Der Kampf der indigenen Mapuche Chiles steht im Feuer. Just am „Tag der indigenen Widerstände“ hat der Staatspräsident und fünftreichste Mann des Andenstaats, Sebastián Piñera, den Ausnahmezustand gegen die angestammten Gebiete des Mapuchevolks ausgerufen und das Militär gegen die widerständigen Indigenas entsandt.
Mit rund 1,6 Millionen Angehörigen sind die Mapuche, eine der zehn indigenen Nationen des Landes, das größte indigene Volk Chiles und stellen gut 9% der Bevölkerung des Andenstaates (von denen viele aufgrund des geschichtlichen Landraubs heute auch in der Hauptstadt leben).
Das indigene Volk der Mapuche bzw. Araukaner
Das früher zusammen mit benachbarten Völkern Araukaner genannte indigene Volk, gilt als eines tapfersten und heldenhaftesten. Den gefürchteten Conquistador Diego Alamgro (der Ältere) schlugen sie schon in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts in die Flucht, der daraufhin quer durch die 800 km lange wasserlose Atacama-Wüste unter der Glut der Sonne Reißaus nahm.
Lautaro – Caupolicán – und Fresie: in einer Ehrenlegion mit Cauthemoc und Tupac Amaru
Ihr späteres Oberhaupt Lautaro steht in der Forschung in einer Reihe mit dem Azteken Cauthemoc oder dem Inka Tupac Amaru II. Sein Nachfolger Caupolicán wiederum, gilt dem einfachen chilenischen Volk bis heute als ein geschichtlicher Lieblingsheld. Und mit der Indigena Fresie brachten die Mapuche Mitte des 16. Jahrhundert auch schon früh ihre erste in Epen besungene Frau hervor. In einer entscheidenden Schlacht, so heißt es, trat sie vor die Schlachtreihen, hielt ihr kleines Kind in die Höhe und rief: „Kämpft, Mapuche, kämpft!“ – und stand mit zahlreichen weiteren Frauen dem Heer der Indigenen im Kampf zur Seite.
Die über 300 Jahre behauptete Unabhängigkeit gegen die Conquistadores
Der kühne Widerstand der Mapuche führte zu Beginn des 17. Jahrhunderts sogar soweit, dass Chile den Spitznamen „Spanierfriedhof“ bekam und sich Kolonialsoldaten reihenweise weigerten, in Chile zu dienen. Ihr Unabhängigkeitskampf war von einer derartigen Kraft, dass Spanien schließlich gar das Feld räumte, sich zurückzog und anstelle seiner blutig gescheiterten Eroberungspläne um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen bat, was in der einzigartigen Stellung der Mapuche resp. Araukaner gipfelte, dass sie auf Boden des 1641 geschlossenen Vertrags von Quillín im 17., 18. und 19. Jahrhundert zunächst für über 300 Jahre ihre Unabhängigkeit verteidigen und bewahren konnten. Erst 1878 – nach einem Jahrzehnte währenden Krieg – gelang es dem neuen chilenischen Staat (1817/18) die Mapuche zu bezwingen und wurde Araukien der Republik Chile angegliedert.
Einhergehend mit ihrer Niederlage wurde ihr Land (bis dahin Gemeinbesitz, dessen partielle kapitalförmige Parzellierung bereits auf Basis eines entsprechenden Gesetzes von 1866 immer weiter vorangetrieben werden konnte), weitgehend kolonialisiert, parzelliert und ihnen entwunden. Die Mapuche selbst wurden begleitend in Reservate gezwungen und verbannt.
Ihr nie erloschener Widerstand, ihre Solidarität mit der Unidad Popular und ihr antifaschistischer Kampf
Allerdings währte der Kampf der Mapuche um ihre Unabhängigkeit und ihren Boden auch im Anschluss noch ein weiteres Vierteljahrhundert und hielt als Kampf um den Boden auch danach noch an. 1934 scheiterte dann vorerst ihr letzter großer Aufstand. Gleichviel existierten in den Gebieten südlich des Bío-Bío nach 1945 noch über 3.000 indigene Gemeinden, comunidades, mit über 500.000 ha Bodeneigentum. Zugleich spielten die Mapuche-Gemeinden im Rahmen der demokratischen Agrarreform der Unidad Popular unter Salvador Allende und Lois Corvalán eine nicht zu unterschätzende Rolle, unterstütze die überwältigende Mehrheit der Mapuche die Volksfront (1970 – 1973).Die Niederschlagung des revolutionären Aufbruchs durch die faschistische Reaktion unter Augusto Pinochetund die Errichtung des chilenischen Faschismus traf nicht zuletzt auch die Mapuche-Bewegung mit voller Härte. Die Agrarreform wurde zurückgenommen und die unter der Volksfrontregierung Allende-Corvalán erfolgten Landrückgaben wurden wieder rückgängig gemacht. Zugleich waren die Indigenas neben der Linken, den KommunistInnen und GewerkschafterInnen mit am stärksten Repressionen ausgesetzt, die 1979 zudem noch per rassistischen Gesetzeserlass institutionalisiert wurden.
Ihr Widerstand erlosch jedoch weder unter faschistischen Militär-Diktatur Pinochets (im Gegenteil entfaltete er sich zur Vor-Volksfront-Zeit zu neuer Stärke und reihte sich die Mapuche-Bewegung in die antifaschistische Kampffront der Linken, ArbeiterInnenbewegung, Gewerkschaften, Studierenden und MenschrechtlerInnen ein), noch erlosch er in den Jahren danach, in denen ihnen die verbrieften Rechte der indigenen Völker der ILO-Konvention 169 weiterhin vorenthalten wurden, und währt in seinen unterschiedlichen Kampfformen bis in die Gegenwart. Aufgrund der Enttäuschung ihrer Anliegen durch das neoliberale Chile im Anschluss an den Sieg über die Militär-Junta Pinochets (1989/90) wandten sich die Mapuche verschiedenartigen und auch militanteren Kampfformen – von Demonstrationen, Landbesetzungen und Straßenblockaden, über verschiedentlich Brandanschläge auf Scheunen und Ernten sowie Lkws für den Holztransport – in ihrem Kampf um Anerkennung als indigenes Volk und die Rückgabe ihrer angestammten Territorien zu. Denn ähnlich anderen Ländern, wurde die 2008 auch von Chile anerkannte ILO-Konvention 169 bis heute nicht umgesetzt.
Elisa Loncón – die Frau mit der Flagge der Mapuche an der Spitze des Verfassungskonvents
Mit ihrer Kritik am verfassungsmäßig verankerten neoliberalen Wirtschaftssystem und dem neoliberalen Zuschnitt von Politik und Staat stehen die Mapuche heute alles andere denn alleine da, wie die millionenstarke Protestbewegung 2019/2020 vor Ausbruch der Corona-Pandemie nachdrücklich beweist – gegen die sich Staatspräsident und Multimilliardär Piñera nur unter Einsatz des Militärs halten konnte. Aber auch das harte Vorgehen der Polizei und des Militärs, das auch internationale für Empörung sorgte, konnte die Forderung der ChilenInnen nach einem Verfassungskonvent nicht verhindern. Zur Präsidentin der von den Massen erzwungenen verfassungsgebenden Versammlung, zur Überwindung des noch aus dem Junta-Regime stammenden chilenischen Grundgesetzes von 1980, wurde mit Elisa Loncón zudem erstmals eine Mapuche wie indigene Frau in ein hohes politisches Amt Chiles gewählt.
La lucha sigue! – Der Kampf geht weiter und steht im Feuer
Gleichviel steht die traditionell linke Mapuche-Bewegung aktuell neuerlich in harten Kämpfen um ihre Anerkennung, mehr Autonomie, ihr Recht auf Land sowie gegen die soziale, ökonomische und gesundheitliche Misere Chiles – mit Todesopfern durch die Polizeieinsätze gegen ihren Protest. Die Mapuche sowie chilenische Linke und Kommunistische Partei Chiles lassen keinen Zweifel daran, wen sie für das brutale Vorgehen gegen den „Marsch für den Widerstand der Mapuche und die Autonomie der Völker“ sowie das jüngste Todesopfer von Sonntag – die 43jährigen Studentin und Maputche-Ativistin Denisse Cortés Saavedra – verantwortlich machen: die berüchtigte, für ihre Verbrechen bekannte Militärpolizei (Carabineros) unter dem rechtskonservativen Innenminister Rodrigo Delgado. Just am „Tag der indigenen Widerstände“ wurde der Konflikt mit dem Maputchevolk seitens des chilenischen Präsidenten Sebastián Piñera mit der Verhängung des Ausnahmezustands gegen angestammte Siedlungsgebiete der Mapuche im Süden Chiles und der Entsendung von Streitkräften nun offen militarisiert und damit gleichsam das Kriegsrecht gegen die widerspenstigen Indigenas des Andenlandes ausgerufen.
Damit steht nach Pantelhó/Chiapas nun ein weiterer Brennpunkt des indigenen Kampfes unmittelbar vor der Eskalation.
Foto: Vocería de Gobierno, Flickr (CC BY-SA 2.0)