Ein neues Gesicht im „Werte-Westen“

Nach der Abwahl des offen rassistischen und frauenfeindlichen Halbfaschisten Donald Trump als US-Präsident, hat der „Werte-Westen“ mit Italiens Postfaschistin Giorgia Meloni – fast exakt 100 Jahre nach Mussolinis „Marsch auf Rom –, ein neues Gesicht an der Tafel der EU, NATO und des „Lenkungsausschuss der Weltpolitik“ G7 – oder kurz: des „kollektiven Westens“.

Dass sie als Pate ihres „Italia first“ gelegentlich weniger Mussolinis „Heil Italiens“ als Trumps „Amercia first“ bezeichnet dürfte natürlich ebenso wahl- und polittaktisch sein, wie es zugleich auch vielsagend ist. Dem ultrareaktionären Premier Japans, Fumio Kishida, Mitglied der Gruppierung Nippon Kaiga, einer erzreaktionären Organisation, die die Grundsätze des japanischen Kaiserreiches (mit dunkelsten Kontinuitäten in den Tenno-Faschismus) wiederbeleben möchte, wird der verschobene Fokus auf Meloni und die neue G7-Gesellin angesichts der gestiegenen Aufmerksamkeit auf dessen eigenen Leumund als Proponent des „kollektiven Westens“ nur recht sein.

Anders als vor vier Jahren – noch kurz vor der Corona- und Weltwirtschaftskrise –, als das Bündnis aus dem norditalienischen Lega-Faschisten Salvinis und der Fünfsternebewegung gegen die aus Brüssel verordnete Kürzungspolitik ein Konjunkturpaket auflegen wollte sowie eine soziale Grundsicherung ankündigte und dafür einer Neuverschuldung von 2,4% das Wort redete, ist Brüssel dieses Mal stärker um Kalmierung bemüht. Dabei hatte der seinerzeitige Plan Roms noch nicht einmal gegen das Maastrichter 3%-Kriterium verstoßen.

Gleichwohl wies Brüssel den italienischen Haushaltsplan damals entschieden zurück und verfiel in Zeter und Mordio: „Sollte Rom mit diesem Affront durchkommen, bedeutet das das Ende des Stabilitäts- und Wachstumspakts.“ Statt staatlicher Wirtschafspolitik müsse Italien vielmehr eine Rosskur auf sich nehmen und seine Schulden abbauen. Nicht minder auf Empörung in der EU stieß seinerzeit übrigens ebenso die Ankündigung, dass Italien seine Rüstungsausgaben zurückfahren wolle. Die Regierung Conte-Salvini-Di Maio fügte sich denn auch und spätestens mit der Aussetzung des EU-Fiskalpakts 2020 zu schuldenfinanzierten Hilfs- und Rettungspaketen sowie dem neuen Kabinett Draghi kam es dann ohnehin anders.

Nun, derartige „Gefahren“ bestehen unter Giorgia Meloni nicht. Zwar wird die einst jüngste Ministerin Italiens zum Missfallen Brüssels die Debatte um den EU-Wiederaufbaufonds neu eröffnen, der Euro und Italiens Mitgliedschaft in der EU stehen für sie allerdings ebenso außer Frage wie das Brüsseler Mantra die Staatsdefizits nicht weiter auszuweiten.  

Als unmittelbares Projekt wird sie sich denn öffentlichkeitswirksam wohl auch erst einmal der rassistisch getrommelten „Flüchtlingsabwehr“ widmen – aber hinsichtlich der dazu angekündigten „Blockade von Anlandungen“,  „Kooperationen mit nordafrikanischen Behörden den Menschenhandel zu stoppen“ und den geforderten „EU verwalteten Hotspots außerhalb Europas“  sowie dem weiteren rigorosen Ausbau der „Festung Europa“ stößt sie ohnedies mitnichten nur bei Nehammer oder Karner auf offene Ohren und Zustimmung. Und auch bezüglich der angekündigten Eindämmung des Feminismus und Absage an die LGBTIQ*-Bewegungen hat sie beiweilen mehr Bündnispartner als Polen und Ungarn. Wenngleich der ungeschminkt aufbrandende Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus und offene Misogyny dem Image und Geschäftsinteressen der EU als abträglich gelten. Diesbezüglich ist sie dem Establishment dann doch zu „tosta“ (knallhart und entschlossen).

Während der Großindustrielle Pirelli vor 100 Jahren über den „Duce“ noch unverhohlen ins Schwärmen geriet: „Welch ein Mann, dieser Mussolini“, und der Präsident des italienischen Industriellenverbands Confindustria, Alfano Belli, mit weiteren führenden Kapital-Magnaten gleich zusammen mit Mussolini zu den berüchtigten wahlrechtsreformierten 1924er Wahlen antraten, läuft dies heute leiser.

Die meisten Sorgenfalten in Brüssel drehen sich allerdings um die für die EU alles überragende Frage des zukünftigen römischen Kurses gegen Russland. Zwar hat Salvini, dessen Partei in Umfragen vor zwei Jahren noch bei 30% lag und sich von 17% auf einstellige 9% fast halbiert hat, die gegen Moskau verhängten EU-Sanktionen infrage gestellt. Aber im Unterschied zum nach den Wahlen taumelnden Lega-Chef ist Meloni nicht nur eine ausgewiesene Transatlantikerin, sondern hat Russlands Einmarsch in die Ukraine auch von Beginn an entschieden verurteilt und will ausdrücklich weiterhin Waffen an die Ukraine liefern. Entsprechend heißt es denn auch gleich im ersten Punkt des gemeinsamen, von ihr, Salvini und Berlusconi (dem ehemaligen P2 Geheimlogenfaschisten und mehrmaligen Ministerpräsidenten) unterzeichnetem Wahlprogramm: „Italien ist in vollem Umfang Teil Europas, der atlantischen Allianz und des Westens“ und wird als Teil auch selbstredend „im Atlantischen Bündnis eingegangenen Verpflichtungen“ insbesondere zur Unterstützung der Ukraine und Ruinierung Russlands einhalten (was immer – zumindest einmal als Frage aufgeworfen – das ausgegebene Kriegs- und Wirtschaftskriegs-Ziel den größten Flächenstaat der Welt zu „ruinieren“ mit „wertebasierter Außenpolitik“ zu tun haben soll).

Entsprechend unterstrich denn auch Van der Bellen nach einem Treffen mit seinem italienischen Amtskollegen und italienischen Unternehmern vor knapp zwei Wochen: „Fratelli d’Italia … ist transatlantisch, sie ist gegen den Angriff Russlands auf die Ukraine und es gibt keinerlei Anzeichen, dass sie aus der europäischen Solidarität ausscheiden will. Diese Tatsache beruhigt mich. Europapolitisch müssen wir im Fall eines Wahlsieges Melonis nicht in Panik verfallen. Wie es inneritalienisch aussehen wird, ist eine andere Frage. Meloni ist meiner Ansicht nach keine Gefahr für Europa“, so der Bundespräsident das business as usual des Europa der Banken und Konzerne und der Europäischen Kriegsunion vielsagend auf den Punkt bringend.

Direkt euphorisch wiederum gab sich US-Falkin und Ex-Außenministerin Hillary Clinton, die Putin schon 2014 als „neuen Hitler“ titulierte und für die die Wahl Melonis zur Premierministerin gleich überhaupt eine „gute Sache“ ausmacht. „Die Wahl der ersten weiblichen Premierministerin eines Landes stellt immer einen Bruch mit der Vergangenheit dar, und das ist sicherlich eine gute Sache.“

Natürlich macht es optisch keinen schlanken Fuß hinkünftig eine ausgewiesene Postfaschistin im „wertebasierten Lenkungsausschuss der Weltpolitik“, genannt G7, sowie der EU und NATO maßgeblich mit im Boot zu haben. Aber die genannten westlichen Kartelle und ihre Vasallen-Staaten hatten und haben schon eine Reihe reaktionärer, faschistischer, postfaschistischer und halbfaschistischer Figuren in ihrem Kreis versammelt, ohne dass dies ihrer weltpolitischen Selbstgerechtigkeit als „wertebasiertem kollektiven Westen“ irgendwie einen Abbruch tat. Und vielleicht finden zur Eingliederung Schwedens in die NATO dann Meloni, der Chef der Schwedendemokraten Jimmie Åkesson und Erdoğan zusammen mit Biden – der sie als Langzeitsenator seit 1972 und späterer Vizepräsident natürlich alle an Kriegserfahrungen und entfesselten Kriegen rund um den Globus um Längen übertrifft – zu einem kurzen Plausch zusammen (während in EU-Europa die Dämme brechen und sich das politische Koordinatensystem immer weiter nach rechts verschiebt).

Bild: WikiCommons (CC0 1.0)

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