Zum 21. Femizid in diesem Jahr – lasst uns chiapanekisch Sprechen!

16.9.2021, 18:00, Demo in Wien: Nehmt ihr uns eine, antworten wir alle!

Und wieder haben wir einen Femizid zu betrauern, den bereits 21 dieses Jahr, und sind gegen die nicht abebbende patriarchale Gewalt des jüngsten Doppelmordes auf der Straße. Während der angesichts des erschütternden Anstiegs der Gewalt gegen Frauen medienwirksam abgehaltene Gewaltschutzgipfel der Regierung über weitgehend leere Ankündigungen oder einzelne medienwirksame Image-Projekte nicht hinausgegangen ist, haben wir seit dieser Woche gleichzeitig Aktivistinnen in Wien, die vor knapp 3 Jahrzehnten unter der Losung: „Ya Basta –Es reicht!“ den Kampf aufnahmen und die patriarchalen Verhältnisse der Gewalt an Frauen, der Zwangsheiraten bis hin zum bis zu ihrer Rebellion noch geherrscht habenden „Erstnachtsrecht“ der Großgrundbesitzer tiefgreifend umgewälzt haben. Die Zapatistinnen und Compas aus Chiapas.

Denn, einen integralen Bestandteil der zapatistischen Bewegung und des Zapatismus bildet die Frauenemanzipation. Bereits ein Jahr vor dem Aufstand in den Morgenstunden der Silvesternacht 1994 hatten Zapatistinnen mit dem „Zapatistischen Revolutionären Frauengesetz“ von 1993 ihre frauenspezifischen Interessen innerhalb der zapatistischen Bewegung formuliert und stark gemacht. Auf diesem Hintergrund betont Marcos auch, dass der erste Aufstand bereits ein Jahr vor der bewaffneten Rebellion 1994 stattfand und bezeichnet die Einführung der von den Zapatistinnen erkämpften Rahmenbedingungen für Geschlechtergleichheit und -gerechtigkeit als die „Revolution vor der Revolution“. Mit dieser „Revolution vor bzw. in der Revolution“ wurde ebenso ein neues Kapitel in der Geschichte der Frauenbefreiungskämpfe aufgeschlagen, wie die Gleichstellung der Frau und ihre gleichberechtigte Teilhabe in sämtlichen Lebensbereichen in Gang gesetzt und auf breiter Ebene auch durchgesetzt. Das Zapatistische Frauengesetzt bezieht sich entsprechend ebenso auf die patriarchalen gesellschaftlichen Verhältnisse wie die patriarchalen und machistischen Diskriminierungen als Frau durch die und ihre Männer, Familie oder Arbeitgeber. Auch die zu schützenden Bräuche und Traditionen haben sich dieser Selbstreflexion kritisch zu unterziehen. Denn auch in ihnen gibt es stark verwurzelte patriarchale Verfasstheiten.

Das Zapatistische Revolutionäre Frauengesetz, so Camilla Flores, „sicherte ihnen die gleichen Rechte wie ihren Männern zu – eine wahre Revolution im bislang streng patriarchalen System der indianischen Gemeinden“. Nur wenig später, 1996, wurde daraufhin eine neue, nochmals erweiterte Fassung des Revolutionären Zapatistischen Frauengesetzes verabschiedet.

Die über Jahrhunderte üblichen Zwangsheiraten sind heute Geschichte. Verhütung und Scheidungen kein Tabu mehr. Die Gewalt gegen Frauen und ihre Exklusion ist deutlich zurückgegangen. Mit der Entmachtung der Latifundistas wurde auch dem ekelhaften, bis zum zapatistischen Aufstand währenden „Erstnachtsrecht“ (Ius primae noctis, das „Recht der ersten Nacht“) der Großgrundbesitzer ein Ende gesetzt. Also das de facto Recht der Großgrundbesitzer die jungen Frauen in ihrer Heiratsnacht noch zu vergewaltigen ausradiert. Und dieses besonders grausame „Recht der ersten Nacht“, das sollten wir nie vergessen, war ein „Exportgut“ aus Europa und ein herrschaftliches Unterwerfungs- und Demütigungswerkzeug der Nachfahren der europäischen Conquistadores. Das sei auch all jenen Figuren ins Stammbuch geschrieben, die nicht müde werden Femizide nach Möglichkeit xenophob zu instrumentalisieren und rassistisch umgemünzt auszuschlachten. Daneben hat der Zapatismus den Frauen eine ungehinderte und breite Bildung und Gesundheitsversorgung erschlossen und ihnen die gleichberechtigte Teilhabe und Ausübung wichtiger gesellschaftlicher Aufgaben eröffnet. Auch die Reproduktionsarbeit lastet nicht mehr einzig auf ihren Schultern, die Männer in Chiapas haben heute ebenso reproduktive Arbeit zu leisten. Mit dem zapatistischen Emanzipationskampf erlangten die Frauen im Hochland Südmexikos nicht weniger als ihre individuelle Autonomie, Gleichberechtigung und Würde.

Dass es sich hierbei – wenngleich in einem langwierigen, auch von Widersprüchen, Mühsal und Schwierigkeiten geprägten „Kampfes innerhalb des Kampfes“ (oder auch „Revolution innerhalb der Revolution“)– nicht einfach um leere Deklarationen handelte, zeigte sich jedoch bereits bei der zentralen Besetzung der Stadt Cristobal de las Casas am 1. Jänner 1994, bei der die zapatistische Majorin Ana Maria das Kommando inne hatte und die von Comandanta Ramona geführt wurde – wie überhaupt (auch weiterhin) großen Teile der zapatistischen Guerilla von Frauen gestellt werden, die – ebenso wie im zivilen Selbstverwaltungsprojekt im südöstlichen Hochland Mexikos – auch hohe Positionen in der Führung bekleiden.Und während international vorrangig Subcomandante Marcos Widerhall in der Öffentlichkeit fand, repräsentierte in Mexiko in den ersten Jahren des Aufstands insbesondere Comandanta Ramona nachdrücklich zugleich die frauenspezifischen Perspektiven der EZLN. Auch die zentrale Ansprache der zuvor von ca. 200.000 Menschen in Mexiko-Stadt solidarisch und begeistert empfangenen Delegation der Zapatistas auf ihrem „Marsch für die indigene Würde“ vor dem Parlament 2001 hielt mit Comandanta Esther eine Frau.  Ein Eckstein, den die Zapatistas als Kampf sowohl gegen die herrschenden patriarchalen Verhältnisse sowohl in der Gesamtgesellschaft wie auch bei den Indigenas selbst verstehen. Demgemäß erklangt aus Nantes gerade erst diesen Sommer erneut ihr Ruf: „Lasst die Zentren der Erde unter dem schwesterlichen Gebrüll erbeben“.

Freilich, bis zur völligen Aufhebung der über Jahrhunderte patriarchal geprägten gesellschaftlichen und privaten Verhältnisse, ist es auch in der Region der autonomen Selbstverwaltung noch ein Stück Weg. Das betonen auch die Zapatistinnen und Zapatistas selbst. Nichts desto weniger haben die Compas auf revolutionäre Weise ein neues Kapitel in der Geschichte der Frauenbefreiungskämpfe aufgeschlagen, die patriarchalen Verhältnisse in einem atemberaubenden Tempo umgewälzt, gelang es ihnen, dass die Gewalt gegen Frauen massiv zurückging und die völlige Gleichheit von Mann und Frau auf der tagespolitischen Agenda steht. Und der zurückgelegte Weg lässt sich dieser Tage auch daran ablesen, dass ihre historische Europa-Delegation mehrheitlich weiblich zusammengesetzt ist und vertreten wird.   

So lasst uns heute unseren Zorn und unsere Wut auch mit den Worten der Zapatistas in die Welt schreien: „Ya Basta – Es reicht!“

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