40 Jahre britischer Bergarbeiterstreik 1984/85: Die folgenschwere Klassenschlacht in der EU

Manchen ist er noch lebendig in Erinnerung, für uns alle aber stellt er einen historischen Wendepunkt dar: der britische Bergarbeiterstreik von 1984/85. Eine Klassenschlacht, die in ihrer Bedeutsamkeit kaum zureichend zu fassen ist. Wenngleich die zurückliegende Streikwelle in Großbritannien freilich nur bedingt mit der folgenschweren Klassenschlacht vor 40 Jahren zu vergleichen ist, erweist sie die Niederringung des damaligen Kampfs der Miners doch nur als neoliberalen Etappensieg, der mitnichten vor einem gewerkschaftlichen Umschwung gefeit ist. Umso bedeutsamer, sich den historischen Miners‘ Strike, seine Geschichte und seine Erfahrungen erneut in Erinnerung zu rufen.

Es war der „der längste, härteste, und wahrscheinlich bitterste Streik, den die Welt gesehen hat“, wie der Präsident der britischen Bergarbeitergewerkschaft und seinerzeitige Ikone Arthur Scargill im Frühjahr 1985 resümierte. Oder, um die damalige Klassenschlacht mit David Peaces großen, dokumentarischen Roman „GB84“ über den britischen Bergarbeiterstreik nochmals vors geistige Auge zu bringen: „Eingeschlagene Köpfe, Gebrochene Rippen. Gebrochene Beine. Blut – Kumpel verhaftet. Verprügelt. Verloren.“

Der Streik gegen die von der Thatcher-Regierung geplante Schließung zahlreicher Kohlegruben begann am 5./6. März 1984 in Yorkshire und weitete sich schnell über die Zechen des ganzen Landes aus. Die Nationale Kohlebehörde hatte Anfang des Jahres angekündigt, mindestens 20 Kohlenschächte schließen und 20.000 Bergarbeiter kündigen zu wollen. Die profitablen Gruben sollten privatisiert werden. Mit dem noch umfassenderen, ruchbar gewordenen Abwicklungsprogramm der Kohleindustrie waren mindestens 70.000 Arbeitsplätze bedroht. Als erste Grube sollte Cortonwood (Yorkshire) geschlossen werden. Die erbosten Bergarbeiter reagierten darauf mit der Ausrufung des Streiks. Und stellten sich damit in die kampferprobte Tradition der britischen Bergarbeitergewerkschaft NUM (National Union of Mineworkers), die in den Bergarbeiterstreiks von 1972 und 1974 die damaligen Regierungen zum Rücktritt gezwungen hatte.

Unerbitterliche Repression für die neoliberale Wende und Umgestaltung

Die Auseinandersetzung um die Kohleförderung war aber kein „gewöhnlicher“ Arbeitskampf. Denn das Ziel der Thatcher-Regierung lag nicht „bloß“ in der Abwicklung der verstaatlichten Kohleindustrie, die „Eiserne Lady“ betrieb vielmehr eine ebenso rigorose wie rücksichtslose neoliberale Umgestaltung des gesamten Landes. Um dieses Programm durchzusetzen, musste allerdings zunächst die organisierte Arbeiterbewegung und Macht der großen Gewerkschaften, allen voran die NUM, die faktische gewerkschaftliche Avantgarde, zerschlagen werden. Eine Absicht, die Margaret Thatcher in einem regierungsinternen Strategiepapier auch unumwunden formulierte.

Entsprechen unerbittlich ging die Tory-Regierung gegen den Streik und die Streikenden vor. Mit politischem Druck, propagandistischen Verunglimpfungen, justiziellen Verfolgungen, brutalen Polizeiaktionen gegen Streikposten, Aufstellung neuer Sondereinheiten, Observierungen von GewerkschaftsaktivistInnen, willkürlichen Verhaftungen und nachrichtendienstlicher Bespitzelung durch den MI5.

Bereits am 15. März, gerade einmal wenige Tage nach Streikbeginn, forderte ein brutaler Angriff von 300 Polizisten auf Streikende in Nottinghamshire, dem zweitgrößten Kohlerevier, das erste Todesopfer unter den Kumpels: Der 23-jährige David Jones verstarb bei diesem Einsatz auf Anweisung der Downing Street „unter ungeklärten Umständen“. Er sollte nicht das einzige Opfer der Auseinandersetzung bleiben, die sich über ein volles Jahr erstreckte.

Aus ganz Großbritannien wurden daraufhin Polizeieinheiten zusammengezogen, um die wachsende Streikfront zu zerschlagen. Selbst bürgerliche Korrespondenten erschauderten teils vor der „größten Polizeiaktion, die England seit dem Generalstreik von 1926 erlebt hat“, einem wie etwa Die Zeit schrieb „generalstabsmäßig organisierten Einsatz Tausender Polizisten“, der „von einem Koordinationsstab bei Scotland Yard geleitet wurde“. Die mit Antiaufruhrtaktiken geführten, erbarmungslos blutigen Polizeieinsätze gegen die Streikenden und Streikposten kostete 10 Miners das Leben und führte zu tausenden Verletzten. Über 12.000 Bergarbeiter wurden vorübergehend festgenommen.

Breite Solidarität

Die Entschlossenheit und im Einzelnen vielfach auch neu entwickelten Kampf- und Widerstandsformen des Ausstands der Bergarbeiter waren noch umso beachtlicher, als sie überwiegend relativ jungen Alters (36 – 38 Jahre) waren. Die meisten von ihnen hatten bis dahin noch keine Erfahrung mit landesweiten Streiks. Als die großen Massenstreiks 1972 und 1974 stattfanden, hatten sie zumeist entweder noch nicht in den Kohlegruben gearbeitet oder gerade ihre Arbeit aufgenommen. Entsprechend bedeutend fiel die unerschrockene und energische Führung durch den legendären, charismatischen Vorsitzenden der NUM, Arthur Scargill, dessen Stellvertreter Mick McGahev und Generalsekretär Peter Heathfield in die Waagschale, die – zusammen mit anderen erfahreneren Miners – unermüdlich quer durchs Land fuhren, sich in die Ketten der Streikposten einreihten, den Polizeiknüppeln trotzten, den Anforderungen gewachsen waren und Unterstützung organisierten. Dementsprechend wurde Arthur Scargill auch als Person zum „Feind“ erkoren und in britischen Medien gar als „Adolf Scargill“ denunziert und verunglimpft.

Ein ebenso glorreiches Kapitel in diesen Tagen schrieb freilich auch die gleichermaßen vielfältige wie breite Solidarität mit dem Bergarbeiterstreik im In- und Ausland – nicht zuletzt auch seitens linker GewerkschafterInnen Österreichs. In Großbritannien spielten dabei auch die maßgeblich von Frauen der Bergbaugemeinden mit ins Leben gerufenen Unterstützungskomitees, die eine Massenbewegung ins Leben riefen und Hunderttausende zur Unterstützung (von Spendenaktionen bis zu Sammlungen) inspirierte, eine wichtige Rolle. Im Zuge des Widerstands wurde dabei immer mehr Arbeitenden, Arbeitslosen, PensionistInnen und den vielzähligen spontanen Initiativen zugleich zunehmend klar, dass nur ein breite, einige Bewegung unter Führung einer konsequenten Gewerkschaft eine Wende herbeizuführen in der Lage ist. Dies äußerte sich bis hinein in die spätere bewusste Umbenennung zahlreicher Support Groups (Unterstützungsgruppen) in Support Groups for Trade Unions (Unterstützungsgruppen für die Gewerkschaften).

Einsichten, die noch umso schwerer wogen, als auch die UnterstützerInnen unter der Austeritätspolitik der Regierung litten und zunehmend erkannten, dass die Bergleute und die NUM in ihrem Ausstand für die Sache aller Werktätigen kämpften. Eine weitere wichtige Säule der Ermöglichung der Aufrechterhaltung des Streiks bildete die breite internationale Solidarität, da die britische Regierung die Konten der NUM konfiszierte und diese so keine Streikgelder zahlen konnte. Insbesondere die Arbeitenden und Gewerkschaften der Sowjetunion oder der DDR, aber auch etwa Jugoslawiens – unter Federführung der Bergleute jener Länder – sowie auch westeuropäischer Gewerkschaften, etwa die französische CGT, leisteten diesbezüglich herausragende Beiträge. Beachtliche Solidarität kam aber auch von den kommunistischen und linken GewerkschafterInnen Österreichs: von Bargeldmitteln, über Kleidersammlungen, bis hin zur Einladung von britischen Bergarbeiterkindern zum Schiurlaub (und vielem mehr). Auch Kulturschaffende solidarisierten sich aktiv mit dem Bergarbeiterstreik. Während die Unterstützung des britischen Singer-Songwriters Billy Bragg oder der A-cappella-Gruppe Flying Pickets den meisten bekannt ist, ist die Rolle des Schauspielers Ben Kingsley an der Einrichtung eines Solidaritäts-Spendenkontos vielfach schon nicht mehr so präsent.

Milliarden zur Niederschlagung

Parallel investierte die britische Regierung regelrechte Unsummen in die Niederringung der damals kampfkräftigsten Gewerkschaft der Insel: offiziell insgesamt drei Milliarden Pfund Sterling (Polizeikosten, Bestechungen für Streikbrecher, Energieimporte fallender Pfundkurs …). Andere Quellen sprechen von acht Milliarden Pfund, das wären fast dreimal so viel wie der parallele Krieg um die Falklandinseln gegen Argentinien verschlang. Thatchers Finanzminister Nigel Lawson nannte die exorbitanten Kosten um der Gewerkschaft das Rückgrat zu brechen gleichviel eine „lohnende Investition“. Für die Eiserne Lady wurde den Arbeitenden und britischen Gewerkschaften – oder wie sie sich sogleich nach dem militärischen Sieg gegen den „äußeren Feind“ (Argentinien) äußerte: „Feind im Inneren“ – damit „eine Lektion“ erteilt, „die niemand vergessen sollte“, wie sie in ihren „Erinnerungen“ freimütig und unverblümt formulierte.

Schlacht von Orgreave

In Orgreave kam es dann zur Tragödie. Um den Abtransport von Koks durch nicht-organisierte Spediteure zu verhindern – die Transportarbeiter verweigerten in Solidarität mit den Bergarbeitern derartige Beförderungenund das Kokswerk abzuriegeln, mobilisierte die NUM 6.000 bis 8.000 mobile Streikposten (engl. Flying pickets) aus dem ganzen Land. Die Polizei machte ihrerseits 6.000 Beamte in Aufstandsausrüstung, darunter auch Reiterstaffeln, mobil, und zog sie um das Werk zusammen. Als die Streikposten die ersten ankommenden Lastwagen blockieren wollten, galoppierten die berittenen Polizeieinheiten sowie neu gebildeten „Riot Squad Police“-Einheiten ohne jede Vorwarnung in die Menschenmenge und schlugen mit ihren gefürchteten Langstöcken auf die unbewaffneten Arbeiter ein. Mit unglaublicher Brutalität knüppelte die Polizei alles und jeden nieder. Flankierend wurden annähernd sechzig Polizeihunde auf die „Miners“ gehetzt. Wie langfristig sich das Vereinte Königreich bzw. der britische Staat auf derartige Auseinandersetzungen mit entschieden Streikenden vorbereitet hatten, lässt sich den in Orgreave schon einen Tick zuvor von einem Polizeioffizier der seinerzeitigen Ikone der NUM, Arthur Scargill, ins Gesicht geschleuderten Sätze entnehmen: „Ihr Jungs habt keine Chance. Wir haben vier Jahre für Euch trainiert und schon zwei Jahre auf Euch gewartet.“ Tags darauf erschütterten die Nachrichtenbilder blutüberströmter Gesichter der sogenannten „Schlacht von Orgreave“ die weltweite Öffentlichkeit.

„Sie können zwar unsere Gruben schließen, aber nicht unsere Köpfe.“

Im März 1985 gelang es der Regierung Thatcher nach einer einjährigen unerbittlichen Klassenschlacht schlussendlich, den historischen Streik niederzuwerfen. Ian MacGregor vom National Coal Board erklärt wenige Tage darauf entschlossen: „Jetzt machen wir sie alle fertig.“

Vier Jahrzehnte nach Beginn des großen Bergarbeiterstreiks wie neoliberalem Wendepunkt in Europa gilt jedoch noch immer, was der Gewerkschafter Helmut Schneider vor wenigen Jahren zum 80. Geburtstag von Arthur Scargill schrieb: „Sozialpartnerschaftliche Gewerkschaftsführungen und Sozialdemokratie haben damals und bis heute nicht begriffen, welche Zäsur die Niederlage der britischen Bergarbeiter und ihrer Gewerkschaft NUM bedeutet hat.“

Aber wie sagte schon ein aktiver Beteiligter des Bergarbeiterstreiks damals: Die Herrschenden mögen zwar ein Gefecht gewinnen, aber nicht die Klassenwidersprüche des Systems beheben. Oder in seinem im Kampf gewonnen neuem Selbstvertrauen: „Sie können zwar unsere Gruben schließen, aber nicht unsere Köpfe.“

Bild: Alan Denney / CC BY-NC-SA 2.0 Deed / bearbeitet

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