Gestalter des Menschlichen – Gerhard Oberkoflers Essays über Kommunist:innen, Christ:innen und den Kampf um Frieden

Dem politisch-medial gestifteten bellizistischen Delirium entgegentretend hat der österreichische marxistische Historiker Gerhard Oberkofler jüngst mit gewohnt spitzer Feder seinen 302 Seiten starken Essay-Band „Geschichten zu Krieg und Frieden in unserer Welt“ herausgebracht. Im etwaigen Unterschied zu Deutschland braucht der unermüdliche Autor und Forscher in österreichischen Gefilden natürlich nicht erst vorgestellt werden, sondern darf als allgemein bekannter, marxistischer Kopf vorausgesetzt werden, weshalb wir die Rezension des ehemaligen jungeWelt-Chefredakteurs und nicht minder unermüdlichen Journalisten Arnold Schölzels aus dem aktuellen „RotFuchs“ hier leicht gekürzt übernehmen und sozusagen gleich in medias res gehen.

Die in seinem neuen Buch versammelten 15 Texte schrieb Oberkofler in den Jahren 2023 und 2024, „um in unserer Angst verursachenden Zeit einen Anstoß zum weiterführenden Nachdenken zu geben“. Um es vorwegzunehmen: Das ist dem Wissenschaftshistoriker, dem Gelehrten, der sich in der Geschichte der kommunistischen Bewegung, der Friedensbewegung und des Christentums gleich gut auskennt, ausgezeichnet gelungen. Viele Texte des Bandes erinnern an große Persönlichkeiten der Vergangenheit, fast kein Beitrag kommt aber ohne Bezug zur Gegenwart aus. Ein Beispiel: Der Autor würdigt den in der Nazizeit zwangsbeurlaubten, nach 1945 auf seine Professur in Wien zurückgekehrten theoretischen Physiker Hans Thirring (1888–1976), der im Mai 1948 einen „Plan zur Verhütung des Atomkrieges“ veröffentlichte. Thirring, der mit Albert Einstein korrespondierte, trat damals für ein Verbot der Atomwaffen ein und für eine „europäische Volksbewegung gegen den Krieg“. Oberkofler schreibt: „Dazu ist es nicht gekommen, vielmehr gibt es im Heute von Europa eine Bewegung für den Krieg ohne Volk.“ Da ist in einer Zeile ein Epochenbruch erfaßt.

Mehrere Texte befassen sich mit großen Persönlichkeiten der Kommunistischen Partei Österreichs wie Anna Strömer-Hornik (1890–1966), die als junge Frau 1911 an der ersten Kundgebung in Wien für Frauenrechte teilnahm, oder ihrem Lebensgefährten, dem Mitbegründer der KPÖ Leopold Hornik (1900–1976). Beide werden auch durch eigene Texte vorgestellt.

Ein Fixpunkt für Oberkofler ist wegen dessen Engagements gegen Armut und Krieg das gegenwärtige Oberhaupt der katholischen Kirche. Im Vorwort schreibt der Autor: „Seit meiner Begegnung mit der Befreiungstheologie nehme ich besonderen Anteil am Bemühen des aus Lateinamerika stammenden Papstes Franziskus, die in einer Überflußwelt etablierte und die Hungerwelt schicksalhaft hinnehmende römisch-katholische Kirche an ihre christlichen Wurzeln zu erinnern.“ In Österreich und Deutschland stoße Franziskus dabei „auf massive Gegnerschaft“. Die ist nicht verwunderlich bei einem Geistlichen, der – wie Oberkofler zitiert – zum Beispiel den von der Marxistin Clara Zetkin proklamierten Internationalen Frauentag 2024 zum Anlaß nahm, „Frauen als ‚Gestalterinnen des Menschlichen‘“ zu bezeichnen. Oberkoflers Buch würdigt verschiedenste „Gestalter des Menschlichen“ – Kommunisten ebenso wie Pazifisten oder universal denkende Dichter wie Heinrich Heine, Pablo Neruda, Jannis Ritsos oder Erich Fried. Der gerechte Zorn des Autors gilt umgekehrt den Verursachern von Unmenschlichkeit – gegenwärtig den israelischen Urhebern des Völkermords an den Palästinensern, aber auch der „Ostfront des 3. Weltkrieges“ – gemeint ist der Einmarsch einer deutschen „schweren Kampfbrigade von 5000 Soldatinnen und Soldaten“ in Litauen.

Die Besprechung des Sammelbandes wäre unvollständig, erwähnte sie nicht die zahlreichen Bezüge Oberkoflers zu wissenschaftlichen und politischen Weggefährten aus der DDR – Helga und Herbert Hörz, Hermann Klenner oder auch Jürgen Kuczynski, der im Briefwechsel mit Leopold Hornik stand.

Das Buch ist ein großer Appell, sich in furchtbaren Zeiten nicht entmutigen zu lassen. Oberkofler zeigt, wie das zu schaffen ist.

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