Ein Leben für den Widerstand und die Gerechtigkeit – Zum Gedenken an Paul Vodicka, 1928–2024

Am 17. Dezember 2024 verstarb Paul Vodicka, geboren 1928 in Ottakring. Mit ihm geht ein unermüdlicher Kämpfer, der sein Leben dem Widerstand gegen Faschismus und Unterdrückung sowie dem Kampf für eine gerechtere Welt widmete. Sein Leben ist ein eindrucksvolles Zeugnis für die Stärke und Unnachgiebigkeit der Arbeiter:innenbewegung, auch unter den schwierigsten Bedingungen.

Bereits sein Großvater war in den Klassenkämpfen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eingebunden. Gemeinsam mit dem damaligen Ottakringer Bürgermeister Franz Schuhmeier war sein Großvater an der Gründung der SDAP und deren Organisationsstruktur beteiligt. Vodickas Großeltern wohnten bis 1912 im Haus des Ottakringer Arbeiter:innenheims. Seine Mutter war gelernte Schneiderin, und sein Vater war Werkmeister im Telegraphenbauamt der Post. Beide Elternteile engagierten sich in der SAJ bzw. SDAP und gehörten dem sogenannten linken Flügel an. Aufgrund der Ereignisse rund um den Schattendorfer-Prozess 1927 traten seine Eltern und ihr Umfeld der Kommunistischen Partei bei. Während der Zeit des Schuschnigg-Regimes engagierten sich seine Eltern im Widerstand und vertrieben bis 1942 die illegale Zeitung „Rote Fahne“. 

Paul Vodicka beschrieb seine Schulzeit als militärisch und von strikter Disziplin geprägt. Kommandos, Strammstehen und der Hitlergruß gehörten zur Tagesordnung. Trotz der Indoktrination fand er die Zeit lehrreich: Er erhielt Einblicke in das bürgerliche Umfeld des Realgymnasiums und wuchs gleichzeitig im Barackenhof auf, einem Viertel sozial benachteiligter Bevölkerungsschichten. In der Schule waren er und seine Freunde die „rauen Burschen“ vom Barackenhof. In seiner Siedlung galt er jedoch als „Milchkind“, da er das Realgymnasium besuchte. Nach dem Gymnasium wechselte er zur Handelsakademie, wo er Erich Schmutzer kennenlernte, der wie Vodicka in dem kommunistischen Jugendverband KJV 17 aktiv war. 1942 nahmen Vodicka und Schmutzer an Versammlungen des KJV 17 teil und trafen dort Otto Horn, Kurt Schulhof und andere Mitglieder der Widerstandsbewegung.

Im Frühjahr 1943 musste Vodicka eine vormilitärische alpine Ausbildung absolvieren, die Jugendliche für die SS begeistern sollte. 51 der 54 Teilnehmer:innen verpflichteten sich zur SS – Vodicka jedoch verweigerte. Unter brutalen Bedingungen, wie militärischen Übungen in überhitzten Räumen, hielt er stand, indem er vorgab, sich zur Marine gemeldet zu haben. Um einer weiteren Rekrutierung zu entgehen, meldete er sich tatsächlich freiwillig zur Marineoffizierslaufbahn und hoffte, in der Wirtschaftsabteilung arbeiten zu können. Stattdessen wurde er im Sommer 1943 zur Kadettenausbildung in der Kuchelau einberufen. Die Handelsakademie konnte er wegen seiner konspirativen Aktivitäten nicht abschließen.

Ursprünglich wollte Vodicka Journalist werden, jedoch war eine Ausbildung bei der Napola – der Eliteschule der Nationalsozialisten – Voraussetzung. Kurzzeitig arbeitete Vodicka bei der Presseagentur „Wienbild“ mit der Berufsbezeichnung „Schriftleiter in Ausbildung“, deren Chef Ing. Gondocz der Leibfotograf von Gauleiter Baldur von Schirach war.

Ein zentraler Teil von Vodickas politischem Engagement war die Verbreitung von Flugblättern, oft durch riskante Aktionen in Straßenbahnen. Gemeinsam mit der Gruppe um Kurt Schulhof und Otto Horn organisierte er antifaschistische Aufklärungsarbeit. Der „Genosse Schuch“, Schulhofs Stiefvater, stellte Materialien und Kontakte zur Kommunistischen Partei bereit. Auch Lebensmittelknappheit führte zu Widerstandsaktionen: Eine Gruppe des KJV stahl Lebensmittelkarten aus einem NSDAP-Lokal und verteilte sie an Bedürftige. Parallel engagierten sich KJV-Mitglieder in der „Wiener Mischlingsliga“, einer illegalen Organisation von Halbjüd:innen. 1944 wurden Mitglieder wie Kurt Schulhof und Otto Horn wegen eines Spitzels verhaftet und verurteilt.

Nach mehreren Versuchen, der Wehrmacht zu entkommen, wurde Vodicka dennoch zur Infanterie, genauer gesagt zum Sicherheitsdienst (SD), eingezogen, den er in einem Gespräch als „Bluthunde von Schirach“ bezeichnete. Dort verweigerte er Befehle, sabotierte Arbeiten und täuschte Krankheiten vor, um der Front zu entgehen. In einer drastischen Situation weigerte er sich, einen flüchtenden Deserteur, der auf einen abfahrenden Zug aufspringen wollte, zu erschießen, woraufhin ein SS-Mann die Tat übernahm – ein Erlebnis, das ihn tief prägte. Kurz vor Kriegsende half Vodicka seinem Bruder Walter, aus dem Volkssturm zu fliehen. Durch einen riskanten Plan gelang es ihnen, der HJ zu entkommen und bei Unterstützer:innen unterzutauchen. Ihre Flucht wurde von der Solidarität antifaschistischer Familien in Wien ermöglicht.

Angesichts der Kämpfe in Ungarn wurde die Parole „Wien darf kein zweites Budapest werden“ ausgegeben. Heinrich Klein reorganisierte im Frühjahr 1945 die Widerstandsgruppe KJV 44. Unter strengster Geheimhaltung wurden Menschen in NS-Organisationen eingeschleust, um Informationen zu sammeln und Aktionen vorzubereiten. Nach der Entlassung politischer Häftlinge, darunter Kurt Schulhof, baute der KJV in Hernals eine Widerstandsgruppe auf. Heinrich Klein fälschte einen Befehl des Gauleiters Baldur von Schirach, der eine Rückverlegung der Hauptkampflinie zum Gürtel anordnete. Dies führte zur Zerstreuung der Wehrmacht und ermöglichte die kampflose Befreiung der westlichen Bezirke Wiens. Die Widerstandskämpfer:innen hissten rote Fahnen und entwaffneten über dreitausend Soldaten.

Bis ins hohe Alter blieb Paul Vodicka ein aktiver Teil der kommunistischen und antifaschistischen Bewegung. Er engagierte sich in Bildungsprojekten, hielt Zeitzeug:innengespräche in Schulen ab und unterstützte junge Menschen bei historischen Recherchen rund um den antifaschistischen Widerstand in Wien während der NS-Zeit. Sein Zuhause war ein Treffpunkt für Genoss:innen, seine Bücher und Erinnerungen eine Quelle der Inspiration für kommende Generationen.

Für ihn war Antifaschismus niemals ein isoliertes Anliegen. Er verband ihn stets mit dem Kampf gegen Krieg, Kolonialismus und die imperialistische Unterdrückung der Völker. Die Lehren seines Lebens sind heute aktueller denn je. In einer Welt, in der rechtsextreme Bewegungen wieder erstarken, in der soziale Ungleichheit wächst und in der die Macht des Kapitals immer brutaler über Menschen und Natur hinweggeht, bleibt sein Beispiel ein Licht in der Dunkelheit. Mit Paul Vodicka verlieren wir nicht nur einen Genossen, sondern auch einen Chronisten und Kämpfer der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung. Er hinterlässt uns die Verantwortung, seinen Kampf fortzusetzen: gegen Faschismus, gegen Kapitalismus und für eine gerechte und friedliche Welt.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die persönlichen Erinnerungen von Paul Vodicka in Form einer Audioinstallation sowohl im Bezirksmuseum Ottakring als auch digital unter folgendem Link hörbar sind: https://www.hasan-ulukisa.at/fragments-of-resistance/

Ein weiterer Nachruf ist zu finden in „Jacobin“

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