„Bozhe moi“ – jetzt plädiert sogar noch der Ex-Chef der „Münchner Sicherheitskonferenz“ für eine Friedenslösung

Gelten dem medialen Kriegs-Narrativ im Ukraine-Krieg de facto sämtliche Kräfte, die sich auch nur für eine Verhandlungslösung anstatt eines bis in die apokalyptische Gemeingefährlichkeit reichenden Krieges zur Niederlage Russlands oder sich wider der Verlängerung des neuen Verdun einsetzen, schlicht als „innere Feinde“, „Putin-Versteher“ oder „senile Ahnungslose“ – hat den Bellizisten diverser Couleurs nun kein geringer als der Ex-Chef der „Münchner Sicherheitskonferenz“, Wolfgang Ischinger, einen Stein in den Garten geworfen.

Nun ist Wolfgang Ischinger, abermals gerade im Establishment, nicht irgendwer. Von 2008 bis 2022 Chef der „Münchner Sicherheitskonferenz“ (die im Kalten Krieg vielsagend noch „Wehrkundetagung“ hieß und China im Kontext von dessen Friedensinitiative gerade den Fehdehandschuh hingeworfen hat), war der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt unter anderem auch deutscher Botschafter in den USA, in Großbritannien und Frankreich sowie in wichtigen NATO-Agenden in Funktion und Zeit seines Lebens ein ausgewiesener „Falke“.

Und nun das. Da schallt es seit über einem Jahr gebetsmühlenartig einzig und unentwegt „Waffen, Waffen, Waffen“ durch den Äther des Westens, um Russland – whatever it takes – „auf dem Schlachtfeld“ eine „vernichtende Niederlage“ zu bereiten (so O-Töne im ORF) und dann fordert just sogar der Ex-Chef der „Münchner Sicherheitskonferenz“ in seinem gestrigen Beitrag im Tagesspiegel „Raus aus der Schockstarre: Ein möglicher Weg zum Frieden in der Ukraine“, „eine Initiative zur Ausarbeitung aller denkbaren Optionen eines Friedensprozesses“ ein.

Denn: „Nur Krieg und Waffenlieferungen“, wo soll „das enden?“ Diese Frage sei „unangenehm, aber natürlich nicht ganz unberechtigt.“ Und sie bedürfe „mehr als einer wegwerfenden Handbewegung als Antwort“, so Ischinger, der entgegen der triumphalistischen Berichterstattung, ähnlich wie der Generalstabschef der US-Streitkräfte Mark Milley, das Gemetzel des neuen Verdun für den Westen militärisch nicht für gewinnbar zu halten scheint und anstatt des zynischen westlichen Weltordnungs- und Stellvertreterkriegs „bis zum letzten Ukrainer“ daher glatt für eine Verhandlungslösung plädiert.

„Außer Waffenlieferungen und finanzieller Unterstützungsleistungen müssen wir dem anwachsenden kritischen Fragechor in den USA genauso wie bei uns in Deutschland [und andernorts] Perspektiven anbieten“, so Ischinger, das seismographische Bröckeln der Kriegsfront nicht einfach pathologisch per Anklage an eine „Kriegsmüdigkeit“ der Heimatfront oder noch dreisterer „Dolchstoßlegende 2.0“ á la Oliv-Grünen und Konsorten denunzierend.

Wurden – selbst höchstrangigste ehemalige NATO-Militärs oder auch führende Think Tanks des Establishment (von Kräften der Friedensbewegung und antiimperialistischen Linken gar nicht zu reden) – mit dahingehenden Forderungen bislang kurzerhand mit „wegwerfender Handbewegung“ wahlweise als „Putin-Versteher“ oder „senile Ahnungslose“ abgehalftert, wenn nicht überhaupt aus dem Verfassungsbogen des „Wertewesten“ exkommuniziert, ist Ischingers Plädoyer den bis zur apokalyptischen Gemeingefährlichkeit bereiten politische Eliten freilich ein unerwartetes neuerliches Ärgernis in ihren Weltordnungskriegs-Bestrebungen.

„Mehr als 380 Tage tobt der russische Angriffskrieg und es ist höchste Zeit, dass wir einen Friedensprozess für die Ukraine in Gang setzen“, so der seit letztem Jahr außenpolitische Veteran im Einklang mit beispielsweise dem Doyen der US-Außenpolitik Henry Kissinger. „Der Westen – die Bundesregierung einschließlich – gibt sich gegenüber [der verbliebenen zu autonomem Denken fähigen Linken, aber auch dem Globalen Süden, wie der Stoßrichtung seines Artikels zu entnehmen] eine völlig überflüssige Blöße, wenn auf die verständliche Frage nach einer Friedensinitiative immer wieder die stereotype Antwort kommt, die Voraussetzungen für Verhandlungen seien bis auf Weiteres nicht gegeben.“ Darin liegt, jenseits seines nüchternen Blicks als gesottener Haudegen, sicherlich auch einer des Pudels Kern seines Beitragswas dessen Gehalt für die Linke und ArbeiterInnenbewegung aber nur umso interessanter macht.

Der allseits bekannte, unsägliche Bandera/Nazi-Faschist und jetzige stellvertretende Außenminister der Ukraine Andrij Melnyk reagierte darauf schnappatmend denn auch umgehend: „Schert Euch zum Teufel mit eurer senilen Idee, einen schnellen Waffenstillstand zu erreichen … Die Ukrainer lehnen diesen Firlefanz ab“, und weiß sich damit spätestens seit letzter Woche auch eines breiten Konsens des österreichischen Parlaments bis hin zur Unterstützung von Bundespräsident Van der Bellen einig, während selbst ranghöchste ehemalige europäische NATO-Militärs und der aktuelle Oberbefehlshaber der US-amerikanischen Streitkräfte sowie der Ex-Chef der „Münchner Sicherheitskonferenz“ nun die Abtrünnigen markieren. Eine durchaus verquere Lage, die – hätten ihn die Medien für seinen Verhandlungsappell im Ukraine-Konflikt nicht schon als „senil“ und „vollständig ahnungslos“ als einstigen Kronphilosophen EU-Europas und moralische Instanz des Liberalismus entsorgt – selbst Nicht-Habermasianer an dessen Wort der „historischen Übersichtlichkeit“ erinnern hätte können.

Bild: Marc Müller, Wikimedia Commons / CC BY 3.0 DE

Ähnliche Beiträge

Gefällt dir dieser Beitrag?

Via Facebook teilen
Via Twitter teilen
Via E-Mail teilen
Via Pinterest teilen