Der Gletscherschwund beschleunigt sich weiter

Würde es sich nur um die Kulisse für eine nette Animationsfilmreihe wie „Ice Age“ bzw. „Heimatfilme“ genannte ‚Alpen-Western‘, oder um den philosophischen Disput über das Naturschöne (paradigmatisch: Kant vs. Hegel) drehen, könnten wir den dramatischen Gletscherschwund, wie von der gestern präsentierten Studie der Akademie der Wissenschaften zusammen mit mehreren Universitäten gerade für die Gletscher Tirols ausgewiesen, etwaig nonchalanter begegnen. Da dem aber anders, müssten in Wirklichkeit weit und breit die Alarmglocken schrillen. Und das sowohl aufgrund der schwindenden Gletscher als solcher, wie des Umstands, dass die Rückgänge bzw. das Schwinden der Gebirgsgletscher zugleich als einer der sichtbarsten Auswirkungen und Indikatoren des Klimaumbruchs gelten.

Bei einem definitiven Reißen des Pariser 1,5°-Ziels „ist in der Region mit dem Verlust aller Gletscher zu rechnen – vielerorts bereits in den nächsten Jahren“, so die aktuelle Studie. Aufgrund der global immer rasanteren Zuspitzung des Gletscherschwunds wurde das Jahr 2025 denn auch seitens der UNO bereits zum „Internationalen Jahr der Erhaltung der Gletscher“ erklärt.

Denn weltweit gibt es etwa 215.000 Hochgebirgsgletscher, deren Abschmelzen und Schwund sich seit den 1990er Jahren im rapiden Tempo vollzieht. Mehr noch hat sich deren Rückgang und Verschwinden seit 2010 nochmals rasant beschleunigt, wie jüngste Studien belegen.

Eine Spur wissenschaftsnähergesprochen, sind die Gletscher (der Gletscherhausalt) sonach aus dem Gleichgewicht (ausgewogene Massenbilanz) ihres bisherigen natürlichen Rhythmus zwischen ihrer Zunahme im Winterhalbjahr (ihrer Akkumulation) und ihres Rückgangs im Frühling und Sommer, wenn die Temperaturen ansteigen und die Schneefälle abnehmen, (oder ihrer Ablation per Abschmelzen und Abbruch), geraten. Ja, teilweise und vorhersehbar (im Falle der Alpengletscher eine Frage von einigen Jahrzehnten) komplett verschwindend.

Diesbezüglich handelt es sich jedoch um mehr als das Wegschmelzen von Postkartenmotiven, Filmkulissen oder alpines Wandern bzw. (Höhen)Bergsteigen, sondern vielmehr um handfeste direkte Bedrohungen und desaströsen Folgewirkungen des Rückzugs bzw. Verschwinden der Gletscher für rund zwei Milliarden Menschen. Denn die im Winter zugefrorenen und im Frühling und Sommer abtauenden Gletscher versorgen als Zwischenspeicher und Süßwasserreservoir ganze Regionen und Länder. Dieses Schmelzwasser versorgt ebenso Megacitys von Lima, über Los Angeles oder Neu-Delhi bis Tokio mit deren nötigen Trinkwasser, wie es darüber hinaus für ländliche Gebiete, Dörfer und Großregionen für die Bewässerung in der Landwirtschaft (indem es bspw. Flüsse und Lebensadern wie den Indus, Ganges, den Brahmaputra und den Mekong oder den Jangtse und Huang He – den Gelben Fluss – speist) und damit die Lebensmittelversorgung sowie fürs am Leben halten der Wasserkraftwerke unabdingbar ist, wie es als lebenswichtige Süßwasserquelle auch für deren Trinkwasserversorgung unerlässlich ist.

Und der rasende Gletscherschwund betrifft auch beiweilen nicht „nur“ die eingangs angesprochenen Tiroler Gletscher oder Alpengletscher insgesamt – die als größter Süßwasserspeicher Europas im Verschwinden begriffen sind. Selbst die Gletscher des Himalayas schmelzen immer schneller ab. Teils sogar schneller als in vielen anderen Hochgebirgen. Um welche Dimension der Annihilation des „Wasser-Förderbands“ es sich dabei handelt, vermag vielleicht der Hinweis näherzubringen, dass die Eisschilde am „Dach der Welt“ unter Klimaforschern vielfach als der „dritte Pol“, neben den Polarregionen, gelten.

Die Gletscher sind, mit Helga Kromp-Kolb nochmals ebenso ausdrücklich für hiesige Gefilde gesprochen, also „nicht nur ein optischer Aufputz für unsere Alpengipfel. Ihr Rückgang hat auch vielfältige Auswirkungen auf die Natur und uns Menschen. Wo sie sich zurückziehen, bleiben Schotterflächen zurück. Dieses lockere Geröll wird durch Niederschläge mobilisiert“ und kann bei „extremen Starkniederschlägen auch vermehrt zu Murenabgängen“ führen. Zeitgleich tauen die alpinen Permafrostböden auf. „Wenn sie auftauen, führt dies häufig zum Abgang von lockerem Geröll. Es kann aber auch vorkommen, dass das Eis des Permafrostes der einzige Stabilisator für ganze Hänge ist, die dann beim Auftauen instabil werden.“ Von „normalen“ Gesteinsschlägen gar nicht zu reden.

„Aber nicht nur die Gebiete direkt rund um die Gletscher sind von deren Rückgang betroffen“, so die arrivierte österreichischen Klimaforscherin mit gleichzeitig explizitem Blick auch auf die Alpenrepublik weiter. „Gletscher spielen auch eine wesentliche Rolle für die Stabilisierung des Abflussverhaltens alpiner Flüsse. Gletscher geben ihr Wasser überwiegend während hochsommerlichen Hitzewellen frei. Der ganze Jahresniederschlag am Gletscher wird faktisch zu diesen wenigen Wochen an die Flüsse abgegeben. Dies findet gerade dann statt, wenn andere Wasserquellen abnehmen oder ganz versiegen. Damit verhindern Gletscher, dass im Sommer der Wasserstand der Flüsse zu stark absinkt.“ Und das wiederum hat gleichfalls in Österreich „vielfältige Auswirkungen auf die Lebewesen im Wasser, aber auch auf die Trinkwasserversorgung, die touristische Nutzung der Flüsse, die Wasserkraftproduktion und für die Bereitstellung von Kühlwasser für industrielle Prozesse sowie kalorische Kraftwerke.“

Zu diesen gleichsam akzentuierter mittel- bis langfristigen Bedrohungen, gesellen sich als unmittelbare Folgewirkungen Lawinen, Gletscherwogen (aufgrund plötzlicher Beschleunigungen der normalen Sohlgleitung durch mehr angesammeltes Schmelzwasser), Gletscherstürze und Flutwellen aus Gletscherseen, die sich in den immer labileren und instabileren Gletschern aufstauen, um dann als eine Art „Gletscher-Tsunamis“ plötzlich und mit immenser Gewalt in die Täler stürzen.

Dass der mit dem Abschmelzen des „ewigen Eises“ einhergehende Rückgang der Albedo (des unmittelbaren Rückstrahlvermögens, also der Zurückstrahlung der einstrahlenden Wärmenergie des Sonnenlichts – ohne es zu absorbieren und transformieren – durch weiße Eis- und Schneeflächen) selbstverstärkende Rückkoppelungseffekte zeitigt, die den Teufelskreis der Erderwärmung weiter hochdrehen, sei abschließende nur mehr am Rande erwähnt. Klar ist indes, dass das Abschmelzen riesiger Flächen mit extrem hoher Albedo und deren Umwandlung in Flächen extrem niedriger Albedo (Gestein) Folgekonsequenzen auf den Strahlungs- und Energiehaushalt der Erde hat, die den Klimawandel ihrerseits wesentlich verstärken und damit den Gletscherschwund auch nochmals rückkoppelnd beschleunigen.

Anstatt der Gletscherschmelze, als gleichzeitigem Aspekt der im Gang befindlichen Klimakatastrophe dessen immanenten Teil sie ist, effektiv entgegenzusteuern bzw. sie zumindest noch einzuhegen, stehen wir nach Jahrzehnten realkapitalistischer Klimapolitik vorm Verschwinden der Gletscher und einer klimapolitischen Offenbarung des kapitalistisch formierten Naturverhältnisses sowie dessen politischer Regierungsausschüsse diverser Couleurs.

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