Der Weg in den Austrofaschismus und der heroische 12. Februar 1934 – Teil II

„Um die Jahreswende 1933/34 trat der von der Front der Reaktion verfolgte Kurs auf Schwächung, Zurückdrängung und Zerschlagung der Arbeiterbewegung in sein letztes, entscheidendes Stadium“ (Hans Hautmann), welches darin kulminierte, dass der bewussteste Kern der Arbeiter:innen, Schutzbündler und Kommunist:innen in sozusagen letzter Minute noch gemeinsam den bewaffneten Widerstand gegen das Vordringen des Faschismus wagten.

Die Faschisierung des politischen Systems, der Betriebe, Arbeiterkammer und Gewerkschaften die „die Industrie so viele Jahre angestrebt hat“

Nach der „Ausschaltung des Parlaments“ regierte Dollfuß auf Grundlage des “kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz“ (von 1917) mit einer „Notverordnungsdiktatur“ – und setzte als eine der ersten Maßnahmen die Einschränkung der Sozialgesetze und eine Notverordnung über das Streikverbot (= eine Einschränkung des bisherigen Streikrechts) durch. Am 1. Jänner 1934 wiederum setzte Dollfuß Regierungskommissäre für die Arbeiterkammern ein und ernannte Verwaltungskommissionen – die Freien Gewerkschaften waren in diesen Ausschüssen nicht mehr vertreten.

Kurz zuvor, im Dezember 1933, neun Monate nach Dollfuß‘ Staatsstreich, erklärte der Vorsitzende des Hauptverbandes der österreichischen Industrie in zwar etwas holpriger Sprache aber sichtlich zufrieden und vielsagend: Engelbert Dollfuß hat mit seinem antiparlamentarischen Putsch und diktatorischen Notverordnungsregime jenen Weg eingeschlagen, „den die Industrie so viele Jahre angestrebt hat und [vor ihm] niemals zu einem Ergebnis gekommen ist, weil ein [sprich: als solcher] falscher Parlamentarismus jeden gesunden Gedanken aus demagogischen Gründen zunichte gemacht hat.“

Parallel machten sich die austrofaschistische Regierung und der Industriellenverband daran, die Heimwehr – über ihre Funktion als Terrortruppe auf den Straßen und Teil der Regierung – zudem in eigene „gelbe“, faschistische Organisationen in den Betrieben fortzuschmieden. Also in sogenannte „werkbejahende“ Gemeinschaften, die sich im Gegensatz zu den „werkverneinenden“ Freien Gewerkschaften, durch einen betriebsfaschistischen „Werkspatriotismus“ auszeichnen sollten.

Der 12. Februar 1934 und sein historisches Vermächtnis

„Um die Jahreswende 1933/34 trat der von der Front der Reaktion verfolgte Kurs auf Schwächung, Zurückdrängung und Zerschlagung der Arbeiterbewegung in sein letztes, entscheidendes Stadium“, so der marxistische Historiker Hans Hautmann schon vor Jahrzehnten. „Die Unterdrückungsmaßnahmen der Dollfuß-Regierung folgt nun, ohne die noch 1933 üblichen längeren oder kürzeren Atempausen, Schlag auf Schlag und wurden von Tag zu Tag verschärft.“ Vizekanzler Emil Fey ließ mit hilfspolizeilichen Funktionen ausgestattete Heimwehrtruppen aufstocken und verlegte Anfang 34 starke Abteilungen in alle Industriegemeinden. Anfang Februar gingen die Heimwehren dann zur Offensive über und forderten (mit Ausnahme Wien) die faktische Übernahme der Landesregierungen durch autoritär-faschistische „Landesausschüsse“ sowie die endgültige Zerschlagung der letzten noch bestehenden Organisationen der Arbeiter:innenbewegung. Am 11. Februar hielt Vizekanzler Emil Fey dann seine berühmt-berüchtigte Rede in Langenzersdorf, in der er verkündete: „Im Übrigen werden wir morgen an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten!“ Das meinte nicht weniger als die Vollendung der im „Korneuburger-Eid“ beschworenen Installierung einer faschistischen Diktatur.

Während die sozialdemokratische Parteiführung weiter beschwichtigte, zauderte und zurückzuweichen trachtete, verfassten der oberösterreichische Schutzbundführer Richard Bernaschek mit fünf engen Vertrauten – unter maßgeblicher Mitinitiative des BR-Vorsitzenden der Steyr-Werke Gustl Moser, das Signal zum Kampf zu geben – noch am 11. Februar einen Brief an Otto Bauer. „Wenn morgen, Montag, in einer oberösterreichischen Stadt mit einer Waffensuche begonnen wird, oder wenn Vertrauensmänner der Partei- bzw. des Schutzbundes verhaftet werden sollten, wird gewaltsamer Widerstand geleistet werden. Dieser Beschluss sowie die Durchführung ist unabänderlich. Wir erwarten, dass, auf unsere telefonische Mitteilung nach Wien, ‚Waffensuche hat begonnen, Verhaftungen werden vorgenommen‘, Du der Wiener Arbeiterschaft und darüber hinaus der gesamten Arbeiterschaft das Zeichen zum Losschlagen gibst. Wir gehen nicht mehr zurück.

Otto Bauer war entsetzt und kabelte umgehend nach Linz: „Das Befinden des Onkel Otto und der Tante wir sich erst morgen entscheiden. Vorläufig noch nichts unternehmen.“ Die Würfel unter den konsequentesten Teilen der Arbeiter:innenklasse waren indes gefallen. „Als am frühen Morgen des 12. Februar 1934 sich in Linz Schutzbündler unter der Führung Richard Bernascheks einer Waffensuche der Polizei in der Landesparteizentrale im Hotel Schiff auf der Landstraße bewaffnet entgegenstellten“, nochmals mit Hans Hautmann zusammenfassend, „begann ein vier Tage währender blutiger Bürgerkrieg. Der Kampf stand durch die Schuld und Versäumnisse der sozialdemokratischen Führung von Beginn an unter äußerst ungünstigen Voraussetzungen: Die meisten höheren Schutzbundkommandanten waren schon vorher verhaftet worden, wodurch viele geheime Waffendepots unzugänglich blieben; der unbedingt notwendige Generalstreik der Masse der Werktätigen kam nicht oder nur lückenhaft zustande; das Bundesheer konnte über die Eisenbahn ungehindert ihre Truppen in die Kampfzentren verlegen; wo man sich an den Sammelpunkten bewaffnete, wurde in der Regel der Befehl befolgt, von den Waffen erst dann Gebrauch zu machen, wenn die Exekutive angreifen sollte; diese Orientierung überließ die Initiative dem Gegner, und es gelang deshalb den Aufständischen nirgends, größere geschlossene Verbände zum Angriff zu führen. Trotz dieser denkbar schlechten Umstände lieferten die Arbeiter und Schutzbündler den an Zahl und Ausrüstung überlegenen Regierungsstreitkräften erbitterten Widerstand. Brennpunkte der Kampfhandlungen waren die Arbeiterbezirke Wiens, in Oberösterreich Linz, Steyr und das Kohlenrevier des Hausruckviertels, in der Steiermark die Vororte von Graz und das obersteirische Industriegebiet mit Bruck an der Mur.“ Kleinere bewaffnete Auseinandersetzungen fanden aber auch etwa in namentlich Ternitz, in Gebiet St. Pölten und in Wörgl und andernorts statt.

„Der bewaffnete Arm der bürgerlichen Staatsmacht, das Bundesheer, die Polizei, die Gendarmerie und die als Hilfstruppe eingesetzten austrofaschistischen Heimwehren gingen im Februar 1934 gegen die Arbeiter mit äußerster Härte und Brutalität vor. Die Wohnhäuser der Arbeiter in Wien, Linz, Steyr, Bruck an der Mur standen unter stunden-, oft tagelangen Artilleriebeschuss, der auch Frauen und Kinder in Mitleidenschaft zog. Auf die Wiener Gemeindebauten sind im Verlauf der drei Kampftage nicht weniger als 613 Granaten abgefeuert worden, die schwere Schäden anrichteten. In Holzleiten im Hausruck sind sechs an den Kämpfen unbeteiligte Arbeitersanitäter auf die Bühne des Arbeiterheims getrieben und von einem Peloton des Bundesheeres niedergeschossen worden. Gefallene Schutzbündler ließ man zur Abschreckung tagelang auf den Straßen liegen. Gefangengenommene Arbeiter wurden von Heimwehrlern und Polizisten oft halbtot geprügelt. Im standrechtlichen Verfahren wurden vom 14. bis zum 21. Februar 1934 21 Todesurteile verhängt und an neun Personen durch Erhängen vollstreckt. Einer davon, der Wiener Schutzbündler Karl Münichreiter, der der Exekutive schwerverletzt in die Hände gefallen war, wurde auf einer Tragbahre zum Galgen geschleppt und gehenkt. Über 10.000 Februarkämpfer, Schutzbündler und Arbeiterfunktionäre wurden verhaftet; von diesen hat man 1200 Personen zu schweren Kerkerstrafen in der Höhe von 1400 Jahren verurteilt. Die zivilisierte Welt war starr vor Erstaunen und Entsetzen, was im Land der angeblichen Walzerseligkeit und Heurigenverbrüderungsstimmung möglich war.“

Natürlich bestand die übergroße Mehrheit der Kämpfenden, Gefallenen und Inhaftierten der Februartage aus dem klassenbewusstesten Kern sozialdemokratischer Arbeiter, Arbeiterinnen und Schutzbündlern. Zugleich, und gern unterschlagen, war der Anteil der Kommunist:innnen gemessen am Stärkeverhältnis zwischen KPÖ und Sozialdemokratie überproportional, fanden diese als die Stunde schlug zum gemeinsamen Widerstand zusammen und traten aus den Lehre jener historischen Prüfung in den Monaten nach dem 12. Februar etwa 12.000 bis 13.000 ehemalige linke bzw. konsequente sozialdemokratische Arbeiter:innen der bis dahin um die 3.000 bis 4.000 Mitglieder zählenden illegalen kommunistischen Bewegung bei

Die Bedeutung des 12. Februar bleibt – zumal vor dem historischen Hintergrund der nur kurz zuvor erfolgten, schmählichen, kampflosen Kapitulation der großen, traditionsreichen deutschen Sozialdemokratie vor Hitler – von seiner Niederlage unberührt. An ihm schritten die konsequenten Teile der Arbeiter:innenklasse zum bewaffneten Kampf gegen den Dollfuß-Faschismus. In fast ganz Österreich stellten sich Arbeiter mit der Waffe in der Hand der Errichtung der faschistischen Diktatur entgegen. Ein, trotz der Niederlage, geradezu heroisches Kapitel der Geschichte der österreichischen Arbeiter:innenbewegung mit wirkmächtiger, internationaler Ausstrahlung und Verdienst jenes klassenbewussten Kerns der österreichischen Arbeiterschaft, der den sozialdemokratischen Beschwichtigungs-Hofräten und der Stimmung der Resignation widerstand.

Die Hauptursache für die Niederlage des 12.Februar-Kampfes lag denn auch in der Kapitulationspolitik der sozialdemokratischen Partei- und Gewerkschaftsführung (samt der ausschließlich defensiven Ausrichtung des Republikanischen Schutzbundes). Deren dauernde Rückzüge vor der Offensive der Reaktion hat die Kampfkraft der Massen systematisch untergraben und immer tiefer demoralisiert. Und die Vorstellung, man können nach jahrelanger Kapitulationspolitik plötzlich die Massen auf Knopfdruck mobilisieren und siegen, hat sich vorhersagbar blamiert. Stärker noch: „Wäre es“, um nochmals mit Hans Hautmann zu sprechen, „nach dem Willen der sozialdemokratischen Führer gegangen, dann hätte ein 12. Februar 1934 in der Form nie stattgefunden.“

Der bewaffnete Kampf der Februarkämpfer blieb ohne Unterstützung eines Generalstreiks und Verbindung mit Massenaktivitäten. Die Schutzbündler und Kommunisten, die im Februar 1934 in sozusagen letzter Minute dann noch gemeinsam den bewaffneten Kampf wagten, blieben isoliert und unterlagen.

Neben dem bulgarischen Septemberaufstand 1923, war der 12.Februar (vorm Spanischen Bürgerkrieg) nichts desto trotz der erste Versuch, den Vormarsch des Faschismus in einem heroischen, bewaffneten Kampf aufzuhalten.

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