90. Jahrestag der Machtübertragung an Hitler: Wie, mit wessen Hilfe und in wessen Interesse gelangte er an die Macht?

Vor 90 Jahren, am 30.1.1933, wurde Adolf Hitler zum deutschen Reichskanzler ernannt. Wie, mit wessen Hilfe und in wessen Interesse er an die Macht gelangte, ist angesichts der verbrecherischen Ausgeburt des Nazi-Faschismus alles andere als ein „Streit um des Führers Bart.“ Denn es gilt auch heute noch Max Horkheimers Diktum: „Wer nicht vom Kapitalismus reden will, soll vom Faschismus schweigen.“

Hitler war kein Betriebsunfall

Ohne die multiplen Zusammenhänge im hiesigen Kontext detaillierter ausführen zu können, ist die Bedeutung der 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise und die damit einhergehende Not, Verzweiflung und Erosion der gesellschaftlichen Verhältnisse sowie politische Krise der Weimarer Republik für den Machtantritt des deutschen Faschismus unstrittig. Die vielfach grassierenden direkten Ableitungen und mechanischen Erklärungen des deutschen Faschismus aus der Wirtschafsmisere dienen indes der Absicht, die Verantwortlichen der Errichtung der Nazi-Diktatur aus dem Blickfeld zu rücken. Wenn nicht überhaupt den „deutschen Michel“, also die einfachen Leute und Opfer der Wirtschaftskrise, zum Hauptverantwortlichen der Übertragung der Regierung an die Nazis zu stempeln. Gleichzeitig existieren natürlich wesentliche Zusammenhänge und verzeichnete die NSDAP nicht zufällig zunächst in der Hochinflationszeit und dann in der Weltwirtschaftskrise Höhepunkte ihres politischen Gewichts und Aufstiegs vor ihrer Machteinsetzung. Unter den Bedingungen der relativen Stabilisierung und eines gewissen Wirtschaftsaufschwungs zwischen 1924 und 1929 hätte die NSDAP dagegen nie auch nur annähernd etwa die heutige 5%-Hürde in den Bundestag übersprungen. Noch 1928 stellte sie mit 2,6% eine (wahlpolitisch) relativ bedeutungslose Splitterpartei Deklassierter dar, bevor sie in der Wirtschaftskrise innerhalb kürzester Zeit auf 6,4 Millionen Wähler oder 18,3% im September 1930 und im Juli 1932 mit 13,7 Millionen Stimmen oder 37,4% gar zur stärksten Partei aufstieg. Nicht zuletzt auch kraft der ihr seit 1929 in neuen Dimensionen und insbesondere seit der Gründung des finanzkapitalistischen Förderkreises 1932 („Kepplerkreis“) zugeflossenen Gelder, die ihr die Möglichkeit dieses Aufstiegs erst bahnten. Dennoch ist und bleibt es ein unverschämtes Lügengespinst, es seien die Millionen Wähler, nicht die Millionäre gewesen, die Hitler an die Macht gebracht hätten – wenngleich es natürlich nicht bedeutungslos war, dass sich Millionen Deutsche von der NSDAP als WählerInnen einfangen ließen. Und damals freilich, wie auch der Faschismusforscher Manfred Weißbecker gerade unterstrich, „völkisch-rassistisches Denken tief in die Köpfe vieler Deutscher eingedrungen war“. Allerdings, waren darunter wie – neben den Wahlanalysen der Zeitgenossen – auch die historische Wahlforschung und die großangelegten empirischen Studien des britischen Historikers Tim Mason in der Geschichtsforschung unstrittig zeigen, kaum nennenswerte, gar relevantere Teile der organisierten Arbeiterschaft.  Zwar wurde er teils schon auch von Angehörigen der „Arbeiterklasse an sich“ gewählt, während sich die organisierten Millionenmassen der Arbeiterbewegung, Kernschichten der Arbeiterklasse und in den Großstädten wie industriellen Zentren arbeitenden und lebenden Teile der Arbeiterschaft indessen als weitgehend immun und resistent erwiesen.

Und dennoch war es mitnichten der „deutsche Michel“, der Hitler und die Nazipartei an die Macht brachte, oder wie es mitunter sogar heißt: „Das deutsche Volk habe ihn an die Macht gewählt“. Denn kaum drei Monate nach ihrem Wahlhöhepunkt begannen der NSDAP die Wähler wieder in Massen abzubröckeln und davonzulaufen. Bei den kurz nach den Juli-Wahlen erneut stattgefundenen November-Wahlen 1932 verlor die NSDAP mit 11,7 Millionen Stimmen innerhalb nur eines Vierteljahres bereits wieder satte zwei Millionen Wähler und befand sich zudem in einer tiefen Krise. Die innerparteilichen Auseinandersetzungen (Strasser – Göring) drohten überhaupt zu einer Spaltung der Partei zu führen. Die Arbeiterparteien (SPD 7,2 Millionen und KPD 6 Millionen Wähler) waren mit 13,2 Millionen Wähler parlamentarisch zusammen nun wieder klar stärker als NSDAP, mit der sie drei Monate zuvor quasi für einen Moment nur noch gleichauf lagen (leicht dahinter). Zudem gab es für Hitler und seine Mannen, deren Stimmenanteil wieder auf 33,1% gesunken war (selbst unter Einbeziehung seiner konservativen Bundesgenossen) weit und breit keine Parlamentsmehrheit und zog auch der deutsche Reichspräsident Hindenburg die Ernennung Hitlers – vom ihm verächtlich „böhmischer Gefreiter“ genannt – zum Reichskanzler (noch) nicht in Erwägung, zumal ihm eine unmittelbare Berufung nach dessen Wahlniederlage auch optisch nicht in Frage zu kommen schien. Dazu gesellte sich ein unübersehbarer fortgesetzter Abwärtsstrudel bei den kurz darauf erfolgten Lokalwahlen in Sachsen, sowie ähnlich auch in Thüringen und im Saargebiet. Erst das hektische Treiben der Spitzen der Großindustrie, der Junker, der Spitzen der Reichswehr und anderer Teile des Staatsapparats im Herbst 1932 und über den Jahreswechsel 1933 hinter den Vorhängen, sowie deren von Hjalmar Schacht und Kurt von Schröder orchestriertes Drängen, ließen den Reichspräsidenten schließlich am 30. Jänner 1933 Hitler an die Regierungsspitze hieven. Da die notwendige Zustimmung einer parlamentarischen Mehrheit für seine Ernennung zum Reichskanzler und seiner NSDAP/DNVP-Minderheitsregierung äußerst unwahrscheinlich war und das Kabinett selbst in diesem unwahrscheinlichen Falle vom Reichstag jederzeit wieder gestürzt hätte werden können, löste Reichskanzler Hindenburg zugleich mit Hitlers Berufung den erst wenige Wochen zuvor gewählten Reichstag auf. Damit erhielten die Nazis und ihre konservativen Bundesgenossen „die Chance“, wie der große Faschismusforscher Kurt Pätzold schrieb, „mit dem Rückenwind des 30. Januar in einen [neuerlichen] Wahlkampf zu ziehen, dessen Bedingungen von ihnen [und ihren Förderern unter Einsatz sämtlicher staatlicher und terroristischer Mittel sowie unter dann verhängten politischen Ausnahmezustand] diktiert wurden.“ Von einer „Machtergreifung“, wie schon die nationalsozialistische Propaganda seinerzeit vielfach zu suggerieren suchte, kann sonach keine Rede sein – auch wenn sich dieses Verschleierungsnarrativ ebenfalls bis heute hartnäckig hält. Historisch wahr ist vielmehr, dass Hitler und seine Clique und Paladine just in dem Moment, als die NSDAP Millionen Wähler verlor und in einem Abwärtsstrudel und einer tiefen Krise offenen Ausgangs steckte, und ihre davon beunruhigten Förderer nun das ultimative Zeitfenster zur Machtübertragung sahen, von den herrschenden Kreisen an die Macht geschoben wurde.  

Hektisches Treiben hinter der Bühne: Die Schwergewichte des deutschen Großkapital setzten in konzertierter Aktion auf die Machteinsetzung Hitlers

Das bezeugt auch die Aussage des Bankiers Kurt von Schröder, der es, wie wir noch weiter sehen werden, genau wissen musste, vor dem Internationalen Gerichtshof in Nürnberg: „Die allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken Führer in Deutschland an die Macht kommen zu sehen, der eine Regierung bilden würde, die lange Zeit an der Macht bleiben würde. Als die NSDAP am 6. November 1932 ihren ersten Rückschlag erlitt und somit also ihren Höhepunkt überschritten hatte, wurde eine Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft besonders dringend.“ „Ein gemeinsames Interesse der Wirtschaft“, so Schröder weiter, „bestand in der Angst vor dem Bolschewismus und der Hoffnung, dass die Nationalsozialisten – einmal an der Macht – eine beständige politische und wirtschaftliche Grundlage in Deutschland herstellen würden … Das wirtschaftliche Programm Hitlers war der Wirtschaft allgemein bekannt und wurde von ihr begrüßt.“

Entsprechend folgte nur zwei Wochen nach dem Rückschlag der Novemberwahlen, am 19. November, die eilig auf den Weg gebrachte Eingabe der maßgeblichen Schwergewichte der deutschen Industrie und Hochfinanz sowie der Großagrarier an Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. „Mit Eurer Exzellenz bejahen wir die Notwendigkeit einer vom parlamentarischen Parteienwesen unabhängigen Regierung“ und forderten die „Übertragung“ der „Regierung“ „an den Führer der größten nationalen Gruppe“, also namentlich Hitler als Führer der Nazipartei. Zwei Tage danach erging ein weiteres Schreiben an Hindenburgs Staatssekretär Otto Meißner mit weiteren Namen „zur Weitergabe an den Herrn Reichspräsidenten“ um „ihm mitzuteilen“, dass auch diese „voll und ganz auf dem Boden der Eingabe stehen, aber nicht zu unterzeichnen wünschen, da sie politisch nicht hervortreten wollen.“ Aus dem mächtigen Ruhrgebiet und seitens der einflussreichen Ruhrindustriellen wiederum kam begleitend das Signal, „dass fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen Umständen wünscht.“

Die darin dokumentierte direkte Verantwortung der maßgeblichen deutschen Wirtschaftseliten an der Machteinsetzung Hitlers, sowie endlose weitere erdrückende Fakten, veranlassten den US-Hauptankläger Robert Jackson im Nürnberger Prozess denn auch unmissverständlich festzustellen: „Ohne die Zusammenarbeit der deutschen Industrie und der Nazipartei hätten Hitler und seine Parteigenossen niemals die Macht in Deutschland ergreifen und festigen können, und das Dritte Reich hätte nie gewagt, die Welt in einen Krieg zu stürzen.“

Oder wie Kurt Baumann gerade resümierte: Seit „Ende 1932 sammelten Emil Kirdorf und andere Industrielle die politischen Kräfte zum gezielten Schlag gegen die Weimarer Republik. Hektische Treffen unter Beteiligung der Spitzen der Großindustrie, der Junker, der Reichswehr, anderer Teile des Staatsapparats und der Führer der Nazipartei fanden statt. Nach Auswertung der Quellen kam der Faschismusforscher Reinhard Opitz auf zwei Dutzend Treffen auf den verschiedenen Ebenen um die Jahreswende 1932/33. Diese hektische Aktivität hatte Erfolg – das Großkapital hatte ein Bündnis geschmiedet, um die bürgerliche Demokratie abzuschaffen und den Krieg vorzubereiten.“

Vom autoritären Notverordnungsregime zur offen terroristischen Diktatur und der Charakter der Meinungsverschiedenheiten unter den Flügeln des Industriekapitals

Denn, um es in den Worten des verdienten Faschismusforschers Reinhard Kühnl auszuführen: „Bereits im Jahr 1930 waren sich all die verschiedenen Interessengruppen und Fraktionen, die es gab und die viele Meinungsverschiedenheiten hatten, innerhalb der Industrie- und Bankwelt und des Militärs, über eines einig: Die Demokratie muss weg! Sie muss ersetzt werden durch irgendeine Form autoritärer Herrschaft.“ Damit war, befördert durch den Brandbeschleuniger der Weltwirtschaftskrise, zwar noch keineswegs definitiv entschieden, ein faschistisches Regime unterm Hakenkreuz zu installieren, sondern es wurden zunächst (noch) „mehrere Modelle autoritärer Herrschaft diskutiert und sogar probiert.“ „Der erste Versuch wurde 1930 eingeleitet, nachdem die letzte parlamentarisch legitimierte Regierung durch Intervention der Großindustrie zielbewusst gestürzt worden war, ohne dass etwa Wahlen stattgefunden hätten. Er bestand darin, ein Regime zu etablieren, dass man als autoritäres Präsidialregime kennzeichnen kann.“ Zunächst ab 1930 unter Heinrich Brüning und ab Sommer 1932 kurzzeitig unter Franz von Papen. „Diese Präsidialregime agierten bis zum Winter 1932/33. Seit 1929/30 hat es auch schon einen Flügel gegeben, insbesondere die Schwerindustrie, der der Ansicht war, das reiche nicht, man brauche eine effektivere Form autoritärer Herrschaft, und die könne nur die Hitler-Bewegung schaffen. Dieser Flügel blieb aber bis zum Herbst 1932 in der Minderheit.“ Im Herbst 1932 kamen dann jedoch auch die weiteren Flügel und Fraktion der Großindustrie, Bankenwelt und der Großagrarier sowie des Militärs zu dem Ergebnis, dass die Notverordnungsregime nicht genügen um die Hauptziele der ökonomischen, politischen und militärischen deutschen Eliten zu erreichen. „Nachdem diese Regime gescheitert waren, wurde … das Konzept einer Militärdiktatur geprüft.“ Die Reichswehrführung, die diese Option in dazu an sie ergangenem Auftrag selbst prüfte, kam jedoch zum Schluss, dass dies nicht zuletzt aus der dann vorhersehbaren gemeinsamen Kampffront und Gegenwehr der beiden Flügel der zerstrittenen Arbeiterbewegung zur Abwehr eines Militärputsches von oben sowie auch zu erwartendem darüberhinausgehenden Massenwiderstand (der wohl selbst viele Wähler der nationalistischen Parteien mitreißen würde) nicht praktikabel sei und sich verbot. Vor diesem Hintergrund kamen die maßgeblichen Vertreter des Monopol- und Finanzkapitals nun definitiv zum Schluss: „Nun muss Hitler an die Macht. Die Vorzüge, die die faschistische Partei in den Augen der herrschenden Klasse hatte, lagen ja auf der Hand: Die Hauptziele, die die herrschenden Klassen selbst hatten – Zerschlagung der Demokratie und der Arbeiterbewegung sowie Einleitung einer Rüstungs- und Expansionspolitik –, das waren auch die Ziele, die die Faschisten verkündeten … Darüber hinaus hatte sich die Hitler-Partei als fähig erwiesen, für eine solche Politik Millionenmassen zu mobilisieren.  Sie brachte also eine Fähigkeit ein, die die bürgerlichen Parteien verloren hatten und die das Militär und die Großindustrie aus eigener Kraft auch nicht erlangen konnten.“ Auch jene Kapitalgruppen, die bis Herbst 1932 noch vorrangig auf Notverordnungsregime á la Brüning und dann Papen setzten, als Industriegruppenflügel etwa die Chemie- und Elektroindustrie, sind im Herbst 1932 auf die Seite der Schwerindustrie übergegangen und protegierten nun auch ihrerseits Hitler.

Natürlich existierten bis zur letztlich konzertierten gemeinsamen Aktion der maßgeblichen Wirtschaftseliten zugunsten Hitlers, und vereinzelt auch noch prolongiert, gewisse Meinungsverschiedenheiten entlang der Varianten politischer Herrschaftsoptionen und dessen Personal, zumal von Papen im Unterschied zum Emporkömmling Hitler sozusagen denselben sozialen Stallgeruch aufwies. Manch Großindustrielle haben sich persönlich auch der Mitwirkung der Inthronisierung Adolf Hitlers versagt. Die Frontlinie verlief in dieser Auseinandersetzung allerdings nie für oder gegen die Republik, wie bürgerliche Historiker diese Meinungsverschiedenheiten gerne umdeuten, sondern entlang der Frage: „welche strukturelle Konstruktion und welches Personal diese Republik ersetzen und auf welchem Weg das geschehen sollte“. (Kurt Pätzold) Oder noch pointierter und personalisiert: mit von Papen in der Rolle als Vizekanzler Hitlers oder mit Hitler in der Rolle als Vizekanzler Papens. Die Kaskade am 2. Dezember 1932 zu General Kurt von Schleicher als Kanzler und Reichswehrminister in einer Person war bloß mehr ein Intermezzo eines vorübergehenden Platzhalters auf dem Weg zu Machteinsetzung Hitlers. Schleicher, obschon selbst ein raffinierter Intrigant, regierte nicht einmal zwei Monate – und musste ebenso „überrascht“ wie sein Vertrauter Günter Gereke feststellen, „dass nun auch führende Männer der Elektro- und Chemieindustrie“, deren Unterstützung er für sein militärisches Präsidialregime zu gewinnen hoffte, offen auf die Seite der Stahl- und Kohleindustrie und Hochfinanz übergegangen sind. Am 4. Jänner 1933 organisierte Kurt von Schröder in seinem Haus dann bereits die historische Zusammenkunft zwischen Vertrauensmännern der Großindustrie, der Hochfinanz, des Großgrundbesitzes, von Hitler und von Papen, sowie Vertrauenspersonen Hindenburgs. „Bevor ich dieses Schritt unternahm“, so Schröder vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg dazu, „besprach ich mich mit einer Anzahl von Herren der Wirtschaft.“ Damit waren die Würfel gefallen. Die maßgeblichen Kräfte des Monopol- und Finanzkapital waren sich einig. Am 22. Jänner folgte bereits eine Unterredung in der Villa Joachim von Ribbentrops mit dem Staatssekretär Hindenburgs, Otto Meißner, sowie Hindenburgs Sohn Oskar (Militär und Förderer der Nazis) über die Details der Machtübertragung an Hitler. Kurt Tucholsky sprach ob der intimen Rolle Oskar Hindenburgs am Aufstieg der Nazis ironisch von dem „in der Verfassung nicht vorgesehenen Sohn des Reichspräsidenten“. Schon fünf Tage zuvor fanden in einem jener gerafften Hinterzimmergespräche auch „direkte Verhandlungen zwischen Hitler und Alfred Hugenberg, dem Vorsitzenden der DNVP“ statt – worauf der Historiker und Sprecher der VVN-BdA Ulrich Schneider gerade aufmerkte. „Hugenberg war über die ‚Ruhrlade‘, mit der die zwölf einflussreichsten Ruhrindustriellen Gelder an politische Rechtsparteien verteilten, mit der NSDAP verbunden.“ Die Arbeiterbewegung und antifaschistischen Kräfte, vor deren geschlossener Gegenwehr die Drahtzieher der Machtübertragung an Hitler bis zum letzten Augenblick Sorge hatten, indes blieb uneins.

Am 30. Jänner 1933 erfuhr dann, wie es der Faschismusforscher Joachim Petzold formulierte, eine vielfach „staunende Öffentlichkeit, dass der im November bei den Reichstagswahlen geschlagene Hitler und die von ihm in den letzten Monaten so stark angegriffenen Wortführer des konservativen Flügels der herrschenden Klassen Hugenberg (Deutschnationale Volkspartei) [von Hitler bis dahin zuletzt vielfach als „Hugenzwerg“ abgetan], Seldte (Kriegervereinigung ‚Stahlhelm‘) und natürlich Papen [auch für Hitler kurz davor öffentlich noch Repräsentant des „Kabinetts der Barone“] im Auftrage Hindenburgs eine ‚Regierung der nationalen Konzentration‘ gebildet hatten.“ Erstaunt vom konkreten Coup waren zumindest Brüning zufolge selbst der berufene Finanzminister und der Außenminister des neuen Kabinetts. „Die Minister wurden auf zehn Uhr zwecks Vereidigung zum Reichspräsidenten bestellt. Krosigk und Neurath … glaubten, dass sie für ein Kabinett Papen vereidigt würden. Erst in letzter Minute erfuhren sie, dass es sich um ein Kabinett Hitler handelte.“

Letzte Festlegungen des gemeinsamen Programms des neuen Machtkartells

Im unmittelbaren Anschluss an die Ernennung zum Reichskanzler wurden dann nochmals eingehender die Richtlinien des gemeinsamen Programms des neuen Machtkartells besprochen. Bereits 4 Tage nach seiner Inthronisierung absolvierte Hitler am 3. Februar im Haus des Chefs der Heeresleitung, General Kurt Freiherr von Hammerstein, seinen Antrittsbesuch bei den Reichswehrgenerälen. Und informierte die militärischen Spitzen des Reichs – neben der zuerst in Angriff zu nehmenden „Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel“ – über sein Programm der „Eroberung neuen Lebensraums im Osten u. dessen rücksichtslose Germanisierung“ unterm Hakenkreuz. Zugleich räumte er im Vertrauen auf die Verschwiegenheit der Militärspitzen den Reichswehrgenerälen gegenüber deren Besorgnisse über die künftige Rolle der SA aus – der als „Röhm-Affäre“ (benannt nach dem SA-Stabschef und einzigen Duzfreund des „Führers“) firmierend, am 30. Juni 1934 nach getaner Schuldigkeit dann die Bartholomäusnacht bereitet wurde. Obwohl das Treffen für den US-Chefankläger Robert Jackson im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess noch eine prominente Rolle spielte, ist es heute nur noch den wenigsten gewahr und in der Öffentlichkeit weitgehend ad acta gelegt. Ebenso wie die fraglos nächstwichtigste Zusammenkunft des neuernannten Reichskanzlers mit den führenden Industriellen Deutschlands am 20. Februar. Als Gastgeber fungierte Hjalmar Schacht. Gustav Krupp notierte im Anschluss, dass Hitler dabei „ein so klares Bild des Aufbaus seiner Gedankenwelt gegeben“ hatte, dass er als Vorsitzender des Reichsverbands der Deutschen Industrie in seiner Dankesrede den Ausführungen nur sekundieren konnte, bevor am Ende der Veranstaltung der Aufruf an die Teilnehmer erfolgte: „Und nun zur Kasse bitte“ – dem sie sämtlich freigiebig Folge leisteten und nochmals tief in die Taschen griffen.

Die Rolle des Konservatismus – Wegbereiter, Unterstützer und Bündnispartner des Faschismus

Ebenso unentbehrlich für den Aufstieg Hitlers und die Machtübertragung an die Nazis war – wie nicht nur die bisherigen Darlegungen, sondern auch die Geschichte der Machteinsetzung des Faschismus in anderen Ländern bezeugt –, die Wegbereitung, Unterstützung, Bundesgenossenschaft und Steigbügelhalterfunktionen der maßgeblichen Kräfte des Konservatismus und der alten gesellschaftlichen Eliten. Das zieht sich im nämlichen Fall von der konservativ-faschistischen Blockbildung im Oktober 1931 in Bad Harzburg, über das mehrheitlich von Ministern aus den Reihen der Koalitionspartner, allen voran der konservativen Deutschnationalen Volkspartei, und Inhabern von Adelstiteln gespickte Kabinett der Braunhemden vom 30. Jänner, bis zur geschlossenen Zustimmung sämtlicher bürgerlicher Parteien und des Zentrums zum „Ermächtigungsgesetz“ (die 81 Mandate der KPD waren zur Zusammenschiebung der Mehrheit hierzu bereits kassiert) am 23. März 1933. Damit wurde der Weimarer Verfassung (mit den Stimmen der Vorgänger von CDU/CSU und FDP) vollends der Garaus gemacht und räumten die bürgerlichen Parteien wenig später schließlich gänzlich das politische Feld – unter herausgestrichenem Einvernehmen mit dem Reichskanzler und einem anschließenden Wetteifern in die NSDAP und ihren Terrorapparat aufgenommen zu werden. Das „Ermächtigungsgesetz“, das sei in diesem Zusammenhang nochmals explizit herausgestrichen, trug dabei die Unterschrift von zwei Naziführern (Hitler und Frick) und drei adeligen Vertretern ihrer nationalen konservativen Ministerkollegen, sowie von Hindenburg. „So verdeutlicht auch dieses Papier“, um es nochmals mit Kurt Pätzold zu pointieren, „wie abstrus das Bild ist, das die Zerstörung der Republik als Werk braun uniformierter Horden meist junger Leute zeichnet.“ Es bleibt sonach denn auch eine fürs Hier und Heute zu beherzigende geschichtliche Erfahrung, dass schon der historische, Europa zwischen 1918 und 1945 seinen Stempel aufdrückende Faschismus, nur mit Hilfe und im Bündnis mit dem bürgerlichen Konservatismus und den alten gesellschaftlichen Eliten an Machtbeteiligungen bzw. an die Macht gelangte.

Natürlich gab es auch unter dem Hakenkreuz im Anschluss und Weiterem Auseinandersetzungen und Widersprüche, Konkurrenzkämpfe um Pfründe, Machtkämpfe um die Rangordnung und Stellung im Machtkartell und Konflikte an Weichenstellungspunkten zwischen den Flügeln und Fraktionen des Großkapitals, zwischen den alten Eliten bzw. Führungsgruppen und den faschistischen Emporkömmlingen resp. Führungsgruppen der NSDAP, zwischen der durch die Übertragung des staatlichen Macht- und Terrorapparats im Faschismus in seiner Tragweite nochmals gesteigerten „relativen Selbständigkeit“ der Staatsgewalt und ökonomischen Sonderinteressen im Einzelnen usw. usf. Nur in den Nebelschwaden der Totalitarismustheorie befangene Vorstellungen oder der verbreiteten These des Historismus auf den Leim gehende Ansichten, der Faschismus auf deutschem, italienischem oder auch österreichischem Boden sei tatsächlich eine vorrangig eigene, gar souveräne Schöpfung Hitlers, Mussolinis oder Dollfuß’, vermag solch Selbstverständlichkeit vielleicht zu verwundern. Schon kurz nach der innerfaschistischen „Nacht der langen Messer“ 1934 (der, wie der Faschismusforscher Kurt Gossweiler zeigte, zugleich auch Kämpfe zwischen den Monopolgruppen zugrunde lagen) zugunsten der alten Eliten und Reichswehr entspannten sich 1935/36 dann etwa harte Auseinandersetzungen zwischen der Schwerindustrie und Industrien in denen amerikanisches Kapital stark war versus den hauptsächlich von der Chemie- und Elektroindustrie getragenen Fraktionen des Monopolkapitals um die Frage der Stoßrichtung, Kriegsstrategie und etwaigen Bündniskonstellation des Krieges zur Unterwerfung Europas unterm Hakenkreuz und anschließendem Griff nach der Weltherrschaft.

Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch

Allerdings: Während die faschistische Machtelite unter noch nie dagewesenen Opfern 1945 besiegt und die Welt vom Nazifaschismus befreit werden konnte, überdauerten ihre Wegbereiter, Förderer und Hintermänner und blieb die herrschende Klasse des Industrie- und Bankkapitals in deren Interesse ihnen einst die Macht übertragen wurde. Weshalb mit Bert Brecht denn auch heute unverändert gilt: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

Bild: Fotomonatge von John Hartfield

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