Das angestrengte EU-Defizitverfahren Brüssels und der zerrütte Staatshaushalt Österreichs

Wenig überraschend gab die Europäische Kommission gestern bekannt, gegen Österreich ein Defizitverfahren wegen übermäßiger Neuverschuldung eröffnen zu wollen, lag das heimische Budgetdefizit im Vorjahr mit 4,7% der Wirtschaftsleistung doch deutlich über der EU-Obergrenze von 3%. Vermutlich Anfang Juli wird dieses dann konkret beschlossen und in die Wege geleitet. Damit wirft sich zugleich ein eingehenderer Blick auf die Lage der österreichischen Staatsfinanzen und der tatsächlich auf uns zurollenden neoliberalen Sanierungswalze auf, hinsichtlich der uns die „Zuckerl“-Koalition begleitend mit ihrem gegenwärtigen Belastungs- und Sparpaket schon einmal auf „harte Jahre“ einzuschwören versucht.

Die aktuelle Zerrüttung des österreichischen Staatshaushalts „entzaubert“ zunächst einmal mehr den seit je völlig zu Unrecht hochgeschriebenen, ehemaligen Shootingstar der heimischen Politik Sebastian Kurz, unter dessen doppelter Kanzlerschaft (2017 bis 2019 mit den FPÖ-Recken und 2019 bis 2021 mit den Grünen) sowie schwarz-grünen Nachfolge unter Karl Nehammer die Schuldenlast des Bundes von 200 Mrd. Euro auf 300 Mrd. Euro hochgeschraubt wurde. Die Gesamtschulden der Republik wiederum schossen seither auf annähernd 400 Mrd. Euro (2024) empor. Bei einem BIP von rund 500 Mrd. Euro: satte 80%; plus ein Budgetdefizit von beinahe 5%. Diese Miese verbleibt denn auch als das finanzpolitisch „Beste aus beiden Welten“, wie Schwarz-Grün ihr mit einem veritablen Bauchfleck geendetes Regierungs-Projekt selbst gerne bezeichneten.

Dass die SPÖ nicht besser haushaltet, zeigt wiederum bereits ein Blick auf Wien. So schaffte es das Rathaus seit Michael Ludwigs Amtsantritt als Bürgermeister (2018), die Schulden der Bundeshauptstadt von 7,2 Mrd. Euro auf 12,7 Mrd. Euro fast zu verdoppeln und das Defizit von rund 250 Mio. Euro auf aktuell 5 Mrd. Euro gar zu verzwanzigfachen. Damit steht nach dem Bund alsbald auch der Offenbarungseid in Wien bevor. Zumindest, ließe sich zur sozialdemokratischen Finanzgebarung lakonisch bemerken, muss sich der Wiener Bürgermeister nicht wie sein geschasster Parteifreund in Linz, Ex-Bürgermeister Klaus Luger, in jahrelangem Rechtsstreit um einen windigen SWAP-Deal (eine Art hochspekulative Finanz-Wette) vor Gericht herumschlagen.

Und auch personalpolitisch zeigen sich erstaunliche Parallelen. Wurde der von 2021 bis 2024 für das Budget der Republik verantwortlich zeichnende ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner als neuer EU-Kommissar nach Brüssel weggelobt, so Wiens amtsführender Finanzstadtrat von 2018 bis 2025, Peter Hanke, zum nunmehrigen Verkehrs- und Technologie-Minister protegiert. Die „Leistung“ Österreichs Staatshaushalt amtsführend zerrüttet hinterlassen bzw. die Bundeshauptstadt in eine Rekordverschuldung geführt zu haben, muss natürlich jeweils honoriert werden. Denn, um eine – eigentlich mit neoliberalen Nadeln gestrickte – Polit-Phrase einmal aufzugreifen und durchaus mit einer Spur Sarkasmus dahingehend umzumünzen: „Leistung muss sich wieder lohnen.“

Aber schenken wir uns weitere Worte zu diesem Polit-Karussell. Für die Arbeitenden und breiten Bevölkerungskreise ist angesichts des neoliberalen Budgetsanierungspfads der „Zuckerl“-Koalition viel eminenter: Mit der hartnäckigen Wachstumsschwäche der Alpenrepublik – die heimische Wirtschaft steckt heuer das bereits dritte Jahr in Folge in der Rezession und wird laut EU-Kommissions-Prognose 2025 als einziges Land EU-weit weiter schrumpfen –, verstetigt sich die Problemlage der Staatsfinanzen noch. Das auf Boden des neoliberalen Allparteien- bzw. Koalitions-Nenners entsprossene Budgetdefizit von 4,7% und dessen nunmehr projektierte Sanierung durch eine rigorose Sparstiftpolitik, hat bereits die Kettensäge auf den Plan gerufen. Keine Budgetsanierung seit der neoliberalen Wende Mitte der 1980er war derart dominant vom neoliberalen Rotstift-Dogma einer ausgabenseitigen Konsolidierung resp. Sanierung geprägt, wie die der aktuellen „Zuckerl“-Koalition. Nicht einmal jene der einschneidenden Budgetkonsolidierungsjahre 1996/1997 mit ihren tiefen sozialen Einschnitten und Rückbau des Sozialstaats oder die Reorganisation des Staatshaushalts im Gefolge der Finanzkrise 2011-2014.

4,7% Budgetdefizit – das verstößt freilich zugleich eklatant den seit der „Maastrichtisierung“ Europas ins EU-Vertragswerk geschraubten „Stabilitätskriterien“. Dass es für die Maastricht-Kriterien (eine Neuverschuldung von höchsten 3% und Staatsschulden von höchstens 60%) nach ziemlich allgemeiner wirtschaftswissenschaftlicher Auffassung keine tragfähige ökonomische Begründung gibt, hat diesen festgelegten Obergrenzen für die Defizite der Staatshaushalte in der EU keinen Abbruch getan. Die 60%-Festlegungen Anfang der 1990er Jahre entsprachen vorrangig schlicht dem damaligen Schuldenstand Deutschlands und Frankreichs, der beiden bedeutendsten Hauptmächte der EU. Die 3% Haushaltsdefizitgrenze wiederum entstand, wie einer ihrer beiden „Erfinder“, Guy Abeille, später äußerte: intuitiv. Entsprechend war denn zwar auch seit jeher unergründlich, was der ‚Maastrichter‘ „Wachstums- und Stabilitätspaket“ mit Stabilität und insbesondere Wachstum zu tun hat. An den in der Tat zerrütteten Staatsfinanzen Österreichs (nicht zuletzt auch aufgrund der wahllos mit Geld zugeschütteten Vielfachkrisen, der unentwegten Steuerzuckerl ans Kapital, der allerseltenst sozial zielgerichteten Maßnahmen und der kostenintensiven, vielfach zudem sinnfreier Prestigeprojekte), vermag allerdings auch diese Kritik am Maastrichter Zwangskorsett und dessen institutioneller Prozeduren nicht zu rütteln.

Das sog. „strukturellen Defizit“ (unabhängig konjunktureller Faktoren) Österreichs liegt gegenwärtig bei 2,4%. Dazu gesellt sich noch das naturgemäß nur schwer genau zu prognostizierende „konjunkturelle Defizit“ (sinkende Staatseinnahmen aufgrund der dahintümpelnden und schrumpfenden Wirtschaft, mit vice versa kompensierend höherer Neuverschuldung) und das sog. „erratische (unberechenbare) Defizit“ (etwa durch Hochwässer oder Zoll- und Sanktions-Gefechte, Embargos, gar Handelskriege)  – die den Staatshaushalt, siehe Trumps aktuellen Zollholzhammer und Finger am Abzug des Weltzollkriegs, nochmals weiter in die Bredouille bringen und auch gehörig ins Schlinger bringen können.

Mit dazu muss die Republik heuer und in den kommenden Jahren eine Reihe zurückliegend noch zu Billigstzinsen aufgenommene Staatskredite zu neuen, höheren Zinssätzen revolvieren (ersetzen, ablösen) – was in der politischen Debatte bisher weitgehend außenvorgelassen wurde und wird. Für dieses Kreditvolumen von rund 60 Mrd. Euro im Jahr an neu aufgenommenen und umgeschuldeter Kredite, liegt der Zinssatz heute allerdings deutlich höher als in den zurückliegenden Billigzinsjahren – für zehnjährige Kredite zuletzt bereits bei 2,9%, anderweitige Zinssätze liegen aktuell sogar bei rund 4%. Damit klettern auch die zu berappenden Tributzahlungen an die Finanzmärkte auf gegenwärtig auf 1,7% des BIP hoch.

Zum anderen droht, da Österreich die vereinbarten EU-Klimaziele bis 2030 voraussichtlich verfehlt, der Republik eine Straf- bzw. Kompensationszahlung von konservativ gerechneten 5 Mrd. Euro im Jahr 30. Fiskalratschef Christoph Badelt u.a. rechnen diesbezüglich jedoch eher mit 8 Mrd. Euro und damit einer Straf- und Kompensationszahlung von rund 1,5% des BIP. Was dann freilich als erneutes „Argument“ für weitere Einsparungen dienen wird.  

Nimmt man also dieses größere Ganze in seinen Gesamtdimensionen in den Blick, wird in Umrissen erkennbar was da wirklich auf uns zurollt – sofern wir keine Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse und soziale Wende erzielen. Denn dann sähen wir uns, zu den bereits auf dem Weg befindlichen sozialen Belastungen und Rückbau des Sozialstaats, nochmals einem sozialen Kettensägemassaker multiplizierter Version und ordnungspolitischer wie sozialer Zuchtruten anderen Ausmaßes bevorstehen.

So etwa visiert die Koalition für 2029 nicht nur eine Senkung des Budgetdefizits unter 3% an, sondern schwadroniert gar von einem positiven Primärsaldo (sprich: einen Überschuss aus dem Verhältnis von Staatseinnahmen und Ausgaben zu generieren). Dies wäre nach politischer Lage der Dinge allerdings nur um den Preis einer regelrechten soziale Blutspur zu erreichen. Begleitend dazu soll bis 2029 zudem noch die Neuverschuldung der Bundesländer und Gemeinden auf maximal 1% des BIP abgeschmolzen werden. Das entspricht bei einem BIP von rund 500 Mrd. Euro einem Gesamtvolumenvon 5 Mrd. Euro. Oder um einen vergleichsweisen Wert hierzu heranzuziehen, der dieses Ziel maximal durchsichtig macht: Das beliefe sich für die 2.000 Gemeinden, die Städte und Bundesländer zusammen auf die Dimension der alleine aktuellen Verschuldung Wiens.

Voilà, damit bliebe kein Stein auf dem anderen. EU-Verfahren hin, EU-Verfahren her.

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