Der osteuropäische Faschismus und der ukrainische „Nationalheld“ Stepan Bandera

Heuer vor 100 Jahren übertrugen die herrschenden Kreise Italiens Mussolini die Macht. Im Herbst 1932 wiederum verständigten sich die deutschen Eliten einheitlich auf ihr strategisches Konzept Hitler zum Reichskanzler zu ernennen und die Macht zu übertragen. Die geschichtliche Entwicklung der 1920er und 1930er Jahre kulminierte historisch in einer weitgehenden Herrschaft konterrevolutionärer Diktaturen bzw. des Faschismus und Faschisierung des Kapitalismus vom Atlantik bis ins Baltikum. Und auch wenn dies im heutigen Geschichtsbild meist unterschlagen oder nur allzu gerne „vergessen“ wird, die heutigen Referenzpunkte der Koalition mit Kiew in den kriegsaffinsten Hauptstädten Osteuropas bilden zumeist faschistische Traditionen, Bewegungen und Regime – von der Ukraine, über das Baltikum und Polen bis in die Slowakei.

In der Ukraine trieb, nachdem sich der militante Antikommunist und Kurzzeitpräsident (1919 – 1920) Petljura – unter dem zugleich fürchterliche Massaker an den Juden der Ukraine stattfanden –  absetzte, damals bekanntlich insbesondere der heute regelrecht verherrlichte Faschist und Nazikollaborateur Stepan Bandera sein Unwesen, dessen Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN), deren terroristischer antikommunistischer Arm und paramilitärische Milizen nach dem Überfall des Nazi-Faschismus auf die Sowjetunion auch SS-Einheiten stellte und sich an zahlreichen antisemitischen Pogromen beteiligte. Das hinderte das pro-westliche orangene Farbenkabinett Kiews allerdings nicht daran, ihm zu Ehren 2009 eine Sonderbriefmarke zu seinem 100. Geburtsjahr herauszugeben, 2010 posthum den Ehrentitel „Held der Ukraine“ zu verleihen und das Land regelrecht mit Denkmälern an ihn zuzupflastern.

Ebenso im Baltikum, in dem seinerzeit überhaupt quasifaschistische Regime resp. offen faschistische Diktaturen an der Macht waren. Ob nun das „estnofaschistische“ Päts-Regime in Estland (das 1934/35 die parlamentarische Ordnung beseitigte), das Ulmanis-Regime in Lettland (wo es schon 1934 zum faschistischen Umsturz kam) oder das Smetona-Regime in Litauen (die seit 1926 älteste faschistische oder faschistoide Diktatur des Baltikums). Auch in Polen prägte schon seit Früh an das konterrevolutionäre bzw. faschistische Pilsudski-Regime (1926) die Verhältnisse und etablierte sich nach dessen Tod (1935) ein faschistisches Obristen-Regime. Und in der Slowakei herrschte nach der Zerschlagung der sogenannten „Resttschechei“ unter Tiso ein nicht minder autochthones „klerikalfaschistisches“ System von Hitlers Gnaden.

In der marxistischen und etablierteren Faschismusforschung ein eingehend beforschter Gegenstand, bestand auch unter Zeitgenossen, etwa für den bekannten österreichischen Sozialdemokraten Julius Deutsch, kein Zweifel an deren faschistischen Charakter. Ebenso wie beispielsweise auch für den in Deutschland wirkenden sozialdemokratischen Theoretiker Alexander Schifrin oder den bekannten Schweizer Sozialdemokraten und Autor Arkadij Gurland, deren spezifische Thesen zum „osteuropäischen Faschismus“ in der Forschung auch heute noch eine Rolle spielen. Einzig die Journaille und politischen Führungsfiguren der Gegenwart scheinen vom Wissen darum völlig unbeleckt zu sein.

In Fortführung der OUN und Gestalt der „Waldbrüder“ kämpften die ukrainischen und baltischen Faschisten und Antisemiten nach der Befreiung durch die Alliierten dann bis 1953 im Untergrund gegen die Sowjetunion weiter. Der letzte versprengte „Waldbruder“ Litauens, August Sabbe, der sich 1978 seiner Festnahme entziehen wollte, gilt in Vilnius heute als Nationalheld. Allein in der Ukraine, so der seitens der CIA für die illegale Kriegsführung und verdeckten Operationen der OUN und UPA nach 1945 zuständige Geheimdienstler Frank Wisner, wurden in den Nachkriegsjahren bis Mitte der 1950er Jahre unter Führung von Banderas vormaligen Stellvertreter Jaroslaw Stezko 35.000 sowjetische Kader, Gewerkschafter und Exekutivorgane ermordet. US-Präsident Ronald Reagan empfing Stezko 1983 mit den vielsagenden Worten: „Ihr Kampf ist unser Kampf“.Wer also war Stepan Bandera, der „Nationalheld“ der heutigen Ukraine von Kiew bis zum Asow-Regiment? Der Historiker Stefan Bollinger hat hierzu jüngst im nd nochmals einen instruktiven Artikel verfasst, den wir hier stärker gekürzt wiedergeben.

Der mörderische Märtyrer

Von Stefan Bollinger

[…] Es verwundert nicht, dass die seit dem Zerfall der UdSSR erstarkten nationalistischen Bewegungen in den ehemaligen Sowjetrepubliken nach Identifikationsfiguren suchten – und sie fanden. Zu nationalen »Erweckungen« war es im russischen Zarenreich, das in der Geschichtsschreibung mit einem »Vielvölkergefängnis« verglichen wird, erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert gekommen. Doch auch nach der Februar- und dann Oktoberrevolution 1917 sahen sie sich mit Machthabern konfrontiert, die ihre Interessen nicht teilten. Vor allem rieben sich die bürgerlich-nationalistischen Bewegungen an der radikalen antikapitalistischen und antifeudalen Umwälzung der Bolschewki, die zugleich jedoch das Selbstbestimmungsrecht der Nationen verkündet hatten. Sozialer Klassenkampf und nationales Unabhängigkeitsstreben vermengten sich. Nach der deutschen Besatzung im Ersten Weltkrieg folgte für die Ukraine eine kurze Phase der Selbstständigkeit, bis auch die Ukrainer in den Strudel von Bürgerkrieg und westlicher Intervention gerieten. Bekanntlich siegten die Bolschewiki. Im Gefolge des Polnisch-Sowjetischen Krieges 1919/21 kam es zur Spaltung des Landes. Die Westukraine, vor 1914 Teil der österreichischen k.u.k.-Monarchie, fiel an Polen. Die Regierenden in Warschau betrachteten fortan die ukrainische Frage als Teil ihres antikommunistischen Kampfes gegen die Sowjetunion; ihre Sympathie für die neuen, ukrainischstämmigen Bürger war mäßig.

In diesem Milieu aufgewachsen und politisiert, sollte Stepan Bandera zu einem der führenden ukrainischen Nationalisten avancieren. Der am ersten Januartag des Jahres 1909 in Galizien geborene Sohn eines griechisch-orthodoxen Priesters schloss sich nach dem Studium an einem Polytechnikum in Lemberg (heute Lwiw) der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) an und profilierte sich alsbald als ein militanter Kämpfer für eine freie Ukraine. Damit meinte er: »frei« nicht nur von Polen, sondern auch von Russen und Juden. Er verfolgte unzweifelhaft einen aggressiven Nationalismus der Ausgrenzung anderer Ethnien und der Überhöhung des eigenen Volkes.

1934 war Bandera in ein Attentat auf den polnischen Innenminister Bronislaw Pieracki verwickelt. Er wurde verhaftet, zum Tode verurteilt und dann zu lebenslanger Haft begnadigt. Im Zuge der Zerschlagung des polnischen Staates nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht im September 1939 kam er frei. In Nazideutschland fand er ein offenes Ohr für seine nationalistischen Visionen. Gegen Juden, Polen und vor allem Kommunisten und die Sowjetunion war man sich einig.

Die »Abwehr«, der militärische Geheimdienst der Deutschen, sah in der nach der Sowjetisierung der Ukraine im und aus dem Exil heraus wirkenden Untergrundorganisation OUN ein nützliches Instrument für den bevorstehenden Krieg gegen die Sowjetunion. Bandera und seine Gefolgsleute sorgten dafür, dass den Deutschen konkrete Ortskenntnisse für geplante Terroreinsätze nach dem bereits anvisierten Angriff vermittelt wurden, um einen schnellen Vormarsch der Aggressoren zu begünstigen. Das berüchtigte Bataillon »Nachtigall« – zu deren Befehlshabern 1941 ein gewisser Theodor Oberländer gehörte, später Minister unter dem ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer – rekrutierte sich aus den Reihen der OUN. Reguläre wie irreguläre Einheiten der Nationalisten verübten gemeinsam mit deutschen Truppen schon in den ersten Kriegstagen Pogrome an der jüdischen Bevölkerung in der Ukraine, führten gegen Russen und Polen gerichtete »Säuberungen« durch, denen zum Beispiel in Lemberg/Lviv Tausende Juden zum Opfer fielen. Die rassistisch motivierten Morde hatten auch immer eine antisowjetische Komponente, und viele Sowjetfunktionäre waren jüdischer Herkunft.

Bandera stieg zum Helden der ukrainischen Nationalisten auf. Seiner Golorifizierung nach dem Krieg sollte seine Verhaftung durch die Deutschen am 5. Juli 1941 zugute kommen. Bandera wurde ins KZ Sachsenhausen gebracht, wo er als Ehrenhäftling in einem Sondertrakt festgehalten wurde, zusammen mit anderen OUN-Aktivisten. Eine privilegierte Gefangenschaft, die seine politische Arbeit nur partiell beschränkte.

Was war in den Augen der Deutschen Banderas Vergehen? Er hatte eine Woche nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, am 30. Juni 1941, einen unabhängigen ukrainischen Staat proklamieren lassen, was so gar nicht in das Kalkül der braunen Machthaber in Berlin passte. Ukrainische Nationalisten als Helfershelfer bei Mord und Totschlag, Plünderungen und Unterdrückung waren ihnen recht, aber sie sollten den Nazis nicht mit eigenen staatlichen Vorstellungen in die Quere kommen.

Bandera blieb trotzdem geistiger und politischer Kopf der OUN und ihres militärischen Arms, der Ukrainischen Befreiungsarmee, die alsbald auch die Rekrutierungsbasis für die SS-Division »Galizien« abgab. So trug er weiterhin Mitverantwortung für deren Massaker an Juden, Polen, sowjetischen Soldaten und Funktionären, vor allem russischstämmigen. Dies lässt natürlich den heute in der Ukraine gepflegten Kult um Bandera in Warschau wie Jerusalem suspekt erscheinen und auf Ablehnung stoßen.

Im September 1944 wurde Bandera aus Sachsenhausen entlassen. Für den »Endkampf« gegen den sowjetischen Vormarsch auf Berlin benötigten ihn die Nazis wieder. Er erfüllte deren Wünsche angesichts der absehbaren militärischen Niederlage allerdings nur noch halbherzig. Vielmehr orientierte er sich nun gen Westen aus, diente sich dem US-Geheimdienst CIC an, dem Vorgänger der CIA. In der sogenannten Operation Anyface (Jedermannsgesicht) sorgten seine neuen Verbündeten dafür, dass er und seine Gesinnungsgenossen dem Zugriff sowjetischer Ermittlungsbehörden und somit ihrer gerechten Strafe entzogen wurden. Sie unterstützen seine in der von der Roten Armee befreiten Ukraine noch Jahre aktiven Gefolgsleute, die mit Überresten der SS-Division »Galizien« und versprengten Wehrmachtsoldaten Terrorakte verübten – ähnlich wie die »Waldbrüder« im Baltikum oder untergetauchte Kämpfer der bürgerlichen »Heimatarmee« in Polen. Deren mörderisches Treiben kostete noch viele Opfer bis in die 1950er Jahre hinein. Bandera selbst, der inzwischen unter falschem Namen in München untergetaucht war, stand weit oben in der Liste der in der Sowjetunion gesuchten Kriegsverbrecher. […]

Bereits 1989, als die Sowjetunion zunehmend in Agonie fiel, versuchten ukrainische Nationalisten Bandera ein erstes Denkmal aufzustellen, was jedoch noch unterbunden wurde. Mit der Deklaration der Unabhängigkeit der Ukraine gab es kein Halten mehr. Bandera erlebte eine Auferstehung als Märtyrer. Alle ukrainischen Präsidenten würdigten ihn fortan als wichtigen Vorkämpfer für die Befreiung von russischer wie sowjetischer Bevormundung. Straßen und Plätze tragen seinen Namen, Denkmäler und Statuen zu seinen Ehren gibt es zuhauf. […]

(Der gesamte Artikel ist unter: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165011.stepan-bandera-der-moerderische-maertyrer.html?sstr=M%C3%A4rtyrer nachzulesen).

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