Sri Lanka am Scheideweg

Nach monatelangen Protesten und landesweiten Streiks sowie Revolten und dem Sturm des Präsidentenpalastes aufgrund des in die schlimmste Wirtschaftskrise seit seiner Unabhängigkeit von Großbritannien 1948 gerutschten Landes, hat sich der im Volksaufstand („Janatha Aragalaya“) am vorletzten Samstag (9.7.) gestürzte Präsident und Ex-Militär Sri Lankas Gotabaya Rajapaksa fluchtartig ins Ausland abgesetzt und ist zurückgetreten. Am Mittwoch wird sein Nachfolger gewählt. Die Gewerkschaften bereiten sich unterdessen bereits auf die bevorstehenden Folgekämpfe vor.

Die soziale Krise und erodierten Verhältnisse im Land, in dem es seit Monaten wirklich an allem fehlt oder dieses schlicht unerschwinglich geworden ist, treffen die singhalesisch-buddhistische Bevölkerungsmehrheit im 22 Millionen Einwohner zählenden Inselstaat gleichermaßen wie die Tamilen und Moors bzw. Hindus, Muslime und Christen, die gegen die Verarmung denn auch vielfach zusammen im Kampf standen. Ein Umstand, der im über Jahrzehnte von den Herrschenden nationalistisch und ethnisch gespaltenen Land mit seiner brutalen Unterdrückung der tamilisch-hinduistischen und muslimischen Minderheiten kaum hoch genug bewertet werden kann.

Entsprechend reichte auch die Streikfront vom öffentlichen Dienst und den Krankenhäusern, über die Fabriken, Geschäfte, privaten Verkehrsmittel, Busse, Bahnen, Banken, die Post- und Telekommunikationsdienste, Büros, das Bildungswesen bis in die Teeplantagen der Hochebenen. Ende April und Anfang Mai kulminierten diese in den ersten landesweiten Generalstreiks seit vier Jahrzehnten, ergänzt noch um sogenannte „Hartal“, d.h.: auch Schließung der Kleinbetriebe.

Obgleich mit dem Aus des korrupten Gotabaya-Familien-Clans, der das Land in eine Art familiären Selbstbedienungsladen verwandelte, nun freilich auch die Differenzen innerhalb der heterogenen Opposition stärker hervortreten, hat der „Aragalaya“ (Kampf) mit dessen Sturz auch für die marxistisch-leninistische Volksbefreiungsfront (JVP; Janatha Vimukthi Peramuna) sein erstes, vorrangiges Ziel erreicht und den Weg zu einer neuen Etappe in der Auseinandersetzung um die Zukunft des Inselstaats geöffnet – wie der Vorsitzende der JVP Anura Kumara Dissanayake (Bild) erklärte.

Der Gotabaya-Clan stellte mit Gotabaya Rajapaksa (der neben seiner srilankischen beiher auch über eine US-amerikanischen Staatsbürgerschaft verfügt und mit beträchtlichen Vermögenswerten und Reichtümern im Gepäck von einer Militärmaschine ausgeflogen wurde) nicht nur den Präsidenten des Landes, sondern mit dessen älteren Bruder Mahinda Rajapaksa lange zugleich auch den Premier, sowie weitere Brüder und Neffen als Minister – und findet sich zudem auch in den Pandora Papers prominent wieder.

Beobachter erwarten für die unmittelbare Nachfolge im Präsidentenamt einen Zweikampf zwischen dem bisherigen parlamentarischen Oppositionsführer Sajith Premadasa, der Gotobaya Rajapaksa bei den Präsidentschaftswahlen 2019 unterlegen war, und dem als Interimspräsident eingesetzten Premier Ranil Wickremesinghe (der als erst vor zwei Monaten als Premier ernannter Vertrauter Gotobaya Rajapaksas selbst an einen geheimen und sicheren Ort gebracht wurde). Aber auch Dullas Alahapperuma aus den Reihen der (bisher) regierenden Partei SLPP (Sri Lanka Podujana Peramuna) ist noch im Spiel. Die JVP lehnen alle drei strikt ab und schickt Anura Kumara Dissanayake ins Rennen. Parallel laufen zwischen den wichtigsten Oppositionsparteien zugleich Beratungen über die etwaige Bildung einer Allparteienregierung. Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Sri Lankas, Weerasumana Weerasinghe, bekundete die Gesprächsteilnahme an den Sondierungen über eine solche.

Update 19.7.: Sajith Premadasa hat zwischenzeitlich seine Kandidatur zurückgezogen und erklärt, seine Partei werde bei der parlamentarischen Abstimmung den früheren Bildungsminister Dullas Alahapperuma unterstützen.

Allerdings: Um dem Kollaps und der sozialen wie humanitären Katastrophe zu begegnen, braucht es zugleich einen Ausbruch des mittlerweile in die Staatspleite gerutschten Landes aus der Schuldknechtschaft und Finanznot. Bereits Mitte Jänner wurde auf breiter Front vor einer Welle an Staatspleiten des Globalen Südens gewarnt. Ein neuer Höhepunkt einer drohenden Pleitewelle, die sich aktuell zu einem regelrechten Tsunami über den Globalen Süden hochschaukelt. Während die politischen Eliten des Metropolenkapitalismus von ihrer „regelbasierten Welt(un)ordnung“ schwadronieren, stehen 135 der 148 Low- und Middle Income Countries (also der gemessen am Pro-Kopf-Einkommen Länder niedrigen und mittleren Einkommens) vor der Staatspleite. Sri Lanka galt diesbezüglich unter Finanzexperten schon lange als Kandidat für einen Staatsbankrott. Nach medial eher stiefmütterlichen Randberichten über die Pleiten Sambias, Belizes und Surinams hievten die Sozialrevolten in Colombo im März das Thema etwas stärker in die Schlagzeilen. Jedoch nur punktuell. Berichte zu anderen Pleitekandidaten suchte und sucht man in den Mainstream-Medien bis heute weitgehend erfolglos.

Sri Lanka selbst ist zwischenzeitlich nicht nur zahlungsunfähig seinen Schuldendienst zu leisten, sondern müsste noch dieses Jahr ein Gros seiner Auslandsschulden und bis 2026 seine Gesamtschulden zurückzahlen. Runde 80% der srilankischen Auslandsschulden halten dabei die Finanzmarkt-Player der USA, der EU, Großbritanniens und Japans: von BlackRock, über die Allianz, HSBC, bis JPMorgan – und natürlich die Weltbank, die das Land zusammen mit dem Weltwährungsfonds bereits mehrmals durch die Mangel von deren Strukturanpassungsprogrammen pressten.

Die Forderung nach einem Schuldenerlass der Verbindlichkeiten mit Beteiligung privater Gläubiger, oder Tacheles geredet: einen Schluss der Tributzahlungen ans internationale Finanzkapital und globale Finanz-Casino fand der gerade tagende Ausschuss des westlichen Kapitals – genannt G7 – allerdings nicht einmal der Behandlung wert.

Die revoltierenden Massen Sri Lankas, die Jugend und oppositionellen und linke Kräfte des Landes haben allerdings schon klargestellt: „Wir werden unseren Kampf fortsetzen“. Auch die Gewerkschaften bereiten sich bereits intensiv auf neue Generalstreiks vor, sollte der Volksaufstand keine radikale Wende zeitigen.

Ähnliche Beiträge

Gefällt dir dieser Beitrag?

Via Facebook teilen
Via Twitter teilen
Via E-Mail teilen
Via Pinterest teilen