Via A&W-Blog / von Harald Bruckner
Die Erfahrungen im Lockdown zeigen auch die Schattenseiten des Homeoffice-Booms auf. Bei der Arbeitsplatzgestaltung ist der Regelungsbedarf genauso offensichtlich wie in anderen arbeitsrechtlichen Themenfeldern. Graubereiche führen zu Nachteilen der ArbeitnehmerInnen und deren Gesundheit.
Im Frühjahr 2020 galt es, erstmals großflächig die Bildschirmarbeit vom Büro möglichst ins Homeoffice zu verlagern. Technisch und ergonomisch erfolgte dies auf stark unterschiedlichem Niveau. Gleichzeitig herrschte Leere in vielen Büros und diese ist teilweise geblieben. In den letzten Monaten und mittlerweile im zweiten Lockdown festigt sich diese Situation – und sie wird nicht ohne Folgen für die Zukunft bleiben. Welche langfristigen Auswirkungen sind nun aufgrund der verstärkten Homeoffice-Nutzung in Bezug auf die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen und die Nutzungsweise von Büroarbeitsplätzen im Betrieb zu erwarten?
Digitaler Arbeitsplatz mit ergonomischer Steinzeitausstattung
Eines vorweg: Bildschirmarbeit ist im Homeoffice körperlich genauso beanspruchend wie im Büro der firmeneigenen Arbeitsstätte. Die seit Jahrzehnten bekannte Belastung von Augen, muskuläre Verspannungen in den Schultern sowie in der Wirbelsäule sind allgemein und hinlänglich als Ergebnis schlecht ausgestatteter Arbeitsplätze bekannt. Nicht umsonst werden Rückenschmerzen, Bandscheibenvorfälle, Probleme mit den Augen und der sogenannte Mausarm (Repetitive-Strain-Injury-Syndrom) Volkskrankheiten genannt. Um die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen zu erhalten, sind an diesen Arbeitsplätzen seit Jahrzehnten aufgrund des ArbeitnehmerInnenschutzes etwa Bürodrehstühle und einstellbare Bürotische gesetzlich vorgeschrieben. Besonders Bürodrehstühle lassen sich aufgrund ihrer genormten Eigenschaften individuell einstellen und damit an die körperlichen Voraussetzungen der BenutzerInnen anpassen. Zeitgemäße ArbeitgeberInnen setzen in den letzten Jahren bei der Büroausstattung immer öfter auf Steh-Sitz-Arbeitsplätze. Hierbei kann im Sinne einer rückengerechten Verhältnisprävention abwechselnd im Stehen und im Sitzen gearbeitet werden. Dieser Positionswechsel ist mit modernen Tischen möglich und minimiert die Beanspruchung durch Bildschirmarbeit. Bei der Ausstattung von Homeoffice-Arbeitsplätzen gibt es trotz der gleichen körperlichen Beanspruchungen in den wenigsten Fällen eine professionelle Büroausstattung. Gleiches gilt oftmals auch für das technische Equipment. Dieses ist in vielen Fällen eher für mobile Arbeit und kurzzeitige Einsätze ausgelegt und entsprechend minimalistisch dimensioniert. Die Realität im Homeoffice stellen meist ein zweckentfremdeter Wohnraum, schlimmstenfalls nur ein Platz am Küchentisch und die Nutzung privater IT-Geräte dar. Gesundheitliche Probleme sind bei einer regelmäßigen und langfristigen Nutzung solch eines unergonomischen Homeoffice-Arbeitsplatzes im Keller, am Küchentisch oder auf der Esszimmercouch vorprogrammiert.
Massiver Anstieg von Muskel- und Skeletterkrankungen zu erwarten
Entsprechend dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) sind Arbeitsplätze nach ergonomischen Kriterien nach dem Stand der Technik zu gestalten. Durch eine monotone Körperhaltung auf ungeeigneten Stühlen kommt es zu Fehlhaltungen und einseitigen Belastungen, Verspannungen oder zu den allseits bekannten Rückenschmerzen. Auslöser dafür sind unzureichend einstellbare Sessel und Tische. Dabei lassen sich diese Beschwerden einfach vermeiden – indem man einen Bürodrehstuhl und einen Schreibtisch verwendet, welche sich individuell anpassen lassen. Ein Bürodrehstuhl ist als Standardausstattung jedes Bildschirmarbeitsplatzes zu sehen. Ohne ihn ist ein ergonomisches Sitzen über die Dauer eines Arbeitstages kaum möglich. Weiters kann auch der Wechsel zwischen Sitzen und Stehen den Rücken entlasten. Natürlich sind im Homeoffice auch die Kriterien für einen geeigneten Raum, wo sich ein Bildschirmarbeitsplatz befinden soll, zu beachten. Wieso sollten die medizinisch begründeten Bestimmungen zum Schutz der Gesundheit im Homeoffice nicht gelten?
Homeoffice verlagert betriebliche Kosten auf ArbeitnehmerInnen
Die Digitalisierung macht Homeoffice technisch mittlerweile auch großflächig möglich. Die großen COVID-19-Homeoffice-Testphasen haben das in der Praxis eindeutig bestätigt. Die Tendenz geht nun in Richtung einer zeitweisen oder ganzen Verlagerung der Arbeit vom Büro in die eigenen vier Wände der ArbeitnehmerInnen. Wünsche und Forderungen gibt es aufgrund der ersten Erfahrungen vonseiten der ArbeitnehmerInnen als auch von Arbeitgeberseite. Offensichtlich wurde bisher, dass die Kosten für Arbeitsmittel (Büroausstattung, IT-Geräte, Betriebskosten usw.) im Großteil der Fälle auf die ArbeitnehmerInnen abgewälzt wurden. Zwei im Auftrag der AK durchgeführte IFES-Umfragen zeigen Mängel sowie die Kostenüberwälzung bei der Homeoffice-Ausstattung schonungslos auf. Im Mai 2020 hatten im Homeoffice nur knapp die Hälfte der Befragten einen Bürodrehstuhl. Zur Verfügung gestellt bekamen ihn nur 9 Prozent. Arbeitstische nutzten 61 Prozent, zur Verfügung gestellt wurden diese zu 4 Prozent.
In den letzten sechs Monaten hat sich an der Situation kaum etwas geändert, wie die zweite Befragungswelle belegt, obwohl weiterhin etwa 40 Prozent der ArbeitnehmerInnen im Homeoffice arbeiten. Während es im Betrieb für ArbeitnehmerInnen undenkbar wäre, die eigenen Arbeitsmittel mitzubringen, so stellt das im Homeoffice die bislang mehrheitlich gelebte Praxis dar. In der Krise haben die ArbeitnehmerInnen die Kosten für das „Weiterlaufen“ der Betriebe im wahrsten Sinn des Wortes geschultert. Für eine Homeoffice-Nutzung als Teil einer modernen Arbeitswelt muss jedoch eine faire Lösung gefunden werden, welche die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen schützt und die entstehenden Kosten richtig zuordnet.
Desksharing und Homeoffice – Mix einer schönen neuen Arbeitswelt
Ein weiterer Trend, welcher sich durch vermehrte Homeoffice-Nutzung noch verstärken wird, sind mehrfach bzw. gemeinsam genutzte Büroarbeitsplätze. Besser bekannt unter dem Begriff „Desksharing“. Da derzeitige Arbeitsplätze in naher Zukunft nur mehr teilweise genutzt werden, haben viele Betriebe bereits das hier schlummernde Einsparungspotenzial erkannt. Verschiedene Unternehmen haben auch bereits angekündigt, ihre Büroflächen und die damit einhergehenden Kosten durch ausgeweitete Homeoffice-Nutzung reduzieren zu wollen. Einige Großbetriebe haben in den letzten Jahren bereits vorgezeigt, wie solche Veränderungsprozesse ablaufen. Einzelarbeitsplätze wurden zu großräumigen, meist bunten Bürolandschaften umgestaltet. Bei diesen Büroformen werden meist weniger Arbeitsplätze geschaffen als ArbeitnehmerInnen beschäftigt sind. Dadurch geht im Regelfall der persönliche Arbeitsplatz im Betrieb verloren. „Desksharing“ und „Clean-desk-Regelungen“ führen zu einer teilweisen oder endgültigen Entpersonalisierung der noch vorhandenen Arbeitsplätze. Ergebnis sind ein höherer Nutzungsgrad jedes einzelnen Arbeitsplatzes und die damit einhergehenden Einsparungen bei Errichtung, Miete, Instandhaltung usw. in der jeweiligen Arbeitsstätte. Diese Kostensenkungschancen werden dort, wo es mittelfristig möglich ist, auch genutzt werden – davon ist allein aus wirtschaftlichen Überlegungen auszugehen. Bedenkt man in dieser Thematik den Wunsch vieler ArbeitnehmerInnen nach zwei bis drei Tagen Homeoffice pro Woche, so kann ziemlich einfach das vorhandene Einsparungspotenzial, welches das Homeoffice für ArbeitgeberInnen bietet, errechnet werden. Im Gegensatz dazu ist von Kosten von insgesamt 1.500 Euro auszugehen, die für ein langlebiges sowie hochwertiges Set, bestehend aus Bürotisch und Bürodrehstuhl, anfallen. Stellt man die Summe der möglichen Einsparungen den Investitionen für eine ergonomische Homeoffice-Ausstattung gegenüber, so ist rasch klar, dass die betrieblichen Einsparungsmöglichkeiten ein Vielfaches betragen. Eine zur Verfügungstellung der Arbeitsmittel im Homeoffice sollte aus diesem Grund sowie im Sinne der Leistungsfähigkeit und Gesundheit der ArbeitnehmerInnen auch im Interesse der Arbeitgeber liegen. Am Ende des Tages braucht es faire Regeln, damit das Arbeiten für alle zu einer Win-win-Situation wird.
AK-Ratgeber und EU-Kampagne zeigen, wie es geht
Um die aktuelle Rechtslage (Stand Nov. 2020) beim Homeoffice überblicken zu können, stellt die Arbeiterkammer ihren Ratgeber „Homeoffice“ mit den 56 wichtigsten Fragen zum Arbeiten daheim auf ihrer Website zur Verfügung. In dieser AK-Publikation werden auch die Fragen rund um einen ergonomisch eingerichteten Arbeitsplatz im Homeoffice abgehandelt.
Eine gerade anlaufende EU-Kampagne befasst sich mit der Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen. Die EU-OSHA unterstützt mit ihrer Kampagne „Gesunde Arbeitsplätze – entlasten Dich“ Arbeitgeber, Betriebsräte sowie Sicherheitsvertrauenspersonen mit Infos zu Arbeitsplätzen, die gesundheitlichen Problemen vorbeugen. Auch hier gilt es, das Homeoffice nun verstärkt in den Blickpunkt zu rücken und für mehr Bewusstsein für die dort lauernden Gesundheitsgefahren zu sorgen.
Klare Regeln zum Schutz der Gesundheit auch im Homeoffice notwendig
Homeoffice darf keine Nachteile gesundheitlicher oder finanzieller Natur für die ArbeitnehmerInnen mit sich bringen. Darum braucht es auch Regeln bezüglich der Bereitstellung und Kostenübernahme von Arbeitsmitteln. Besonders wichtig bleibt die Freiwilligkeit von Homeoffice und die Beteiligung der BetriebsrätInnen. Besonders im Zusammenhang mit der Ausstattung des Arbeitsplatzes und dem Anspruch auf einen physischen Arbeitsplatz im Betrieb, etwa wenn im Eigenheim zu wenig Platz vorhanden ist. Erfahrungen und Umfragen zeigen, dass vor allem eine Mischung aus betrieblicher Anwesenheit und ein bis drei Tagen Homeoffice als sinnvoll empfunden wird. Zudem sollte auch bei Homeoffice weiterhin ein persönlicher Arbeitsplatz im Büro zur Verfügung stehen. Gute und gesunde Arbeitsplätze gibt es nur mit gesetzlichen Mindeststandards, so viel zeigt die Erfahrung. Für eine faire und moderne Arbeitswelt mit einer dauerhaften Homeoffice-Lösung braucht es mehr als Vertrauen – nämlich gesetzliche Rahmenbedingungen, die Schritt halten mit der Digitalisierung!
Weiterführende Infos:
EU-OSHA-Kampagne „Gesunde Arbeitsplätze – entlasten Dich“ zur Vorbeugung von Muskel-Skelett-Erkrankungen