Das „Entwicklungs- und Globalisierungsmodell“ des Westens hat sich erschöpft. Zwar generiert es in seinem Dahindümpeln nach wie vor satte Profite und vermag den Reichtum der Reichen und Superreichen in immer weitere Höhen aufzuschatzen. Aber der zeitgenössische Phasenumbruch des Kapitalismus ist einschneidender, als sich dem quartalsmäßigen Auf und Ab der Konjunkturdaten entnehmen läßt.
Um diesen Phasenumbruch möglichst durchsichtig in den Blick zu bringen: Während die Generation unserer Großeltern resp. teils Eltern nach 1945 an der ökonomischen Entwicklung (natürlich im eingegrenzten Rahmen der bestehenden Eigentums-, Profit- und Machtverhältnisse) zumindest noch zu einem geringen Teil zu partizipieren vermochte, und im Rückblick auf ihre Jugend einen grosso modo stetigen Wohlstandszuwachs verbuchen konnte, hat sich diese Entwicklung seit einigen Jahrzehnten in ihr Gegenteil verkehrt. Während Profite und Reichtum durch die Decke schossen, sacken die Löhne und Gehälter seit 1978 (gemessen am BIP) mehr und mehr ab. Mittlerweile brechen sie des Längeren auch real ein, wie sich letztes Frühjahr selbst WIFO-Chef Karl Aiginger – das „bereits fünfte Jahr in Folge, in dem Einkommen real zurückgehen“ attestierend – zu konstatieren gezwungen sah. Aber der Phasenumbruch ist, wie der jüngste Einkommensbericht des Rechnungshofs nun auch quasi amtlich bestätigt, noch drastischer. Seit 1998 verzeichnen die Arbeitenden einen Reallohnverlust von nicht weniger als 14%. Die Löhne des niedrigst verdienenden Zehntels der Arbeitenden brachen gar um sage und schreibe 35% ein. Darin involviert, ein Neuphänomen des Spätkapitalismus, das schon vor Ausbruch der Krise in Erscheinung trat: Das Phänomen, dass in Österreich wie in den kapitalistischen Hauptländern die Reallöhne sogar in der Hochkonjunktur stagnierten bzw. absanken. Ein Unikum der Konjunkturgeschichte – zumindest nach 1945. Zugleich, und auch das ist dem Einkommensbericht zu entnehmen, schließt sich die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen auch nach Jahrzehnten nicht, sondern ist annähernd gleich dem Jahre 1998. So verdienen Frauen nach wie vor ledigliche 61% der mittleren Männereinkommen. Arbeiterinnen sogar überhaupt nur 43% jenes ihrer männlichen Kollegen. Darin liegt denn auch die eingangs angezogene Verkehrung der Entwicklung. Blickt die heutige ArbeiterInnen-Generation zurück, dann nicht mehr auf einen grosso modo steigenden Wohlstandszuwachs, sondern auf dessen Gegenteil.
Ein paralleles Phänomen zeigt sich auch in der Arbeitslosigkeitsentwicklung. Selbst in den Aufschwung-Jahren Mitte der 90er kletterte die Zahl der Arbeitslosen stetig nach oben. Im EU-Beitrittsjahr 1995 auf 1996 von 216.00 auf 231.000 und die beiden Folgejahre dann, wenn auch etwas abgeschwächter, bis 1998 auf 238.000. Nach einer kurzen Erholung des Arbeitsmarktes zwischen 1999 und 2001 sprang die Arbeitslosigkeit das Jahr darauf bereits wieder auf 232.000 hoch und pendelte sich bis 2012 auf 261.000 fort. 2013 schoss sie mit über 360.000 Arbeitslosen auch in Österreich endgültig durch den Plafond, um mit Anfang letzten Jahres auf das bisherige Rekordhoch von 450.000 hochzuschnellen. Mit den Jännerdaten der nächsten Wochen wird sie mit einer prognostizierten halben Million ihr bisher einsames, trauriges Allzeithoch erklimmen.
Die wirtschaftliche Entwicklung, wenngleich in Krisenjahren selbstredend nach wie vor negativ auf die Beschäftigungslage durchschlagend, entkoppelt sich mehr und mehr der Beschäftigungsentwicklung. Der dümmliche, nicht unbezeichnend an des Volksmundes Sentenz „Geht’s dem Herrl gut, geht’s dem Hunderl gut“ gemahnende, WKÖ-Slogan „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ jedenfalls, ist, wo nicht ohnehin nur einfältige Propaganda, mindestens ökonomischer Analphabetismus. Nicht weniger als die seit den 70igern geflügelte, propagandistisch beinahe im Tone eines sakrosankten Dogmas vorgetragene Phrase: „Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und Arbeitsplätze von übermorgen“. Die Investitionsquote ist trotz jahrzehntelanger Gewinne im langfristigen Sturzflug. Die Dividendenausschüttungen und Finanzveranlagungen überflügeln das Investitionsvolumen immer stärker. Und so noch realiter investiert wird, geschieht dieses vorrangig in Form Arbeitsplatz vernichtender Rationalisierungsinvestitionen, ohne entsprechender Erweiterungsinvestitionen (in denselben Unternehmen oder anderen Branchen und Sektoren). Die Gewinne von heute sind denn auch vielmehr die Rationalisierungen von morgen und Arbeitslosenheere von übermorgen. Mehr noch. Die Gewinne von heute, sind heutigentags mehr und mehr die Casino-kapitalistischen Spekulations-, Finanz- und Übernahmeveranlagungen sowie Gewinnausschüttungen an Aktionäre und Muttergesellschaften von morgen. Und als solche mitnichten Arbeitsplätze von übermorgen.
Dergestalt eine zumindest noch teilweise Partizipation der Masse der Arbeitenden an der Produktivkraftentwicklung annihilierend und so einer (wenn auch durch die gegebenen Eigentums-, Profit- und Machtverhältnissen eng vorgezeichnetem) gesamtgesellschaftlichen Aufwärtsbeförderung dienend, schlagen die Verhältnisse heutigentags in nochmals qualitativ neuer Weise in ein Hemmnis der sozialen Emanzipation des Menschengeschlechts um.
Was Wunder, dass in einer unlängst durchgeführten OGM-Umfrage die Menschen im Land immer „pessimistischer in die Zukunft“ blicken und die „Zukunftsangst vor allem bei Jungen“ (allen jenen bis 30 Jahre) zunimmt. Die Frage, ob das Leben 2020 „leichter, schwerer oder gleich“ wie heute sein werde, beantwortete nur ein einziges 1% der Befragten mit „leichter“. Ganze 78% der Befragten erwarten sich eine weitere Erschwernis ihres Lebens. Unter den befragten Jungen erwarten sich sogar 83%, dass das Leben schwerer werden wird. Nicht weniger pessimistisch der Blick in Richtung beruflicher Gleichstellung von Frauen und Männern. Eine klare Mehrheit von 83% der Befragten geht davon aus, dass diese auch 2020 bei weitem nicht geglückt sein wird. Noch deutlicher schwindet das Zutrauen in die ökonomischen Versprechen des Kapitalismus. Ledigliche 8% der Befragten glauben noch an einen steigenden Wohlstand. Ganze 70% befürchten einen noch weitergehenden Anstieg der Arbeitslosigkeit. Und trotz Gewerkschaftskampagne und Regierungsplänen gehen 73% davon aus, 2020 mehr Steuern zahlen zu müssen wie heute. An ein tatsächliches nachhaltiges Sinken der Steuerlast (insbes. Massensteuern) glauben einzig 3%.
„Sorgen, Ängste und Skepsis“, so OGM, ziehen sich dergestalt „wie ein roter Faden durch fast alle Antworten“. Sorgen und Ängste, denen aber mitnichten mit einem Lamentieren über den verschwundenen „früheren typischen Optimismus der Jugend“ beizukommen ist – reflektiert sich in ihnen eine doch eine reale Umbruchsphase des Spätkapitalismus. Eine Umbruchsphase, die unabdingbar einer konsequenten, kämpferischen Perspektive und gesellschaftlichen Alternative bedarf – nicht zuletzt auch einer gewerkschaftspolitischen!