Gen. Hüseyin ist nach zweieinhalb Monaten U-Haft wieder auf freiem Fuß.
Das Gericht verurteilte ihn zwar zu sechs Monaten bedingter Haft. Der Schöffensenat sprach ihn, stellvertretend für die gesamte antifaschistische Bewegung justiziell vor den Kadi geführt, aber von der Anklage des Landfriedensbruchs, verschärft um den Tatbestand der Rädelsführerschaft, frei. Eine Niederlage der Staatsanwaltschaft, die getrieben von Hans-Peter Kronawetter seit längerem eine rigorose Kriminalisierung des antifaschistischen Protests betreibt. Und ein wichtiger Markstein im Kampf gegen den Gummiparagraphen 274 “Landfriedensbruch“.
An Hüseyin sollte, nach der skandalösen Verurteilung von Josef S., ein weiteres Exempel der Kriminalisierung des antifaschistischen Protests und des Demonstrationsrechts statuiert werden. Ein Exempel, das nicht „nur“ darauf abhob in Hüseyin einen vermeintlichen „Rädelsführer“ dingfest zu machen und tausende DemonstrantInnen zu kriminalisieren.
Sondern ein Exempel, das die Demonstrationen gegen den Burschenschafter-Ball am 24.1. und die Demonstration gegen die Identitären am 17.5. unter das Generalverdikt des Landfriedensbruchs subsumiert und damit offen das Demonstrationsrecht angreift. So heißt es denn auch in der Anklageschrift ganz generell: Hüseyin habe „wissentlich an einer Zusammenrottung einer Menschenmenge (teilgenommen), die darauf abzielte, dass unter ihrem Einfluss, Körperverletzungen (§§ 83 bis 87) und schwere Sachbeschädigung (§ 126) begangen werden, und zwar 1. am 24.01.2014 als Teilnehmer an der Gegendemonstration gegen den Wiener Akademikerball“, sowie „2. am 17.05.2014 als Teilnehmer der Demonstration `Offensive gegen Rechts´“. „Zusammenrottung(en)“, wie die Staatsanwaltschaft suggeriert, „hunderter Demonstranten … um in dieser Zusammenrottung Auseinandersetzungen mit und Gewalttätigkeiten gegen Polizeibeamte zu suchen.“ Für Hans-Peter Kronawetter grosso modo „Menschenmengen“, die geradezu „beseelt von den gleichen gesetzwidrigen Vorstellungen und Vorhaben“ wären. So auch die unterstellte Intention Hüseyins. „Der Angeklagte … hatte … die Absicht sich diesen Demonstrationen anzuschließen. Von Anfang an hatte er auch die Absicht sich an der Zusammenrottungen hunderter Demonstranten anzuschließen mit dem Ziel in dieser Zusammenrottung Gewalttaten gegen einschreitende Polizeibeamte zu setzten.“ Und: „Dafür war er mit Fahnenstangen aus Holz ausgerüstet.“ (!)
Ein weiteres im Prozess hervorgezaubertes Steckenpferd des Staatsanwalts, die seit Jahrzehnten und Jahrhunderten bei jeglicher Manifestation gebräuchlichen Demo-Utensilien nunmehr als gefährliche Schlag- und Stoßwaffen zu diffamieren.
Daß die Staatsanwaltschaft, wider besseres Wissens, für den Vorwurf des Landfriedensbruchs dann auch noch die beiden Gegendemonstrationen am 24.01.2014 zu „der Gegendemonstration gegen den Wiener Akademikerball“ zusammennahm, um die durch die Medien gegangenen Sachbeschädigungen Hüseyin, der an einer anderen Demonstration, anderen Orts teilnahm, gleich mit ans Zeug zu flicken, entbehrt nicht einer gewissen bewussten Infamie.
Dieser grotesk gestrickten Anklageschrift erteilte Richter Andreas Böhm mit seinem Freispruch vom Vorwurf des zweifachen Landfriedensbruchs denn auch eine klare Absage. Desgleichen des Versuchs der Staatsanwaltschaft im Zuge des Prozesses dann kleinere Ausschreitungen einer Handvoll Personen in „Landfriedensbruch“, sowie Gestikulationen und das Rufen von Parolen in „Rädelsführerschaft“ umzudeuten.
Weitgehend ausgeblendet in der medialen Berichterstattung bleibt der Umstand, dass Hüseyin wegen seines angeblichen Widerstands gegen die Staatsgewalt anlässlich seiner Verhaftung am 4.Juni für fast drei Monate in U-Haft sitzen musste. Ein Vorwurf, von dem er gänzlich freigesprochen wurde – und dies nicht zuletzt auf Grundlage des WEGA-eigenen Videomaterials sowie der geradezu schreiend widersprüchlichen Aussagen der ihn beschuldigenden Beamten.
Freisprüche, die als Marksteine zu sehen sind, jedoch nicht das Ende der Fahnenstange bedeuten: Eine Reihe weiterer Prozesse stehen bevor. Das Delikt des „Landfriedensbruchs“ ist nach wie vor nicht vom Tisch. Die Staatsanwaltschaft zimmert mit dem Vorwurf der „Störung einer Versammlung“ schon an der nächsten Verurteilungskeule.
Trotz der offensichtlichen politischen Order, den progressiven und antifaschistischen Protest im rot-grünen Wien von der Straße zu verdrängen, zu kriminalisieren und justiziell zu verfolgen, lassen wir uns unser Recht auf Widerstand nicht nehmen. Wir schließen uns vollinhaltlich Hüseyins Schlusserklärung in seinem Prozess an: Es gilt, um eine klassenlose Gesellschaft, Frieden, eine Welt ohne Grenzen und ohne Kriege zu kämpfen. Es lebe die Gerechtigkeit und die Geschwisterlichkeit der Völker!
Hoş geldiniz, yoldaş Hüseyin!
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lautend auf: Selma Schacht
Presselinks:
http://www.vice.com/alps/read/Prozess-gegen-Hueseyin-C
http://derstandard.at/2000004471942/Sechs-Monate-bedingt-fuer-gewalttaetigen-Demonstranten
http://www.heute.at/news/oesterreich/wien/art23652,1056868
http://www.linkswende.org/7129/Niederlage-fuer-Politjustiz-Hueseyin-vom-Landfriedensbruch-freigesprochen
http://www.österreich.at/nachrichten/6-Monate-Haft-fuer-Ball-Demonstranten/154702341
http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wien/stadtpolitik/?em_cnt=652790
http://www.nachrichten.at/nachrichten/chronik/Akademikerball-Prozess-Sechs-Monate-bedingt;art58,1472568
http://diepresse.com/home/panorama/wien/3855952/AkademikerballProzess_Sechs-Monate-bedingt-?from=suche.intern.portal
http://www.servustv.com/at/Medien/Servus-Journal100 (am Minute 6.40)
http://tvthek.orf.at/program/Wien-heute/70018/Wien-heute/8312924/2-Urteil-nach-Demo-gegen-Rechts/8315384
Aufzeichnung eines Pressegesprächs mit Can Tohumcu (ATIGF), Hüseyin S. (der nicht rechtskräftig verurteilte Antifaschist), Nadir Aykut (KOMintern) und Gerhard Mack (KOMintern), von Radio Orange: http://cba.fro.at/266296