollen zeigt, ruiniert die westliche Sanktionspolitik dafür umso stärker die sozialen Lebensbedingungen zahlloser Erwerbstätiger, Familien mit niedrigem und mittlerem Einkommen, TransferleistungsbezieherInnen und PensionistInnen.
Die galoppierenden Lebensmittel- und Energiepreise gilt es denn auch schleunigst effektiv und sozial treffsicher einzudämmen und die weitere Entwertung unserer Löhne- und Gehälter im anstehenden KV-Herbst nicht nur rigoros zu stoppen, sondern zudem in der Tat Reallohnsteigerungen zu erkämpfen. Als historische Reminiszenz für die gewerkschaftlichen ChefverhandlerInnen: die erwirkte Lohnerhöhung 1975 lag bei 13%.
P.S.: So „nebenbei“ wurde genau in diesem Jahr auch die gesetzliche Arbeitszeitverkürzung auf 40 Wochenstunden (von ehemals 45) abgeschlossen. Und zwar ohne, dass sich die Beschäftigten diese nochmals selbst zahlen mussten durch Nulllohnrunde oder Freizeitoption. Sondern mit einer gleichzeitigen Lohnerhöhung von +13 Prozent – oder einschließlich Arbeitszeitverkürzung 18,6%.