Dieser Tage jährt sich der Oktoberstreik 1950, die große Auflehnung hunderttausender Arbeitender gegen die „paktierte Inflation“ der seinerzeitigen Lohn-Preis-Pakte der damaligen ÖVP-SPÖ-Koalition, zum 75 Mal. Seine Niederlage wurde in mancherlei Hinsicht zum Wendepunkt und führte aus jener Vorstufe der „Sozialpartnerschaft“ über weitere Etappen zu deren spezifisch alpenländischer Etablierung.
Diese, so schon der Langzeitobmann der Wirtschaftskammer Rudolf Sallinger (1964 bis 1990) und „sozialpartnerschaftliches“ Pendant von ÖGB-Präsidenten Anton Benya, soll zu all ihren Schäden in der Behauptung der materiellen Interessen der Arbeitenden und politisch-ideologischen Folgen zudem „je nach Wirtschaftslage und wirtschaftspolitischen Problemstellungen“ von Kapital und Staat entsprechenden „Anpassungen“ folgen. Was Sallinger, Benya und ihre „Nachfolgepartner“ darunter verstanden und verstehen, zeigt sich dieser Tage geradezu ungeschminkt in den Lobgesängen und Fanfarenstößen auf die „Sozialpartnerschaft“ angelegentlich der gewerkschaftlichen Bankrotterklärungen der Metaller und des öffentlichen Dienstes. Am grünen Tisch besiegelt Lohneinbußen als „starkes Zeichen der Sozialpartnerschaft“ und „Modell Österreich“ – sagt alles.
Und sollten sich, wenn schon nicht der ÖGB als Säule des Systems, Einzelgewerkschaften irgendwie doch gegen diese Rolle als Keilriemen von Staat und Kapital auf Kosten der Arbeits- und Lebensinteressen der Beschäftigten sträuben, steht – darin besteht in der Tat die jetzt so gerne zitierte „Planungssicherheit“ für die Arbeitenden – im Falle rosarot getupfter Koalitionen verlässlich ein sozialdemokratisches Regierungsvertreter Gewehr bei Fuß für die subalterne Rolle der Gewerkschaften und ihrer Rolle als „Hilfsorgan“ des Systems Sorge zu tragen.
Das nahm schon in der Hochphase der SPÖ in den 1970er Jahren mit Vizekanzler und Finanzminister Hannes Androsch seinen Ausgang, der bereits seinerzeit in einem ersten Vorstoß die Abgeltung der Inflation öffentlich in Frage stellte. Seither vollzogen sich innerhalb der SPÖ freilich massive weitere Verschiebungen zuungunsten der Gewerkschaften und Lohnabhängigen. Erklärte die SPÖ-Führung und Regierungsriege unter Bruno Kreisky gewerkschaftliche Forderungen noch (zumindest) vielfach zu ihren eigenen*, kündigte SP-Kanzler Fred Sinowatz diesen Bezug gleichsam auf, und gingen die SPÖ-Regierungschefs seit Franz Vranitzkys Verordnung von Null-Lohn-Runden sowie den Sparpaketen Lacina/Dietz‘ 1995 resp. 1996/97, Alfred Gusenbauers Ausbootung der Gewerkschaften in dessen Kanzlerschaft, und die nunmehrige SP-Riege Babler/Marterbauer auf vielfach offene und direkte Konfrontation, Ultimaten oder Erpressungen gegen die Gewerkschaft wie Fachgewerkschaften über.
Spätestens mit Wende Anfang der 1980er Jahre zog damit ein zunächst latentes und zunehmend wachsendes Spannungsverhältnis innerhalb des sozialdemokratischen Gefüges der „Sozialpartnerschaft“ ein, das – da nie konfrontativer ausgetragen – die Gewerkschaft in weitere Mitleidenschaft zog und ihre soziale Funktion noch stärker entstellte. Die infolgedessen partiell aufgeploppten Krisen in den Beziehungen der Gewerkschaften zur SPÖ – etwa aufgrund der Nichteinbeziehungen des ÖGB und der „Sozialpartner“ in die Budgetvorbereitung und -ausarbeitung 1995 – wurden in Nachverhandlungen und der anschließenden Wiedereinbeziehung in die Budgeterstellung jedoch schnell ausgebügelt. Einen zunächst vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung markiert dann das letzte Regierungsübereinkommen unter SP-Kanzler Christian Kern. Mit diesem wich nicht nur die vormalige Einbeziehung resp. Konsultierung der Gewerkschaften in die Erarbeitung gewerkschaftsrelevanter Arbeitsmaterien des Regierungsprogramms einem Außen-vor-Lassen, sondern hielt zugleich ein bis dahin einzigartiger Angriff auf die, wie Eingriff in die KV- und Verhandlungsautonomie der Gewerkschaften Einzug. Nämlich, entweder die durch die Regierung gleich mitvorgegebenen Ergebnisse „auszuverhandeln“ oder diese ansonsten gesetzlich durchzupeitschen. Mit welcher Entschiedenheit und Rigorosität SP-Kanzler Kern dabei seine Forderungen auch gegen die Gewerkschaften nach eigenem Ermessen und Gutdünken durchzupeitschen gedachte, brachte er vor Spitzen-Vertretern des heimischen Kapitals im Jänner 2017 unumwunden in einem Ultimatum zum Ausdruck: „Ich hoffe, dass die Drohung mit einem Gesetz wirkt. Wenn die Sozialpartner bis 30. Juni keine Lösung finden, werden wir das einer Lösung zuführen.“
Ihren aktuellen Höhepunkt findet diese schmähliche Rolle der Sozialdemokratie freilich in dem von Finanzminister Markus Marterbauer mit der Drohung von ansonsten zweier Nulllohnrunden 2027 und 2028 erzwungenen Aufschnürens und Neuverhandelns des eigentlich bereits gesetzlich fixiert gewesenen Abschlusses im Öffentlichen Dienst. Und der auf einem „ÖGB&AK Ticket“ in der Regierung sitzende SPÖ-Minister preist den durchgesetzten Reallohnverlust im Anschluss auch noch als „Erfolg des österreichischen Modells“. Dass sich GÖD-Chefverhandler Eckehard Quin seinersteils dazu erdummt, diesen schroff erzwungenen Neuabschluss mit Reallohnverlust als „Signal“ abzufeiern, dass „die Sozialpartnerschaft lebt“, zeigt nur die Langzeitfolge der Verwüstung, die die „Sozialpartnerschaft“ in Österreich gewerkschaftspolitisch angerichtet hat bzw. in ihrem tief eingeschriebenen „Konsens mit Kapital und Staat“ bewirkt.
Als Chuzpe lobte die Zuckerlkoalition den – aus einem historisch einmaligen Aufschnüren! erpressten und paktierten – Neuabschluss auch noch dahingehend, dass er „Planungssicherheit“ für die Beschäftigten schaffe. In der Tat: Nämlich die Planungssicherheit, den Gürtel enger schnallen zu müssen sowie „sozialpartnerschaftlich“ allemal verraten und verkauft zu werden.
*Freilich galt dies schon seinerzeit nur unter Bedingungen der Hochkonjunktur. Entsprechend freimütig schrieb denn auch schon Kreisky zur Rolle der Sozialdemokratie: „Am Beispiel der Rolle der britischen Sozialdemokratie [Regierungen Harold Wilson] ist erkennbar, dass sozialdemokratische Regierungen in bestimmten Momenten gezwungen sind, ausschließlich im Interesse der herrschenden Klassen zu agieren.“





