1945, der Zusammenhang zwischen Faschismus, dem verheerenden Weltkrieg, der Nazi-Barbarei sowie rigorosem Zivilisationsbruch einerseits und dem Großkapital als Urheber und Nutznießer auf der anderen Seite war verbreitete Einsicht. Damit stellte sich auf dem hinterlassenen Trümmerhaufen des Faschismus mit neuem Gewicht die Frage nach der künftigen gesellschaftlichen Ordnung. Umso aufschlussreicher ist es auch heute noch, sich vor Augen zu führen, welche Ansichten und Zukunftsvisionen selbst die führenden Repräsentanten der SPÖ und ÖVP in jenen Tagen vertraten bzw. äußerten.
In der ersten Ausgab der nach der Befreiung wieder erschienen „Arbeiter-Zeitung“ hieß es in einem Aufruf des SPÖ-Vorstands etwa: „Die kapitalistische Wirtschaftsordnung … hat den Faschismus gezeugt als ihr legitimes Kind. Der Faschismus aber hat zum Zweiten Weltkrieg und zur Katastrophe geführt. In dieser Katastrophe ist in den besiegten Ländern die kapitalistische Wirtschaftsordnung selber zerbrochen. Soll sie nun wieder aufgebaut werden? … Nie und nimmer!“
Schon Mitte April schrieb Kanzler Renner in seinem berühmten Brief an Stalin: „Das Vertrauen der österreichischen Arbeiterklasse insbesondere in die Sowjetrepublik ist grenzenlos geworden.“ Und betonte zur „Neugründung der Republik“: „Dass die Zukunft des Landes dem Sozialismus gehört, ist unfraglich und bedarf keiner Betonung.“
Aber auch seitens der ÖVP vernahm man in jenen Monaten der Befreiung und allgegenwärtigen neuen Einsichten in den Zusammenhang von Faschismus, Krieg und Kapital fortschrittliche, ja antikapitalistische Töne. Lois Weinberger, im illegalen christlichen Widerstand aktiv, Unterstaatssekretär der Regierung, Minister ohne Portefeuille und Mitbegründer sowie Vizepräsident des neugegründeten ÖGB resp. Gründer des ÖAAB sagte im Oktober 1945: „Wir sind gegen jeden Kapitalismus und sind bereit, auch in der Wirtschaftsplanung neue Wege zu gehen.“
Selbst der spätere Bundeskanzler und Vorsitzende des Wirtschaftsbundes Julius Raab erklärte im Dezember 1945„namens der ÖVP klar und eindeutig, dass die ÖVP niemals gewillt ist, ein Werkzeug irgendwelcher hochkapitalistischer Interessen zu sein“.
Und Bundeskanzler Leopold Figl verkündete in seiner Regierungserklärung am 21. Dezember 1945 bekanntlich feierlich: „Das Österreich von morgen wird ein neues, revolutionäres Österreich sein …“
In diesem Klima erhob Leopold Figl denn am 27. April auch das Glas bei einem Empfang mit Marschall Tolbuchin mit den Worten: „Ich hebe das Glas auf die Freundschaft Österreichs mit allen Völkern“.
Und noch Jahre nach der Wende in den „Kalten Krieg“ klangen im Zusammenhang der Erklärung der österreichischen Neutralität wichtige historische Einsichten aus den imperialistischen Völkergemetzel und dem faschistischen Inferno des Ersten und Zweiten Weltkriegs sowie der Konfrontations- und Kriegspolitik im Zeitalter des Imperialismus nach.
Entsprechend führte der damalige ÖVP Bundeskanzler Julius Raab in der Nationalratssitzung zum Neutralitäts-Beschluss in ebenso bemerkenswerten und heute geradezu denkwürdigen Worten aus: „Unsere Neutralität ist keine provisorische, widerrufliche Beschränkung unserer Souveränität, die wir etwa unter dem Zwang der Verhältnisse widerstrebend auf uns genommen haben, sondern die Basis für eine Außenpolitik, die unserer Heimat und unserem Volk für alle Zukunft Frieden und Wohlstand gewährleisten soll.“ Mit der Neutralitätserklärung, so Raab weiter, beginne eine neue Epoche, die Österreich mit dem aufrichtigen Willen beschreite, um durch die Neutralität und eine Neutralitätspolitik „nicht nur uns und unseren Nachbarstaaten, sondern darüber hinaus der ganzen Welt zu nützen.”
Diese Bedeutung und Motivlage nach noch frischer Erinnerung der Verheerungen und schuldhaften Verbrechen der zweimaligen Juniorpartnerschaft in den beiden Weltkriegen um Großmachtsinteressen wurde auch im Zuge des Bundesgesetzes, mit dem man zehn Jahre später den 26. Oktober zum Nationalfeiertag erklärte, noch einmal ausdrücklich unterstrichen: Das Neutralitätsgesetz bilde die Grundlage dafür, „für alle Zukunft und unter allen Umständen die Unabhängigkeit zu wahren” und einen „wertvollen Beitrag zum Frieden in der Welt leisten zu können.”
Während sich in den Wochen der Befreiung und anschließenden Monaten das Diktum Max Horkheimers gleichsam unabweisbar Bahn brach: „Wer nicht vom Kapitalismus reden will, soll vom Faschismus schweigen“, verschütteten die Apologeten des Systems diese Einsicht mehr und mehr, ja kehrten es mit der Zeit ins gerate Gegenteil um: „Wer hier schon weiter unentwegt vom Faschismus reden muss, solle wenigstens über den Kapitalismus schweigen.“ Die ehemaligen Einsichten in die Zusammenhänge und Lehren aus der Geschichte sollen damit zum Nutze der ökonomisch und originär Herrschenden getilgt werden. Ganz gemäß dem bisherigen Gang der Geschichte des kapitalistischen Systems: Während die politischen Systeme in Österreich und Deutschland 1918, 1933, 1934, 1938 und 1945 je radikal umgewälzt wurden, die monarchischen Herrscher, das politische Personal der Zwischenkriegszeit, die austrofaschistischen und nazifaschistischen Machteliten und anschließend Regierenden sowie aktuellen Regierungskoalitionen salopp formuliert: waren, kamen, gingen und gehen – blieb und überdauert in all diesen Wendungen die herrschende Klasse und das imperialistische System.