Weltflüchtlingstag: Die „Festung Europa“ und der barbarische globale „Limes“ des „Wertewestens“

Am heutigen Weltflüchtlingstag wird sich die Heuchelei wieder nur so über uns ergießen. Zumal vor dem Hintergrund der Tragödie der hunderten Toten Boots-Flüchtlinge vor Griechenlands Hafenstadt Pylon. Derweil zieht der „Wertewesten“ als Grenzwall einen neuen globalen „Limes“ hoch, errichtet ein regelrechtes Abschottungs- und Lagerregime und bauen die verantwortlichen politischen Figuren der EU diese zur quasi asylfreien „Festung Europa“ aus. Mit an vorderster Front der Hardliner unterschiedlichster Couleurs – nebst Italiens Regierung unter Postfaschistin Giorgia Meloni und Griechenlands konservativem Kabinett von Kyriakos Mitsotakis –, die Regierungsriegen Österreichs und als Zünglein an der Waage Deutschlands, samt grünen Nibelungengetreuen.

Wien: Großveranstaltung zum Weltflüchtlingstag, 18.00 Uhr Yppenplatz

Graz: Kundgebung zum Weltflüchtlingstag, 18.00 Uhr Lendenplatz

Klagenfurt: Kundgebung zum Weltflüchtlingstag, 16.00 Uhr AlterPlatz/Pestsäule

Besonders infam darunter wieder einmal das europäisch-internationale Gesicht „unserer westlichen Werte“, Annalena Baerbock, die sich für den zwar „schwierigen“ aber „richtigen Kompromiss“ der Aushebelung des Asylrechts und der rigorosen Abschottung Europas seither unermüdlich ins Zeug legt. Solange sie auf dem globalen Parkett die sogenannten „westlichen Werte“ wie eine Monstranz vor sich hertragen und als Konfrontations- und Kriegserklärungen gegen alle dem „Wertewesten“ zu wenig kooperativen Länder und Regionen herbeizitieren darf, können diese in der westlichen Hemisphäre derweil doch ruhig in Grund und Boden gestampft werden. 

Nach dem kurzen Aufflackern von Ansätzen einer menschlichen Asylpolitik 2015, notierte der integerste Kopf der „Süddeutschen Zeitung“, Heribert Prantl bereits im Jänner 2016: „Der bisher noch halb verdeckte Rassismus wird offen, und der schon bisher offene Rassismus wird zum Getöse.“ Und hinsichtlich des heute allseits im Mund geführten Unworts „Wirtschaftsflüchtling“ bemerkte er schon damals: „Erst macht der Westen die Wirtschaft der Entwicklungsländer kaputt und wenn die Menschen dann, weil sie nicht verrecken wollen, aus ihren Ländern fliehen, werden sie als Wirtschaftsflüchtlinge diffamiert.“

Zwischenzeitlich hat die EU das Mittelmeer in ein regelrechtes Massengrab verwandelt und die EU-Außengrenzen mittels eines dicht gestaffelten Eisernen Vorhang aus Stacheldraht und militärischen Grenzanlagen sowie einer mörderischen Kanonenboot-Politik (FRONTEX, Küstenwachen) sowie dreckigen Deals mit Despoten und autoritären Regimes abgeschottet, ihre diesbezüglichen ‚Außengrenzen‘ damit quasi in die Türkei, Libyen bis in den Niger externalisiert, und rückt den verbliebenen Schutzsuchenden systematisch auch militärisch zu Leibe. Gegenwärtig wird von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gerade der EU-Grenzschutz-Preis der europäischen Abschottung und Flüchtlingsabwehr mit Tunesien verhandelt.

Es liegt auch nicht lange zurück (Herbst 2021), als Warschau zur Generalmobilmachung gegen die Schutzsuchenden an polnisch-belarussischen Grenze geblasen hatte. Polnisches NATO-Militär ist gegen Flüchtlinge angerückt, die Grenzschutzeinheiten und Polizei wurden massenhaft aufgestockt und auch die EU-Grenzschutztruppe Frontex meldete sich assistenzbereit. Über das Grenzgebiet wurde der Ausnahmezustand verhängt. Und doch ist es im Taumel über die „westliche Wertegemeinschaft“ und den globalen Kampf um „unsere Werte“ bereits wieder ebenso weitgehend in Vergessenheit geraten, wie das Flüchtlingsmassaker an der Grenze Marokkos zur spanischen Enklave Melilla (im Juni 2022) durch die berüchtigte Guardia Civil Spaniens und die marokkanische Gendarmerie sowie den anschließenden Glückwünschen des seinerzeitigen spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez an die spanischen Einsatzkräfte und marokkanische Polizei samt Dank an deren König Mohammed VI.

Dass sich in diesem unsäglichen Zynismus zugleich die „neue Phase“ in den Beziehungen Spaniens und der EU zu Marokko, die letztes Jahr von der „EU-Wertegemeinschaft“ mit ihrer „neuen Marokko-Politik“ aufgeschlagen wurden, widerspiegelt, sei vorliegend zumindest vermerkt. Deren erstes Opfer wiederum wurde die Frente Polisario in der Westsahara. Denn in eins damit wurde das Selbstbestimmungsrecht der Sahauris, der letzten Kolonie Afrikas, nun auch von dessen ehemaliger Kolonialmacht Spanien und Brüssel quasi offiziell ad acta gelegt und die Westsahara dem marokkanischen Expansionismus übergegeben. Die beiden Beispiel mögen für die Unzahl weiterer stehen, die hier aufzuzählen jeden Rahmen sprengen würde. Klar ist indes:An den Händen der ökonomischen und politischen Eliten der Festung Europa klebt immer mehr Blut. „Das gut recherchierende Projekt ‚Migrant Files‘“ etwa, „geht davon aus, dass von 2004 bis 2019 bis zu 80.000 Flüchtende allein im Meer gestorben sind – dazu käme noch einmal mindestens die gleiche Opferzahl in Folge von Verdursten, Verhungern und Ermordungen“, so der Journalist David Goeßmann, um den zu verantwortenden Blutzoll des europäischen Abschottungsregimes etwas deutlicher vor Augen zu führen

Und die Krise verschärft sich noch, wie UN-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi gerade erklärte. Die Welt verzeichnete 2022 erstmals über 100 Millionen Menschen, „die aufgrund von Konflikt, Verfolgung, Diskriminierung und Gewalt geflohen sind, oftmals in Verbindung mit anderen Motiven, insbesondere den Folgen des Klimawandels.“ Es gibt, so der Hochkommissar, immer mehr und vertracktere Krisen, aber kaum Lösungen. Nötig seien mehr Anstrengungen, nicht zuletzt zur Beendigung von Kriegen und den Folgen des Klimawandels, um die Fluchtursachen zu bekämpfen sowie den Flüchtenden beizustehen. Das Drama der zugespitzten Situation „ist ein Armutszeugnis für den Zustand unserer Welt.“

Parallel dazu haben sich die EU-Innenminister nach rund zwei Jahrzehnten Verhandlungen ihrerseits gerade das „Gemeinsame Europäische Asylsystem“ (GEAS) auf den Weg gebracht und damit die EU faktisch zur asylrechtsfreien Zone erklärt. Mit Internierungslagern außerhalb der EU und ersten Schnellverfahren an der Grenze (ohne weitere Evaluierungen der individuellen Fluchtgründe und ordentliche Asylverfahren als sogenanntes Screening um Flüchtende mit „geringen Aufnahmechancen“ erst gar nicht in die EU gelangen zu lassen), umgehende Rückschiebungen in vermeintlich „sichere Herkunftsländer“ bzw. „sichere Drittstaaten“ (deren Kriterien begleitende gesenkt wurden um sie deutlich auszuweiten), die Möglichkeit dreimonatiger Freiheitsberaubungen für Kinder, Freikauf für Nicht-Aufnahmen (bzw. auch einfach Gegenrechnung der Beteiligung am Außengrenzenschutz zur „Flüchtlingsbekämpfung“ bzw. „Flüchtlingsabwehr“ wie es in militärischen Jargon vielfach unverblümt heißt) … Na, da lassen sich mit Weihen Brüssels ja sogleich die Grenzzäune, gegebenenfalls bis zu ‚smarten‘ Pushbacks als Ausgleichstaxe gegenrechnen. Und mit dem „AI Act“ rollt bereits der Einsatz Künstlicher Intelligenz und die Gesichtserkennung zur Abschottung von Flüchtlingen hinterher.

Parallel brüllte die neue US-Vizepräsidentin Kamala Harris, wie an der Spitze eines Miliz-Aufmarsches der „Proud Boys“ und „Oath Keepers“ stehend, über die Grenzmauer zu Mexiko den Flüchtenden zu: „Kommt nicht, wir schieben euch ab!“. Der pazifische Hauptvertreter des „Wertewestens“ Australien wiederum, errichtete auf seinen vorgelagerten Pazifikinseln im „Niemandsland“ ein outgesourctes Lagersystem, das in beinahe unsäglichem Ausmaß allen humanitären Standards und Usancen spottet.

Dabei streben und gelangen, entgegen der hysterischen Debatten in Europa, nur ein Bruchteil der Fliehenden in den Globalen Norden resp. die EU. „Zwei Drittel der Schutzsuchenden bleiben als Binnenflüchtlinge in anderen Teilen ihrer Herkunftsländer. Von den ins Ausland Geflohenen harren wiederum 70 Prozent in der Hoffnung auf eine baldige Heimkehr in Nachbarländern aus“, wie Nick Brauns unterstreicht. Oder Letztere betreffend vielleicht nochmals eindringlicher: „86% der internationalen Flüchtlinge werden von Ländern des Südens aufgenommen“, so auch Kerem Schamberger die Verhältnisse zurechtrückend. Es sei ein Mythos, betonte denn auch Hochkommissar Filippo Grandi, dass die Flüchtlinge vor allem in den Globalen Norden strebten, gar ‚strömten‘.

In einer regelrechten babylonischer Sprachverwirrung sprechen gleichzeitig zwar fast alle politischen Akteure von der Notwendigkeit, die Fluchtursachen zu bekämpfen, verfehlen aber deren systemimmanenten Kern und einheitliche Klammer von sich gegenseitig durchdringenden und hochschaukelnden Ursachen aus: Kriegen, geschürten bewaffneten Konflikten, „Regime-Change“-Operationen, Verheerungen ganzer Gesellschaften in „failed states“, geopolitischen Destabilisierungen, offenen und versteckten Unterstützungen und Instrumentalisierungen autoritärer Herrscher, Warlords und marodierenden Mörderbanden, Wirtschaftskrise(n), neokolonialen Handelsbeziehungen, Herrschaftsanspruch über Ressourcen, Wirtschaftskriegen und Sanktionsgefechten, struktureller sowie patriarchaler Gewalt, Armut, Elend, Hunger und sich verschärfende Umweltzerstörungen und Klimakatastrophen, die immer mehr Menschen zum Verlassen ihrer Heimat zwingt. Imperialistische Interventions- und Kriegspolitik, das entfachte unerbittliche Armageddon um die Aufrechterhaltung der Vorherrschaft der imperialistischen Kernländer, globaler Kapitalismus und Neokolonialismus markieren so das wesentliche Fluchtursachengeflecht. Kurz, in Abwandlung Horkheimers: „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte von Fluchtursachen schweigen“. Will man mithin die Fluchtursachen tatsächlich bekämpfen und nachhaltig beseitigen, muss man das kapitalistische Globalsystem mit dem ihm eingeschriebenen Aggressions- und Ausbeutungsverhältnissen sowie Verheerungsprozessen überwinden. Bis dahin stehen die westlichen Metropolen als hauptsächlicher Verursacher in der unabweisbaren Pflicht, sichere Fluchtmöglichkeiten zu schaffen, möglichst viele Flüchtlinge aufzunehmen, diese menschenwürdig unterzubringen und ihnen Perspektiven zu eröffnen.

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