100 Jahre faschistische Machteinsetzung in Italien

Vor genau 100 Jahren, am heutigen 28. Oktober 1922, begann der sogenannte „Marsch auf Rom“. Bereits drei Tage später, am 31. Oktober, wurde Benito Mussolini, der Führer der faschistischen Bewegung, zum Regierungschef Italiens ernannt. Wir widmen uns diesem schwarzen Jahrestag und seiner klassenpolitischen Lehre mit einem (unsererseits noch leicht ergänzten und erweiterten) Beitrag der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR).

Als vor hundert Jahren, Ende Oktober 1922, die Machteinsetzung Benito Mussolinis geschah, begann für die italienische Gesellschaft eine Tragödie. Schon der Vormarsch der faschistischen Bewegung im „Biennio Nero“ 1921/1922 war verbunden mit zunehmender faschistischer Gewalt. Mussolini hatte sich im Führungskreis der faschistischen Bewegung Ende 1921 als „Duce“ durchgesetzt und die lokalen Squadren und Fasci di Combattimento zu einer Partei geformt.

Eine Funktion der gewalttätigen Formation der „Schwarzhemden“ war es, im Interesse der Unternehmer und Grundbesitzer die revolutionäre und soziale Bewegung, die durch Betriebs- und Landbesetzungen für eine sozialistische Umgestaltung des Landes kämpfte, massiv zu bekämpfen. Nicht der italienische Staat, sondern die faschistischen Kräfte sorgten für die Sicherung kapitalistischer Besitz- und Machtverhältnisse. Schon bald stellten die Faschisten die Machtfrage und forderten Neuwahlen des Parlaments. Sollte ihre Forderung nicht erfüllt werden, wolle man sie mit einem „Marsch auf Rom“ durchsetzen.

Am 1./2. Oktober 1922 demonstrierten die Faschisten mit einen „Marsch auf Bozen“ gegen die deutsche Volksgruppe, wie sie sich den Vormarsch vorstellten. Sie erlebten, dass die Sicherheitskräfte des italienischen Staates dieses Treiben nicht stoppten, der Staatsapparat schien auf ihrer Seite. [Am 24.] Oktober 1922 kündigte Mussolini [in einer Rede in Neapel vor seinen „Schwarzhemden“] daraufhin [für den 28. Oktober] einen „Marsch auf Rom“ an, um die italienische Regierung notfalls gewaltsam zu übernehmen.

„In drei Marschkolonnen“, so der Historiker Wolfgang Schieder, „zogen die Faschisten daraufhin in den nächsten Tagen auf Rom zu und nahmen in Tivoli, Santa Marinella und Monterotondo Wartestellungen ein, das Hauptquartier wurde in Perugia aufgeschlagen. So dramatisch diese Drohkulisse zu sein schien, so wenig bedrohlich war sie im Grund in militärischer Hinsicht. Die faschistischen Kolonnen waren nur selten auch mit Gewehren bewaffnet [Mussolinis uniformierte Terrorbanden waren zu ihrem Terror und ihren Feldzügen gegen die Fabrik- und Landarbeiter, Streiks sowie KommunistInnen und SozialistInnen vorwiegend mit Handfeuerwaffen und manganelli genannten Knüppel bewaffnet], ihre Kleidung war angesichts eines Dauerregens unzureichend, die Verpflegung mangelhaft. Da sie mit den dramatischen Geschehen in Rom tagelang nichts zu tun hatten, wurde ihre Moral als Parteisoldaten stark angegriffen.“

Bezeichnend war die Reaktion der italienischen Elite [und des bürgerlichen Staats]. Ministerpräsident Luigi Facta zögerte lange, den Notstand auszurufen, mit dem die Armee [und Polizei] gegen die Faschisten hätte eingesetzt werden können. Schließlich verweigerte König Vittorio Emanuele III seine Zustimmung, da sich Vertreter des Militärs sowie Rechtsliberale [um Giovanni Giolitti] und Nationalisten im italienischen Parlament [sowie die Wirtschaftsverbände, oberste Armeeführung und der Papst] auf die Seite Mussolinis geschlagen hatten. Luigi Facta trat zurück. [Allerdings noch kaum, wie meist zu lesen, am Abend des 27. Oktober.]

„Was er [Luigi Facta] dann am Abend [des 27. Oktobers] mit dem König vereinbart hat, ist bis heute unklar“, so nochmals Wolfgang Schieder. „Seinen Rücktritt, wie häufig behauptet wird, kann er nicht erklärt haben, da er nach hektischen nächtlichen Beratungen am Morgen des 28.10. 1922 einen Kabinettsbeschluss zur Ausrufung des Ausnahmezustands herbeiführte. Als er diesen um 9.00 Uhr morgens dem König zur Unterzeichnung vorlegen wollte, wurde ihm jedoch eine Unterredung verweigert. Damit war die Entscheidung zu Gunsten von Mussolini gefallen.“ Dabei: „Allein die militärisch gut ausgerüstete römische Garnison von etwa 28.000 Soldaten wäre in der Lage gewesen, die demotivierten faschistischen Parteisoldaten zurückzuschlagen.“  

Der ehemalige Ministerpräsident Salandra überredete den König, Mussolini zum neuen Ministerpräsidenten zu ernennen. „Am Morgen des 29.10. erteilte der König Mussolini den Auftrag zur Regierungsbildung. Mit dem Nachtzug fuhr dieser daraufhin von Mailand [wo er zuvor noch zu letzten Gesprächen mit der Confindustria, dem italienischen Unternehmerverband, zusammentraf] nach Rom [und] begann schon im Zug mit Kabinettsverhandlungen, die er daher auch schon nächsten Tag abschließen konnte.“ (Wolfgang Schieder) Am 30. Oktober 1922 ernannte der König ihn zum Regierungschef. Erst jetzt marschierten die faschistischen Verbände nach Rom, wo am 31. Oktober 1922 eine Parade stattfand. Anschließend kam es – wie schon in den Tagen zuvor – zu Überfällen auf sozialistische und kommunistische Pressebüros und Gewalttaten gegen deren Anhänger.

Denn: „Während Mussolini zum Ministerpräsidenten ernannt wurde und im Blitztempo sein Kabinett zusammenstellte, musst die faschistische Parteiarmee tatenlos vor den Toren Roms ausharren“, um die Ereignisse noch ein letztes Mal näher mit Wolfgang Schieder Revue passieren zu lassen. „Der ‚Duce‘ musste daher dringend etwas tun, um die in der faschistischen Partei aufkommende Missstimmung zu beseitigen. Er kam auf die Idee, die faschistischen Marschkolonnen am 31.10. durch die Stadt marschieren zu lassen und damit die Einnahme Roms durch die Faschisten vorzutäuschen. Statt tatsächlich einen Umsturz herbeizuführen, durften sie diesen also nur simulieren.“

„Während die Squadristen grölend durch die Straßen der Hauptstadt zogen, plündernd und mordend das Arbeiterviertel San Lorenzo heimsuchten“, so Gerhard Feldbauer plastisch, „empfing der König den ‚Duce del Fascimo‘ … Am nächsten Tag legitimierten Nationalisten, Liberale und die katholische Volkspartei mit ihrem Eintritt in die Regierung“ die (beginnende) Machtübertragung an Mussolini. [Seine faschistischen Stoßtrupps wiederum, stießen in ihren fortgesetzten und jetzt nochmals radikalisierten Terrorfeldzügen nun auf gewissermaßen überhaupt keinerlei staatliche Gegenwehr mehr.]

Die Machteinsetzung der Faschisten in Italien im Herbst 1922 war also alles andere als eine „revolutionäre“ Aktion [„faschistische Revolution“], wie es mit der Verklärung als „Marsch auf Rom“ in der faschistischen Selbstdarstellung bis heute propagiert wird. Am Beispiel Italiens wird [vielmehr ] deutlich, welche Funktion dem Faschismus in der politischen Machtsicherung zukommt [sowie auch nochmals die historische Erfahrung ersichtlich, dass der Faschismus bislang überall nur mit Hilfe und im Bündnis mit dem bürgerlichen Konservatismus und den alten gesellschaftlichen Eliten an Machtbeteiligungen bzw. an die Macht gelangte. Allerdings, während der Großindustrielle Pirelli vor 100 Jahren über den „Duce“ noch unverhohlen ins Schwärmen geriet: „Welch ein Mann, dieser Mussolini“, und der Präsident des italienischen Industriellenverbands Confindustria, Alfano Belli, mit weiteren führenden Kapital-Magnaten wie etwa Gino Olivetti (des gleichnamigen Büromaschinenkonzerns) gleich zusammen mit Mussolini zu den berüchtigten wahlrechtsreformierten 1924er Wahlen antraten, läuft dies und solcherart gelagertes heute freilich leiser.]

Ähnliche Beiträge

Gefällt dir dieser Beitrag?

Via Facebook teilen
Via Twitter teilen
Via E-Mail teilen
Via Pinterest teilen