Griechenland: Das Imperium schlägt zurück

Das zurückliegende Halbjahr stand auf EU-Ebene zweifellos im Zeichen der Auseinandersetzung der neuen Regierung Griechenlands um eine anvisierte Alternative zur herrschenden Austeritäts- und Knebelungspolitik der EU. Angetreten mit dem Versprechen, die verheerende Spar- und Kürzungspolitik zu beenden und innerhalb des Euros einen politischen Kurswechsel durchzusetzen, endete das Vorzeigeexperiment der reformistisch pro-europäischen Linken in einer offenen Kapitulation vor den Euro-Eliten, einer politischen Niederlage auf ganzer Linie und der Degradierung Griechenlands auf den Status einer innereuropäischen Halbkolonie.

Hier ist freilich nicht der Ort, diesem Ergebnis im Einzelnen und seinen vielfältigen ideologischen, politischen und internationalen Kontexten nachzugehen, sondern lediglich die zentralen Wegmarken nachzuzeichnen und einige wesentliche Lehren für unsere Kampfperspektive zu ziehen.

„Wo die Logik der Klassenzusammenarbeit sowie die unternehmer- und regierungstreuen Gewerkschaften vorherrscht“ bzw. politische Kräfte und Gewerkschaften sich Träumereien einer „harten Herbeiverhandlung“ einer neuen solidarischen EU und Eurozone verschreiben, so die PAME, verwandeln sich die Gewerkschaften zu bürokratischen Stützen im Systemzusammenhang. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) hat das über die griechischen Werktätigen, Arbeitslosen, PensionstInnen und Familien verhängte Los als tragbaren Kompromiss charakterisiert.

Die Ende Jänner unter ihrem charismatischen Vorsitzenden und neuen reformistisch pro-europäischen Shootingstar Alexis Tsipras gewählte Syriza trat nach Jahren der Verheerungen Griechenlands, die die gesamte Gesellschaft ökonomisch und sozial regelrecht zerstörte, an, dem ein Ende zu setzen und einen linken Kurswechsel in der EU einzuleiten. Keine weiteren Lohnkürzungen und Aufweichungen von Arbeitsrechten mehr, der abgesenkte Mindestlohn sollte wieder angehoben, die Gewerkschaftsrechte wie das Recht auf Kollektivvertragsverhandlungen wiederhergestellt werden, die Pensionskürzungen sollten beendet werden und die Erhöhung der Mehrwertsteuer ihr Ende finden. Demgegenüber sollten endlich die von den Vorgängerregierungen systematisch verschonten Reichen und griechischen Großunternehmer effektiver und höher besteuert werden. Nicht zuletzt die Reeder, die seit dem faschistischen Obristen-Putsch 1967 praktisch keine Steuern bezahlen. Zudem sollte mit der Steuerkriminalität aufgeräumt und die exorbitanten Militärausgaben des NATO-Frontstaats beschnitten werden. Die Angelpunkte gegen das „fiskalische Waterboarding“ wiederum bildeten die Forderung nach einem Schuldenschnitt sowie die Koppelung der Kredit-Tilgungen und Zinszahlungen an das Wirtschaftswachstum.

Vom „Hoffnungs-Projekt“ zur Kapitulation

Mit Regierungsantritt entfaltete das neue griechische Kabinett dann eine geradezu hektische Reisetätigkeit wie einen einsetzenden Verhandlungsmarathon mit den EU-Mächtigen in Brüssel, Berlin und Paris, den Finanzministern und Regierungschefs der Euro-Gruppe sowie den maßgeblichen Figuren der kosmetisch in „Institutionen“ unbenannten „Troika“ aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfond (IWF). Auf weiter Flur isoliert, geriet der versprochene Kurswechsel jedoch zusehends in die Defensive. Das sog. Thessaloniki-Programm von September 2014, welches durchzusetzen das zentrale Wahlversprechen Syrizas bildete, wurde daraufhin eingemottet und durch eine Politik der Verteidigung sog. unüberschreitbarer „roter Linien“ ersetzt. Mit ihrem am 22. Juni unterbreiteten Verhandlungs-Vorschlag, der neben Mehrwertsteuererhöhungen, höhere Pensions- und Krankenversicherungsbeiträge, weniger Frühpensionierungen, mehr Privatisierungen…. vorsah, wurden schließlich auch noch diese „rote Linien“ übersprungen und seitens der Syriza-Spitze offen die Waffen gestreckt.
„Grabstein für Griechenland“
Als aber selbst diese Kapitulation unter Federführung des deutschen Finanzministers und EU-Zuchtmeisters Wolfgang Schäuble noch in Form eines unverbrämten Gegen-Ultimatums zurückgewiesen wurde, wurde vollends klar, dass die maßgeblichen Kräfte der EU-Eliten auf einen unverhohlenen Staatsstreich orientierten. Die Athener Regierung setzte daraufhin bekanntlich ein Referendum an, um sich einerseits den Rücken zu stärken und anderseits die Spaltung der Partei angesichts des selbst unterbreiteten „Grabsteins für Griechenland“, wie ein Syriza-Abgeordneter den eigenen Verhandlungs-Vorschlag unverblümt nannte, zu verhindern. Wie immer man zu diesem in vielerlei Hinsicht umstrittenen Referendum im Einzelnen auch stehen mag, für die Euro-Eliten kam alleine der Umstand, die Bevölkerung in Angelegenheiten der Hochfinanz (mit-) entscheiden lassen zu wollen, einem unverzeihlichen Tabubruch gleich. Ein Affront, den die EZB umgehend dahin beantwortete, zur finanzpolitischen „nuklearen Option“ (so die US-Bank JP-Morgan) zu greifen und Griechenlands Banken die Liquidität zu entziehen. Das überwältigende „Oxi“, dem Nein von 61% der Griechen zum Brüsseler Spardiktat, konnte aber auch die erzwungene Bankenschließung nicht verhindern. Nimmt man die Abertausenden, mit regierungsunabhängigen eigenen Stimmzetteln sowohl gegen das Brüsseler Diktat wie gegen das Syriza-Kapitulationsangebot votierenden Stimmen hinzu, dürften es sogar über 70% gewesen sein, die den Euro-Eliten eine Absage erteilten.

Vom „Oxi“ zum offenen Debakel

Nach kurzem Jubel über den Referendums-Ausgang trat Tsipras allerdings keine 24 Stunden später seinen Canossa-Gang an. Der vermeintliche Rückenwind des Votums entlockte den kapitalistischen Eliten der EU und Berlins nicht einmal ein müdes Lächeln. Die griechische Regierung knickte daraufhin zusammen mit dem Parlament endgültig ein und unterzeichnete nur eine Woche nach dem „Oxi“ für ein drittes „Hilfspaket“ und um im Euro zu verbleiben die bedingungslose Kapitulation. EU, EZB und IWF übernahmen die Macht im Land. Griechenland verpflichtete sich, das volle Gläubiger-Programm umzusetzen. Mit der Übertragung „griechischen Staatsvermögens“ im Wert von 50 Mrd. Euro an eine „unabhängigen Privatisierungs-Fonds“ unter Aufsicht der EU kommt das Land (trotz gewisser Herunterschraubungen der erwarteten Erlöse und Auflagen) regelrecht unter den Hammer. Die Filetstücke Hellas‘, von den Häfen über den Energiesektor, werden dem Totalausverkauf des Landes zu Schleuderpreisen anheimfallen. Die staatlichen Apparate bis hin zur Gesetzgebung und Budget“autonomie“ stehen wieder unter Troika-Kontrolle, womit Griechenland allenfalls noch auf dem Papier souverän ist. Alle wesentlichen Entscheidungen müssen zuvor von der Troika abgenickt werden, bevor sie dem gewählten griechischen Parlament überhaupt vorgelegt werden. Daran ändern auch einzelne Farbtupfer wie die Zuführung eines Viertels der Privatisierungserlöse für Investitionen oder die realisierbarere Erschließung bisher brachliegender Investitionsmittel aus dem EU-Kohäsionsfonds nichts. Die erneut aufgebürdeten Belastungen, Massensteuererhöhungen, Abschaffung sozialer Sicherheits- und Arbeitsrechte und Lohn- und Pensionskürzungen – von Tsipras (dem zugleich Spitzenkandidaten der „EU-Linkspartei“ bei der EU-Parlamentswahl 2014) in Koalition mit den im Jänner für ihre Politik abgestraften und abgewählten vormaligen Regierungsparteien parlamentarisch durchgewunken – verschlimmern die dramatische Arbeits- und Lebenssituation der Massen in nochmals drastischem Ausmaß. Aber wie kam es dahin?

Lehren für eine tragfähige Kampfperspektive
  1. Die Illusion, der Machtstruktur des Euro-Projekts allein auf Boden der besseren ökonomischen Argumente begegnen zu wollen, ist an den Klasseninteressen der herrschenden ökonomischen und politischen Eliten EU-Europas wie eine Seifenblase zerborsten. Dahingehend half auch das Beispringen so prominenter Ökonomen wie der beiden US-Nobelpreisträger Joseph Stieglitz  und Paul Krugman oder des ehemaligen Chef-Volkswirten der UNCTAD Heiner Flassbeck nichts. Selbes gilt auch für den hartnäckigen Glauben sich mit dem politischen Personal des internationalen Kapitals irgendwie auf Augenhöhe zu wähnen und zu glauben, in „harten Verhandlungen“ an den durch sie vertretenen Kapitalinteressen und Machtstrukturen rühren zu können.
  2. Ohne massive außerparlamentarische soziale Massenbewegungen und gewerkschaftliche Kämpfe, dem konsequenten Druck und Einfluss von Unten seitens der Arbeitenden, breiten Massen und Bedürftigen lässt sich kein Politikwechsel bewerkstelligen. Geschweige denn, die existierenden Klassenkräfteverhältnisse substanziell verschieben. Die konzeptionelle Anlage Syrizas, gestützt auf Mandate des richtigen Kreuzes an der Wahlurne oder in einem Referendum in Stellvertretung der Arbeitenden und von Massenbewegungen einen Ausweg zu eröffnen versuchen, erwies sich so denn auch in diesem Punkt nicht trag- und durchsetzungsfähig. Abgesehen von einigen wenigen Kundgebungen rund um die Wahlen und außerparlamentarischen Mobilisierungen im Vorfeld des Referendums, ging das Ringen nicht mit großen gesellschaftlichen Mobilisierungen einher. Ein strategischer Paternalismus, den Tsipras in vielen seiner Reden immer wieder bestärkte. Eine Politik, die ihren internationalen Ausdruck darin fand, dass die immense Reisetätigkeit des Syriza-Führungsduos dieses zwar Woche für Woche in die Hauptstädte Europas brachte, sich in einem fort die Türklinken mit den Vertretern der „Institutionen“ in die Hand gebend, es aber gleichzeitig jeden ernsthaften Konsultationen mit den europäischen Gewerkschaftsvertretern ermangelte.
  3. Schon in ihrer ursprünglichen Anlage verfehlt, Griechenland auf Gedeih und Verderb im Rahmen der Eurozone einen Ausweg weisen zu wollen, hätte es für einen wirklichen Ausbruch des Landes aus seiner Zwickmühle zumindest einen Plan B geben müssen. Einen Plan B des Bruchs des Landes mit der EU und des Ausstiegs aus dem Euro. Einen solchen hatte die Syriza-Führung hinter Tsipras in Verkennung der herrschenden ökonomischen und politischen Lage, taktischen Fehleinschätzungen und dem Mantra des Traums von einem demokratischen und sozialen EU-Europa wie einer neuen solidarischen Euro-Architektur aber nie auch nur erwogen. „Dies beließ ihn“ nicht nur, wie US-Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman zurecht bemerkte, „in einer hoffnungslosen Verhandlungsposition“. Denn die Falken der Euro-Eliten hatten mit dem Vorschlag Wolfgang Schäubles eines vorübergehenden „Grexits“ demgegenüber einen manifesten Plan B in der Hinterhand. Es versperrte den Griechen vielmehr selbst noch als die Entwicklungen aller Welt immer drastischer vor Augen führten, dass im gegebenen EU-Zusammenhang und Machtgefüge keine sozialen und demokratischen Reformspielräume mehr existieren, die Möglichkeit das Ruder nochmals herumzureißen und einen sozialen und demokratischen Ausbruch jenseits des Berliner und Brüsseler Consensus’ zu wagen.

 
 
 

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