Diesen Sonntag 21. April vor exakt 25 Jahren (1998) zwangen wachsende Proteste und Studentenunruhen den Kommunisten-Schlächter und despotischen Langzeit-Diktator Indonesiens sowie vielfach geehrten Freund und intimen Partner wie Verbündeten des Westens General Haji Mohammed Suharto zum Rücktritt. Kurz davor war es unter seiner Regentschaft noch zu einem Massaker an StudentInnen und unter seinem bei der GSG 9 in der BRD eine Sonderausbildung erhaltenen habenden Schwiegersohn General Prabowo Subianto zu einem Pogrom an der chinesischen Minderheit des Landes gekommen. Aus dem kollektiven Gedächtnis weitgehen getilgt, steht die von den „westlichen Wertegemeinschaft“ tatkräftig (mit)orchestrierte und vorangepeitschte Machtübernahme Suhartos 1965/66 in untrennbarer Verknüpfung mit dem bis dahin größten Massenmord nach dem Zweiten Weltkrieg, der binnen eines Jahres zwischen 500.000 bis 1 oder 2 Millionen KommunistInnen, oder was man dafür hielt, in einer an „Hitlers Verbrechen“ gemahnenden „Schlächterei“ (wie die CIA in Dokumenten für den internen Dienstgebrauch formulierte) dahinmetzelte.
„Die Vereinigten Staaten“ aber, so der US-amerikanische Historiker Bradley Simpson, „zeigten sich über die Massenmorde in Indonesien geradezu begeistert.“ Australiens Premier Harold Holt erklärte seinerseits überhaupt öffentlich: „Nach der Tötung von 500.000 bis eine Million kommunistischer Sympathisanten kann ich mit Sicherheit davon ausgehen, dass [unter General Suharto, Anm.] eine Neuorientierung stattgefunden hat.“ Und Deutschlands Botschafter in Jakarta, Kurt Luedde-Neurath wiederum dozierte ohne sich groß ein Blatt vor den Mund zu nehmen: „Eines können wir von diesem Einschnitt im staatlichen Leben Indonesiens mit Sicherheit sagen: Es war nicht gegen uns und gegen die freie Welt gerichtet. Die Hunderttausenden umgebrachten Kommunisten … hat … neue Kräfte freigesetzt.“ In dieser unsäglichen Traditionslinie rühmte sich Jahre später denn auch noch Deutschlands Kanzler Helmut Kohl unumwunden und stolz seiner „Männerfreundschaft“ mit dem Despoten und ‚Garant‘ des festen Bündnisses Indonesiens mit der „freien Welt“. Freilich, das war auch den Verantwortlichen in den Hauptstädten der „westlichen Wertegemeinschaft“ klar, handelte es sich um ein apokalyptisches Massaker. Aber, so ein Indonesien-Experte des State Department in einem Interview trocken: „Keinen [in der westlichen Welt, Anm.] kümmerte das, solange es sich um Kommunisten handelte, die abgeschlachtet wurden.“ Entsprechend titelte die New York Times nach Ende des „großen Schlachtens“ mit der unverhohlenen Schlagzeile „Ein Lichtschimmer in Asien“ („A Gleam of Light in Asia“). Denn, wie der US-Historiker John Roosa den bluttriefenden geopolitischen „Erfolg“ Washingtons auf den Punkt brachte: „Fast über Nacht verkam die indonesische Regierung von einer leidenschaftlichen Stimme gegen Imperialismus und für Neutralität im Kalten Krieg [unter dem in eins mit dem Massenmord an den KommunistInnen gestürzten Präsident Sukarno, Anm.] zu einem stillen, gefügigen Partner der US-Weltordnung.“
Die Kommunistische Partei Indonesiens, PKI, – die als integraler Bestandteil des politischen Lebens und des antikolonialen Kurses den links-nationalen Präsident Sukarno unterstützte, von ihm umgekehrt wohlwollend geduldet war und die beide punktuell auch zusammenarbeiteten – war davor mit 3,5 Millionen Parteimitgliedern und 20 Millionen Mitgliedern in den parteinahen Verbänden (darunter der Gewerkschaft SOBSI, der Volksjugend Pemuda Rakyat, der Frauenbewegung Gerwani sowie der Bauernfront BTI, aber etwa auch der Kulturorganisation LEKRA sowie Organisationen der KünstlerInnen und Intellektuellen) die nach der KPdSU und der KP Chinas weltweit drittgrößte kommunistische Partei. Nach Ende der unter maßgeblicher Involvierung Washingtons, Londons, Canberras, aber auch Bonns und anderer geführten „Operasi Penumpasan“ – „Operation Ausrottung“, wie sie das indonesische Militär intern nannte – war sie allerdings nicht nur brachial zerschlagen, sondern ihre Kader und maßgeblichen AktivistInnen betreffend wortwörtlich weitestgehend ausgelöscht.
Gefahr, dafür und seine 32 Jahre währende Schreckensherrschaft jemals zur Rechenschaft gezogen zu werden, bestand für den indonesischen Schlächter, Diktator und Vasallen des Westens selbst nach der weltpolitischen Zäsur 1989/91 schon allein aufgrund der engen wie durchgängigen Verstrickungen der „westlichen Wertegemeinschaft“ in seine Blut-Ära nie – bis hin zu Einverleibung Ost-Timors als Provinz Indonesiens unter US-Präsidenten Gerald Ford. Nach seinem Rücktritt war er zwar „plötzlich Privatmann, blieb aber juristisch unbehelligt und starb 86jährig am 27. Januar 2008 in einem Krankenhaus“, wie auch der Journalist Thomas Berger gerade unterstrich. „Um schätzungsweise mehr als 70 Milliarden US-Dollar soll seine Familie die Staatskasse vor allem in den letzten Jahren seiner Herrschaft erleichtert haben.“ Suharto blieb selbst dagegen sakrosankt.
Mehr als Anlass genug, die apokalyptische Schlächterei und einen der größten Massenmorde des 20. Jahrhunderts dem Vergessen zu entreißen und jenes „mörderische Programm Washingtons“ das „unsere Welt bis heute prägt“ – wie der Journalist und ehemalige Auslandskorrespondent der Washington Post, der New York Times und des The Guardian, Vincent Bevins, sein jüngst auch auf Deutsch erschienenes Buch „Die Jakarta Methode“ untertitelte – näher in Augenschein zu nehmen. Dies ist im Detail jedoch zweier Folgebeiträge vorbehalten. Zum Jahrestag des Sturzes Suhartos 1998 wollen wir dieses Horrorkapitel und antikommunistische Massenmordprogramm Washingtons in den Nachkriegsjahrzehnten das „unsere Welt bis heute prägt“, zunächst einmal mit einer gekürzten Besprechung von Vincent Bevins‘ ebenso wichtigem wie empfehlenswertem und dazu gut lesbarem wie äußerst reichhaltigem Buch (allein der „Anmerkungs“-Apparat umfasst 41 Seiten) von Gerhard Feldbauer aus der JungeWelt vom 20.2. 2023 in dessen zugleich explizit „globalen Ansatz“ gleichsam aufstoßen:
Gestapelte Leichen
Unter dem Titel »Die Jakarta-Methode« hat der Journalist Vincent Bevins (…) wesentliche Aspekte der Geschichte antikommunistischer Gewalt nach dem Zweiten Weltkrieg rekonstruiert. Im Zentrum steht dabei der 1965 von den USA inszenierte Sturz der Sukarno-Regierung in Indonesien und die buchstäbliche »Liquidierung« der dortigen kommunistischen Partei (PKI). Hier wurde »ein koordiniertes Ausrottungsprogramm« umgesetzt, das »vorsätzlichen Massenmord« vorsah. Schätzungsweise zwischen 500.000 und einer Million Menschen wurden ermordet, eine weitere Million »in Lager gepfercht«.
Der Offizier Sarwo Edhie brüstete sich damit, »das Militär habe drei Millionen Menschen getötet«, so der Autor: »Es stapelten sich so viele Leichen, dass die Flüsse verstopften und sich ein erbärmlicher Gestank über das Land legte«. Die meisten Mitglieder des Politbüros und des Zentralkomitees der PKI wurden umgebracht oder verhaftet, »die Schätzungen über die Anzahl getöteter Parteimitglieder reichen bis hin zu mehreren Hunderttausend«. Das traf eine Partei, die, so Bevins, »legal und ideologisch flexibel war« und »den bewaffneten Kampf ablehnte«. Politisch ging es darum, das »blockfreie Indonesien auf einen prowestlichen Kurs zu bringen und die größte kommunistische Partei außerhalb Chinas und der UdSSR auszuschalten«.
Bevins stützt sich auf freigegebene Dokumente, Archivmaterial und Augenzeugenberichte aus zwölf Ländern. Er legt dar, dass die »Jakarta-Methode« auch in anderen Teilen der Welt praktiziert und zwischen 1945 und 1990 in von den USA geförderten antikommunistischen Vernichtungsprogrammen unterschiedlichen Umfangs in mindestens 23 Ländern umgesetzt wurde. (…)
Der Autor geht auch auf die historischen Wurzeln der antikommunistischen Mordkampagne Washingtons ein, die »genaugenommen lange vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen« habe: In Mittelamerika und der Karibik, wo US-Marines fast routinemäßig »intervenierten«. Bevins betont, es sei nach 1945 keineswegs so gewesen, »dass die Sowjetunion weltweit die Revolution vorantrieb«. Stalin hatte nicht die Absicht, »in Westeuropa einzumarschieren«, sondern forderte im Gegenteil die griechischen Kommunisten auf, »sich zurückzuhalten«, und hielt die italienischen und französischen Kommunisten dazu an, »ihre Waffen niederzulegen«.
Bevins führt an, dass der salvadorianische Bürgerkrieg rund 75.000 Menschenleben forderte, in Argentinien »20.000 bis 30.000 Zivilisten umgebracht« wurden und im USA-Krieg in Vietnam »drei Millionen Vietnamesinnen und Vietnamesen« starben, zwei Millionen davon zivile Opfer. In Südvietnam führte das US-Militär ab 1967 die sogenannte Operation Phoenix durch, bei der Zehntausende Zivilisten auf schwarze Listen gesetzt und ermordet wurden. Der Autor nimmt auch die US-Ausbildungsstätten unter die Lupe, in denen die Kader für Umstürze und Mordprogramme ausgebildet wurden.
Die von Bevins dargelegten Ereignisse führten zur Entstehung eines Netzwerks des systematischen Massenmordes, das im »Westen« nahezu unbekannt ist – obwohl es, wie es im Titel heißt, entscheidend die Herausbildung der Welt prägte, in der wir heute leben.
Im II. und III. Teil werden wir uns dann eingehender dem heute im kollektiven Gedächtnis des Westens, vielfach auch jenem der westeuropäischen Linken, kaum mehr bekannten antikommunistischen Massenmord der „Operation Ausrottung“ selbst, der Rolle des „Werte-Westens“ und der geopolitischen Zusammenhänge dahinter widmen.
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