Der Weg in den austrofaschistischen Staatsstreich und die Februarkämpfe 1934

12. Februar: Gedenken heißt kämpfen! Antifaschistische Demonstration

Sonntag, 12.2.23, 14:00, Franz-Jonas-Platz (Bhf. Floridsdorf) Mehr Infos

Der Weg in den austrofaschistischen Staatsstreich im März 1933 und daraufhin zum heroischen Kapitel der Februarkämpfen 1934 gegen den Faschismus entspann sich in der vorausgehenden Entwicklung über mehrere entscheidende Etappen: Das blutige Massaker am 15. Juli 1927, dem „Korneuburger Eid“ der Heimwehren am 18 Mai 1930 als feierlichem Bekenntnis zur Installierung einer faschistischen Diktatur und der darauf folgenden „blutigen Sonntage“, das Drängen des Bürgertums nach einem reaktionären Ausweg aus der wirtschaftlichen und politischen Krise, das Zusammenfinden der Reaktion hinter Dollfuß 1932 und die Akkordierung der Errichtung des Austrofaschismus mit Mussolini. Einen vielfach weniger beachteten Markstein auf dem Weg in den Faschismus bildeten jedoch nicht minder auch die entscheidenden gewerkschaftlichen Kraftproben jener Tage, wie der Eisenbahnerstreik 1933, und das eklatante Versagen der sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsspitzen.

Vom „Wegräumen“ des „revolutionären Schutts“ Seipels zum faschistischen Putsch Dollfuß‘

Schon der katholische „Blutprälat“ und Bundeskanzler Ignaz Seipel (der am 15. Juli 1927 auf die 200.000 unbewaffneten, über das Schandurteil des Schattendorf-Prozesses aufgebrachten ArbeiterInnenmassen schießen ließ und ein wahres Gemetzel unter den DemonstrantInnen anrichtete), hatte zum Jahreswechsel 1926/27 Pläne für einen Umbau der I. Republik in ein autoritäres Regime vorgelegt. Das offen ausgesprochene Ziel: Den von ihm sogenannten „revolutionären Schutt“ der sozialen und demokratischen Reformen von 1918 bis 1920 „wegzuräumen“.

Kurz darauf traf dann der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 auch Österreich mit voller Wucht und ließ die sozialen Verhältnisse regelrecht erodieren. 1931 verschlimmerte sich die Lage noch, als zur ökonomischen Krise der Republik noch eine manifeste Finanzkrise hinzutrat. Im Mai 1931 geriet schließlich die Creditanstalt ins Wanken und zog weitere Banken in Mitleidenschaft. Die Kosten der „Bankenrettung“ und die Krisenlasten wälzte die Regierung wiederum rigoros auf die Schultern der Massen ab: u.a. durch eine massive Rotstiftpolitik und Ausgabendrosselung, Einschnitten im Arbeitslosengeld und der Notstandsunterstützung, Kürzung der Gehälter der Bundesbediensteten und gleichzeitigen Einführung einer Krisensteuer (u.a. auch auf bestimmte Grundnahrungsmittel und den Verkehr).

Von 1929 – 1932 fiel die Produktion um 39%, das Außenhandelsvolumen sackte um 47% ab. Die Arbeitslosigkeit explodierte im selben Zeitraum von 192.000 auf 468.000 empor. Der österreichische Industriellenverband forderte 1932 entschiedener denn je „ein [politisches] Regime aufgrund erweiterter Vollmachten“, das sich „Notverordnungen oder irgendwelcher anderer über den normalen Parlamentarismus hinausgehender Methoden“ zu bedienen hat.

Den Höhepunkt erreichte die Wirtschaftskrise in Österreich dann 1932 bzw. 1933. Die Industrieproduktion lag 1933 sogar 39% unter dem Vorkriegsstand vor dem 1. Weltkrieg (1913). Besonders betroffen war zumal die Eisen- und Stahlindustrie. Von den 8 Hochöfen des Jahres 1929 waren 1933 bereits 7 stillgelegt.

Die Arbeitslosigkeit kletterte auf ein Rekordausmaß von 557.000 Beschäftigungslosen. Gleichzeitig wuchs auch die Masse der Ausgesteuerten mit Fortdauer der Krise ständig an. Im Durchschnitt gab es 40 bis 50% mehr Arbeitssuchende, als (noch) Arbeitslosengeld beziehende Job-Suchende. In fast allen Industriezweigen kam es zudem zu Lohn- und Gehaltskürzungen.

1932 fanden sich die mit den maßgeblichen Kräften und reaktionärsten Flügeln der Industrie verbündeten gesellschaftlichen und politischen Kräfte in der Regierung Dollfuß zusammen und strebten über ein Regime mit „erweiterten Vollmachten“ die Errichtung einer Diktatur in Österreich an. Darin ordnen sich im internationalen Kontext auch die gleichzeitigen engen Konsultationen mit Mussolini und der begleitende diplomatische Flankenschutz des italienischen Staatssekretärs Suvich zur Rückendeckung für die „Eröffnung des schärfsten Kampfes gegen den Marxismus“ ein. Die historische Forschung zum Austrofaschismus unterscheidet dahingehend denn auch zwei Phasen des engeren Konstituierungsprozesses des Austrofaschismus: die Latenzphase bis März 1933, beginnend mit 1932, und die Übergangsphase vom März 1933 bis zum Mai 1934 (Erlass der faschistischen „Mai-Verfassung“). Suvich, soviel in außenpolitischer Parenthese, konferierte dazu im Dezember 1933 noch extra in Berlin mit Hitler und reiste daraufhin im Jänner 1934 nach Wien. Kurz darauf kündigte Vizekanzler und Heimwehrführer Emil Fey mit den bekannten Worten: „Wir werden an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten“ die restlose Zerschlagung der österreichischen Arbeiterbewegung an.

Der Eisenbahnerstreik 1933 – weichenstellende gewerkschaftliche Kraftprobe und das Versagen der sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsführung

Eine der entscheidenden gewerkschaftlichen Kraftproben auf dem Weg in den Faschismus markierte wiederum der für den 1. März 1933 ausgerufene (zweistündige) Eisenbahnerstreik – die bestorganisierte und kämpferischste Abteilung der österreichischen Arbeiter:innenklasse – der zugleich den Anlass für die turbulente außerordentliche Sitzung des Parlaments am 4. März bildete, auf der es um die Ablehnung oder Zustimmung zu den Sanktionen ging, die die Regierung gegen die Verantwortlichen und Streikenden Eisenbahnerausstands getroffen hatte. Also genau jene historische Parlamentssitzung, die die Dollfuß-Regierung mit der Lüge der „Selbstausschaltung“ des Parlaments für ihren Staatsstreich nutzte und daraufhin Schritt für Schritt die Errichtung der austrofaschistischen Diktatur beschritt.

Im Februar 1933 wurde ruchbar, dass die Märzgehälter der Eisenbahner nur in Raten ausgezahlt werden sollten. Die Eisenbahngewerkschaften aller politischen Richtungen erhoben dagegen schärfsten Protest und riefen für 1. März zu einem Demonstrationsstreik auf. Der Generaldirektor der Bundesbahnen, Anton Schöpfer (der später den Beitritt zur austrofaschistischen Vaterländischen Front zur selbstverständlichen Pflicht aller ÖBB-Beschäftigten erklärte und nach 1945 dann Landesparteiobmann der FPÖ Tirol war) berief sich gegen den Proteststreik der Eisenbahner:innen, wonach die Gehälter in drei Monatsraten ausbezahlt werden sollten, auf eine kaiserliche Verordnung gegen Dienstunterbrechungen. Die Generaldirektion ordnete noch am selben Tag des Eisenbahnerstreiks an, alle Eisenbahnbediensteten der 1. bis 13. Gehaltsgruppe, die am Streik teilgenommen hatten, mit einem vierprozentigen Gehaltsabzug zu bestrafen und jene ab der 13. Gehaltsgruppe vom Dienst zu entfernen und per Antrag ihre Entlassung zu erwirken. Gegen die nichtständigen Bediensteten der Staatsbahn wurde mit fristlosen Entlassungen vorgegangen. Zugleich schritt die Staatsmacht unter Kanzler Engelbert Dollfuß, der, als Pikanterie am Rande, vor seinem Wechsel in die Politik 1930 Präsident der österreichischen Bundesbahn geworden war, gegen den Streik ein.

Mit Brachialgewalt, Inhaftierungen bekannter Gewerkschaftsfunktionär:innen, Unterbindung der Telefonleitungen, Disziplinarmaßnahmen, Dienststrafverfahren, Suspendierungen und fristlose Entlassungen, war es der Regierung und Bundesbahndirektion dann Hand in Hand gelungen, den Streik zu brechen.

Die sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsspitzen erblickten in diesem weiteren gravierenden Etappenstein auf dem Weg in den Faschismus aber nicht dessen immer bedrohlicheres Damoklesschwert und eine erste Kraftprobe, ja rief noch nicht einmal zu Solidaritätsstreiks mit den angegriffenen Eisenbahn-Kolleg:innen, geschweige denn einem Generalstreik gegen den Beginn des immer offeneren faschistisches Kurses auf, sondern trachteten darauf, die Auseinandersetzung ins Parlament zu verlegen. Selbst der allen offensichtliche Stoß des Austrofaschismus das Streikrecht und die Gewerkschaften brechen zu wollen und mit der Niederringung der Eisenbahner ein Exempel zu statuieren, fand seitens der sozialdemokratischen Gewerkschaftsspitzen keine entsprechende Antwort. Die Eisenbahnbeschäftigten selbst wiederum waren damit der Willkür der Bundesbahndirektion preisgegeben.

Die Eisenbahner, so der marxistische Historiker Winfried Garscha, zogen aus dem Verrat der Gewerkschaftsspitzen und der unterbliebenen bzw. mangelnden Solidarität anderen Fachgewerkschaften resp. der von ihnen ruhig gehaltenen übrigen Arbeiterschaft Lehren ihrer Art: 11 Monate später, im Februar 1934, verkehrten die Züge ungehindert – die Regierung konnte ihre Truppen nach Belieben per Bahn zu den Brennpunkten des Kampfgeschehens der Februarkämpfe verlegen.

Es musste nicht so kommen – die Arbeiterschaft wäre kampfbereit gewesen

Gleichwohl bestand am 15. März 1933 (der einberufenen Fortsetzungs-Sitzung des Parlaments) – im entscheidenden Stadium der Aufrichtung eines offen diktatorischen politischen Systems im Interesse der aggressivsten Teile des Groß- und Finanzkapitals –  noch die Möglichkeit, den faschistischen Staatsstreich mit einem Generalstreik und der Mobilmachung des Republikanischen Schutzbunds (samt Entwaffnung der Heimwehrstoßtrupps) zu verhindern.

In einem Sturm an Gewerkschaftsversammlungen – im Vorfeld des 15. März – bekundeten Hunderttausende Gewerkschafter in ganz Österreich ihre Bereitschaft, „mit allen Mitteln, mit Einsatz von Existenz und Leben die Anschläge der Reaktion auf die Rechte und auf die Freiheit der österreichischen Arbeiterschaft abzuwehren“. Auch die Angehörigen des Republikanischen Schutzbundes waren gerüstet und warteten am 15. März auf den Befehl zum Einsatz, um die Demokratie mit der Waffe in der Hand zu verteidigen.

Die Kommunistisch Partei richtete einen Offenen Brief an die Sozialdemokratie, in dem sie ihre Bereitschaft zum gemeinsamen Abwehrkampf gegen den Faschismus erklärte. Und bei richtig geführtem antifaschistischen Kampf hätten sich – nach übereinstimmender Forschung – auch beträchtliche Teile des Großkapitals, zumindest neutral verhalten; ja auch noch breite Teile des Bürgertums, Kleinbürgertums und der Bauern gewonnen werden können.

Die „Gewehr-bei-Fuß“ und „Abwarten-“Politik des sog. Austromarxismus sowie sein Glaube sich den Kampf ersparen und alles auf parlamentarischer Ebene aushandeln zu können, erwies sich dagegen als noch nicht einmal fähig, die bürgerliche Demokratie zu verteidigen. Und dem Staatsstreich im Gefolge der parlamentarischen Sondersitzung zur Niederschlagungen des Eisenbahnerstreiks – im Gegensatz zu den allen diesbezüglichen Versicherungen und Erklärungen – keinen Generalstreik entgegenzusetzen, markierte dann überhaupt einen der schwersten Fehler der Sozialdemokratie – wie später selbst Otto Bauer nicht umhinkam zuzugeben.

Die Faschisierung des politischen Systems, der Betriebe, Arbeiterkammer und Gewerkschaften die „die Industrie so viele Jahre angestrebt hat“

Nach der „Ausschaltung des Parlaments“ regierte Dollfuß auf Grundlage des “kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz“ (von 1917) mit einer „Notverordnungsdiktatur“ – und setzte als eine der ersten Maßnahmen die Einschränkung der Sozialgesetze und eine Notverordnung über das Streikverbot (= eine Einschränkung des bisherigen Streikrechts) durch. Am 1. Jänner 1934 wiederum setzte Dollfuß Regierungskommissäre für die Arbeiterkammern ein und ernannte Verwaltungskommissionen – die Freien Gewerkschaften waren in diesen Ausschüssen nicht mehr vertreten.

Kurz zuvor, im Dezember 1933, neun Monate nach Dollfuß‘ Staatsstreich, erklärte der Vorsitzende des Hauptverbandes der österreichischen Industrie in zwar etwas holpriger Sprache aber sichtlich zufrieden und vielsagend: Engelbert Dollfuß hat mit seinem antiparlamentarischen Putsch und diktatorischen Notverordnungsregime jenen Weg eingeschlagen, „den die Industrie so viele Jahre angestrebt hat und [vor ihm] niemals zu einem Ergebnis gekommen ist, weil ein [sprich: als solcher] falscher Parlamentarismus jeden gesunden Gedanken aus demagogischen Gründen zunichte gemacht hat.“

Parallel machten sich die austrofaschistische Regierung und der Industriellenverband daran, die Heimwehr – über ihre Funktion als Terrortruppe auf den Straßen und Teil der Regierung – zudem in eigene „gelbe“, faschistische Organisationen in den Betrieben fortzuschmieden. Also in sogenannte „werkbejahende“ Gemeinschaften, die sich im Gegensatz zu den „werkverneinenden“ Freien Gewerkschaften, durch einen betriebsfaschistischen „Werkspatriotismus“ auszeichnen sollten.

Das historische Vermächtnis des 12. Februar 1934

Am 12. Februar 1934 schritten die konsequenten Teile der Arbeiter:innenklasse schließlich zum bewaffneten Kampf gegen den Dollfuß-Faschismus. In fast ganz Österreich stellten sich Arbeiterer mit der Waffe in der Hand der Errichtung der faschistischen Diktatur entgegen. Ein, trotz der Niederlage, geradezu heroisches Kapitel der Geschichte der österreichischen Arbeiter:innenbewegung mit wirkmächtiger, internationaler Ausstrahlung.

Die Hauptursache für die Niederlage des 12.Februar-Kampfes lag denn auch in der Kapitulationspolitik der sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsführung (samt der ausschließlich defensiven Ausrichtung des Republikanischen Schutzbundes). Deren dauernde Rückzüge vor der Offensive der Reaktion hat die Kampfkraft der Massen systematisch untergraben und immer tiefer demoralisiert. Und die Vorstellung, man können nach jahrelanger Kapitulationspolitik plötzlich die Massen auf Knopfdruck mobilisieren und siegen, hat sich vorhersagbar blamiert.

Der bewaffnete Kampf der Februarkämpfer blieb ohne Unterstützung eines Generalstreiks und Verbindung mit Massenaktivitäten. Die Schutzbündler und Kommunisten, die im Februar 1934 in sozusagen letzter Minute dann noch gemeinsam den bewaffneten Kampf wagten, blieben isoliert und unterlagen.

Neben dem bulgarischen Septemberaufstand 1923, war der 12.Februar (vorm Spanischen Bürgerkrieg) nichts desto trotz der einzige Versuch, den Vormarsch des Faschismus in einem heroischen, bewaffneten Kampf aufzuhalten.

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