Die Geschichte der Arbeiter:innen- und Gewerkschaftsbewegung ist durchwoben von Brutalitäten der Herrschenden, Versuchen ihrer Niederschlagung und Unterdrückung, von Klassenjustiz, Justizskandalen und Justizmorden. Und das bereits im direkten Konnex der 1890 erfolgten Festlegung des Internationalem Kampftags der Arbeiterklasse. Ein Datum, dem im bewussten Gedenken an die blutigen Ereignisse des 1. Mai 1886 in Chicago, zugleich die Dimensionen des Blutzolls und der Opfer der Klassenjustiz des Kampfes der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung für die Interessen und Forderungen der Arbeitenden und Unterdrückten sowie um den historischen Fortschritt unaufhebbar eingeschrieben sind.
Chicago 1886
Es war ein herrlicher Frühlingstag, an welchem tausende und abertausende Arbeitende unterschiedlicher Herkunft und vielfältiger Weltanschauung seinerzeit in Chicago in den Streik traten und für den 8-Stunden-Tag demonstrierten. Aber nicht nur in Chicago, auch in New York, Philadelphia, Louisville, Saint Louis, Millwaukee und Baltimore traten damals hunderttausende ArbeiterInnen aus insgesamt 20.000 Betrieben in den Streik um die geforderte Arbeitszeitverkürzung. Der Streik bildete den Höhepunkt der schon länger andauernden Kampagne und Massenbewegung für den 8-Stunden-Tag. Der 1. Mai war in den USA zugleich der traditionelle Stichtag des Abschlusses neuer Arbeitsverträge. Demgemäß forderten die Werktätigen denn in ihrem Arbeitskampf auch nachdrücklich die Aufnahme des 8-Stunden-Tags in die neuen Arbeitsverträge.
Morgenröte in Australien
Der seinerzeitige Kampf um den 8-Stunden Tag und Arbeiter:innen-Rechte und der 1. Mai sind historisch allerdings noch inniger miteinander verwoben, als es schon anhand des Datums von Chicago antönt. Ihren ‚eigentlichen‘ Ursprung hat die Mai-Demonstration in der ehemals britischen Kolonie Australien, in welcher der Arbeiterschaft ihre ersten Teilerfolge im Kampf um den 8-Stunden-Tag gelangen. Die Steinbrucharbeiter im australischen Victoria erkämpften sich 1856 in Melbourne mit abschließendem Demonstrationsstreik am 21. April nämlich erstmals den 8-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich, der bereits mit 1.Mai desselben Jahres Gültigkeit erlangte. Ihre Kollegen in Sydney hatten diesen sogar schon ein Jahr zuvor, 1855, allerdings mit Lohneinbußen, errungen. Und dieses australische Beispiel und ersten Durchbruch hatten Hunderttausende US-amerikanische Arbeiter:innen seinerzeit auch bewusst vor Augen als sie exakt 30 Jahre später am 1. Mai 1886 in ihren mehrtägigen Ausstand für den Achtstundentag traten.
Die sog. Haymarket-Affäre
Ein Arbeitskampf, der von den US-Unternehmern sogleich mit Massenentlassungen beantwortet und, unter Zuhilfenahme von Streikbrechern und Provokateuren, schließlich im Polizeiterror ertränkt wurde. Am 3. Mai kam es in Chicago danach zu einem blutigen Zwischenfall zwischen Streikenden und der Polizei. Tags drauf, am 4. Mai fand daraufhin eine Protestversammlung auf dem Haymarket in Chicago statt. Als die Polizei anrückte wurde von gedungenen Provokateuren eine Bombe gezündet. Die Polizei eröffnet daraufhin umgehend das Feuer auf die ArbeiterInnenkundgebung (Haymarket-Massaker).
Neben den zahlreichen erschossenen Arbeitern wurde im Anschluss über acht Arbeiterführer in einem Schauprozess, obwohl ihnen keinerlei Schuld an dem Anschlag nachzuweisen war, die Todesstrafe verhängt. Trotz massiver Proteste im In- und Ausland wurde diese an vier von ihnen am 11. November 1887 vollstreckt und August Spies, Georg Engel, Adolf Fischer und Richard Parsons gehenkt. Der Zimmermann Louis Lingg wurde bereits vor seiner Hinrichtung ermordet in seiner Zelle aufgefunden. 1893 mussten die Urteile dann wegen erwiesener Unschuld aufgehoben werden.
Der Pariser Gründungskongress der Zweiten Internationale & der 1. Mai
Im unauslöschlichen Gedenken an die Chicagoer Mai-Ereignisse legte der Internationale Sozialistenkongress 1890 dann auch den 1. Mai als von nun an jährlichen internationalen Kampftag der Arbeit fest, der von der Arbeiter:innen- und Gewerkschaftsbewegung wie von der internationalen Linken und den revolutionären Befreiungsbewegungen seither begangen wird.
Bereits im Anschluss an den staatlichen Klassenterror gegen die Arbeiterschaft hatte der US-amerikanische Arbeiterbundim Jahr davorschonden 1. Mai 1890 als landesweiten Gedenktag für die Haymarket-Märtyrer beschlossen. Vor diesem Hintergrund einigten sich im Einklang damit die Delegierten des Gründungskongresses der Zweiten Internationale in Paris 1889 auf diesen Termin um „eine große internationale Manifestation zu organisieren“, und zwar, wie der französische Gewerkschafter Raymond Felix Lavigne symbolträchtig am 100. Jahrestag der Französischen Revolution (dem Eröffnungstag des Pariser Gründungskongresses), dem 14. Juli, gefordert hatte, „dergestalt, dass gleichzeitig in allen Städten an einem bestimmten Tage die Arbeiter an die öffentlichen Gewalten die Forderung richten, den Arbeitstag auf acht Stunden festzusetzen und die übrigen Beschlüsse des internationalen Kongresses von Paris zur Ausführung zu bringen“.
Der 1. Mai 1890 – epochemachend auch in Wien und Friedrich Engels Würdigung
Friedrich Engels wertete die Geburtsurkunde des 1. Mai als „epochemachend“ und nannte die „Resolution“ zum internationalen Tag der Arbeit „die beste, die unser Kongress annahm“. Entsprechen „begierig“ fieberte er dem Tag entgegen, um unter dessen unmittelbaren Eindrücken dann zu schreiben: „Heute hält das europäische und amerikanische Proletariat Heerschau über seine zum ersten Mal mobil gemachten Streitkräfte, mobil gemacht als ein Heer unter einer Fahne und für ein nächstes Ziel … Stände nur Marx noch neben mir, dies mit eigenen Augen zu sehen.“
„Für nicht wenige war der 1. Mai [dagegen] mit dem Weltuntergang gleichbedeutend“, schilderte der für seine Sozialreportagen berühmt gewordene, spätere Wiener Sozialpolitiker und Vizebürgermeister Max Winter die Stimmung im Vorfeld des 1. Mai 1890 in Österreich. Und obwohl die Herrschenden den von den „Zeitungen dem Spießer zum Morgenkaffee auftischten“ Hexensabbat am Vorabend des 1. Mai noch durch den Aufzug des Militärs einzuhegen trachteten, gingen 1890 allein in Wien über 50.000 Arbeiter:innen entschlossen und diszipliniert auf die Straße. „Feind und Freund sind sich einig darüber“, würdigte Friedrich Engels den Wiener Maiaufmarsch daraufhin, „dass auf dem ganzen Festland Österreich, und in Österreich Wien, den Festtag des Proletariats am glänzendsten und würdigsten begangen und die österreichische Bewegung erobert hat.“
Contra der Weichspülung des internationalen Kampftags zum Feiertagsbummel
Vom seinerzeitigen internationalen Kampftag der Arbeitenden seitens der Sozialdemokratie mittlerweile in einen Feiertags-Bummel bzw. eine sozialdemokratische Jubelveranstaltungen resp. rosaroten Regierungsaufmärsche wie grundsätzliche System-Akklamation verwandelt (und in Österreich von den Gewerkschaften zu alledem überwiegend wie ein Appendix der SPÖ begangen), halten heute einzig mehr die revolutionären Strömungen der Arbeiter:innenbewegung und Linken den originären Charakter des 1. Mai aufrecht.
Und das gilt seit dem historischen Sündenfall der Sozialdemokratie der Unterstützung der imperialistischen Kriegspolitik seither und gerade auch heute namentlich für die gerne ignorierten und geschichtlich entsorgten „übrigen Beschlüsse“. Allem voran für jenen des Erhalts des Friedens „als die erste und unerlässliche Bedingung jeder Arbeiteremanzipation“. Zumal die seinerzeit betonte Einsicht, dass „der Krieg, das traurige Produkt der gegenwärtigen ökonomischen Verhältnisse, erst verschwinden wird, wenn die kapitalistische Produktionsweise der Emanzipation der Arbeit und dem internationalen Sozialismus Platz gemacht hat“, leider nichts an Brisanz eingebüßt hat.
Entsprechend war der 1.Mai, dessen Abhaltung noch heute in verschiedensten Ländern blutige Auseinandersetzungen zeitigt, denn auch – so unbestreitbar zentral in eins die Forderung nach und Kampf um dem 8-Stunden-Tag an seiner Wiege stand –, von Anfang an zudem seit je ein Kampftag für Frieden und Sozialismus.