Quer durch die Länder des kapitalistischen Globalsystems drohen massive Gefahren von rechts-außen, teils gar mit erheblichem direkt faschistischem oder halbfaschistischem Potential. Ein Rechtsruck, der allenthalben auch die Sozialdemokratie mit besorgter Miene auf den Plan ruft, aber auch ihre Krux demonstriert – aktuellst in der Türkei vorexerziert.
Ein spätkapitalistischer Angriff auf die demokratischen Institutionen und errungenen demokratischen Rechte, der auf europäischer Ebene begleitet wird von einer zunehmenden Aushöhlung des Parlamentarismus, sowie einer verstärkten politischen Entsouveränisierung und supranationalen Entdemokratisierung der EU-Mitgliedsstaaten.
Ein Kontext, hinsichtlich dessen es allemal lohnt, sich auch die historischen Erfahrungen der Geschichte des Sozialdemokratismus in Erinnerung zu rufen.
Dem vom ständigen Terror begleiteten austrofaschistischen „Staatsstreich auf Raten“, kulminierend in Dollfuß’ Ausschaltung des Parlaments am 7. März 1933, der daraufhin auf Boden des „Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes“ regierte, begegnete die österreichische Sozialdemokratie bekanntlich mit einer „Abwarte-“ und „Gewehr-bei-Fuß“-Politik. Eine Politik, die sich als nicht imstande erwies, auch nur die parlamentarisch-bürgerliche Demokratie erfolgreich zu verteidigen und in der Niederlage des Februar ´34 mündete.
Noch blutiger tobte der faschistische Terror nach der Machtübertragung an Hitler am 30. Jänner 1933 bereits in Deutschland. Dennoch gelang es dem Hitlerregime auch unter diesen Ausnahmebedingungen nicht, bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 eine absolute Mehrheit im Reichstag zu erringen. Um sich, unterstützt von willfährigen Kollaborationskräften, dennoch eine Zweidrittelmehrheit für die Annahme einer Verfassungsänderung zu sichern, erklärte die Nazi-Regierung am 9. März gegen jedes Recht und Gesetz die 81 Reichtagsmandate der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) für ungültig und annulliert. Mit der durch diesen Handstreich geschaffenen Mehrheit verabschiedete der Reichstag dann am 23. März mit den Stimmen der NSDAP, Deutschnationalen, Deutschen Volkspartei, dem Zentrum und der Deutschen Staatspartei, das „Ermächtigungsgesetz“, das Hitler als Ermächtigungskanzler inthronisierte. Einzig die verbliebenen Abgeordneten der SPD stimmten gegen diesen Staatsstreich – ließen Hitler aber zuvor bei dessen Annullierung der KPD-Mandate gewähren. Der Vorschlag „im Reichstag auf diese Angelegenheit einzugehen, wurde“, wie der damalige SPD-Parlamentarier Hoegner später ausführte, „von der großen Mehrheit der Fraktion abgelehnt“ – obschon man in der SPD über den Charakter dieses faschistischen Coups klar im Bilde war.
„Die Reichsregierung“, so Hoegner, „hatte ursprünglich beabsichtigt, die Kommunistische Partei noch vor den Wahlen am 5. März 1933 zu verbieten und die kommunistischen Kandidatenlisten für ungültig zu erklären. Aber da sie annahm, dass dann ein großer Teil der kommunistischen Wähler ihre Stimme den sozialdemokratischen Kandidaten geben würde, war sie davon wieder abgekommen. Dafür schaltete sie jetzt die Kommunisten unter Verfassungsbruch aus.“
Dass es dahingehend noch schmählicher geht, bewies gerade die kemalistische, sozialdemokratisch orientierte CHP in der Türkei – als Mitglied der sozialdemokratischen Sozialistischen Internationalen (SI) wie assoziiertes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Europas (EU-Fraktion SPE) bei ihrer österreichischen Schwesterpartei SPÖ gern gesehener Partner. Anstatt sich gegen Erdogans Coup zu stemmen, peitschte dieser gerade mit maßgeblicher Schützenhilfe der CHP eine Verfassungsänderung, um die linke pro-kurdische Opposition ins Gefängnis zu bringen und aus dem Parlament zu fegen. Mindestens 17 Abgeordnete der CHP haben für die von Erdogan initiierte, allem voran gegen die HDP gerichtete putschistische Massenaufhebung der Abgeordnetenimmunität gestimmt und ihm damit aktiv zur Zweidrittelmehrheit seines kalten Staatsstreichs verholfen. Dass deren Vorsitzender Kemal Kilicdaroglu und gleichzeitiger Vizepräsident der sozialdemokratischen Internationale (SI) darin zwar ein gegen die Verfassung gerichtetes Mittel zur Ausschaltung des Parlaments erblickte, den Präsidial-Putsch aber dennoch befürwortete, spricht Bände.
Ein Vorgang, der fast unwillkürlich an geschichtliche Erfahrungen gemahnt. So hat denn auch der deutsche Journalist Roland Etzel in einem Kommentar auf Parallelen den Finger gelegt: „Es ist eine Form der Entmündigung, was das türkische Parlament am Freitag an sich selbst verübt hat. Ohne die Singularität deutscher Historie in Zweifel zu ziehen, erinnert die Abstimmung von Ankara fatal an ein gewisses Ermächtigungsgesetz unseligen Angedenkens. Auch die Abgeordneten der türkischen Regierungspartei AKP haben ihrem Gebieter auf dem Staatspräsidenten-Thron ihr politisches Mandat ohne Not als eine Art Morgengabe kredenzt – Erdogan, befiehl …“.
„Noch trauriger als die politische Selbstentleibung der AKP-Mandatsträger ist aber“, so Etzel zurecht weiter, „dass auch die noch immer als sozialdemokratisch orientiert geltende Volkspartei – bis dato eigentlich auch Opposition – auf ganzer Linie einknickte und damit dieser schaurigen Inszenierung erst zum Erfolg verhalf. Die CHP-Vertreter hoben damit die Hand gegen jene HDP, mit deren gewählten Vertretern man noch vor einem halben Jahr bereit war, eine Regierung gegen die AKP zu bilden, wenn es denn prozentual gereicht hätte. Den HDP-Abgeordneten droht nun das Gefängnis.“
Ob dieser schmähliche Akt der CHP in der sozialdemokratischen Familie von SI, SPE und SPÖ allerdings irgendwelche Konsequenzen zur Folge haben wird, scheint zweifelhaft….
G.M.