Erfordernisse an die Analyse der faschistischen Gefahr in der heutigen Zeit

Am Sonntag finden nach der Großdemonstration „Gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Demokratie verteidigen!“ vom 26. Jänner österreichweit erneut Demonstrationen, Kundgebungen und Aktionen gegen den aufbrandenden Rechtsruck statt. In der letzten Woche gingen in Deutschland bekanntlich Hundertausende, zwischenzeitlich insgesamt Millionen Menschen gegen Rechtsextremismus und Rassismus auf die Straße. Die Empörung über das Potsdamer Geheimtreffen von AfD-Politikern, Identitären-Recke Martin Sellner und Vertreter der rechtskonservativen Werteunion zur verharmlosend „Remigration“ genannten ethnischen Säuberung Europas war und ist zurecht groß und zwischenzeitlich in ein Aufstehen gegen ‚Rechts-Außen‘ umgeschlagen, das auch in Österreich Widerhall findet.

Denn die völkischen Säuberungsideen von Potsdam finden auch in Österreich in unterschiedlichen Schattierungen Unterstützung – wie wir bereits zur ersten Großdemonstration detaillierter herausgearbeitet haben. Und auch wenn wir in Europa heute weder vor der Errichtung einer faschistischen Diktatur stehen, noch das Großkapital an einer solchen gegenwärtig interessiert ist, befinden wir uns inmitten einer gravierenden Verschiebung des politischen Koordinatensystems nach rechts bis rechts-außen sowie eines sozial-reaktionären, immer autoritäreren und militaristischen Staatsumbaus. Passend dazu hat die DKP gerade einen Debattenbeitrag zur AfD als Stein des Anstoßes veröffentlicht, den wir (fast sträflich stark) verkürzt als einen Diskussionsbeitrag zur „Analyse der faschistischen Gefahr in der heutigen Zeit“ übernehmen.

Unter sich als Linke Verstehenden gibt es eine Reihe sehr grundsätzlicher Fehleinschätzungen.

  1. Viele der aktuellen Debatten und vor allem Aktionen rund um das Thema Faschismus haben mit der Analyse des Faschismus nicht viel gemeinsam. Sie beschränken sich im Wesentlichen auf das Thema AfD, in deren Ablehnung man sich mittlerweile in einem Boot mit Unternehmern und bürgerlichen Parteien findet. Weit verbreitet ist eine unhistorische Betrachtungsweise: Nationalsozialismus und Faschismus werden gleichgesetzt. Begriffe wie rechtsoffen, rechts, rechtsextrem, nationalistisch, konservativ und rückwärtsgewandt-kleinbürgerlich werden in einen Topf geworfen.
  2. Die Frage der Bestimmung des Gegners ist gefühlsbetont moralisierend-ablehnend. Andere, rationale Kriterien werden ausgeschlossen. Es fehlt an einer klassenmäßigen Bestimmung. Folgerichtig werden andere Formen der Gewalt in der bürgerlichen Herrschaft wie etwa Überwachung relativiert beziehungsweise als notwendig erachtet.
  3. Der qualitative Unterschied von Faschismus als Bewegung und Faschismus an der Macht wird nicht beachtet. …
  4. Der Zusammenhang von Krieg und Faschismus wird nicht berücksichtigt.

(…)

Keine Alternative

Es ist unabdingbar, die[] ökonomischen und politischen Zusammenhänge zu erkennen und damit den Gegner richtig zu bestimmen. Unser Gegner ist das Kapital, insbesondere das Monopolkapital und der ihm willfährige, zunehmend militaristische Staat. Eine Reduzierung der von der Bourgeoisie und ihrem Staat ausgehenden Gewalt auf die Bekämpfung der AfD ist falsch, weil sie dem Gegner in die Hände spielt. Da ist dann plötzlich von „Grünen“ bis „Freie Wähler“ alles in der „demokratischen Mitte“.

Wenn man die AfD wirklich bekämpfen will, dann muss man sie demaskieren als das, was sie ist: eine bürgerliche, rechtskonservative Partei mit beachtenswert vielen Faschisten in ihren Reihen und Kontakten zu offen faschistischen Netzwerken im In- und Ausland. Man muss sie charakterisieren als Partei, die wie die anderen bürgerlichen Parteien vom Kapital genutzt werden kann. Man muss ihr die Maske des Gegners des Establishments abreißen.

Eine zusammenfassende Einschätzung der AfD lieferte Ekkehard Lieberam im August 2023: „Natürlich wissen wir nicht, wie es um den Kapitalismus und die bürgerliche Demokratie etwa 2040 bestellt sein wird, auch nicht, ob das Monopolkapital dann erneut eine faschistische beziehungsweise terroristische Diktatur favorisiert. Aber wer heute von einer drohenden Abschaffung ‚der Demokratie‘ spricht, verkennt die Lage, übersieht die vorhandene Unfähigkeit vieler Linker, die bestehende bürgerliche Demokratie als vom Monopolkapital derzeit bejahte Form der Kapitalherrschaft zu erkennen und den in ihrem Rahmen stattfindenden Demokratieabbau zu kritisieren. (…) Klar aber muss sein: Unser politischer Hauptgegner sind die in der Bundesrepublik Regierenden einschließlich der CDU/CSU als Hauptpartei des Monopolkapitals. Die AfD ist nicht nur ein politischer Konkurrent, sondern auch ein potentieller Partner der CDU/CSU. (…) Ziel der AfD ist es, möglichst bald in das Kartell der von ihr so genannten ‚Altparteien‘ aufgenommen zu werden. Sollte die AfD in der Bundesrepublik an die Regierung kommen, wird sie derartige Forderungen sowieso ‚vergessen‘. Sie wird das parlamentarische Regierungssystem nicht beseitigen, es jedoch deutlich weiter nach rechts in Richtung Rassismus und Zerstörung des Asylrechts ausrichten.“

Ideologische Front

Bei den „Proud Boys“ und ihrem „Sturm auf das Kapitol“ im Januar 2021 waren etliche zu sehen in Pullovern und T-Shirts mit der Aufschrift: „God, Guns and Trump“. Das ist die Reduzierung einer komplexen Welt auf drei Wörter. Das ist der Gipfel der Verheerungen, die dieses System in den Köpfen der Menschen hervorbringen kann. Ideologisch geht es für Kapital und Regierung darum, die Beherrschten in ihr System zu integrieren, ihnen zu vermitteln, dass das bestehende System für sie das Beste ist. „Alternativlos“ nannte es die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dies gelingt natürlich bei den Mittelschichten und Selbstständigen am besten, weil auch für diese Schichten das eigene Eigentum – die unabhängige Existenz – die ökonomische Grundlage darstellt.

Wie aber steht es in der Arbeiterklasse? Dass man den in Deutschland geborenen Arbeiter gegen geflüchtete Arbeiter ausspielen kann, hat seine tiefste Ursache darin, dass im Kapitalismus auch die Arbeiter zueinander in Konkurrenz stehen. Torkil Lauesen sprach mit der Tageszeitung „junge Welt“ über das revolutionäre Potential der Arbeiterklasse im Globalen Norden: „Gegenwärtig denke ich, dass das noch gilt. Die Arbeiter hier sind zwar unzufrieden mit ihren Lebensumständen, aber die Mehrheit glaubt immer noch, dass die Lösungen für ihre Probleme innerhalb des westlich-kapitalistischen Systems liegen. Sie haben ein ‚Bauchgefühl‘, dass die NATO die beste ‚Verteidigung ihrer Werte‘ und ihres Lebensstils ist. Sie sehen den Globalen Süden eher als Bedrohung denn als potentiellen Verbündeten. Wir haben in den letzten Jahrzehnten gesehen, wie sich Rassismus und Rechtspopulismus in Europa und Nordamerika ausgebreitet haben. Man will den eigenen Wohlstand nicht teilen.“

Die Einbindung der Beherrschten in die Interessen der Herrschenden ist auch das Feld der Manipulation – und damit kommen wir der Frage, ob und wann das Kapital auf Faschismus setzt, schon näher. In … „Reaktionärer Staatsumbau“ von 2020 haben wir analysiert:

„Die auf ‚freiwillige‘ Integration zielende Herrschaftsstrategie setzt auf eine Verfälschung des Interessenbewusstseins der breiten Masse der Bevölkerung. Ihnen sollen die Ziele und Zwecke des Monopolkapitals als Inhalte des eigenen Interesses erscheinen. Und im Kapitalismus bietet die Erfahrung mit dessen widersprüchlicher Realität ständige Nahrung für ein verfälschtes Interessenbewusstsein und Anknüpfungspunkte für solche Propaganda. Doch diese Realität, die uns im Kapitalismus zu Konkurrenten macht (…), ist ja nicht widerspruchsfrei. In dieser Realität finden sich stets auch Erfahrungen, die den Beherrschten vermitteln, dass sie andere Interessen als die Herrschenden haben. (…) Alle Integrationsbemühungen der Monopole können dann nicht verhindern, dass immer wieder ein Potential von Unzufriedenheit in der Bevölkerung entsteht. Dies ist eine vom Kapitalismus nicht lösbare Grenze der Integrationsstrategien.“

Die Rechtsentwicklung setzt ein in dem Moment, wo die Integration aufhört, ausreichend wirksam zu sein; wo sich Unmut breit macht, Protestaktionen entstehen und wachsen. Dann beginnt der Prozess der Rechtsentwicklung, der Widerruf bürgerlich-demokratischer Rechte und Errungenschaften.

Faschismus als Bewegung

Faschismus als Bewegung ist gekennzeichnet durch bestimmte Funktionen für den imperialistischen Herrschaftsapparat: Aufgreifen des Unmuts; Angebote an alle und jeden gegen alle und jedes Problem; Ausloten, wie weit die Rechtsentwicklung zu treiben ist, welche Kröten die Bevölkerung bereit ist zu schlucken; Förderung von Stumpfsinn und Unmenschlichkeit; Rassenkampf; Nationalismus und Chauvinismus. Zusammenfassend: falsche Gegner präsentieren und damit das Kapital aus der Schusslinie nehmen. Diese Rolle übernimmt heute in vielen Bereichen die AfD.

Faschismus an der Macht hingegen ist „die offene terroristische Diktatur“ des Finanzkapitals (Georgi Dimi­troff): „Der Machtantritt des Faschismus ist keine einfache Ersetzung der einen bürgerlichen Regierung durch eine andere, sondern eine Ablösung der einen Staatsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie – der bürgerlichen Demokratie – durch eine andere Form – durch die offene terroristische Diktatur. Die Ignorierung dieses Unterschiedes wäre ein ernster Fehler, der das revolutionäre Proletariat daran hindern würde, die breitesten Schichten der Werktätigen in Stadt und Land zum Kampf gegen die Gefahr einer Ergreifung der Macht durch die Faschisten zu mobilisieren sowie die Gegensätze auszunutzen, die im Lager der Bourgeoisie selbst vorhanden sind. Doch ein nicht minder ernster und gefährlicher Fehler ist die Unterschätzung der Bedeutung, die die gegenwärtig in den Ländern der bürgerlichen Demokratie sich verschärfenden reaktionären Maßnahmen für die Aufrichtung der faschistischen Diktatur haben, jene Maßnahmen, die die demokratischen Freiheiten der Werktätigen unterdrücken, die Rechte des Parlaments fälschen und beschneiden, die Unterdrückungsmaßnahmen gegen die revolutionäre Bewegung verschärfen.“ Um es noch einmal zu betonen: Die von Dimitroff beschriebenen Maßnahmen wurden von den bürgerlichen Regierungen betrieben, genau wie der reaktionär-militaristische Staatsumbau heute von der Ampel-Koalition Hand in Hand mit der „Opposition“ betrieben wird. Wir müssen hier immer wieder in die Geschichte blicken: Welches Schwanken, welche Versuche von Regierung und Kapital, welche Lösungen und Notlösungen sie entwickeln, ausprobieren, verwerfen, abändern.

Faschismus an der Macht ist eine Form der Gewaltausübung des Monopolkapitals. Allerdings unterscheidet sich diese von Land zu Land: Der Mussolinifaschismus war anders als der Hitlerfaschismus. Wir müssen die Dinge konkret in ihrem Wesen untersuchen, sonst laufen wir Gefahr, uns an der Oberfläche der Erscheinungen und Personen zu verlaufen. Mit Giorgia Meloni, die sich positiv auf Benito Mussolini bezieht, an der Regierungsspitze Italiens ist das Land noch lange kein faschistisches – ihre Politik unterscheidet sich bisher nicht wesentlich von der ihrer Vorgänger. Auch in Deutschland ist eine unhistorische, sich an Erscheinungsformen klammernde Betrachtungsweise weit verbreitet. So setzt man Faschismus mit Nationalsozialismus gleich – heraus kommt dann eine substanzlose Kampagne wie „Höcke ist ein Nazi“.

Der Faschismus-Forscher Kurt Gossweiler hat analysiert, welche Vorbereitungsetappen der Hitlerfaschismus durchlaufen hat. Das Ringen des Monopolkapitals darum, wie man die Arbeiterklasse und die anderen Schichten niederhalten kann, war auch mit dem Machtantritt des Faschismus nicht beendet. In seinem Buch zur „Röhm-Affäre“ 1934 hat Gossweiler das permanente Schwanken des Kapitals und seiner Politiker zwischen Zugeständnissen und gnadenloser Härte dargestellt. Die Lage der faschistischen Diktatur war in den ersten Monaten des Jahres 1934 durch wachsende Massenunzufriedenheit gekennzeichnet und befand sich in einem Zustand der latenten Krise. „Die entscheidende Ursache für die Labilität und Schwäche des Hitlerregimes war die wachsende Massenempörung und der Aufschwung des antifaschistischen Kampfes. Die Tatsache, dass die Forderungen der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums in die gleiche Richtung, nämlich auf die Brechung der Allmacht der Banken und Monopolgewaltigen zielten, und dass hinter diesen ihrem Wesen nach revolutionären Forderungen beträchtliche Teile der bewaffneten Millionenarmee der SA standen, barg für das Monopolkapital die potentielle Gefahr in sich, dass die Bemühungen der Kommunisten, eine Vereinigung aller Volkskräfte zu einer antifaschistischen, antimonopolistischen Einheitsfront herbeizuführen, schließlich doch noch zu einem Erfolg führen könnten.“

Dimitroff analysierte am 2. August 1935 beim VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale: „Dieser wirkliche Charakter des Faschismus [als die Macht des Finanzkapitals selbst] muss besonders stark unterstrichen werden, weil der Deckmantel der sozialen Demagogie dem Faschismus die Möglichkeit gegeben hat, in einer Reihe von Ländern die durch die Krise aus ihrem Geleise geworfenen Massen des Kleinbürgertums und sogar manche Teile der rückständigsten Schichten des Proletariats mitzureißen, die niemals dem Faschismus gefolgt wären, wenn sie seinen wirklichen Klassencharakter, seine wirkliche Natur begriffen hätten.“

Diesen Hinweis auf die soziale Demagogie von Faschisten sollten wir besonders ernst nehmen. Es wird rechten Kräften überlassen, sich als Vertreter sozialer Interessen aufzuspielen. Die Linken, insbesondere die im Parlament vertretene Linkspartei, haben als Opposition versagt. (…)

Es gilt (…) eine Politik in die Praxis umzusetzen, deren Kernelemente sind:

  1. Der Gegner ist das Kapital, insbesondere das Monopolkapital und hier speziell die aggressivsten Teile und der ihm willfährige Staat.
  2. Kampf gegen die Militarisierung, gegen den Kriegskurs.
  3. Kampf gegen den reaktionären Staatsumbau, Verteidigung bürgerlich-demokratischer Rechte.
  4. Kampf gegen soziale Demagogie, Fremdenhass und Unmenschlichkeit – wo immer sie auftreten, nicht nur bei Faschisten.
  5. Gegen das Treten nach unten und Buckeln nach oben – Klassenbewusstsein!
  6. Letztliche Lösung ist die Stellung der Systemfrage

Dementsprechend, so halt auch wir als KOMintern erneut fest, braucht es eine autonome gewerkschaftliche Strategie gegen den Rechtsruck und gilt es sich ebenso mit Nachdruck sämtlichen Instrumentalisierungs- und Vereinnahmungsversuche durch die Wegbereiter der Rechtsentwicklung und des aufbrandenden Rechtsextremismus in Österreich und Europa zu verwehren.

(1) Lenin: Über eine Karikatur auf den Marxismus, LW 23, Seite 34
(2) Ders.: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW 22, Seite 273
(3) Ein Exkurs zum Thema „Tendenzieller Fall der Profitrate“ ist unter dkp.de/partei/theorie-und-bildung zu finden.
(4) Karl Liebknecht: Militarismus und Antimilitarismus, 1907, Seite 15
(5) Ekkehard Lieberam: 100 Jahre Faschismusdebatte, 2023, Seite 16 f.
(6) Georgi Dimitroff: Arbeiterklasse gegen Faschismus, 1973, Seite 8
(7) Kurt Gossweiler: Der Putsch, der keiner war, 2009, Seite 77

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