Wir trauern um Lisl Rizy (1947-2022)

Diese Woche ist nach längerer schwerer Krankheit unsere Genossin und Freundin Lisl Rizy von uns gegangen. Lisl war – als langjährige kämpferische Betriebsrätin und Gewerkschafterin mit unbeirrtem, klaren Klassenstandpunkt – nicht nur bis zuletzt Mitglied und aktive Unterstützerin KOMinterns. Mit ihrem zweifellos engsten Weggefährten Willi Weinert gemeinsam war sie noch viel stärker als Co-Autorin bis an den Rande der dafür persönlichen Selbstaufopferung gehend aktiv für so wichtiger Bücher wie „Bin ich ein guter Soldat und guter Genosse gewesen?“, „Österreichische Remigration aus der Sowjetunion“ oder „Mein Kopf wird euch auch nicht retten“ u.a.m. Darüber hinaus zeichnete Lisl zudem eine internationale Reputation aus, wie sie nur wenigen österreichische KommunistInnen zu Teil wurde. Vor diesem Hintergrund ist denn auch für den voraussichtlich 23.4. eine ihr entsprechende und würdige Verabschiedung von Genossin Lisl Rizy in Planung, zu der auch schon erste internationale FreundInnen zugesagt haben. Unser Dank gilt Willi Weinert für seinen Nachruf:

Mit großem Schmerz muss ich den Tod der Genossin Lisl Rizy, geborene Brichacek, mitteilen.

Vor fünf Monaten sollte eine Operation Linderung ihrer anhaltenden Schmerzen bringen. Das war nicht der Fall, sie konnte das Krankenhaus nicht mehr verlassen.Sie wurde mit einem Handikap geboren, das sie ein ganzes Leben begleitete, und mit dem umzugehen für sie zu ihrem Leben gehörte. Auch wenn es sie zum Teil stark einschränkte und im gewissen Sinne auch Ausgangspunkt dieser folgenschweren Operation war, ließ sie diese Einschränkungen nicht ihr Leben beherrschen.

Als Kind von zwei durch und durch politischen Eltern (Berta und Otto Brichacek; Emmi und Fritz Walter, wie ihr I-Name lautete), die in der Illegalität im Austrofaschismus, und dann führend in der englischen Emigration, und im Nachkriegsösterreich für den Sozialismus in unterschiedlichen Bereichen tätig waren, wurde sie nachhaltig geprägt. Ihr frühes Leben kennzeichneten jene Stationen, die für einige dieser Parteikinder im Nachkriegsösterreich vorgegeben war. Von der Kinder- und Jugendorganisation bis zum Studentenverband.

Viele, die gleich ihr diesen Weg gingen, hat der Wind der politischen Beliebigkeit verweht, andere mutierten zu Gegnern. Immer wieder amüsierte uns, wenn wir wieder einmal dem zum bekannten österreichischen Lyriker und Schriftsteller Aufgestiegenen sahen, der dereinst Bürge für ihre Aufnahme in die Partei war, selbst aber in der Zwischenzeit seine politischen Wurzeln mit seinen jüdischen einwechselte. Wenige von diesen Kindern  haben sich im weltanschaulichen  Sinne ihrer Eltern geformt und ihr Anliegen zum eigenen Lebensinhalt gemacht. Sie gehörte zu diesen.

Ihr Studium in Soziologie und Erziehungswissenschaften im Nebenfach schloss sie 1979 mit einer Dissertation zu „Schwerpunkte sozialistischer Wohnungspolitik 1945 – 1975: Mieterschutz und flankierende Maßnahmen, kommunaler Wohnbau, Wohnbauförderung – unter besonderer Berücksichtigung des Raumes Wien“ mit der Promotion zum Dr. phil. ab.

Ihr Berufseinstieg war nicht zuletzt wegen ihres bekannten politischen Hintergrundes kein einfacher, doch ihre Qualifikation führte sie in den Bundesverlag, wo sie als Korrektorin tätig war, um dann im neugeschaffenen Bereich Medienverbund tätig zu werden.

Sie verantwortete dort das 1986 erarbeitete dreiteilige Medienverbundprogramm „Frieden“ dessen erster Teil „Niemals vergessen“ sich auch mit dem Widerstand gegen den Nazifaschismus beschäftigte. Dass auch hier den „Frauen im Widerstand“ gewidmet war, war nicht nur Ausfluss der wachsenden  Frauenbewegung sondern auch Ausdruck ihres Verständnisses von der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Diese Materialien erschienen zu einer Zeit, wo der rasante Einzug des Computers noch nicht begonnen hatte. Overheadfolien, Tonbandkassetten und Videobänder waren damals Stand der Technik. Das Projekt das in Zusammenarbeit mit dem Unterrichtsministerium entstand, betrat Neuland.

Dass sie in ihrem Betrieb auch gewerkschaftlich tätig war und als gewählte Betriebsrätin im Vorstand des Verlages mit Nachdruck die Interessen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vertrat, entsprach ihrem politischen Selbstverständnis. 

Selbstverständlich war sie auch in der Kommunistischen Partei Österreichs aktiv, sowohl in ihrer Favoritner Grundorganisation und zuletzt in höheren Gremien, wo sie als Marxistin immer gegen jene Strömungen auftrat, die vor allem im Zuge der Entwicklungen nach 1989/90 sich ausbreiteten und mit dem Überbordwerfen marxistischer Grundsätze einherging. Sie trat auf, redete, argumentierte, kritisierte, sie war ein durch und durch politischer Mensch. Als es nicht mehr möglich war, in der vorhandenen Strukturen weiterzuarbeiten, weil beliebige „Erneuerer“ obsiegten, gehörte sie zu jenen, die am Aufbau einer marxistischen Bewegung zu arbeiten begannen. In diesem Rahmen engagierte sie sich in der Herausgabe einer Zeitung, die die eingestellte Parteizeitung „Volksstimme“ partiell bei den marxistischen Mitgliedern ersetzen sollte. Diese „Neue Volksstimme – nVS“, war das Organ, in dem das zu lesen war, was viele Parteimitglieder so schmerzhaft vermissten, und in diesen Zeiten der politischen Veränderungen Hilfestellung bot. Fast zwei Jahrzehnte (1992-2010) erschien dieses monatlich erscheinende Blatt, für das sie über den größten Zeitraum die treibende, organisierende und gestaltende Kraft war.

Lisl war nicht nur Gewerkschafterin in den Fußspuren ihrer Mutter Emmi, sondern auch wie diese eine Kämpferin für die Rechte und Gleichbehandlung der Frauen. Für sie war dabei immer klar, dass der Kampf für die Rechte der Frauen nicht losgelöst vom Kampf um deren ökonomische Gleichstellung geht. Die Emanzipation der Frau setzt das voraus.

2002 gab sie den Text einer englischen Marxistin (Mary Davis, Class and gender) als Broschüre unter dem Titel „Frau und Klasse“ heraus. Im eigenen Beitrag („Frauen zurück auf die Barrikaden“) formulierte sie:

„Vorausgeschickt sei erstens: […] Der Hauptwiderspruch, und darauf verweisen die marxistischen Klassiker, verläuft nicht zwischen Mann und Frau. Das sollten Gewerkschaftlerinnen und vor allem Kommunistinnen nicht außer Acht lassen. Geschlechtermerkmale, auch das soziale Geschlecht können nicht für den Klassenstandpunkt verantwortlich gemacht werden: Die Arbeiterin am Fließband verbindet mit ihrem Mann oder ihrem Kollegen mehr als mit der Frau der Kapitalistenklasse;

Zweitens: […] Doch auch die Wurzeln der Nichtgleichberechtigung der Frau liegen im Privateigentum begründet, jenes Privateigentums an Produktionsmitteln, das der Kapitalismus zum Fundament seiner Ausbeuterordnung hat. Der vermehrte Eintritt der Frau in das Arbeitsleben außerhalb des Hauses war allerdings auch die Voraussetzung dafür, dass sie ihre Stellung in der Gesellschaft objektiv erkennen und sie ihre Unabhängigkeit von Mann und Familie erreichen konnte.

Der Kampf der arbeitenden Frauen um die Gleichberechtigung in politischen Rechten, in Entlohnung, um die Verbesserung der Lebensbedingungen und die gleichen Chancen zur Selbstverwirklichung, der sich aus diesen Grundlagen ergab, war von Beginn an auch in Österreich ein Kampf, der mehr beinhaltete als nur gleichberechtigt an der Seite des Mannes zu leben. Es war ein Kampf um die Veränderung der bestehenden Gesellschaft.“

Der folgende Schwerpunkt ihrer Tätigkeit war dem Komplex „Widerstand und Verfolgung“ gewidmet. War noch während ihrer Tätigkeit im Österreichischen Bundesverlag das Buch „Österreicher im Spanischen Bürgerkrieg. Interbrigadisten berichten über ihre Erlebnisse 1936-1945“ erschienen (1986), haben wir gemeinsam im Buch „Bin ich ein guter Soldat und Genosse gewesen?“ (2008) mit zeitgenössischen Texten und mit Kurzbiografien der österreichischen, kommunistischen Spanienfreiwilligen, deren Anteil dokumentiert und ihnen ein Gesicht zu geben. Es folgte Das Buch „Österreichische Remigration aus der Sowjetunion. Ein Beitrag zur Opferdiskussion“ (2009), das sich als faktenbasierte Antwort auf die damals bis hinein die die KPÖ kolportieren, jeglicher Grundlage entbehrenden Opferzahlenrabulistik durch den „stalinistischen Terror“ verstand. Auch ging es dabei um die Widerlegung von Lügen, die einschlägig forcierte „Stalinismusexperten“ in die Welt gesetzt hatten. Großen Anteil hatte Lisl auch beim Buche „Mich könnt ihr löschen, aber nicht das Feuer“ (1.A 2005, 4. A. 2017), das sich mit dem am Wiener Zentralfriedhof beerdigten und im Wiener Landesgericht geköpften Widerstandskämpfer beschäftigte. Es war ihr ein Anliegen, wurde doch auch einer, der der Familie ihrer Mutter sehr nahe gestanden war, der kommunistische Jugendfunktionär Toni Kellner, geköpft und in der Gruppe 40 am Wiener Zentralfriedhof begraben. Das nächste Projekt wäre ohne sie nicht umsetzbar gewesen. In dem vierbändigen Werk „Mein Kopf wird euch auch nicht retten“ (2016) publizierten wir Häftlingskorrespondenzen von hingerichteten Widerstandskämpfer/innen, die auf mehr als 2200 Seiten Einblick in deren letzten Lebensabschnitt zwischen Verhaftung und Hinrichtung geben.

Was Lisl auszeichnete, war ihre grenzenloses, großzügiges solidarisches Verhalten. Als Jugendfreunde ihres Vaters (aus der Gründungszeit des Weltbundes der demokratischen Jugend / WBDJ), die zu Repräsentanten der DDR geworden waren, nach 1990 zu Opfer der westdeutschen Gesinnungsjustiz wurden, besuchte sie diese in der Haft. Auch anderen Personen wurden ihrer gelebten Solidarität zuteil. Aber es hinderte sie nicht, sich von ihnen wieder zu trennen, wenn diese ihre Geschichte verrieten. Viele linke Projekte unterstützte sie ohne wenn und aber – aber sobald sie der Meinung war, dass hier der Klassenstandpunkt verwässert oder gar beiseitegeschoben werde, trat sie dagegen auf und zog, wenn es sein musste, die Konsequenzen. Sie war im besten Sinne radikal.

Über Jahre führten uns die Tagungen der historischen Kommissionen nach Berlin, bei denen sie immer wieder sich in die Diskussionen einbrachte und marxistische Positionen vertrat. Sie war dort als die Frau mit den roten Haaren aus Wien bekannt. Aus diesem Zusammenhang entwickelte sich u.a. eine langjährige Freundschaft auch mit Kurt Gossweiler und seiner Frau Edith. Mit beiden, schon bald 90jährigen, wanderten wir moderat durch die Schönheiten Osttirols.

Lisl war bereits als Kind das, was man umgangssprachlich eine Leseratte nennt. Und auch da war es nicht der Struwwelpeter, sondern die Kinderliteratur der Arbeiterbewegung, wie die Märchen der Hermynia Zur Mühlen, die sie sich erschloss. Auch wenn sie Kriminalromane (nebenbei) verschlang, war sie eine Kennerin dessen, was man im weitesten Sinne als Sozialistische- und Arbeiterliteratur bezeichnen kann. Immer wieder war sie für prompte, diesbezügliche Auskünfte bei der Hand. Ihre Textsicherheit im Bereich des revolutionären Liedguts erstaunte immer wieder, dem hinkte nur ihr Versuch der musikalischen Einbettung hörbar nach, was sie aber weniger störte.

Als Großelternkind, was sie wegen der Funktionärstätigkeit der Eltern war, spielten auch Haustiere immer eine wichtige Rolle. Von der Maus bis hin zu Katzen, die sie ihr Leben lang begleiteten. Auch die Natur außerhalb der Wohnung fand ihre ungeteilte Zuneigung, ob es sich nun um zauberische Alpenblumen oder pelzige Murmeltiere im Gebirge handelte, oder um Spaziergänge um die Lange Lacke, wo wir 1999 die totale Sonnenfinsternis und das temporäre Verstummen der Vogelwelt erlebten, weckten Empathie bei ihr.

Zuerst mit ihren Eltern, dann mit Freundinnen bereiste sie Länder auf verschiedenen Kontinenten. Die Befreiungskämpfe der afrikanischen Länder verfolgte sie mit großer Anteilnahme, die Entkolonialisierung Afrikas erlebte sie mit großer Sympathie. All das floss in die ebenfalls im Bundesverlag erschienenen Medienmappen „Signale aus dem Süden / Afrika am Wort“ ein, wo neben den Materialien zu den Bereichen Kunst und Leben auch eine Mappe den Frauen in Afrika gewidmet war.

Das Projekt hatte den Anspruch, den Schülerinnen und Schüler die Breite der afrikanischen Vergangenheit, Gegenwart und der Kultur nahezubringen.

Es wird einige geben, die mit der herausfordernden und geradlinigen Haltung von Lisl nicht zurande kamen. Wer ihr näher stand, schätze diese.

Möge der grenzenlose Schmerz ob ihres nicht mehr Hierseins, der unumkehrbare Verlust, mit ihr zu kommunizieren, dereinst der Erinnerung an eine Kampfgenossin weichen, mit der wir – der eine mehr, die andere weniger – eng verbunden waren, Fröhliches, Heiteres aber auch Kämpferisches erlebten.

Den Nachrufen ihrer Eltern fügte sie den bekannten Spruch von Bert Brecht an, und ich meine mit Fug und Recht, auch wenn sie selbst es im Hinblick auf des Leben ihrer Eltern verneinen würde: Er gilt auch für sie! Sie kämpfte ihr Leben lang, denn was sie auszeichnete, war ihre Stärke, die sie aus dem Wissen von der Notwendigkeit der Veränderung der Welt – eben des Wirkens und Eintreten für den Sozialismus – schöpfte. Sie trug das Ihre dazu bei.

Die Schwachen kämpfen nicht. Die Stärkeren

Kämpfen vielleicht eine Stunde lang.

Die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre. Aber

Die Stärksten kämpfen ein Leben lang. Diese

Sind unentbehrlich.

(Bert Brecht)

Für alle, die dir nahestanden, sie schätzten und auch liebten

Willi Weinert

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