Zur politischen und linken „Mitte“ und der aktuellen Debatte gegen Rechtsruck und für die Verteidigung der Demokratie
Vielleicht kann man (nach einer Reihe von Vorspielen) spätestens das Jahr 2016 als ein gewisses einschneidendes oder zumindest markantes Datum betrachten. In den USA gewann der offen rassistische und frauenfeindliche Reaktionär Donald Trump die Präsidentschaftswahlen. In Italien erklomm zunächst die Lega Regierungsverantwortung und residiert heute die Postfaschistin Giorgia Meloni. In Brasilien kam im Windschatten Jair Bolsonaro ins Amt. In Japan übernahm danach der ultrareaktionäre Fumio Kishida, Mitglied der erzreaktionären Gruppierung Nippon Kaiga, das Ruder. In Österreich hielt Türkis-Blau unter Kurz-Strache Einzug. Und von Spanien, über Holland bis nach Skandinavien marschieren seither in neuer Dynamik die Rechte und Rechtsextremen voran. Seit jüngstem hat sich daher auch die „Mitte“ des politischen Spektrums neuerdings den angeblichen Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus und die Verteidigung der Demokratie auf ihre Fahnen geheftet. Aber wo eigentlich ist diese „Mitte“ des politischen Koordinatensystems selbst verortet?
In der Tat: auch wenn wir in Europa heute weder vor der Errichtung einer faschistischen Diktatur stehen, noch das Großkapital an einer solchen gegenwärtig interessiert ist, befinden wir uns inmitten einer gravierenden Verschiebung des politischen Koordinatensystems nach rechts bis rechts-außen sowie eines sozial-reaktionären, immer autoritäreren und militaristischen Staatsumbaus, der durch den generellen politischen Rechtsruck und die Wegbereiter des aufbrandenden Rechtsextremismus von Letzteren nochmals multipliziert forciert wird.
Schlaglichter auf „die Mitte“
Unter den Teppich gekehrt und vergessen scheint in diesem Zusammenhang freilich, dass die jüngste Diagnose einer zunehmenden „Postdemokratie“ schon auf die Jahrhundertwende zum 21. Jh. zurückreicht. So erschien denn bereits 2003 das im politischen Diskurs teils Furore machende gleichnamige Buch des britischen Soziologen Colin Crouch, das 2008 auch auf Deutsch erschien. Also noch am Vorabend, bevor das Tandem des EZB-Präsidenten Mario Draghi und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Kooptierung von Wolfgang Schäuble (als deutschen Finanzminister), Francois Hollande (als Präsident Frankreichs), Jean-Claude Juncker (als EU-Kommissionspräsident) und Donald Tusk (als Präsident des Europäischen Rates) als „ad-hoc-Komitee“ im Stile einer europäischen Selbst-Inthronisierung einfach die Geschicke der EU übernahm und bis in Länder der Union hinein durchregierte. Ähnliches ließe sich natürlich auch bezüglich der einzelnen EU-Staaten nachzeichnen. Nicht zuletzt etwa hinsichtlich der jeweils per präsidialem Dekret im Rückgriff auf den französischen Notverordnungsparagraphen 49.3. unter Ausschaltung des Parlaments durchgepeitschten sozial-reaktionären Umbauten der „Grande Nation“ – ohnehin unterm Strich eher „Wahlmonarchie“ als gemeinhin beschworene „liberale Demokratie“.
Die dahingehende Chuzpe lieferte zuletzt nochmals der NATO-Gipfel zu seinem 75-jährigen Gründungsjubiläum als angeblicher Hort der „Demokratie“ und „Freiheit“. Dass sich unter den Gründungsmitgliedern des westlichen Militärpakts etwa das faschistische Portugal Salazars befand wird ebenso tunlichst bei Seite geschoben wie die gleichzeitige Integration (wenn auch nicht sofortiger NATO-Mitgliedschaft) des Franco-Faschismus in Spanien mit Marine und Airbase-Stützpunkten. Ja, noch nicht einmal spätere faschistische Militärputsche in ihren Mitgliedsländern wie, um nur zwei Beispiele zu nennen, jener der Obristen-Junta in Griechenland 1967 oder der (seit NATO-Beitritt bis dahin dritte) Militärputsch in der Türkei 1980 können dem westlichen Militärpakt in seiner grotesken PR-Verzerrung etwas an Glorie anhaben. Diesbezüglich ist es schon fast müßig den Finger noch auf solch „Schönheitsfehler“ zu legen, wie den Beitritten Frankreichs und Großbritannien mitsamt „ihren“ seinerzeitigen Kolonien (!) Algerien und Malta. Und sollte im Herbst abermals der Clown Trump Zirkusdirektor in „God‘s Own Country“ werden, steht dem Militärpakt abermals der Putsch-affine einstige „Irre im Weißen Haus“ vor.
Der Fokus soll angesichts der morgigen entscheidenden Abstimmung des EU-Parlaments über den beschönigend als „Reform“ bezeichneten Todesstoß für das EU-Asylrecht im hiesigen Kontext allerdings stärker hieraufliegen. Wiewohl dieser aufs Gesamte gesehen nur einen Aspekt des in Wirklichkeit hegemonialen Grundkonsens von der „Mitte“ bis „rechts-außen“ markiert. Ein weiterer Blick auf die neue Hochrüstung, Militarisierung der internationalen Beziehungen und bellizistische Blockkonfrontationspolitik genügt dafür schon, wenngleich darin bisherige Parameter gleichsam etwas in Unordnung geraten. Aber auch der an die Wand gemalte wirtschaftsnationalistische Protektionismus hat als solcher weder unter Trump, noch unter den britischen Torys, oder unter Meloni stattgefunden. Der selektive Protektionismus Trumps entpuppte sich vielmehr schnell als US-amerikanisches Projekt einer Verbesserung von Washingtons Lage im transnationalen Kapitalismus, das unter Joe Biden – wenngleich weniger rüpelhaft – noch vertieft wurde. Ergänzt um einen immer weiter ausufernden Wirtschaftskrieg und einer Verschärfung der Sanktionsgefechte gegen China, Kontrahenten und den Aufstieg des Globalen Südens im von Biden ausgerufenen „Wettbewerb um den Sieg im 21. Jahrhundert“, welcher von der EU unter „Europas amerikanische Präsidentin“ (wieKommissionspräsidentin von der Leyen vom US-Magazin Politico polemisch genannt wird) devot mitgetragen wird.
Rechts-außen und die Zentrifuge der Mitte
Die Empörung bzw. Aufregung über das Potsdamer Geheimtreffen von AFD-Politikern, Identitären-Recke Martin Sellner und Vertretern der rechtskonservativen Werteunion zur verharmlosend „Remigration“ genannten ethnischen Säuberung Europas war und ist zu Recht groß und bis heute nicht abgeebbt. Geflissentlich verschwiegen wird diesbezüglich jedoch weitgehend, was Martin Sellner damit meinte, dass die Idee längst in der Öffentlichkeit angekommen ist. Patrick Bahners Beitrag in der gutbürgerlichen FAZ brachte dies unter dem Titel „Das Geheimnis des Geheimtreffens im Hotel“ indes ganz gut auf den Punkt: „In der Sache gehen die Punkte in Sellners Konzept […] an vielen Stellen nur ein oder zwei Schritte über die migrationspolitischen Planspiele der Ampelkoalition und der Unionsparteien hinaus.“ Und man muss dazu wahrlich nicht nach Deutschland blicken.
Dass sich FPÖ-Chef Herbert Kickl von der Idee bzw. dem Plan einer „Remigration“ partout nicht distanzierte, wird kaum noch verwundern. Johlt doch auch die FPÖ für einen Asylstopp, Internierungslager für Geflüchtete außerhalb der EU-Grenzen und massenhafte ‚Rückführungen‘ für „solche Menschen“ (Menschen mit Migrationshintergrund) auch wenn sie die österreichische Staatsbürgerschaft erworben haben (dann muss sie „solchen Leuten“ eben entzogen werden). Auch für Sebastian Kurz bildete seine restriktive wie menschenverachtende Migrations- und Asylpolitik bekanntlich das „Herzstück“ seiner „Politik“, worin ihm sein Nachfolger als Kanzler und ÖVP-Vorsitzender Karl Nehammer in nichts nachsteht. Und auch der neu gekürte ÖVP-Spitzenkandidat Reinhold Lopatka für die Europawahlen hat sich sogleich das Migrationsthema als Hauptagenda auf die Fahnen geheftet und die weitere Verfestigung der „Festung Europa“ als Programm ausgegeben, das danach im schwarzen „Österreichplan“ nochmals in parteiliche Wahlprogrammatik gegossen wurde und mit Kanzler Nehammer oder Innenminister Gerhard Karner auch glaubwürdige Figuren und Vollstrecker in der Arena hat. Dem wiederum steht andererseits bekanntlich Kurzzeit-SP-Vorsitzender Hans Peter Doskozil nichts nach, in dessen Schleimspur auch der Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer schon mal „Asylobergrenzen“ von „Null“ lanciert.Und um die schmähliche Rolle der SPÖ und Grünen auch im Gesamten nicht außen vor zu lassen, sei dazu neben ihrer immer restriktiveren Migrations- und Asylpolitik in Regierungsverantwortung auf das bevorstehende Aus des EU-Asylrechts durch die weitgehende Allparteienkoalition des „Wertewestens“ von Konservativen, über Sozialdemokraten, Liberale und Grüne verwiesen.
„Der halb verdeckte Rassismus wird zum Getöse“ (Heribert Prantl)
Nach dem kurzen Aufflackern von Ansätzen einer menschlichen Asylpolitik 2015, notierte der integerste Kopf der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl denn auch bereits im Jänner 2016: „Der bisher noch halb verdeckte Rassismus wird offen, und der schon bisher offene Rassismus wird zum Getöse.“ Und meinte damit keineswegs nur rechtskonservative Kreise, Rechtsextreme und Neonazis, sondern inkludierte darin auch politische Führungsfiguren, ja weitläufig das politische Personal „des Westens“.
Es war dann 2017 als der damalige EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani von der rechten Forza Italia und heutiger Vize-Premier von Italiens Postfaschistin Giorgia Meloni Internierungslager für Geflüchtete „an der Grenze zwischen dem Niger und Libyen“ forderte. Seither nahm die Auslagerung der „Flucht- und Migrationsabwehr“ an Afrika und Verlagerung der ‚EU-Außengrenzen‘ bis tief in den afrikanischen Kontinent nochmals rasant an Tempo auf. Letzten Dezember einigten sich die VertreterInnen der EU-Staaten und des Europaparlaments nach jahrelangem Feilschen schließlich auf eine rigorose Verschärfung des EU-Asylrechts in regressiver „Reform“ des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Von der weitgehenden Allparteienkoalition des „Wertewestens“ frenetisch als „historische Einigung“ und „wegweisend“ bejubelt, charakterisieren einschlägige NGOs die Verschärfung als Todesstoß des europäischen Asylrechts. Pointierter könnte man auch sagen, dass sich westliche Allparteienkoalition so bereits einen Monat vor Potsdam auf die „Flüchtlingsabwehr“ und „Remigration“ aus „der Mitte“ des „Wertewestens“ verständigte.
GEAS-„Reform“: der Offenbarungseid der „politischen Mitte“ des „Wertewestens“
Denn mit der GEAS-„Reform“ werden quasi die letzten Ziegelsteine in der „Festung Europa“ gesetzt. Dass mit dieser „Reform“ sowohl das in der Genfer Konvention verankerte individuelle Recht auf Asyl nun ausgehebelt ist und die „Reform“ auch gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstößt, vermag die Jubelstimmung von Ursula von der Leyen bis Werner Kogler nicht zu trüben.
Entsprechend zog der „Wertewesten“ als Grenzwall schon in den letzten Jahren bereits einen neuen globalen „Limes“ hoch, errichtete an seinen Grenzen und über Finanz- und Fluchtabwehr-Abkommen mit nordafrikanischen Ländern, Sahel- und Tschadsee-Staaten, sowie Anrainern des Horns von Afrika bis tief in afrikanischen Kontinent ein regelrechtes Abschottungs- und Lagerregime und bauten die verantwortlichen politischen Figuren der EU diese zur quasi asylfreien „Festung Europa“ aus. Und erst jüngst schraubten die EU-Innenminister auch noch die berüchtigte „Krisenverordnung“ in das „Gemeinsame Asylsystem“ (GEAS) der Union und einigte sich die EU-Staaten auf diese.
Damit einhergehend hat der Brüsseler „Wertewesten“ die Sahara und das Mittelmeer in regelrechte Massengräber verwandelt und die EU-Außengrenzen mittels eines dicht gestaffelten Eisernen Vorhang aus Stacheldraht und militärischen Grenzanlagen sowie einer mörderischen Kanonenboot-Politik (FRONTEX, Küstenwachen) ergänzt um dreckige Deals mit Despoten und autoritären Regimes abgeschottet, ihre diesbezüglichen ‚Außengrenzen‘ damit quasi in die Türkei, auf Nordafrika ja bis in den Sahel externalisiert (wobei Niger jüngst seine Türsteherfunktion für die EU aufkündigte), und rückt den verbliebenen Schutzsuchenden systematisch auch militärisch zu Leibe.
Blutzoll an den Händen der Eliten der „Festung EUropa“
Dabei klebt an den Händen der ökonomischen und politischen Eliten der Festung Europa schon bislang immer mehr Blut. „Das gut recherchierende Projekt ‚Migrant Files‘“ etwa, „geht davon aus, dass von 2004 bis 2019 bis zu 80.000 Flüchtende allein im Meer gestorben sind – dazu käme noch einmal mindestens die gleiche Opferzahl in Folge von Verdursten, Verhungern und Ermordungen“, so der Journalist David Goeßmann, um den zu verantwortenden Blutzoll des europäischen Abschottungsregimes etwas deutlicher vor Augen zu führen.
Arnold Schölzl geht daher noch einen Schritt über Patrick Bahners hinaus: „Sellner hat recht: Die Unterschiede sind nicht groß, wenn der [deutsche] Kanzler [Olaf Scholz] ‚Abschiebung in großem Stil‘ ankündigt, die Innenministerin ‚Clan‘-Mitglieder auch ohne Straftat irgendwohin schicken will – womöglich in eins der Lager, die in Nicht-EU-Staaten jetzt errichtet werden sollen. Wer ungerührt Zehntausende im Mittelmeer ertrinken lässt, hat mit Antasten der Menschenwürde kein Problem. Da setzt der Faschist nur eins drauf.“ Denn wie trommelte Olaf Scholz im Spiegel vor wenigen Monaten auf dessen Titelseite: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“.
Aufstand gegen Rechts seitens der Wegbereiter der Entzivilisierung
Wogegen die VertreterInnen „der Mitte“ – auf Druck der Straße – in den letzten Monaten symbolisch aufrufen, ist denn im Kern eine Politik die sie selbst betreiben. Das massenhafte, couragierte Aufstehen gegen Rassismus und die extreme Rechte, versuchen sie jetzt heuchlerisch zu vereinnahmen und zu instrumentalisieren. Notwendig ist also ein Aufstand gegen all das, was die Regierenden selbst durch ihre politische Neujustierung und Verschiebung des politischen Koordinatensystems nach rechts, durch ihre Politik, ihre Narrative und ihr Handeln erst ermöglicht und vorangetrieben haben.
Tagespolitik „Rückführungsverbesserungsgesetz“ und anderweitige „Remigrations“-Projekte der „politischen Klasse“ Europas
Umso notwendiger also, gegen den immer gesellschaftsfähigeren, quer durch Europa mit neuer Macht aufbrandenden Rechtsextremismus aufzustehen.Um Dämme gegen diesen zu setzten, darf man aber keinen Verblendungen aufsitzen. Beispiel Deutschland: In derselben Bundestagssitzung, die der sozialdemokratische Kanzler Olaf Scholz mit seinem Entsetzen über die Deportationspläne der AfD eröffnete, in der das Parlament die „Wehrhafte Demokratie“preiste und eine breite Debatte gegen „Vertreibungspläne“ führte, beschloss die Ampelkoalition drei Stunden später mit ihrem sogenannten „Rückführungsverbesserungsgesetz“ drastische Verschärfungen zur Abschiebung. SPD-Innenministerin Nancy Faeser schwadronierte pünktlich zur Tagesordnung sogleich ihrerseits wieder von der ‚Notwendigkeit‘ eines „Bündels restriktiver Maßnahmen für mehr und schnellere Rückführungen“. Auch die Oliv-Grünen haben den „Asylkompromiss“ mit auf den Weg gebracht. In Frankreich gingen derweilen auf Aufruf der Gewerkschaften, linker Parteien, NGOs und fortschrittlicher Persönlichkeiten sowie inspiriert von den deutschen Demonstrationen Zehntausende gegen das auch juristisch hoch umstrittene „Zuwandererbekämpfungsdekret“der liberalen europäischen Vorzeige-Figur Emmanuel Macron auf die Straßen. Und über das in Großbritannien unter Rishi Sunak zuletzt erlassene Gesetz, sämtliche Schutzsuchende und Asylwerber ins 6.400 km entfernte Ruanda zu verfrachten, erübrigt sich ohnehin jedes Wort.
„Zur Wahrheit gehört nicht nur das Resultat, sondern auch der Weg“ (K. Marx)
Natürlich sind der „Masterplan“ der extremen Rechten zur „Remigration“ (gegen die verschwörungstheoretische Halluzination eines „Großen Austausch“ oder rechtsextreme Fiktion eines angeblichen „Bevölkerungsaustauschs“) nicht einfach mit der radikalen Verschiebung des politischen Koordinatensystems in Österreich und der EU über einen Kamm zu scheren. Aber mit den nunmehrigen Verschärfungen haben das politische Personal des „Wertewestens“ die EU faktisch zur asylrechtsfreien Zone erklärt. Mit Internierungslagern außerhalb der EU und ersten Schnellverfahren an der Grenze (ohne weitere Evaluierungen der individuellen Fluchtgründe und ordentliche Asylverfahren als sogenanntes Screening um Flüchtende mit „geringen Aufnahmechancen“ erst gar nicht in die EU gelangen zu lassen), umgehende Rückschiebungen in vermeintlich „sichere Herkunftsländer“ bzw. „sichere Drittstaaten“ (deren Kriterien begleitende gesenkt wurden um sie deutlich auszuweiten), die Möglichkeit dreimonatiger Freiheitsberaubungen für Kinder, Freikauf für Nicht-Aufnahmen (á 20.000 Euro pro Kopf bzw. auch einfach Gegenrechnung der Beteiligung am Außengrenzschutz zur „Flüchtlingsbekämpfung“ bzw. „Flüchtlingsabwehr“ wie es in militärischen Jargon vielfach unverblümt heißt), biometrischen Erfassungen (sprich Einsatz von KI und Gesichtserkennung zur Abschottung), legalisierten Pushbacks … Und auch das politische Establishment spricht in immer harscheren Tönen und diversen Schattierungen von „Rückführungen“.
Kurz vor den EU-Wahlen soll der aufbrandenden Rechten in Europa damit der Wind aus den Segeln genommen werden, indem man deren Agenda einfach selbst durchsetzt und das politische Koordinatensystem nochmals weiter nach rechts verschiebt. Den rechtspopulistischen bzw. rechtsextremen Parteien das Wasser abgraben zu wollen indem man in Kniefall vor sie hinsinkt und ihr Programm zum eigenen erhebt, wird indes ebenso scheitern, wie er die ganze Verkommenheit der politischen EU-Eliten vor Augen führt.
Dahinter lugt jedoch nicht minder, wie es Janina Puder unlängst auf den Punkt brachte, ebenso das trockene ökonomische Kosten-Nutzen-Kalkül des Kapitalismus hervor. „Entgegen aller humanistischen Lippenbekenntnisse die Ausweitung protektionistischer Maßnahmen …, um jene Geflüchtete spätestens an den europäischen Außengrenzen abzuweisen, deren Arbeitskraft sich nur eingeschränkt oder nur mit finanziellem Aufwand (z.B. Kostenübernahme für Sprachkurse, Unterbringung, Schul-, Aus- und Weiterbildung) verwerten lässt. [Und:] So kann nebenbei auch künftigen Migrationsbewegungen, die im Zusammenhang mit dem globalen Klimawandel stehen, präventiv ein Riegel vorgeschoben werden. In der Einwanderungspolitik [für ausländische Fach- und Schlüsselkräfte] geht es dagegen darum, billige Arbeitskräfte in den … Arbeitsmarkt einzuspeisen. Während diese Fachkräfte meist auf Kosten der Herkunftsländer ausgebildet werden, können … Industrie, das Handwerk, der Pflegesektor so von qualifizierter Arbeitskraft profitieren, ohne selbst Kosten für deren Ausbildung tragen zu müssen.“
„Migrationskrise“: frei erfunden
Zwar ist die angebliche „Migrationskrise“ frei erfunden – und doch trommeln von der Brüsseler Allparteienkoalition des „Wertewestens“ bis ganz rechts-außen ein nicht so groß unterschiedliches Lied. Wenn alle in ethnischer Umdeutung sozial-ökonomischer Fragen und der multiplen Krise des Kapitalismus darin übereinstimmt, dass Migration das angeblich „größte Problem“ Österreichs und Europas sei, was Wunder über das Brechen sämtlicher gesellschaftlicher Dämme, der manifesten Entzivilisierung und dem aufbrandenden Rechtsextremismus.
Dementsprechend braucht es denn auch eine autonome gewerkschaftliche Strategie gegen den Rechtsruck und zunehmenden Rassismus, die Aushöhlung der Demokratie unter nomineller Wahrung ihrer politischen Form (Crouch), sowie auch gegen den neuen Rüstungswahn und die entfesselte Militarisierung der internationalen Beziehungen und europäischen Gesellschaften, und gilt es sich ebenso mit Nachdruck sämtlichen Instrumentalisierungs- und Vereinnahmungsversuche durch die Wegbereiter der Rechtsentwicklung und des Aufstiegs des Rechtsextremismus in Österreich und Europa zu verwehren.