Der gefloppte „Lebensmittelgipfel“ & der wahre Kampf um den „politischen Brotpreis“

Während die Bevölkerung quer durchs Land immer stärker unter dem Hochschnellen der Lebensmittelpreise stöhnt, ja: sich mittlerweile rund 550.000 Menschen in Österreich nicht mehr angemessen (also gut und adäquat) ernähren können, floppte am Montag wenig überraschend der inszenierte „Lebensmittelgipfel“. Nach Monaten der Untätigkeit luden Sozialminister Rauch und Vizekanzler Kogler Branchenvertreter, WirtschaftsforscherInnen und „Sozialpartner“, um dann lapidar festzuhalten, dass es – wie schon seit eh und je bekannt – „unterschiedliche Meinungen“ gibt und man sich über die Stellschrauben wie Instrumente nicht einig ist. Denn freilich, von der Entschlossenheit mit der einst der römische Tribun der Plebejer, Gaius Gracchus, gegen die Gewinninteressen der herrschenden Klasse(n) die „frumentatio“, sprich: die politische Festlegung des Brotpreises, einführte, und damit die bedeutungsschwere Geschichte des politischen Brotpreises im Interesse der Subalternen öffnete, sind ein heuriger grüner Vizekanzler oder Sozialminister wortwörtliche Epochen entfernt.

Die unterschiedliche Betroffenheit durch die Inflation oder der Umstand sozial unterschiedlicher Inflationsraten

Währenddessen explodieren die Nahrungsmittelpreise munter vor sich hin. Obwohl viele Großhandelspreise bereits seit letztem Sommer sinken. Gleichzeitig ist es Fakt und bekannt, dass kleinere und mittlere Einkommen einen anteilsmäßig größeren Teil für die Grundgüter der Lebenserhaltung – wie Nahrungsmittel und Wohnen (Mieten und Energie) – ausgeben müssen. Da BezieherInnen niedriger Einkommen sonach relativ mehr für Konsumgüter und Dienstleistungen der basalen Lebenserhaltung ausgeben müssen als im durchschnittlichen Verbraucherpreisindex berechnet, und die Teuerungen in diesem Segment zudem noch über der allgemeinen Preissteigerungsrate liegen (so verzeichneten die Lebensmittel in den letzten Monaten im Schnitt eine Teuerung um gut 15%), unterliegen deren Einkommen und Konsumbudgets auch einer zweifach stärkeren Inflation. Entsprechend lassen sich für die verschiedenen Einkommensgruppen des Näheren denn auch nochmals unterschiedliche Inflationsraten als die durchschnittliche Verbraucherpreisentwicklung ausweisen.

Um dies zumindest ein Stück weit monetär zu präzisieren, genügt es für den hiesigen Zusammenhang, dieses Preis- und Konsumstrukturgefüge und die daraus resultierende unterschiedliche Betroffenheit durch die Inflation mit dem „Momentum Institut“ beispielhaft für den Monat März festzuhalten: „Mieten, Energie, Lebensmittel – Zusammen machte die Teuerung in diesen Bereichen im März 2023 rund die Hälfte der Inflationsrate aus. Die Teuerung war dort überdurchschnittlich hoch. Nachdem Haushalte mit niedrigen Einkommen anteilsmäßig mehr für Wohnen, Energie und Lebensmittel (grob gesagt für Grundbedürfnisse) ausgeben, waren sie stärker von den steigenden Preisen betroffen. Für das einkommensärmste Fünftel lag die Teuerung deshalb höher als im Durchschnitt, nämlich bei 9,5 Prozent. Die Teuerung bei den Grundbedürfnissen verursachte statt der Hälfte rund zwei Drittel der Teuerung für die ärmsten 20 Prozent der Haushalte. Im einkommensreichsten Fünftel lag die Teuerung dagegen niedriger, bei 8 Prozent.“ 

Im statistischen allgemeinen Durchschnitt betrug die Inflation im März 9,2 % zum Vorjahr – im Bereich „Wohnung, Wasser, Energie” hat sich der Verbraucherpreisindex um 14,1 % (und damit ähnlich der Preissteigerung bei Nahrungsmittel) erhöht. Im April näherte sich die Inflation mit 9,8% überhaupt wieder der 10%-Marke. In Kombination mit der Erhöhung der Richtwertmiete am 1. April dieses Jahres drückt die Teuerung immer unerbittlicher auf die einfache Bevölkerung. Allein der Wocheneinkauf ist um rund ein Drittel teurer als bisher. Es besteht folglich in der Tat akuter und breitgefächerter Handlungsbedarf. Darunter nicht zuletzt im Lebensmittelsektor.

Königsweg Mehrwertsteuersenkung?

Allerdings, anstatt effektiver und sozial zielgerichteter Maßnahmen, Instrumente und Optionen auf die Agenda zu setzen, glaubt auch die ÖGB-Spitze in im Monatstakt erweiterten Immergleichen den Stein der Weisen gefunden zu haben: nach der Forderung nach einer Senkung der Mehrwertsteuer auf Energie sowie einer Senkung der Mineralölsteuer, kam als Königsweg die temporäre Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Dabei kranken die zunächst verfochtenen, allgemeinen Steuersenkungen bei Lichte betrachtet allesamt daran, dass sie völlig unzureichend, sozial nicht zielgerichtet und verteilungspolitisch prekär sind. Deren mangelnde soziale „Treffsicherheit“ monierte denn das WIFO schon an den beiden von der Regierung verabschiedeten Maßnahmenpaketen zum Teuerungsausgleich sowohl im Detail wie generell.

Aber auch die anfangs und teils heute noch eingeforderte generelle Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel oder nunmehr schwächere Version einer Umsatzsteuersenkung auf Grundnahrungsmittel – anstatt deren viel effektiveren und wesentlich zielgerichteteren gesetzlichen Preisregulierung für Grundnahrungsmittel – würde vom Handel vielfach nicht oder nur marginal weitergegeben und viel stärker zu einem mehr oder weniger fetten zusätzlichen Sonder-Körberlgeld für den Handel tendieren bzw. führen. Zumal der Lebensmittelhandel in Österreich zudem noch den höchsten Konzentrationsgrad der Branche in der EU aufweist. So lag der Marktanteil der drei größten Lebensmittelketten –   Rewe, Spar und Hofer – schon vor der Krise bei eklatanten 85%. Aktuell wiederum beherrschen die vier größten Ketten sagenhafte 95% des Lebensmittelhandels im Land. „Ob Mehrwertsteueränderungen zu Preisänderungen führen“, also „an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergegeben“ werden, so auch das WIFO jüngst nochmals nachdrücklich, „hängt von der Marktsituation [sprich: Wettbewerbssituation] ab.“ Diese zeichnet sich im Lebensmittelhandel allerdings durch eine geballte oligopolistische Marktmacht und Preissetzungsmacht dreier bzw. vierer Premium-Ketten aus.

Ganz abgesehen davon, dass eine – gegenwärtig jedoch auf dem Rückzug befindliche – über den Kamm gescherte Steuersenkung natürlich auch Preisestützen für Luxusprodukte und Spezialdelikatessen wie Kaviar, Austern, Trüffel, Matsutake Pilze oder Wachtelei beinhaltete, die nicht nur massive Mitnahmeeffekte des gehobenen Publikums zur Folge hätte, sondern damit zugleich verteilungspolitisch alles andere denn zielgerichtet wäre. Derartige Luxusgüter brauchen indes freilich weder steuerlich entlasten, noch preislich fixieren werden, und sollten es auch nicht. Darin zumindest herrscht zwischenzeitlich ein breiterer Konsens.

Nicht zuletzt besteht bei einer temporären Senkung oder Aussetzung der Mehrwertsteuer die Gefahr, dass diese bei Rückkehr zum oder Wiedereinführung des regulären Mehrwertsteuersatz(es) zu einem späteren Zeitpunkt (Stichwort: asymmetrischen Überwälzung) einen in Summe zusätzlichen inflationären Preisschub auslösen.

Die herrschende „Gewinn-Inflation“ und der wahre Kampf um den „politischen Brotpreis“

Freilich, die Forderungen nach einer „Preisdatenbank“ und einer „Anti-Teuerungskommission“, die in die Preisgestaltung (auch entlang der gesamten Wertschöpfungskette) Einschau halten und mit gesetzlicher Befugnis eingreifen können, stellen zweifellos auf geeignete Instrumente zur Eindämmung der aus den Fugen geratenen Teuerungen ab. Und natürlich ist dem ÖGB auch gegen das Markt-Geschwafel und die bloß symbolischen Appelle an den Lebensmittelhandel Recht zu geben:Eine freiwillige Bereitschaft der Lebensmittelhändler, die Preise nicht weiter zu erhöhen, ist keine Alternative zu gesetzlich gesicherter Transparenz und Kontrolle.“ Dazu kommt, wie wiederum das „Momentum Institut“ gerade unterstrich: „In keinem anderen Land der Eurozone hat die Regierung so wenig in Preise eingegriffen wie bei uns. Die Rechnung dafür müssen wir bezahlen.“

Umso unverständlicher nur, dass sich die Gewerkschaft nicht für eine definitive staatliche Preisregulierung der Grundnahrungsmittel und Güter des täglichen Bedarfs stark macht – begleitet von einem Kontrollgremium bei der Anti-Teuerungskommission und unterstützt von einer Transparenzdatenbank, Betriebsprüfungen mit Einschau in die Kostenstruktur und Kalkulationen etc. Solch staatlich fixierte und kontrollierte Preise wären weitaus effektiver, eine tatsächliche Konfrontation mit der obwaltenden „Gewinn-Inflation“ (wie sie selbst das wirtschaftsnahe Ifo-Institut in München unlängst charakterisierte) und eine wirkliche Fortschreibung der Geschichte des ‚politischen Brotpreises‘.

Nach der gefloppten „PR-Veranstaltung“ von Montag hat die Regierung gestern Abend für heute Maßnahmen für den Lebensmittelbereich angekündigt. Man darf gespannt sein.

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