Warnstreiks in rund 400 Betrieben sendeten letzte Woche ein starkes Zeichen der Kampfbereitschaft der Beschäftigten in der Metall-Branche in Richtung Wirtschaftsvertreter und Unternehmen. Vergangenes Wochenende fanden dann die Verhandlungen in leidlich bekannter sozialpartnerschaftlicher Manier einen Abschluss.
Durch die Demonstration der eigenen Kampfkraft ist es in den diesjährigen Auseinandersetzungen um den Metall-Kollektivvertrag durchaus gelungen, einen Abschluss – mitunter spürbar – über der den Verhandlungen zugrunde gelegten Inflationsrate (des zurückliegenden Jahrs) von 1,9% zu erreichen: die KV-Mindestlöhne steigen um 3 Prozent (mindestens 2090EUR brutto), die Ist-Löhne werden um 3,55% erhöht. Darüber hinaus kommt es zu einer schrittweisen Erhöhung der Schichtzulagen und einer überproportionalen Anhebung der Lehrlingsentschädigung auf 800EUR im 1. Lehrjahr (gefordert wurden 1.000EUR). Damit liegt der Abschluss zwar deutlich über dem katastrophalen Kniefall vom letzten Jahr, trägt aber in zahlreichen Punkten gleichzeitig mehr als nur einen bitteren Beigeschmack in sich.
Inflation und Teuerung vs. Gewinne und Dividenden
Dass von dem ausverhandelten Mehr am Lohnzettel in Zukunft jedoch kaum etwas übrigbleiben wird, zeigt sich nicht zuletzt an der vom WIFO prognostizierten Jahresinflation für 2022 in Höhe von knapp 3 Prozent – aktuell liegt sie gar bei einem Zehnjahreshoch von 3,4 Prozent. Hinzu kommen die rasant steigenden Preise für Güter des täglichen Bedarfs, gerade im Bereich der Energie und Lebensmittel, welche für den durchschnittlichen Haushalt nochmals weit relevanter als die reine Inflationsrate sind.
Auf der anderen Seite ist die Verhandlungsmasse in der Branche gewaltig: heuer wird ein Wirtschaftswachstum von 4 Prozent erreicht, prognostiziert für 2022 sind gar satte 5 Prozent. Die Auftragsbücher sind also voll, die Gewinne der Metallindustrie sprudeln und werden eifrig an Aktionäre und Muttergesellschaften ausgeschüttet. Insbesondere die börsennotierten Konzerne der Branche haben längst wieder das Vorkrisenniveau erreicht – weiters liegt die Ausschüttungsquote von Betrieben mit Kurzarbeit bei exorbitanten knapp 90 Prozent. Die Metallunternehmen haben bereits im (Krisen-)Vorjahr gut verdient – nicht zuletzt dank der üppigen Unternehmenssubventionen in Österreich und dem sage und schreibe vergleichsweise 3-fachen an Corona-Stützen wie Deutschland.
Umkehr bei Mindest- und Ist-Lohn
Als Novum in dieser Form ist die Umkehr des ansonsten in Kollektivverträgen üblichen Verhältnisses zwischen den Mindest- und Ist-Löhnen zu sehen. Denn in aller Regel werden bei KV-Abschlüssen die Mindestlöhne stärker angehoben als die Ist-Löhne (also jene Löhne, die – über dem KV-Lohn – in der Branche tatsächlich bezahlt werden). In der Metall-Branche ist es so, dass der Großteil der Beschäftigten Ist-Löhne über dem KV-Mindestmaß bezieht und nun in der Gesamtbetrachtung mehr KollegInnen davon profitieren, wie wenn beispielsweise die Ist-Löhne um nur 3 Prozent steigen würden.
Mit dieser Herangehensweise öffnet sich jedoch die Lohnschere in der Branche noch weiter und ausgerechnet Frauen sind davon nochmals stärker betroffen als ihre männlichen Kollegen. Eine solche Umkehr bedeutet ein Abgehen vom gewerkschaftlichen Grundsatz, in erster Linie das gesamte (Mindest-)Niveau einer Branche über Kollektivverträge anheben zu wollen. Es bleibt fraglich, welche Auswirkungen dies auf kommende Abschlüsse im Metall-Bereich und in weiteren Branchen haben wird. Fürs Erste reißt sie jedenfalls die Lohnschere weiter auf.
Arbeitszeitsverkürzung? Im Gegenteil!
Im Bereich der Arbeitszeit kann der KV-Abschluss nur als eindeutiger Schritt zurück betrachtet werden. Seitens der Gewerkschaften war die so dringend notwendige Verkürzung der Arbeitszeit (und zwar der Tages-, Wochen-, Jahres- und Lebensarbeitszeit) – und die damit einhergehende gesellschaftliche Umverteilung der Arbeit auf alle Arbeitssuchenden – kein Thema. Kampfforderungen wie die einer 32-Stunden-Woche, mit dem Recht auf eine 4-Tage-Woche, sowie die 6. Urlaubswoche für alle waren nicht vorhanden.
Dementsprechend konnte sich in Fragen der Arbeitszeit die Industrie mit einer Ausweitung bzw. Flexibilisierung dieser durchsetzen. Die schönfärberisch betitelte „Möglichkeit für Wochenendarbeit“ wird – befristet auf 2 Jahre – um sechs Sonntage im Jahr erweitert. Zur Erinnerung: Schwarz-Blau führte die Bestimmung ein, an 4 Wochenenden oder Feiertagen arbeiten zu müssen. Bereits damit wurde die unternehmerische Verfügbarkeit über unsere Arbeits- und Freizeit drastisch flexibilisiert. Die Metallindustrie wollte aber mehr und bekommt auch mehr – mit der neuen KV-Regelung besteht nun die Möglichkeit, an 10 Wochenenden eingesetzt zu werden.
Bis zu den nächsten Verhandlungen in der Metall-Branche soll nun eine sozialpartnerschaftlich besetzte „ExpertInnengruppe“ zur weiteren „Flexibilisierung“ der Arbeitszeit tagen. Was bei diesen Diskussionen unter Ausschluss der Öffentlichkeit herauskommen wird, werden wir sehen – das aktuelle völlige Einknicken in Belangen der Arbeitszeit lässt aber nicht Gutes vermuten.
Zukunft der Branche – öko-soziale Neugestaltung
Ebenfalls völlige Fehlanzeige sind Überlegungen zu einer erforderlichen öko-sozialen Wende (und nebenbei bemerkt, auch zur Herausforderung der zunehmenden Digitalisierung – Stichwort: Industrie 4.0). Um dem Klimawandel und den ökologischen Verheerungen noch zu begegnen, bedarf es eines tiefgreifenden, radikalen Umbaus unseres gesamten Wirtschaftssystems, einschließlich der fundamentalen Umstellung der energetischen Grundlagen, einer grundlegenden Mobilitätswende und einer öko-sozialen Neugestaltung der gesamten gesellschaftlichen Infra- bis Wohnstruktur. Dafür sind auch in der Metall-Branche zwingend „grüne“ Zukunftsinvestition, eine Umstellung auf Zukunftsprodukte verknüpft mit Arbeitsplatzsicherheit nötig.
Kurzum: ein klimatauglicher, sozial-ökologischer Strukturwandel der Branche ist unabdingbar. Dass selbst zarten Überlegungen in diese Richtung keinerlei Raum gegeben wird, Ideen einer „Just Transition“ nicht mal gedacht werden und vor diesen zweifellos anstehenden Auseinandersetzungen der Kopf in den sozialpartnerschaftlichen Sand gesteckt wird, muss Anlass sein, in dieser Frage künftig noch aktiver zu werden. Denn es gilt, die akute sozial-ökologische Doppelkrise zu begreifen und den Arbeits- und Lebensinteressen der Beschäftigten verpflichtet zu lösen.
Mit Kampf geht mehr!
Erneut und zusammenfassend lässt sich nach dem sozialpartnerschaftlichen „Kompromiss“ festhalten: mit entschlossenem Kampf wäre mehr drinnen gewesen! Und die Kampfbereitschaft unter den Beschäftigten ist zweifellos vorhanden – gut besuchte Betriebsratskonferenz und Warnstreiks in 400 Betrieben haben das deutlich gemacht. Darüber hinaus ist es bedeutend, dass KV-Abschlüsse endlich auch hierzulande einer demokratischen Abstimmung aller davon Betroffenen (zumindest aber den Gewerkschaftsmitgliedern in der Branche) unterzogen werden. Jene, die unter dem Kollektivvertrag arbeiten, sollen im Rahmen einer Urabstimmung darüber entscheiden, ob sie das Angebot oder vorläufige Verhandlungsergebnis annehmen oder weiterkämpfen wollen!