Der seit 26. März 2015, und damit heute seit acht Jahren, tobende Krieg einer Militärkoalition unter Führung Saudi-Arabiens – unterstützt von den USA, Großbritannien und Frankreich – und das seitens des Scheichtums in Riad verhängte allumfassende Embargo über den Jemen (zu Land, zur See und zu Luft), hat das ärmste Land der arabischen Welt lt. UNO in den gegenwärtig größten humanitären Katastrophen-Hotspot des Globus verwandelt. Ein nichts desto weniger von vielen zu Recht gleichzeitig als der „vergessene Krieg“ bezeichnetes Dauerbombardement, das medial maximal einmal zu diesem oder jenem Ereignis kurz aufflackert. Dabei vermeldete der „Guardian“ bereits einen Tag nach Kriegsbeginn: „Die USA haben ihre Beteiligung an der außergewöhnlichen internationalen Militärallianz bestätigt.“
Angriffskrieg, Stellvertreterkrieg und Eigendynamiken
In den Medien wenn überhaupt dann meist als „Stellvertreterkrieg“ Saudi-Arabiens und der Emirate sowie einer sunnitisch geprägten Allianz der Golfstaaten auf Seiten Abd-Rabbu Mansur Hadi bzw. seit letztem April des Hadi nachgefolgtem sogenannten Präsidialrats gegen den Iran und die von ihm unterstützten schiitischen Huthi-Rebellen (Ansarollah) verkürzt, liegen Hintergründe und reale Verhältnisse indes viel komplexer. Weder sind die Akteure im Jemen bloße Marionetten ausländischer Regionalmächte, noch mangelt es diesem Krieg in seinen acht Jahren an Eigendynamiken, oder lässt er sie sich überhaupt auf die Dichotomie Huthis versus Hadi-Regierung bzw. nunmehrigem Präsidialrat reduzieren (gar noch als Kampf der Huthi-Rebellen gegen die „international anerkannte jemenitische Hadi-Regierung“ oder neuerdings „international anerkannten“ aber ebenso nicht gewählten Präsidialrat verkürzen), noch spielt darin der Iran die ihm zugeschriebene Rolle. Wenngleich Teheran die Huthis unterstützt, sind dessen Beziehungen zu den Huthi-Rebellen weder mit der Enge zu Kräften in anderen Regionen des Nahen und Mittleren Ostens gleichzusetzen, ist der Iran seinerseits auch nicht im engeren Sinne militärisch in den Krieg verstrickt und hat das „Mullah-Regime“ zudem wenig unmittelbaren Einfluss auf das Geschehen. Dass die Dinge weit komplizierter liegen, zeigt schon allein ein Blick auf die Südbewegung, die um ihre erneute Eigenstaatlichkeit streitet. Die Republik Jemen entstand erst im Mai 1990, aus den beiden zuvor eigenstaatlichen Nord- und Südjemen, genauer: der Jemenitischen Arabischen Republik im Norden und der Volksdemokratischen Republik Jemen im Süden. Die sich 2007 formierte Südbewegung und der Südjemen boykottierten denn auch die Wahl Hadis zum Nachfolger des durch die Protestbewegungen und Wellen des Unmuts im Kontext des „Arabischen Frühlings“ gestürzten Langzeitdiktators Ali Abdallah Saleh (dessen amtierender Stellvertreter Hadi seit 1994 gewesen war) – der seit den 2000er Jahren auch bereits sechs Kriege gegen die Huthi-Bewegung führte und dabei eng mit den USA kooperierte. Letztere tat sich darin überdies auch durch Drohnenangriffe auf für Washington neuralgische Ziele hervor, die unter den von Barack Obama befohlenen „Kill Missions“ – nur Tage nach dessen Erhalt des Friedensnobelpreises 2009 in Oslo – in eine neue Dimension gehievt wurden. Jahrzehntelang politisch, gesellschaftlich und von der ökonomischen Entwicklung ausgeschlossen, begehrten die mehrheitlich der schiitisch zaiditischen Glaubensrichtung angehörenden Huthis bereits seit den 1990er Jahren immer stärker gegen die Diktatur Salehs auf. Seit 2007 kam im Jemen zudem die sogenannte Südbewegung gegen die zunehmende Dominanz des Nordens, die Benachteiligungen, Missstände und Entwindung ihres rohstoffreichen Gebiets durch Saleh-Parvenüs (80% des jemenitischen Erdöls liegt im Südjemen) dazu. Saleh ging gegen die Proteste, Streiks und entflammenden Bewegungen mit brutaler Hand vor. Dass die nach Salehs Sturz (der aufgrund einer ihm gewährten und garantierten Immunität im Land verbleiben konnte) föderalere staatliche Strukturierung des Jemens unter Hadi gegen den Widerstand der SüdjemenitInnen den Südjemen nochmals in zwei Regionen teilte, befeuerte deren Unabhängigkeitsbestrebungen nur noch zusätzlich. Aber auch die in der Region Saada ihr angestammtes Ursprungsgebiet habenden Huthis kamen mit der neuen föderalen Strukturierung nochmals zusätzlich unter die Räder. Dem von ihnen als Hauptpunkt angestrengten und geforderten Zugang zum Roten Meer wurde von der Hadi-Regierung kein Jota Rechnung getragen.
Lage, Fronten und Verheerungen
Aber selbst diese wenigen Hinweise genügen nicht. Die Lage, Fronten und Verhältnisse im und um den Jemen liegen in Wirklichkeit noch viel komplexer. So haben sich die Huthis zum Sturz der korrupten und ungeliebten Regierung Hadis zunächst mit ihrem einst härtesten Widersacher, Ex-Präsident Saleh, zusammengetan, sind gemeinsam zügig nach Norden vorgestoßen und haben im Herbst 2014 die Hauptstadt Sanaa eingenommen sowie Hadis Abdankung erzwungen. Dieser nahm wenig später seinen Rücktritt zurück, hat sich im Anschluss dann 2015 nach Saudi-Arabien abgesetzt und führt seither aus dem Exil heraus zusammen mit der saudisch geführten Militärkoalition den Krieg um den Jemen mit. Diese sich bereits seit acht Jahren dahinziehende Militäroffensive wiederum zielt nicht nur, wie medial verkürzt gezeichnet, auf die Huthis, sondern ebenso auf die SüdjemenitInnenen – die zwar auch ihrerseits gegen einen Vormarsch der Huthis nach Süden mit diesen im Kampf stehen, mit ihren Unabhängigkeitsbestrebungen jedoch gleichzeitig auch im konträren Gegensatz zu Hadi und Saudi-Arabien sowie dessen Marionette des Präsidialrats. Dazu gesellen sich auch noch eine Reihe weiterer lokaler Gruppen (wie etwa Tihama-Bewegung oder die Kräfte in al-Mahara), auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann, sowie die – vor allem im Zentraljemen – über starken Einfluss verfügenden jemenitischen Muslimbrüder (Islah-Partei), als gleichzeitigem Erzfeind der Emirate und Saudi-Arabiens (wobei die Saudis, im Unterschied zu den Vereinigten Emiraten, um die Aufrechterhaltung ihrer Hegemonie über ihren Hinterhof Jemen willen, auch mit den Milizen unter Einfluss der Islah-Partei kooperieren) – sowie zahlreiche islamistische Kampfverbände unterschiedlicher Interessen und internationaler Söldner. Im August 2016 etablierten die Huthis, die zu diesem Zeitpunkt bereits einen Großteil des Jemens kontrollierten, dann auch offiziell eine Gegenregierung, die sogenannte „Regierung der nationalen Rettung“. Als Ex-Präsident Saleh 2017 die hochfragile Koalition mit den Huthis schließlich aufkündigte, liquidierten ihn die Huthi-Rebellen kurzerhand. Im Südjemen etablierte sich im selben Jahr ein institutionalisierter „Südübergangsrat“ als politische Struktur des Südens. In dessen Gemengenlage existieren wiederum gewisse Kongruenzen, aber auch spezifische Konfliktlinien mit den geopolitischen Interessen der Vereinigten Arabischen Emirate, die vorrangig auf den Südjemen (beispielsweise den Hafen von Aden für ihre regionale Seehandelsposition) ausgerichtet sind und sich seit 2019 denn auch stärker auf den Süden fokussierten und sich aus den Kampfhandlungen des Zentraljemen zurückzogen. Zudem suchten die Vereinigten Arabischen Emirate im Kampf um den Jemen den Konflikt mit dem Iran möglichst nicht zusätzlich zu eskalieren und haben letztes Jahr Vorjahr auch wieder einen Botschafter nach Teheran entsandt (wenngleich auch Riad seit einigen Jahren um bessere diplomatische Beziehungen zu Teheran bemüht ist und aktuell vor deren Wiederaufnahme steht). Katar, eine Kriegshauptmacht der ersten Stunde, schied 2017 aufgrund der Risse in der Allianz aus der Militärkoalition aus. Die Hauptkraft des Kriegs gegen den Jemen – in seinem Bestreben, seine traditionelle Einflusssphäre mit aller Macht wieder in den Griff zu kriegen weidlich unterstützt von den USA, Großbritannien und Frankreich – ist zweifellos das saudische Königshaus, das sein Nachbarland mit seinem angeführten Luftkrieg, den jahrelangen Dauerbombardements und Raketenangriffen sowie verhängtem Embargo regelrecht verheert hat – darunter natürlich auch die lebenswichtige Infrastruktur des Landes, die Flughäfen und Häfen, das Energieversorgungsnetz, die Kraftwerke, Krankenhäuser und Schulen, Wasserversorgung, Verkehrsnetze, Tankstellen, aber auch Flüchtlingslager, Moscheen, Hochzeiten, Beerdigungen, …
Die lt. UNO „größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit“ & die Kernländer des westlichen Imperialismus
Weitgehend unter dem Radar der medialen Öffentlichkeit wird dem Jemen mit Unterstützung des Westens das Lied vom Tod gespielt. Auch der ab 2. April des Vorjahres in Kraft getretene vorübergehende Waffenstillstand, der noch zwei Mal bis Anfang Oktober verlängert wurde, brachte die Waffen nie zum Schweigen, wenngleich die Intensität des Kriegsgeschehens abnahm. Die Ansarollah beschuldigte die saudische Kriegskoalition, die Waffenruhe allein mit Luftangriffen mehrere tausend Male gebrochen zu haben. Nach UN-Angaben wurden im dem mit dem Siegel der „westlichen Wertegemeinschaft“ zertifizierten Langzeitkriegs bereits über 400.000 JemenitInnen getötet. Insgesamt mehr als 13 Millionen JemenitInnen leiden unter Hunger, darunter zig Millionen unmittelbar vom Hungertod bedrohten jemenitischen Männer, Frauen, Kinder und Alte. 21 Millionen JemenitInnen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. 2,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren sind unterernährt und etwa 11.000 dem blutigen Waffengang bereits zum Opfer gefallen. Ihre noch lebenden AltersgenossInnen kennen überhaupt nur Krieg. Über 2,3 Millionen Kinder leben in Flüchtlingslagern. Die Vereinten Nationen nennen die Lage im Jemen denn auch ausdrücklich die „größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit“. Entsprechend sind rund 80% der EinwohnerInnen des kriegsgebeutelten Landes auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter 11 Millionen Kinder. Gleichzeitig kündigte das UN-Welternährungsprogramm allerdings wegen fehlender Finanzierung schon im Vorjahr eine Kürzung an. Aktuell steht dazu auch die medizinische Versorgung unmittelbar vor dem Kollaps, wie Ärzte ohne Grenzen gerade Alarm schlugen. Die jüngste „internationale Geberkonferenz“ verlief zwischenzeitlich jedoch noch katastrophaler. Trotz noch so eindringlichen Appells von UN-Generalsekretär Guterres und des UN-Kinderhilfswerks UNICEF, sowie Dutzender NGOs konnten so wenig Mittel wie noch nie für die unabdingbare Nothilfe aufgebracht werden (Guterres nannte dies schockiert ein „Todesurteil“), während parallel die Rüstungsausgaben weltweit in einer neuen Hochrüstungsspirale durch die Decke schießen und zur weiteren Beförderung der Rüstungsprofite „86 Prozent aller an die acht Anti-Jemen-Koalitionäre gelieferten Waffen aus Ländern des nordatlantischen Kriegsbündnisses (stammen)“, wie Jakob Reimann in der jw gerade taxierte. Und fährt in seinem Schwerpunkt zu Jemen-Krieg fort: „Doch die westliche Unterstützung der saudischen Kriegskoalition erstreckt sich nicht nur auf Waffenlieferungen, sondern auch auf eine Vielzahl weiterer Arenen. Unangefochten hier selbstredend die USA. Jährlich werden Hunderte saudischer Soldaten in den Vereinigten Staaten ausgebildet; kein anderes Land der Welt erhält von Washington mehr gewöhnliche Einreisevisa als die Golfmonarchie. Über mehrere Kriegsjahre hinweg betankte die US Air Force die saudischen Kampfjets bei ihren Todesflügen über die endlosen Weiten der Arabischen Wüste hinweg. Jetzt bewältigen die Saudis diese Operationen selbst – das Pentagon hat es ihnen beigebracht. Zusammen mit britischen halfen US-amerikanische Generäle von Anfang an bei der Auswahl der Ziele im Jemen. Immer wieder hielten Washington und London Riad auch auf dem diplomatischen Parkett den Rücken frei – stellten sich im UN-Sicherheitsrat schützend vor ihren lukrativsten Waffenkäufer, bügelten selbst rein auf humanitäre Hilfe ausgerichtete Resolutionen.“ Deutschland hat diesen Herbst unterdessen – im diametralen Gegensatz zu den vor den Wahlen von Annalena Baerbock und den Grünen namentlich posaunten Rüstungsexportstopp an Saudi-Arabien und dem außenpolitischen Motto „keine Waffenlieferungen in Kriegsregionen“ – Exportgenehmigung für Munition und Kampfjets an die Militärkoalitionäre Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate bewilligt, nicht zuletzt um sich saudischem Öl und Wasserstoff zu versichern. Paris kurz davor seine Söldner der geradezu symbolisch für den französischen Kolonialismus stehenden Fremdenlegion in den Jemen entsandt, um seine LNG-Claims im Land auf Kolonialherrenart zu sichern.
Westliche Heuchelei und Zynismus, ein Land am Abgrund und ein schwacher Hoffnungsschimmer
Sevim Dagdelen äußerte dazu vor nicht langem zu Recht: „Die Kriegstoten der Scheichs zählen … ganz offensichtlich weniger oder nichts im Unterschied zu den Kriegstoten Putins im Zuge der Ukraine-Invasion. Das zeugt von rassistischer Ignoranz und einem offensichtlich rein taktischen Verhältnis zu Menschenrechten“. „Der Zynismus westlicher Komplizenschaft an der Zerstörung des Jemen sprengt jede Grenze“, so ebenso Jakob Reimann. Vom Westen vergessen und verdrängt, ist der Jemen-Krieg in anderen Weltregionen allerdings fest im kollektiven Gedächtnis der Menschen eingebrannt und die ebenso schmähliche wie heuchlerische Rolle des Westens glasklar bewusst. Und während seitens des Westens Vermittlungsbemühungen auch hinsichtlich des Jemens ein vollständiges Fremdwort waren und sind, könnte zur Überraschung des westlichen, globalstrategischem „Grand Chess Game“, gerade die Annäherung der beiden Erzrivalen Saudi-Arabien und Iran für den Jemen eine neue Friedensperspektive eröffnen.