Ein Jahr nach den Angriffen der faschistischen „Grauen Wölfe“ auf TeilnehmerInnen antifaschistischer und feministischer Demonstrationen in Favoriten, fand am Samstag eine Großdemo gegen Faschismus, Patriachart und Krieg in Kurdistan statt. Hunderte Menschen haben am Samstag Nachmittag der Hitze, allgegenwärtigen faschistischen Provokationsversuchen und erneuten Polizeirepression getrotzt und klar gemacht: Wir stehen Schulter an Schulter gegen Faschismus, Patriachat, Krieg und Kapitalismus – im mittleren Osten, in Wien und überall
Rede der Demokratischen Kräfteplattform (Demokratik Güç Birliği) auf der Demonstration „Alle zusammen gegen Faschismus und Patriarchat“ anlässlich des Jahrestages der faschistischen Angriff in Favoriten
Die Türkei steckt in einer manifesten wirtschaftlichen und politischen Krise. Zugleich befindet sich das faschistische AKP/MHP-Regime in einer tiefen Hegemoniekrise. Als Antwort darauf verschärft Ankara auf breiter Front abermals seinen Despotismus.
Nach demselben Strickmuster regierte Erdogan schon auf den Wahlerfolg der HDP 2015 und gleichzeitigen erstmaligen Verlust seiner absoluten Mehrheit. Um wieder eine alleinige Regierungsmacht zu erringen, hat er die Türkei seit seiner damaligen Wahlniederlage in einen militanten nationalistischen Taumel gejagt und eine Kaskade mittlerweile bereits 6 Jahre andauernder, schmutziger Kriege gegen Kurdistan, die kurdische Befreiungsbewegung und türkische Linke nach dem anderen entfesselt. Der Presse, den religiösen Minderheiten (unter ihnen vor allem den Aleviten), sowie den kämpferischen Gewerkschaften und jeglicher Opposition wurde der politische und justizielle Krieg erklärt, und ein de facto permanenter Ausnahmezustand über das Land verhängt.
Die Gunst der Stunde des Juli 2016 als „Geschenk Gottes“ nutzend – wie er selbst erklärte –, trat der „neue Sultan von Ankara“ in einem „Gegen-Putsch“ daraufhin eine nochmals verschärfte, drakonische Säuberungskampagne und Repressionswelle los und brach eine regelrechte Kriegswelle gegen die kurdischen Landesteile, die Rojava-Revolution in Südkurdistan/Nord- Ostsyrien, sowie gegen die Guerilla-Gebiete im Nordirak vom Zaun.
Diesen Militärinterventionen liegt zugleich der Versuch einer neo-osmanischen Ausweitung der türkischen Grenzen auf die nördlichen Regionen Syriens bis in die erdölreichen Gebiete um Kirkuk im Nordirak, sowie die Wiedereröffnung der Mossul-Frage zugrunde. Gleichzeitig zu diesen Besatzungsplänen und Einmärschen eröffnete Ankara in geopolitischer Ambition Kriegseinsätze und Aggressionen von Libyen bis Bergkarabach. Mit dieser Weichenstellung holte er zugleich die faschistische Partei der Nationalistischen Bewegung MHP – besser bekannt als Graue Wölfe – unter deren Vorsitzendem Devlet Bahçeli ins Boot und schmiedete die seitherige AKP/MHP-Koalition.
Nach den Kriegsgängen und Invasionen in Rojava zielt das Kriegsgeschehen Ankaras heute vorrangig auf die Medya-Verteidigungsgebiete bzw. Kandil-Berge als „Herz“ und Rückzugsraum der kurdischen Guerilla. Versuche der türkischen Armee, das Gebiet in der kurdischen Autonomiezone einzunehmen, musste diese immer wieder unter hohem Blutzoll und großen Verlusten abbrechen.
Die aktuell mit grünem Licht des Westens und der NATO, sowie Freigabe des Luftraums durch die USA geführte Militäroffensive Ankaras ist jedoch erkennbar als langfristiger Vernichtungsfeldzug und unter Einsatz von Giftgas und geächteter chemischer Waffen angelegt. Während Ankara letzteres nach Kräften zu vertuschen sucht, werden die neuen Drohnen hingegen, insbesondere die auch mit westlichem Know-how entwickelte Bayraktar-TB2-Drohne, auf türkischen Paraden wie Helden gefeiert. Dabei wird die türkische Kriegsführung immer schmutziger und der Kampf immer asymmetrischer. Rein militärisch, das beweisen die Geschichte wie auch die gestarteten Gegenoffensiven der PKK und des mit ihr verbündeten kommunistischen Guerillabündnisses HBDH, lässt sich eine Guerilla nicht besiegen. Darum führt die Türkei ihre nunmehrige Offensive gegen die Medya-Verteidigungsgebiete auch immer stärker als Drohnenkrieg.
Da die massiven Luftangriffe, die Spezialoperationen, der stete Drohnenkrieg und der Einmarsch von Bodentruppen des gegenwärtigen türkischen Vernichtungsfeldzugs ohne Einverständnis der USA und NATO schlicht nicht möglich sind, erklärte die KCK daher auch: „Der laufende Angriff auf Südkurdistan ist ein NATO-Angriff, der durch die Türkei ausgeführt wird“.
Aber so wenig es dem AKP/MHP-Faschismus gelingen wird, die PKK auszuradieren, so wenig gelang es dem „Palast“, die linksdemokratische HDP und einzige linke, pro-kurdische parlamentarische Opposition im Land selbst auszuschalten, die noch unter Bedingungen des Ausnahmezustands 2018 erneut mit 11,7% der Stimmen ins Parlament einzog.
Daher ist das Regime am Bosporus jetzt zum institutionellen Frontalangriff übergegangen. Bereits in den vergangenen Jahren wurden über 16.500 Mitglieder und AktivistInnen der HDP inhaftiert, Abgeordnete und BürgermeisterInnen reihenweise ihrer Ämter enthoben bzw. ihr Mandat entzogen.
Dieser Frontalangriff auf die HDP ist zugleich ein Angriff auf die Millionen AlevitInnen in der Türkei und andere religiöse Minderheiten des Landes. Denn die HDP versteht sich explizit als zugleich linkes Sprachrohr und politische Vertretung der Rechte und Interessen auch der kleineren ethnischen Minderheiten und der unterdrückten religiösen Gruppen. Insbesondere auch der AlevitInnen, deren brutale Unterdrückung und Verfolgungen im Westen kaum zur Kenntnis genommen wird.
Mit dem am Montag über den Erdoğan und Bahçeli hörigen Obersten Gerichtshof der Türkei auf den Weg gebrachten Verbotsantrag gegen die HDP, droht nunmehr schlicht die Schließung der linken Partei der Völker – um sich damit der stärksten linken und parlamentarischen Opposition zu entledigen, deren FunktionärInnen, Mitglieder und SympathisantInnen für vogelfrei zu erklären, und die pro-kurdische Linke für die Präsidentenwahlen 2023 auszuschalten.
Entsprechend enthält der Verbotsantrag neben der Schließung der Partei auch den Antrag des Verbots der politischen Betätigung hunderter HDP-Mitglieder, darunter allem voran ihrer bekannten politischen RepräsentantInnen und Köpfe, sowie zahlreicher früherer und jetziger Vorstände und Abgeordneten. Unter ihnen natürlich auch gegen den seit 2016 inhaftierten früheren HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş, gegen welchen die Staatsanwaltschaft im parallel geführten sogenannten „Kobanê-“ Schauprozess überhaupt 15.000 Jahre Haft fordert. Damit soll durch die türkische Polit- und Willkürjustitz sichergestellt werden, dass die bekanntesten Gesichter und erfahrensten PolitikerInnen der HDP, nach deren Schließung für eine linksdemokratische Neugründung und Nachfolgepartei ausgeschaltet bleiben.
Gleichzeitig will Ankara damit Rache für die Niederlage der von ihm unterstützten djihadistischen Mörderbanden nehmen. Das AKP-Regime der Türkei – im Inneren bereits damals im Stile eines Putschmilitärs regierend – setzte außenpolitisch dagegen auf die breit gefächerte Unterstützung der Gotteskrieger des IS, in der Hoffnung sich mit der Terrormiliz dem kurdischen Autonomieprojekt an seiner Südgrenze und dessen regionaler Vorbildwirkung entledigen zu können. Die im rätedemokratisches Selbstverwaltungs-Projekt Rojava Gestalt annehmende Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts war den türkischen Eliten ein derartiger Dorn im Auge, dass es mit allen nur erdenklichen Mitteln – oder in Erdoğans eigenen Worten: „wie hoch der Preis auch sein mag“ – unterbunden und mit Stumpf und Stiel beseitigt werden sollte.
Der „Islamische Staat“ und andere djihadistische Gruppen wurden von Ankara denn auch nach Kräften mit Waffen, Geld, logistischer Unterstützung und Rückzugsräumen unterstützt.
Allerdings, nach vier Monaten heroischen Widerstands und erbitterten Kampfes, gelang es den kurdischen FreiheitskämpferInnen der YPG und YPJ zusammen mit ihren kommunistischen Verbündeten aus der Türkei und internationalistischen Freiwilligen im Herbst 2014 und Jänner 2015 bekanntlich Kobanê vollständig zurückzuerobern und zu befreien. Während die Welt damals den Atem anhielt und quer durch die politischen Landschaften mit den VerteidigerInnen der zum Symbol der Unbeugsamkeit des kurdischen Selbstbestimmungskampfes wie Widerstands gegen den IS-Terror gewordenen Stadt mitfieberte wie diese die schwarze Fahne des IS hinwegfegten, markiert der siegreiche Kampf um Kobanê für Erdoğan eine Niederlage.
An dieser will er jetzt ebenso Rache nehmen, wie an der kaum noch überschaubaren Zahl der – vielfach in Isolationshaft gehaltenen – politischen Gefangenen der zivilen Opposition, der Gewerkschaften und Frauenbewegung, der kurdischen Freiheitsbewegung, der revolutionären türkischen und der türkisch-kurdischen Parteien, Organisationen und Strömungen. Aber auch in den Gefängnissen und Kerkern am Bosporus hat sich seit 27. November des Vorjahres bis heute andauernder, breit getragener, gruppenweise wechselnder Hungerstreik gegen die verschiedenen Machenschaften des AKP/MHP-Regimes und für die Durchbrechung der Isolation des wohl bekanntesten politischen Häftlings der Gegenwart, Abdullah Öcalan, und Freilassung der politischen Gefangenen entwickelt.
Hände weg von der HDP!
Freiheit für alle politischen Gefangenen!
Schulter an Schulter gegen den Vernichtungsfeldzug der türkischen Armee!
Alle zusammen gegen den Faschismus!