„Die neue US-Regierung will die Kontrolle über den Panamakanal zurückerlangen. Dabei geht es nicht nur um ökonomische Interessen, sondern auch um einen Krieg gegen China“, brachte Ingar Solty den multiplen Hintergrund der aktuellen machtpolitischen Washingtoner Erpressung Panamas in seiner jüngsten historischen wie gegenwartspolitischen Abhandlung zur politischen Lage des Landes am Isthmus auf den Punkt. Und zeichnet, mit Schlenk auf Trumps persönlichen Bezüge, die wirtschaftliche und strategische Bedeutung und Geschichte der Wasserstraße nach. Dass hinter diesen handfesten imperialistischen Interessen auch jedwede Rücksichtnahmen Washingtons gegenüber den USA eigentlich freundlich gesonnene politische Vertreter wie Schnee in der Mittagssonne verblassen, musste exemplarisch wiederum gerade Panamas Präsident José Raúl Mulino erfahren. Das Pentagon ist zwischenzeitlich mit Trommelwirbel unterm Sternenbanner an den Panamakanal zurückgekehrt. Umso instruktiver nur Solty’s bereits vor zwei Monaten niedergelegtes durchsichtig Machen des dahinterstehenden Gesamtkomplexes, das wir für diesen Zweck hier denn auch übernehmen
„Kein Spaß“
Die ab 1881 gebaute Wasserstraße, die die Durchquerung der Amerikas per Schiff ermöglicht, gehört wie der 1869 gebaute Suezkanal in Ägypten, der die Umschiffung Afrikas erübrigte, zur historischen Vernetzung und Erschließung der Welt. Heute reißt uns Jules Vernes Abenteuergeschichte „Reise um die Erde in 80 Tagen“ nicht mehr vom Hocker. Seit der Erfindung des Flugzeugs lässt sich die Erde in weniger als 48 Stunden umrunden. Und doch dauert eine Weltreise mit einem Kreuzfahrtschiff auch heute noch mehr als 100 Tage. Und sie wäre ohne den 82 Kilometer langen Kanal zwischen Atlantik und Pazifik noch sehr viel länger, erübrigt die Seewegverbindung doch die unter Seefahrern einst gefürchtete Umschiffung des Kap Hoorn an der südlichsten Spitze von Südamerika.
Trump droht
Donald J. Trump hat schon vor seinem Amtsantritt Ansprüche auf ihn erhoben. Dem Staat Panama, der den Kanal nach einem Vertrag, den die Regierung des damaligen panamaischen Präsidenten Omar Torrijos 1977 mit dem damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter unterzeichnete, seit 1999 souverän verwaltet und betreibt, drohte der neue, alte US-Präsident mit Krieg, sollten seine Forderungen nicht erfüllt werden. Zugleich stellte er auch Ansprüche an Kanada, das er gern als 51. Bundesstaat den USA einverleiben würde, sowie an das rohstoffreiche Grönland, das zum NATO-Partner Dänemark gehört und das Trump aus Gründen der „ökonomischen Sicherheit“ für die USA reklamiert und käuflich erwerben möchte.
Was haben der Milliardär und seine Milliardärsregierung mit dem knapp 2.000 Kilometer Luftlinie entfernten Panama zu schaffen? Tatsächlich gibt es eine mehr als zwei Jahrzehnte zurückreichende persönliche Verbindung, die einen direkten Zusammenhang zwischen Trumps politischen und privatunternehmerischen Zielen vermuten lässt. 2003 hielt der Geschäftsmann in Panama die Wahl zur „Miss Universe“ ab, die dahinterstehende Firma zählte lange Zeit zu seinem Eigentum. Dies war auch die Zeit, als Trump aufgrund einer Reihe von Insolvenzen nicht kreditwürdig war, weshalb er seinen Namen an Luxusimmobilien verkaufte. Eine davon war der 2005 konzipierte und 2011 eröffnete 284 Meter hohe „Trump Ocean Club International Hotel and Tower“ in Panama City. Wie in vielen Fällen war auch diese Immobilie wesentlich in Geldwäscheaktivitäten kolumbianischer Drogenkartelle involviert. 2015 beendete Panama seine Teilnahme an den Miss-Universe-Wahlen in Reaktion auf Trumps rassistischen Wahlkampf. 2018, ein Jahr nach Trumps Wahlsieg, versuchten die in Miami ansässigen Eigentümer von Trumps Hotel und Tower, das Trump-Management loszuwerden und das Hotel von dessen Namen zu lösen. Das Management und Trumps Securitypersonal hielten daraufhin das Gebäude zwölf Tage lang besetzt, bevor Angestellte des Justizministeriums mit einer größeren Zahl bewaffneter Polizeibeamter dem Eigentümer Zugang zu dem 70stöckigen Luxushotel verschafften. Als schließlich ein Jahr später der damalige panamaische Botschafter Juan De Dianous zusammen mit einer ganzen Reihe von Diplomaten anderer Staaten mit Trump zusammentraf, war er von seiner Regierung angewiesen worden, sich völlig bedeckt zu halten und auf gar keinen Fall politische Themen anzuschneiden. Als er an der Reihe war, Trump die Hand zu schütteln, soll dieser zu ihm gesagt haben, seiner Erfahrung nach gebe es in Panama viele Verbrecher.
Heute geht es Trump indes um den Kanal. Schon 2003, als der damals 56jährige das Land zum ersten Mal im Rahmen der Miss-Universe-Wahl besuchte, brachte er sein Gefühl zum Ausdruck, dass die USA die Kontrolle über den Kanal nie hätten abgeben dürfen. Dass er es mit seinen auf Panama bezogenen imperialistischen Gelüsten durchaus ernst meint, zeigte sich, als er seine Forderungen während seiner Rede zur Amtseinführung am 20. Januar wiederholte. Trump äußerte, die Übergabe des Kanals sei ein „törichtes Geschenk“ gewesen und „Panamas Versprechen an uns“ sei „gebrochen worden“. Panama würde die USA unfair behandeln. Außerdem würde China in Wahrheit die Kontrolle des Kanals innehaben. Die USA würden sich die Wasserstraße darum „wiederholen“. Den Einsatz von militärischer Gewalt schloss er abermals explizit nicht aus.
Der panamaische Präsident José Raúl Mulino, eigentlich ein Freund der USA, der die US-Regierung bei „Pushbacks“ gegen Migranten unterstützt, reagierte auf Trumps Androhung mit der Verkündung, dass die Souveränität und Unabhängigkeit des zentralamerikanischen Staates „nicht verhandelbar“ seien. Nachdem der US-Präsident seine Drohungen wiederholt hatte, wandte sich Mulino an die Vereinten Nationen. In einem auf X publizierten Brief an UN-Generalsekretär António Guterres nannte er die Drohungen „besorgniserregend“. Seine Regierung bezog sich dabei auf die UNO-Charta, die den Staaten der Welt die „Androhung oder Anwendung von Gewalt“ gegen die territoriale Souveränität und politische Unabhängigkeit verbietet. Dasselbe Prinzip wurde vom Westen für die militärische Unterstützung der ukrainischen Regierung vorgebracht. Von Waffenlieferungen an Panama oder Grönland zur Verteidigung ihrer territorialen Integrität ist bislang jedoch nichts bekanntgeworden. Mulino jedenfalls forderte Guterres auf, die Sache an den UN-Sicherheitsrat zu überweisen. Er verzichtete aber darauf, den UN-Generalsekretär um die Einberufung einer Sitzung zu bitten, was keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Schließlich haben die USA einen Sitz im Sicherheitsrat und somit ein Vetorecht.
Hauptnutzer: USA
Die Vermutungen, worum es Trump geht, schossen nach seiner Ankündigung wie Unkraut aus dem Boden: Handelt der neue Präsident bloß, weil einer von seinen Geschäftspartnern sich bei einem Geschäftsessen über längere Wartezeiten oder den von Panama in Trockenzeiten erhobenen „Süßwasseraufschlag“ für Transitfahrten beklagt hatte? Oder agiert Trump als ideeller Gesamtkapitalist, also im Sinne der allgemeinen Interessen der von den USA aus agierenden und im Staat dominanten Kapitalfraktionen? Ist sein Anliegen das eines imperialistischen Machtpolitikers, der die Kontrolle über den US-Hinterhof Lateinamerika behalten will? Oder handelt er im Geist der Monroe-Doktrin von 1823, die es überseeischen Mächten, wie heute China, verbat, sich in ebendiesem Hinterhof breitzumachen?
Tatsächlich besitzt der Panamakanal für das US-Kapital sowie die US-Militärdominanz eine hohe Bedeutung. Er ist die schnellste Ostasienverbindung von der US-Ostküste. Von knapp 15.000 Schiffen – das entspricht ungefähr fünf Prozent des globalen Seehandelsverkehrs – wird sie Jahr für Jahr genutzt, spart sie doch allein auf der Strecke New York–San Francisco 20.000 von 30.000 Kilometern Seeweg ein. Heute durchqueren von allen Containerschiffahrten von US-Unternehmen 40 Prozent den Panamakanal – mit einem jährlichen Gesamtwert von 270 Milliarden US-Dollar an Fracht. Auch für den Export von Flüssigerdgas (LNG/LPG) nach Asien ist der Kanal essentiell. Die USA sind damit der mit Abstand größte Nutzer. 74 Prozent aller Schiffe, die den Kanal jährlich durchqueren, haben die USA als Startpunkt und/oder Zielort. Danach folgen – mit großem Abstand – als häufigste Herkunftsländer China, Südkorea, Chile, Mexiko, Peru, Ecuador, Japan, Kolumbien und Kanada. Auch europäische Unternehmen nutzen die Wasserstraße, vor allem für ihren Handel mit der US-Westküste.
Die strategische Bedeutung des Kanals für die USA zeigte sich auch darin, dass der erste Auslandsbesuch den US-Außenminister Marco Rubio nicht nach Ottawa, Brüssel, Berlin, Moskau oder Beijing führte, sondern nach Panama. Im Vorfeld hatte Rubio betont, Trumps imperialistisches Ansinnen sei „kein Spaß“. Die „Kommunistische Partei Chinas“ habe zu großen Einfluss und kontrolliere den Kanal, was ein Vergehen gegen den Vertrag von 1977 über die permanente Neutralität und den Betrieb des Panamakanals darstelle. Aber wie kam es überhaupt dazu, dass die USA vor einem knappen halben Jahrhundert einen Vertrag mit dem kleinen zentralamerikanischen Staat über die Nutzung des Kanals schließen konnten?
Tatsächlich trägt der Kanal nicht den Namen des Staates, sondern der Staat den des Kanals. Nur wegen diesem existiert er überhaupt.
Überlegungen für einen Kanal reichen bis ins frühe 16. Jahrhundert zurück. Nach dem kalifornischen Goldrausch von 1849 wurde – im Interesse einer schnellen Seeverbindung von Kalifornien nach New York – vom kolumbianischen Staat, zu dem das Gebiet des heutigen Panama damals gehörte, eine Lizenz für den privatkapitalistischen Bau einer sechs Jahre später vollendeten Eisenbahn vergeben. Der durch die Goldfunde ausgelöste Boom und die Errungenschaften im Eisenbahn- und Schiffbau schufen die erste kapitalistische Globalisierungswelle ab den 1850er Jahren. 1869 wurde der 164 Kilometer lange Suezkanal, der das Mittelmeer mit dem Indischen Ozean verbindet, im Auftrag von Ferdinand de Lesseps gebaut. Nach seinem Erfolg am Suez erhielt dieser auch den Auftrag für einen Panamakanal. Am 1. Januar 1881 begannen die Arbeiten. Das Projekt jedoch scheiterte grandios: 287 Millionen US-Dollar wurden ausgegeben, dann kam die Insolvenz. Die Investoren verloren nur ihr Geld, die Arbeiter ihr Leben: Bis zur Pleite waren unter schwierigsten klimatischen, geologischen und sozialen Bedingungen unglaubliche 22.000 Arbeiter ums Leben gekommen.
Zur Besonderheit des Investorenprojekts gehörte, dass es keines von wenigen Groß-, sondern eines von 800.000 französischen Kleinstaktionären war. Die Lage vor Ort war vor ihnen geheimgehalten worden; mit der Pleite wurden sie um ihr Geld gebracht. Um die Finanzierung zu sichern, hatte Lesseps noch versucht, eine nationale Lotteriegesellschaft zu gründen. Zu diesem und zum Zwecke der Geheimhaltung wurde systematisch geschmiert. Es kam zu einem der größten Korruptionsskandale in Frankreichs Geschichte. Unzählige Staatsmänner, Beamte und ganze Zeitungsredaktionen waren verstrickt. Allein 104 Parlamentarier hatten Gelder von der Panama Canal Co. empfangen. Die „Panamageschichte“, schrieb damals Friedrich Engels an August Bebel, „schlägt alles“. Seine Hoffnung allerdings, dass die Affäre „der Bourgeoisrepublik den Hals bricht“, erfüllte sich nicht.