In wenigen Tagen jährt sich der 85. Jahrestag des Einmarsches der Hitler-Truppen und der Annexion Österreichs 1938. Während Kurt Schuschnigg und seine austrofaschistische Clique – die das Land schon 1936 zum „zweiten deutschen Staat“ degradiert hatten – kampflos kapitulierten, wäre die Arbeiterschaft und (illegale) Gewerkschafts- und Arbeiter:innenbewegung bereit gewesen, Österreichs Unabhängigkeit mit allen erdenklichen Maßnahmen zu verteidigen. Ein viel zu wenig bekanntes Kapitel.
Die „Denkschrift“-Aktion
Bereits im Mai 1937 überreichte – nach einem ersten Vorstoß anlässlich des Hitler-Schuschnigg Abkommens vom Juli 1936 – aufgrund der weiterenpolitischen Zuspitzungen eine in enger Verbindung mit der illegalen Gewerkschafts- und Arbeiter:innenbewegung stehende Delegation von Betriebsvertrauenspersonen Kanzler Kurt Schuschnigg eine über 100.000 Arbeiter:innen und Angestellte repräsentierende Denkschrift. Unterzeichnet von den gewählten legalen „Vertrauensmännern“ in den Werksgemeinschaften, unter denen die alten Freien Gewerkschafter:innen bei den Vertrauensmännerwahlen in der Einheitsgewerkschaft unterm Kruckenkreuz im Herbst 1936 eine nahezu Zweidrittel-Mehrheit errangen. Untermauert durch den innerhalb kürzestem erzielten Massencharakter der Denkschrift, versuchte die illegalen Freien Gewerkschaften angesichts des außerordentlichen Ernstes der Lage Brücken hinsichtlich des Kampfes gegen die Okkupation durch Nazi-Deutschland zu schlagen.
„Der Kampf um die Erhaltung eines freien, selbständigen und unabhängigen Österreich“, so das Memorandum beginnend, „ist in ein entscheidendes Stadium getreten. Die Gefahren, die Österreich bedrohen, sind bedenklich angewachsen.
Die Unabhängigkeit Österreichs kann auf die Dauer nicht durch außenpolitische Garantien geschützt werden, am allerwenigsten durch eine außenpolitische Orientierung, die Österreich letzten Endes den Machtinteressen der faschistischen Großmächte überantwortet.
Deutlicher denn je zeigt sich die Notwendigkeit, im Lande selbst die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich das österreichische Volk in seiner Mehrheit im ehrlichen Willen zusammenschließt, die Unabhängigkeit und Freiheit seines Vaterlands gegen jedermann mit allen Mitteln zu verteidigen.
Die organisatorischen und politischen Voraussetzungen dazu bestehen aber heute nicht. Nur Organisationen, in denen die Arbeiter wirklich frei und unabhängig sind, in denen sie ihr Schicksal selbst bestimmen können … können eine wirksame aktive Abwehr gegen den Nationalsozialismus, der heute die Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs am stärksten bedroht, führen.
Jeder andere Versuch zur Rettung Österreichs als das Zusammenwirken mit der Arbeiterschaft muss nach unserer Meinung scheitern … Die Arbeiter und Angestellten können nur dann in die Reihen der Verteidiger Österreichs wirksam eingegliedert werden, wenn ihnen in allen wirtschaftlichen und kulturellen Organisationen volles Selbstbestimmungsrecht gewährt wird.“
Das hieß hinsichtlich der Forderungen: freie Wahl der Gewerkschaften, Meinungs- und Agitationsfreiheit, freie Kandidatenaufstellung, eine eigene Presse, volle gewerkschaftliche Unabhängigkeit von den Unternehmen und der Regierung, eine soziale Kurswende, Wiederherstellung der seit 1934 drastisch verschlechterten Sozialgesetze, volle Bewegungsfreiheit der Organisationen und einen konsequenten Kampfum ein freies, unabhängiges Österreich, dessen staatliche Unabhängigkeit und nationale Souveränität. Während die Presse des Austrofaschismus dazu kein Wort berichtete, fand die „Denkschrift“-Aktion in ausländischen Medien und in der internationalen Arbeiter:innenbewegung hingegen starke Resonanz.
Der Kommunist und Funktionär in der illegalen Untergrundgewerkschaft, Theodor Heinisch (Mitverfasser der Denkschrift), erzählte in späteren Jahren dazu: „Der [wie gesagt, zweite] nächste Schritt wurde im Jahr 1937 gesetzt. Der Bundesvorstand der illegalen Gewerkschaften hat damals einen Beschluss gefasst, in einer neuerlichen Denkschrift gegen diese Gefahren anzutreten, diesmal in aller Öffentlichkeit. Deshalb musste der Versuch gemacht werden, diese zweite Denkschrift zu legalisieren. Das war gar nicht so einfach. Der Kollege Hillegeist ist damals zu mir ins Büro gekommen und hat mir gesagt: ‚Der Bundesvorstand ist auf die Idee gekommen, Du sollst den Versuch unternehmen‘. Das hing damit zusammen, dass wir bei den Angestellten vorher den Kampf der Versicherungsangestellten gehabt haben und wir dort imstande waren, wochenlang Aktivitäten zu setzen, die sogar bis zu Betriebsbesetzungen geführt haben, also etwas, was damals in Österreich völlig unvorstellbar war. Durch langwierige organisatorische Arbeiten ist es uns trotzdem, halb legal, halb illegal gelungen, bei einer Reihe von Betrieben die Denkschrift zu popularisieren und Funktionäre der legalen Regierungsgewerkschaft dazu zu bringen, diese Denkschrift zu unterschreiben.“
Die denkwürdige Floridsdorfer Betriebsrät:innenkonferenz Anfang März 1938
Am 7. März 1938 fand in Wien, im ehemaligen Floridsdorfer Arbeiterheim, dann jene denkwürdige Betriebsrät:innenkonferenz statt, die als „Floridsdorfer Arbeiterkonferenz“ oder „Floridsdorfer Betriebsrätekonferenz“ in die Annalen der Geschichte der österreichischen Arbeiter:innenbewegung eingegangen ist. Also bereits kurz nach dem „Berchtesgadener Abkommen“ Schuschniggs mit Hitler (12. Februar 1938), dem von Hitler diktierten Einzug nationalsozialistischer bzw. den Nazis nahestehende Minister in die Regierung (mit Arthur Seyß-Inquart als Innenminister sowie Edmund Glaise-Horstenau) und der Wiederzulassung der legalen politischen Betätigung der österreichischen Nazis, sowieder ob des bevorstehenden Endkampfes gegen die Okkupation durch Nazi-Deutschland zunehmenden Unruhe unter der Arbeiterschaft. Nach Verhandlungen mit Regierungsvertretern und einer Delegation der illegalen Arbeiterorganisationen bei Schuschnigg am 3. März (unter ihnen seitens der KPÖ Theodor Heinisch) von den illegalen Gewerkschafts- und Arbeiter:innenorganisationen vorbereitet, wurde die Konferenz vom Regime, das auch seinerseits Handlungsbedarf gewahrte, toleriert. Sie begann mit einer Gedenkminute für die Opfer des Februar 1934 und besaß den Charakter einer die Illegalität bereits augenfällig durchbrechenden Versammlung von rund 350 in einem repräsentativen Auswahlverfahren geladenen Arbeitnehmervertretern. Auf ihr traten die Vertreter des illegalen Gewerkschaftsbunds, die Revolutionären Sozialisten und Kommunisten, dementsprechend schon offen in diesem Namen bzw. auch als Parteienvertreter auf. Erstmals seit 1934 konnten sich die Vertreter der Arbeiterschaft wieder frei versammeln. „Die freie österreichische Arbeiterbewegung“, schilderte ein Teilnehmer später in seinen Erinnerungen Verlauf und Atmosphäre, „war wieder da, lebend und zuversichtlich, als ob sie nie zerschlagen oder unterdrückt worden wäre.“
Schon die Wochen davor geriet die Situation freilich bereits in Fluss und brach sich in Folge des „Berchtesgadener Abkommens“ die Abwehrbereitschaft der Arbeiterschaft immer stärker Bahn. Bereits am 14. Februar fanden aus Anlass der Ergebnisse des Schuschnigg-Hitler-Treffens in einigen Wiener Großbetrieben Proteststreiks statt. Am 24. Februar wiederum demonstrierten anlässlich einer Rede Schuschniggs vor dem Bundestag Zehntausende vor dem Parlament für die Unabhängigkeit Österreichs.Selbiges in Graz. Und darunter nicht zuletzt auch viele junge Leute sowie über die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung hinaus auch linksgerichtete Katholik:innen. Parallel sammelten die Betriebsvertrauensmänner nach einer noch im Windschatten des Regimes veranstalteten Vertrauensmännerkonferenz der staatsgewerkschaftlichen Einheitsgewerkschaft vom 17. Februar unter der Losung „Wir lassen uns nicht an Hitler verkaufen“ innerhalb nur weniger Tage mehr als eine Million Unterschriften.
Zu Beginn des Gesprächs des 20ig-köpfigen „Arbeiterkomitees“ (14 Vertreter aus Großbetrieben und weitere 6 Personen) mit Schuschnigg am Abend des 3. März wiederum, stellte Friedrich Hillegeist für die Delegation einleitend zugleich die Position der illegalen Gewerkschaftsbewegung zum austrofaschistischen „Bundeskanzler und Frontführer“ und grünen Faschismus klar: „Herr Bundeskanzler! Wenn diese Unterredung … irgendwelche Ergebnisse haben soll, so muss zwischen uns von allem Anfang an vollkommene Klarheit herrschen. Sie stehen nicht Anhängern Ihrer ‚Vaterländischen Front‘ gegenüber. Wir sind österreichische Arbeiter und vertreten hier die Massen der Arbeiterschaft … Wir kommen weder als Bewunderer zu Ihnen, noch als Freunde, sondern als überzeugte Gegner, die aber gerne einen Weg finden möchten, um die Arbeiter … in den Kampf zu führen gegen die furchtbare Gefahr, die unser Land – und vor allem die Klasse, der wir angehören – bedroht.“ Theodor Heinisch strich nach Hillegeists Hauptrede in seinem Beitrag, wie er später schilderte, „vor allem die außenpolitischen Konsequenzen … und die Frage der Kriegsgefahr“ hervor.