Großbritannien vor der unmittelbaren Entscheidung über das drakonische Antistreikgesetz

Aufgrund des Inflations-Tsunamis, der verbreiteten Niedriglöhnerei, der prekären Arbeitssituationen und dem drohenden sozialen Absturz von Millionen Brit:innen, wogte und wogt in Großbritannien seit vergangenem Frühjahr die größte Arbeitskampf- und Streikwelle seit den 1980er Jahren. Um dieser und ihrer Fortsetzung mit allen Mitteln zu Leibe zu rücken und die Streikfähigkeit der britischen Gewerkschaftsbewegung gesetzlich noch weiter einzuschränken, wollen die Torys abermals das Streikrecht verschärfen.Nach letzten Diskussionen steht das Antistreikgesetz nun unmittelbar davor, von beiden Parlamentskammern Londons auf den Weg gebracht zu werden.Europäische Gewerkschaftsverbände kritisieren das „drakonische“ Vorhaben Londons scharf und sorgen sich um Großbritanniens Demokratie.

Abermalige Verschärfung der ohnehin restriktivsten Gewerkschaftsgesetze der westlichen Welt

Dabei hat Großbritannien selbst nach den Worten des einstigen New-Labour Aushängeschilds Tony Blair ohnedies bereits „die restriktivsten Gewerkschaftsgesetze der westlichen Welt“ – die freilich auch in der aggressiv neoliberalen New-Labour-Ära 1997 bis 2010 nicht aufgehoben wurden. Elizabeth Truss, 2022 ursprüngliche Johnson-Nachfolgerin, hatte sich in Tradition der „Eisernen Lady“ Margaret Thatcher bereits weitere Anti-Gewerkschaftsgesetze (bis hin zur Behinderung von Gewerkschaftsarbeit im Betrieb) auf die Fahne geheftet und suchte mit Amtsantritt von Anfang an die Konfrontation mit den Gewerkschaften. Und Labour-Vorsitzender Keir Starmer, schon bisher kein Unterstützer von Arbeitskämpfen, ist ganz in die Fußstapfen Tony Blairs geschlüpft. Stärker noch: während Londons nunmehriger Premier und Milliardär an der Staatsspitze, Rishi Sunak, an seinen neuen Gesetzen zur Unterminierung des Streikrechts zimmerte, fiel dem Labour-Führer zunächst nichts Absonderlicheres ein, als von der Regierung ein noch härteres Vorgehen gegen Streiks zu fordern. „Die Regierung ist nicht ernsthaft gewillt, diese Streiks zu verhindern“. „Wir haben die Regierung immer wieder aufgefordert, Haltung zu zeigen und alles zu tun, um diese Streiks zu unterbinden, damit die Öffentlichkeit nicht gestört wird.“ Die Kraft und Wucht der Auseinandersetzungen freilich hat Starmer mittlerweile, neben parlamentarischen Abänderungsanträgen das Antistreikgesetz etwas ‚moderater‘ zu halten, gedrängt, den Gewerkschaftsführer:innen und Beschäftigten im Falle einer Labour-Regierung 2025 unverbindlich „ein neues Angebot für Arbeiter:innen“ in Aussicht zu stellen.

Das drakonische Antistreikgesetz

Der erste Baustein des weiteren gesetzlichen Unterlaufens des Streikrechts wurde noch von Elizabeth Truss auf den Weg gebracht. Die „Transport Strikes (Minimum Service Levels) Bill“ sieht nicht weniger vor als eine gesetzlich verankerte „Mindestversorgung“ an öffentlichem Verkehr während Streiks – und damit wirksame Ausstände der Eisenbahner:innen und anderweitiger Beschäftigter im Verkehrs- und Transportwesen zu unterlaufen. Ein Punkt der sich – kaum beachtet – bereits im Wahlprogramm der Torys von 2019 findet. Parallel drängen die Torys darauf, analoge gesetzliche Regelungen auch auf andere Branchen und Sektoren auszuweiten. Gesundheitsminister Gillian Keegan macht sich gleichzeitig überhaupt dafür stark, dass für den Gesundheitssektor unter dem Titel „kritischer Infrastruktur“ ein gesetzliches Streikverbot eingeführt werden könne.

Entsprechend entschlossen trachtetPremier Sunak mit seinem „Minimalbetrieb-Gesetz“ („Strikes (Minimum Service Levels) Bill“) genannten Antistreikgesetz, Arbeitskämpfe in neuer Rigorosität gesetzlich einzuhegen und zu unterbinden. Damit sollen (über das Verkehrswesen hinaus) auch Beschäftigte in weiteren Bereichen wie im Bildungs- und Gesundheitswesen, bei der Feuerwehr und anderen mehr, im Streikfall, um diesen rechtlich zu unterlaufen, zum „Minimalbetrieb“ zwangsverpflichtet werden können. So soll zum einen die Schlagkraft von Streiks gebrochen werden, zum anderen müssten Streikende fürchten aufgrund ihres Arbeitskampfes ihre Jobs zu verlieren. Denn mit dem „Minimalbetrieb-Gesetz“ könnten Beschäftigte in diesen Bereichen, wie Dieter Reinisch gerade nochmals unterstrich, „direkt vorgeschrieben bekommen, bei laufenden Streiks zum Dienst zu erscheinen – andernfalls droht die fristlose Entlassung.“ D.h. zugleich, wie der Gewerkschafter und stellvertretende Herausgeber der „Communist Review“ Jonathan White jüngst schrieb, dass die betroffenen Beschäftigten per Gesetz bzw. Aufforderung der ‚Arbeitgeber‘  „gezwungen sein“ würden, „ihre eigenen Streikposten zu durchbrechen, um während eines rechtmäßigen Streiks ‚Mindestdienstleistungen‘ zu erbringen“. Paul Nowak, Generalsekretär des britischen Gewerkschaftsdachverbands TUC, brachte es in Richtung der Parlamentarier:innen des Königreichs gemünzt denn auch gerade nochmals auf den Punkt: „Wollen die Abgeordneten wirklich, dass Lehrer, Krankenpfleger oder Eisenbahner wegen rechtmäßiger Arbeitskämpfe entlassen werden?“ Demgemäß deutlich äußerten auch eine Reihe europäischer Gewerkschaftsverbände in einer gemeinsamen Erklärung ungewöhnlich scharfe Kritik. Ja, mit dem verfolgten „drakonischen“ Antistreikgesetz würde Großbritannien nicht nur fundamental gegen internationales Recht verstoßen, sondern sich schlicht von „demokratischen Normen entfernen“. Das geplante arbeiter:innenfeindliche Gesetz würde „das Vereinigte Königreich noch weiter aus dem demokratischen Mainstream herausbringen“.

Mit Militär resp. NATO-Streitkräften gegen Streiks

Nahtlos in diesen brachialen Frontalangriff auf die elementarsten Gewerkschafts- und Beschäftigtenrechte reiht sich zugleich das britische Unterfangen ein, gegen Arbeitskämpfe auch die Armee zum Streikbruch abzukommandieren. Erste Soldaten wurden schon zu Streikbrecher-Corps trainiert und etwa gegen den Ausstand der Passkontrollbeamten als Streikbrecher zum Appell gerufen. Mit den „neuen harten Gesetzen“ (Sunak) gegen Arbeitskämpfe, steht denn in London auch ein breitgefächerter Einsatz der Streitkräfte heiß in Diskussion, um Streikende im öffentlichen Dienst und darüber hinaus zu ersetzen und Streiks auf breiter Front mit Hilfe seiner (NATO-)Streitkräfte zu unterlaufen.

Der Kampf ist in seine entscheidende Phase getreten

Die abschließenden Beratungen des Antistreikgesetzes im britischen Parlament und der gewerkschaftliche Abwehrkampf sind gerade in die entscheidende Phase eingetreten. Ihr Ausgang ist noch offen. Die Gewerkschaften zeigen sich jedenfalls kampfentschlossen. Entsprechend unterstrich etwa Matt Wrack, Generalsekretär der vom Antistreikgesetzt direkt betroffenen Feuerwehrgewerkschaft FBU, die sich zur Abwendung der „Strikes (Minimum Service Levels) Bill“ für einen Generalstreik stark macht: „Die Bewegung gegen dieses Gesetz wächst. Die FBU ist entschlossen, eine Massenbewegung zur Nichteinhaltung aufzubauen, falls das Gesetz kommt“. In dieselbe Kerbe schlug gerade auch Mick Lynch, Generalsekretär der Transportgewerkschaft RMT: „Wir werden nicht zulassen, dass unsere Mitglieder entlassen oder diszipliniert werden.“ Für den Fall der Verabschiedung des Gesetzes rief er zu einer „Massenkampagne des zivilen Ungehorsams“ auf. Allerdings drohen erste Gewerkschaften in der Klassenschlacht einzuknicken. Noch sind die Würfel jedoch nicht gefallen. Klar ist indessen, dass Großbritannien inmitten eines gravierenden Scheidewegs steht.

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