Menschenrechtsverbrechen und Widerstandsperspektiven am Hindukusch

Die Taliban machen sich anscheinend schon erster schwerer Menschenrechtsverbrechen und Hinrichtungen schuldig. Jüngst noch als Formierung einer bewaffneten Allianz gegen die Taliban vor die Medien getreten, tritt die bunt zusammengewürfelte Phalanx im nordostafghanischen Panjshir-Tal nach ihrem martialischen Säbelrasseln – nicht ganz überraschend – währenddessen bereits vor Kampfbeginn den geordneten Rückzug an.

Ahmad Massoud – Spross des legendären „Löwen von Panjshir“ – scheinen die Fußstapfen seines Vaters, dem zumindest tapferen und militärisch hoch befähigten ehemaligen afghanisch-tadschikischen Truppenführers Ahmad Schad Massoud, doch eine Spur zu groß. Seine großspurige angekündigte Bereitschaft „es erneut mit den Taliban aufzunehmen“ und Aufruf an „alle freien Afghanen, alle, die die Sklaverei ablehnen, sich unserer Bastion Pandschir anzuschließen“, erweisen sich mehr und mehr als rein taktischer Poker um seine Verhandlungsposition mit den Taliban zu stärken. Ein Handwerk, das der im Westen studierte Absolvent am King’s College bzw. der University of London ja von der Pike auf gelernt haben dürfte.

Auch um Vizepräsident Amrullah Saleh, enger Vertrauter des 2001 von Al-Qaida ermordeten „Löwen von Panjshir“ sowie den USA, ist es still geworden. Nach dem Reißaus der von den USA eingesetzten Marionettenfigur und ehemaligen Weltbankers Aschraf Ghani, erklärte sich Saleh bekanntlich zum rechtmäßigen Präsidenten Afghanistans und zog sich zusammen mit verbliebenen kampfbereiten Soldaten und Spezialeinheiten der afghanischen Armee in die Panjshir-Provinz zurück – um eine Koalition gegen die Taliban zu schmieden zu versuchen. „Ich werde mich niemals und unter keinen Umständen den Taliban-Terroristen beugen“, erklärte der mittlerweile aus der Öffentlichkeit verschwundene vorherige Schlapphut unmittelbar nach deren Machtübernahme noch. Aktuell ist es allerdings merklich still um ihn geworden.


Nicht minder von der Bildfläche verschwunden ist zwischenzeitlich auch der biographisch interessanteste Vertreter des Triumvirats: der usbekische General Abdul Raschid Dostum, einst herausragender Milizenführer unter Najibullahs DVPA-Vorgänger Babrak Karmal, bevor ihn der Mann Gorbatschows in Afghanistan, Mohammed Najibullah, durch Abdul Satar ersetzte und von seinem Posten zum General der afghanischen Armee wegkomplimentierte. Politisch stand er seinerzeit dem Partscham-Flügel der DVPA nahe, dem etwa auch Anahita Ratebzad angehörte.

Die im Westen meist recht homogene Erzählung der DVPA-Periode war demgegenüber in Wirklichkeit ja zugleich eine Geschichte erbitterter Fraktionskämpfe. So gelang es Hafizullah Amin bereits im September 1979 die ursprüngliche Partei- und Staatsführung der Aprilrevolution von 1978 unter Nur Mohammad Taraki zu stürzen und ein – vorsichtig oder auch euphemistisch formuliert – stark persönlich geprägtes Regime zu errichten. Mohammad Taraki wurde ein knappes Monat später ermordet. Allerdings währte Amins Regime nicht lange. Bereits Ende Dezember 1979 wurde es seinerseits wieder vom Flügel und den Kräften um Babrak Karmal besiegt, der danach bis 1981 zugleich auch den Posten des Premierminister inne hatte (in der Funktion als Ministerpräsident folgte ihm 1981 dann Sultan Ali Keschtmand nach). (Auch Amin kam seinerseits ums Leben.) Auf Druck der neuen Partei- und Staatsführung der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow wurde Karmal dann ab 1986 peu à peu von allen Funktionen entbunden und von Moskaus neuem Favoriten Najibullah abgelöst. Die Kapitualtion der DVPA zum Jahrestag der Aprilrevolution besorgte 1992 dann allerdings wiederum dessen Nachfolgefigur Abdul Rahim Hatef. Ein Ausflug in die Geschichte der in seinem Stakkato nur die politische Komplexität Afghanistans selbst noch innerhalb der DVPA-Periode antippen sollte.
Gestattet sei lediglich noch der sozialgeschichtliche Umstand oder Hinweis, dass der Anteil der Industriearbeiterschaft zum Zeitpunkt der Aprilrevolution bei lediglich bei 2% der Bevölkerung lag, anderen Einschätzungen zufolge sogar nur 0,6% der Bevölkerung ausmachte.


Wie dem auch immer. Die große Anahita Ratebzad hätte nichts desto trotz den Kampf unter subtiler Einbeziehung der konkret historischen Umstände und Einordnung der patriarchal, religiös und tribalistisch geprägten Strukturen aufgenommen.
Das pro-amerikanische Schielen nach Washington und die absonderlich verquere Illusion in den US-Imperialismus hätten sie wohl nur erbittert. Sie war sich Zeit ihres Lebens um die „schweren Herausforderungen“ des afghanischen Freiheitskampfes, „sowohl innerhalb des Landes – durch diejenigen, die eine reaktionäre gesellschaftliche Auffassung vertraten – als auch außerhalb des Landes – durch unsere Gegner in den Vereinigten Staaten und Pakistan“ bewusst.


Und das betrifft nicht zuletzt die Taliban und ihre US-Mentorenschaft. Einst im geopolitischen Interesse hochgepäppelt, aufgerüstet und von den USA im Zusammenspiel mit Pakistan und Saudi-Arabien an die Macht gehievt, verhandelte die USA – angesichts der Labilität seiner Marionetten-Kabinette und mehr und mehr absehbaren Niederlage des Westens – im Hintergrund denn auch seit zwei Jahren erneut mit den Taliban über ihre Rolle, samt Machtbeteiligung oder auch Duldungen ihrer Machtausübung am Hindukusch. Darüber vermögen auch nachträgliche Manöver des absteigenden Welthegemons nicht hinwegzutäuschen.
Wahrscheinlich, aber das ist nur eine nachträgliche Vermutung, hätte sie für einen progressiven Ausweg aktuell der linken Solidarity Party Afghanistan beigepflichtete, von Nöten sei ein „Kampf gegen jede Art von Fundamentalismus, Reaktion und ausländischer Intervention“. „Die Geschichte unzähliger Länder, einschließlich der Geschichte unserer eigenen Heimat, hat bewiesen, dass nur der Protest und der Kampf des Volkes Alarm schlagen können (…) Deshalb muss unser Volk ethnische, regionale, sprachliche und nationale Probleme beiseite legen und sich vereinen.“

Foto: Master Sgt. Michael O’Connor (U.S. armed forces), Public domain, via Wikimedia Commons

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