Gestern Nacht startete Tel Aviv unter dem Namen „Operation Rising Lion“ seinen Großangriff auf den Iran. Ein von Netanjahu als „entscheidender Moment in Israels Geschichte“ titulierter völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der das Pulverfass Nah-Ost zur endgültigen Explosion bringen könnte. Die westlichen Hauptstädte und Leitmedien schwadronieren derweil von einem „Präventivschlag“, das deutsche Kanzleramt subsumiert den Großangriff zur Neuordnung der Region überhaupt gleich unter den Begriff des „Rechts auf Selbstverteidigung“. Österreichs Bundeskanzler Stocker und Außenministerin Meinl-Reisinger zeigen sich „besorgt“. Eine Verurteilung der israelischen Aggression unterbleibt freilich. Vor diesem Hintergrund übernehmen wir daher – stark gekürzt – den instruktiven Kommentar von Cyrus Salimi-Asl aus dem nd zu Charakter und die unüberschaubaren Folgen des Kriegsgangs.
Mit den landesweiten Angriffen auf den Iran weitet Israel sein Operationsgebiet für militärische Aggressionen aus. Nichts anderes als ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg ist das, was die israelische Regierung und mit ihr befreundete Staaten verniedlichend als »Präventivschlag« bezeichnen und so suggerieren, dass der Iran morgen oder übermorgen selbst Israel mit einer Atombombe angegriffen hätte und Israel praktisch handeln musste. Tatsächlich gab es keine Hinweise auf einen unmittelbar bevorstehenden iranischen Angriff auf Israel (…) Aber westliche Staaten schlucken die Mär eines israelischen Staates, der sich lediglich verteidige: keinerlei Verurteilung des Vorgehens der israelischen Regierung, nur der routinehafte Aufruf zur Zurückhaltung an beide Seiten.
Am Sonntag sollte eigentlich im Oman weiter über das iranische Atomprogramm verhandelt werden. Die Vorstellung, dass Israel seine Drohung, die iranischen Nuklear-Einrichtungen zu zerstören, noch während laufender Vermittlungsbemühungen, wahr machen würde, lag zwar immer im Bereich des Möglichen, schien aber irrational und schädlich für eine Übereinkunft. Doch der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hat nie Zweifel daran gelassen, dass er gar kein Interesse an einem Abkommen hat (an deren Ausgestaltung er auch nicht direkt beteiligt ist), um das Atomprogramm einzuhegen und unter rigorose internationale Kontrolle zu stellen, sondern dessen völlige Zerstörung. Die nuklearen Anlagen des Irans, die sich teilweise tief unter der Erde befinden, wurden zwar nicht vollständig zerstört, aber dafür höchstwahrscheinlich der Versuch, auf dem diplomatischen Weg ein Atomabkommen hinzubekommen.
Die USA haben nach eigenen Aussagen zwar nicht aktiv mitgewirkt an den Luftangriffen, aber sie waren informiert, haben zuvor einen Teil ihres Botschaftspersonals aus dem Irak, Kuwait und Bahrain abgezogen sowie Israel mit hoher Wahrscheinlichkeit logistisch unterstützt, glauben viele Beobachter, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Satellitenbildern und durch die Lieferung moderner Angriffswaffen. (…)
Die Folgen der israelischen Aggression sind nicht überschaubar. Das iranische Regime könnte nach diesen Angriffen seine atomare Doktrin offiziell ändern und nun erst recht alle Anstrengungen unternehmen, um an eine Atombombe zu kommen. Nur dann wäre das Land unangreifbar und das aus der Revolution von 1979 hervorgegangene System der Islamischen Republik sicher. Es ist klar, dass der Iran den israelischen Angriffen nichts entgegenzusetzen hat; eine funktionierende Luftabwehr, die die israelischen Bomber aufhalten könnte, gibt es offensichtlich nicht. Und die bisherigen Abschreckungsmittel – Hamas und die Hisbollah – sind aus dem Spiel. Das sagt auch viel aus über das jahrzehntelang nacherzählte Narrativ eines angeblich militärisch übermächtigen Iran. Das heißt, zur Abschreckung würde gemäß dieser Logik nur die Bombe helfen.
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Die rechte israelische Regierung scheint freie Hand zu haben, in der Region nach eigenen Erwägungen militärisch anzugreifen, ohne dass dies irgendwelche Konsequenzen hat: vom Iran über Syrien und Libanon bis zum Jemen. Vom genozidalen Krieg im Gazastreifen gar nicht zu sprechen, der durch den neuen Kriegsschauplatz zumindest für einige Tage aus dem Blick der Weltöffentlichkeit geraten wird. Aus israelischer Sicht ist der Moment für den Angriff auf den Iran daher ideal, trotz der laufenden Gespräche zwischen den USA und dem Iran. Wegen des brutalen Vorgehens der israelischen Armee im Gazastreifen schien die Stimmung sich in den letzten Wochen zunehmend gegen Israel zu wenden, Kritik an der Regierung wurde immer lauter. Dies dürfte nun vorbei sein, insbesondere wenn der Iran zurückschlägt. (…)