Zum westlichen Amoklauf ausufernder Wirtschaftskriege – ABC der Embargologie und Sanktionitis I

Wirtschaftssanktionen und Embargos sind eine uralte, schon aus der Antike oder den mittelalterlichen Städtebelagerungen bekannte Waffe. Gleichzeitig eignet den aus der steten internationalen Verflechtung der kapitalistischen Wirtschaften hervorgegangenen imperialistischen Wirtschaftskriegen, ökonomischen Erpressungen und wirtschaftlichen Strafmaßnahmen, um durch wirtschaftliche Maßnahmen souveräne Länder in die Knie zu zwingen, eine neue Charakteristik und Qualität.

Die Sanktionen des 20. und 21. Jahrhunderts „versuchen“ demnach, wie beispielsweise auch der ehemalige Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats für Lateinamerika, Alfred De Zayas, hervorhebt, „nicht nur eine Stadt, sondern souveräne Länder in die Knie zu zwingen“. Und Manfred Sohn, aus dessen Feder demnächst das Buch „Sanktionen – Eine historisch-marxistische Einführung“ angekündigt ist, präzisiert: „Die verlockende Möglichkeit, einen Gegner durch wirtschaftliche Maßnahmen in die Knie zu zwingen, entwickelte sich geschichtlich erst durch die stetige internationale Verflechtung der kapitalistischen Wirtschaften vom 17. Bis zum 19. Jahrhundert.“ Ebenso sieht es der prominente US-Historiker Nicholas Mulder, der in seinem jüngst (2022) erschienen, einschlägigen Standardwerk: „Die ökonomische Waffe – der Aufstieg der Sanktionen als ein Mittel des modernen Krieges“, gleichfalls unterstreicht, sie alle über einen Kamm zu scheren „konstruiert eine ins Irre führende Kontinuität in Raum und Zeit“.

Der Aufstieg der ökonomischen Kriegsführung zu einer bevorzugten Waffe des Imperialismus

Nach ersten Anfängen dieser ökonomischen Kriegsführung im „Kräftemessen zwischen Großmächten“ (etwa Großbritanniens und Frankreichs gegen Deutschland und Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg oder der Vereinigten Staaten gegen Japan am Vorabend von Pearl Harbor), etablierte sich die Waffe des Wirtschaftskriegs im unmittelbaren Anschluss an den Zweiten Weltkrieg als ein bevorzugtes Mittel des westlichen Imperialismus um seine globalen Interessen durchzusetzen. Nunmehr vorrangig – wenn auch nicht ausschließlich – gegen sozialistische Staaten und Revolutionen, sowie gegen antikoloniale Erhebungen und eigenständige Entwicklungswege diverser Couleurs. Am bekanntesten darunter sind wohl die gegen die Sowjetunion verhängten Sanktionen und das Embargo gegen Kuba. Bereits 1947 erschallte in Washingtondie Forderung nach einem Technologie-Boykott gegen Moskau. Ab 1949 wurde die Embargo-Politik gegen die Sowjetunion und die osteuropäischen RGW-Länder dann mit dem sog. CoCom auf den Weg gebracht. Heute hingegen vielfach fast vergessenen scheint das unmittelbar auf die chinesische Revolution von 1949 bis 1972 verhängte US-Embargo, um Peking zu erdrosseln, obwohl die ChinCom teils sogar noch strenger gestrickt war.

Der Linken stärker präsent ist demgegenüber das nach der kubanischen Revolution 1959 verhängte und danach immer weiter ausgebaute Embargo und US-Sanktionssystem gegen Kuba seit 1960, „das praktisch einem totalen Krieg gleichkommt, der in erster Linie die Zivilbevölkerung betrifft“, wie Domenico Losurdo hervorstrich. Aber schon die gegen den unliebsamen, national-demokratischen iranischen Frühling unter Premier Mohammad Mossadegh 1953 verhängte Seeblockade Großbritanniens, Beschlagnahmung der iranischen Konten im Vereinigten Königreich und die Belegung wichtiger Importgüter Teherans mit einem Embargo, ist meist nur mehr wenigen im Bewusstsein. Dasselbe gilt freilich auch etwa für die Erdrosselung der antiimperialistisch-demokratischen Umgestaltung Guatemalas unter dessen Präsidenten Jacobo Arbenz (1951 – 54) und der dafür detaillierten CIA-Studien, welche Wirtschaftssektoren „angegriffen werden könnten, um der Regierung von Arbenz zu schaden, ohne antikommunistische Elemente ernsthaft zu beeinträchtigen.“ Die Liste ließe sich schon in der Ära des Kalten Kriegs buntscheckigst fortsetzen: von den Sanktionen gegen den Iran ab 1979, über die Erdrosselung der sandinistischen Revolution per wirtschaftlichem Todesstoß und einer systematischen Verminung der nicaraguanischen Häfen in den 1980er Jahren, oder gegen den Irak 1990. Anlässlich des gerade zurückliegenden 50. Jahrestages des US-orchestrierten faschistischen Putsches in Chile 1973 sei einzig noch an US-Präsident Nixons und Henry Kissingers Weisung erinnert, im hybriden Krieg gegen die Volksregierung Allendes begleitend „die Wirtschaft in Chile zum Schreien zu bringen“. Ein auch zum Jahrestag am 11.9. vielfach etwas unterbelichtet gebliebener Aspekt der US-Kriegsführung gegen den verheißungsvollen revolutionären Aufbruch des Andenstaates – bis hin zum totalen Wirtschaftskrieg –, den wir anlässlich seiner bisweilen etwas im Schatten verbleibenden Bedeutsamkeit wie Ausmaß daher einmal gründlicher in den Blick genommen und im Detail skizziert haben.

Ökonomische Erpressungen und Strafmaßnahmen – eine spezifische Waffe imperialistischer und kolonialer Großmächte

Kurz und bündig: Entweder Willfährigkeit, Gehorsam und Unterwerfung eines Landes oder ökonomische Strafmaßnahmen, Verurteilung zu einer technologischen Apartheid und Belegung mit einem mehr oder weniger radikalen, ruinösen Embargo – als eine bevorzugte imperiale Waffe ökonomischer Kriegsführung bzw. als integraler Bestandteil der hybriden Kriegsführung der imperialistischen oder kolonialistischen Großmächte des Westens. Sowie als deren spezifische Waffe. Denn wirtschaftliche Embargos, Sanktionen und Wirtschaftsblockaden können – wie etwa Joachim Guilliard zu Recht heraushebt – weitestgehend per se nur von dominierenden Mächten oder Bündnissen verhängt werden.

Das dicht gespannte Sanktionsgeflecht über den Globus seit Aufstieg der USA zur alleinigen Supermacht

Seit dem zwischenzeitlichen Aufstieg der USA zur alleinigen Supermacht in den 1990er Jahren und nochmals forciert seit der Jahrtausendwende ist die Sanktionswaffe Washingtons regelrecht ins kaum noch Überblickbare ausgeufert. Und zwar als sprichwörtlich von A wie Angola bis Z wie Zimbabwe über den Globus gespanntes Sanktionsgeflecht. Frei der vor dem Hintergrund der Erdrosselung und des Umsturzes in Chile bereits 1974 von der Time gezogenen Feststellung: „Die Vereinigten Staaten fühlen sich frei, eine andere Regierung zu untergraben, wann immer es in die amerikanische Politik passt.“ Was in diesem Kontext medial geflissentlich verschwiegen wird: Es ist gar nicht solange her, da stieß das rund um den Globus gespannte US-Sanktionsgeflecht in der EU (zumindest) teilweise noch auf Widerstand, setzte sich selbst Brüssel dagegen partiell zur Wehr und galt Washingtons grassierende Sanktionitis als verpönt. Heute hingegen haben die USA und ihre westlichen Vasallen in ihrem Sanktions-Amoklauf zur Durchsetzung ihrer globalen Interessen und Verteidigung ihrer Vorherrschaft – allein oder zusammen mit den EU-Staaten – Sanktionen, Embargos und Wirtschaftsblockaden gegen sage und schreibe rund 50 Länder verhängt. Vorrangig Entwicklungs- und Schwellenländer.

Zynisches Kalkül pur

Freilich propagandistisch jeweils im Namen der „Menschenrechte“ oder ähnlichem verkauft. Eines der dummdreistesten wie auch zynischsten Kalküle der auf den Weg gebrachten Sanktionspakete liegt dabei nicht zuletzt darin: erdrosselt man „die Serben“, „die Kubaner“, „die Russen“, „die Afghanen“, die „Venezolaner“, „die Iraker“, „die Nordkoreaner“, die „Nigrer“ etc. wirtschaftlich, werden sie zum Volksaufstand gegen ihre jeweiligen Regierungen schreiten. Entweder um diese, durch dem Metropolenkapitalismus zu Gesicht stehende, auszutauschen oder zumindest genug Druck zu erzeugen, dass den Forderungen der erpressenden Mächte nachgegebenen wird. Oder wie es CIA-Direktor Richard Helms für den internen Dienstweg in Bezug auf Chile seinerzeit ungeschminkt notierte: „Chile und die Chilenen zu äußerster Not und Armut verdammen, um auf diese Weise einen Volksaufstand zu provozieren“. Sprich: das Land wirtschaftlich zu destabilisieren und unregierbar zu machen, um ein „ein entsprechendes Staatsstreichklima zu schaffen“ – wie Langley und die US-Administration damals anwiesen. Nun zogen und ziehen Sanktionen und Embargos eine ganze Reihe Folgen nach sich, ein Initiator für Volksaufstände waren sie indes noch nie.

Maximal stürzten sie die in die wirtschaftliche Zange genommenen Länder ins offene Chaos. Das zeigt schon ein Blick auf die mit dieser „Hoffnung“ begründeten Strafmaßnahmen der jüngeren Zeit gegen beispielsweise den Irak (1990), Haiti (1991), Libyen (1992), Jugoslawien (1992), Kambodscha (1992, 2013) Serbisch-Bosnien (1994), Myanmar (1988, 1996), Sierra Leone (1997), Angola (1998), Afghanistan (1999, 2021), Liberia (2001), Simbabwe (2002, 2008), Nordkorea (2006), Iran (2006, 2012), Belarus (2006), Sudan (2008), Somalia (2010), Eritrea (2011), Syrien (2011), Mali (2012, 2021), Guinea-Bissau (2012), Belize (2013), Guinea (2013), Russland (2014, 2020), Burundi (2015), Jemen (2015) und Venezuela (2015 ff) … – um nur die bekanntesten zu nennen und China (2018, 2019, 2022, 2023) noch zurückgestellt lassend.

Kollektive Erpressungs- und Bestrafungsregime ohne Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung

Das bestätigt auch das Ergebnis der umfangreichen Studie des Peterson Institute for International Economics, das Sanktionen aus 100 Jahren in über 100 Ländern untersucht hat und resümierte, dass Wirtschaftssanktionen und Embargos durchgängig ungeeignet waren, die damit ins Visier genommen außenpolitischen Ziele zu erwirken (außer gegebenenfalls gegen kleine Länder und bei gemeinhin bescheidenen Sanktionszielen partieller Kursänderungen). Getroffen haben sie zudem allen voran die Bevölkerungen, die einfachen Leute und insbesondere nochmals Frauen und Kleinkinder. Das ist allerdings kein „unerwünschter Nebeneffekt“, sondern Wirtschaftskriegen vielmehr immanent, die ohne zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung zu unterscheiden, zur „kollektiven Bestrafung“ des Gegners oder um ihn zu strangulieren oder einen „Regime Change“ durchzusetzen die Bevölkerungen in „kollektive Geiselhaft“ nehmen.

Beispielhaft hierfür, auch was die desaströsen sozialen und humanitären Folgen betrifft, kann das mörderische amerikanisch-britische Sanktionsregime gegen den Irak 1990 bis 2003 (dem mehr als eine dreiviertel Million (!) Kinder zum Opfer gefallen ist) stehen. Bedauerlich freilich, aber „diesen Preis wert“ – wie Madeleine Albright die Welt hinsichtlich vertretbarer „Kollateralschäden“ der globalstrategischen Perspektive des Empires kalt belehrte. Die ob dieser Massenvernichtung der Reihe nach zurückgetretenen UN-Koordinatoren für humanitäre Fragen im Irak (wie Denis Halliday oder Hans-Christof von Sponeck) charakterisierten die angelsächsischen Sanktionen denn auch schlicht als „Völkermord“.

Aber auch aktuell braucht es nur etwa eines schweifenden Blicks auf beispielsweise das Sanktionsregime gegen Niger. Der Sahelstaat ist bekanntlich eines der ärmsten Länder der Welt. Auf dem Human Development Index (HDI) liegt es auf Rang 189 der 191 gelisteten Länder. Extreme Armut, Hunger, Unterernährung, weit verbreitete Wachstumsstörungen der Kinder aufgrund der Mangelernährung, … kennzeichnen die soziale Situation. Entsprechend auch der Aufschrei und die Proteste des UN-Kinderhilfswerk UNICEF und von Hilfsorganisationen gegen ECOWAS-EU-Sanktionen, die zu alledem selbst für lebensnotwendige Güter keine Ausnahme kennen. „Das wird Leben kosten“, so Gregor Robak-Werth, Leiter der ACF (Aktion gegen Hunger) in Niger, während Brüssel, Paris und Berlin mit ihrer ökonomischen Kriegsführung bis zum massenhaften ‚stillen Tod‘ ihre „Interessen und Ziele in der Subregion“ gegen „Drittstaaten“ zu sichern gedenken – wie es geopolitisch offen heißt. „Die Sanktionen“, verlautbart es aus den EU-Außenämter des „Wertewestens“ auch noch stolz, „fangen bereits an zu wirken.“ Sicherlich, sie hätten zwar „durchaus auch schmerzhafte Auswirkungen auf die Menschen“, aber eben „auch auf das Regime“. Und während man Antipoden des „Wertewestens“ propagandistisch einen angeblichen „Hunger-Krieg“ „als Kriegswaffe“ unterstellt, pinselt man den tatsächlichen, eigenen tödlichen Sanktionen einen vermeintlich „werteorientierten“ Anstrich auf.

Der „stille Tod“ – mitnichten eine „zivilere“ oder „humanere Alternative“

Die mannigfachen von Washington (allein oder zusammen mit der EU) aus diesem oder jenem Interesse, geopolitischem Blickwinkel unliebsamen oder den USA einfach nur ungenügend kooperativen oder zu Strafmaßnahmen auserkorenen Staaten verfehlten denn auch überwiegend nicht nur ihren offiziell verkündeten, vorgeblichen oder wirklichen Zweck, sondern forderten ungeheure Opfer in den Bevölkerungen der betroffenen Staaten und lasteten bzw. lasten zudem wie ein Alp auf deren Gesellschaften. Der ehemalige bedeutende US-Diplomat Thomas Shannon Jr. hat ihre Wirkung gar mit „den Brandbomben auf Dresden und Tokio“ verglichen. Und die beiden renommierten US-Politikwissenschaftlern John und Karl Mueller setzten in ihrer Untersuchung und dem Vergleich der humanitären Folgen dieser „Massenvernichtungs-Sanktionen“ die Folgen mit jenen des Einsatzes von atomaren, chemischen und biologischen Waffen gleich. Allerspätestens Nicholas Mulders bereits eingangs angeführten Werk: „Die ökonomische Waffe – der Aufstieg der Sanktionen als ein Mittel des modernen Krieges“, lässt keinen Zweifel mehr übrig, dass Wirtschaftskriege oder ökonomische Sanktion (mit ihrer Zerstörungskraft, ihrem „stillen Tod“, ihren herbeigeführten humanen Katastrophen und befeuerten millionenfachen Flucht) alles andere als vermeintlich zivilere oder „humanere Alternativen“ zum Schießkrieg sind, als die sie politisch und medial verkauft und auch von einer gewissen Linken mit euphorischem Applaus bedacht werden.

Teil II folgt am Sonntag

Ähnliche Beiträge

Gefällt dir dieser Beitrag?

Via Facebook teilen
Via Twitter teilen
Via E-Mail teilen
Via Pinterest teilen