Im Herbst 2014 hielt die Welt den Atem an, blickte gebannt auf die Stadt an der türkischen Grenzregion und fieberte quer durch die politischen Landschaften mit den Kurden und Kurdinnen in ihrem Kampf um Kobanê gegen die Mörderbanden des IS mit. Zum 10. Jahrestag der seinerzeitigen Verteidigungsschlacht hängen allerdings erneut dunkle Wolken über Kobanê, weshalb es denn auch zum 10. Welt-Kobanê-Tag wie seinerzeit heißt, breit auf die Straße zu gehen.
Das AKP-Regime der Türkei – im Inneren bereits damals im Stile eines Putschmilitärs regierend – setzte 2014 außenpolitisch dagegen auf die breit gefächerte Unterstützung der „Gotteskrieger“ des IS, in der Hoffnung sich in der Kollaboration mit der Terrormiliz dem kurdischen Autonomieprojekt an seiner Südgrenze und dessen regionaler Vorbildwirkung entledigen zu können. Entsprechend wurde der „Islamische Staat“ von Ankara denn auch nach Kräften mit Waffen, Geld, logistischer Unterstützung und Rückzugsräumen unterstützt. Die in der „Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien“ (politisch besser bekannt als rätedemokratisches Selbstverwaltungs-Projekt Rojava) Gestalt annehmende Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts war den türkischen Eliten ein derartiger Dorn im Auge, dass es mit allen nur erdenklichen Mitteln – oder in Erdoğans eigenen Worten: „wie hoch der Preis auch sein mag“ – unterbunden und mit Stumpf und Stiel beseitigt werden sollte.
Die so nicht zuletzt mit türkischer Unterstützung hochgerüstete und mit erbeuteten US-Waffen aus irakischen Beständen ausgerüstet Terrororganisation hatte ihr Augenmerk auf Nordsyrien und insbesondere auf Kobanê gerichtet. Nichts schien die Islamisten zu stoppen, nachdem Raqqa überrannt und die Hälfte Syriens für das selbsternannte „Kalifat“ beansprucht wurde. Denn mit dem „Islamischen Staat“ trat ein gegenüber anderen islamistischen Gruppierungen, ganz zu schweigen von sich dem Islam verpflichtet sehenden Bewegungen, ganz neuer Akteur auf den Plan, der sich nicht nur durch seine ungeheure Brutalität und sein Mordbrennen auszeichnet, sondern mit seiner anachronistischen Proklamation eines „Kalifats“ über Gebiete Syriens, dem Libanon und des westlichen Iraks, eine djihadistische Staatlichkeit in Anknüpfung an das historische Abassidenreich beanspruchte. In Raqqa hatte sich der IS zudem reichlich mit Waffen ausgestattet und marschierte direkt weiter auf Kobanê. Mit der Übernahme der Region wollte sich der IS eine weitere Verbindung zu seinen Nachschubwegen in die Türkei öffnen und der demokratischen Selbstverwaltung einen empfindlichen Schlag versetzen.
Allerdings, nach vier Monaten heroischen Widerstands und erbitterten Kampfes, gelang es den kurdischen FreiheitskämpferInnen der YPG und YPJ zusammen mit ihren kommunistischen Verbündeten aus der Türkei, internationalistischen Freiwilligen und militärischer Waffenhilfe dann im Herbst 2014 und Jänner 2015 bekanntlich Kobanê vollständig zurückzuerobern und zu befreien. Letztere waren vor allem deshalb von Bedeutung, da den heroischen VerteidigerInnen Kobanês dringend benötigte schwere Artillerie und panzerbrechende Waffen aufgrund ihrer Listung auf europäisch-transatlantischen „Terrorismus-“Verzeichnissen vorenthalten waren.
Wäre die Stadt gefallen, und noch Mitte Oktober 2014 standen die Kämpfe auf des Messers Schneide, wäre die Katastrophe vorprogrammiert gewesen und die kurdische Selbstverwaltung in der Region unter dem Kalifat der schwarzen Fahne in Blut ertränkt worden. Zugleich hätte sich das unter Abu Bakr al-Baghdadi im Juni zuvor ausgerufene „Kalifat“, also Schreckensregime des Daesch, im Mittleren Osten geographisch und strategisch festgesetzt.
Letztlich aber gelang es den VerteidigerInnen Kobanês in opferreichen Häuserkämpfen und harten Gefechten um Straßenzüge und Stadtviertel sowie endgültigen Durchbrechung des Daesch-Belagerungsrings in einer 134 Tage tobenden Schlacht auf Leben und Tod die schwarze Fahne des IS hinwegzufegen und auf dem an die Stadt angrenzenden Hügel als Zeichen ihres errungenen Sieges Ende Jänner 2015 wieder das Banner des Fortschritts in den Boden zu pflanzen. Dergestalt stieg die Schlacht um Kobanê denn auch völlig zu Recht zum Symbol der Unbeugsamkeit des kurdischen Selbstbestimmungskampfes wie Widerstands gegen den IS-Terror auf.
Für das AKP-Regime und die heutige faschistische AKP/MHP-Koalition am Bosporus markiert der 26. Jänner 2015 und die nachfolgende Rückeroberung und Befreiung von 163 Dörfern rund um Kobanê jedoch eine schallende Schlappe und unvergessene Niederlage. Um das Fallen der symbolträchtigen kurdischen Stadt in den entscheidenden Wochen der wogenden Schlacht doch noch zu erzwingen, verwehrte das islamistisch-nationalistische AKP-Kabinett im Oktober zudem kurdischen und linken Freiwilligen der Türkei, die dem Kampf um Kobanê zur Hilfe eilen wollten, den Grenzübertritt und setzte sie in unmittelbarer Blickweite des Geschehens fest. Auch die Eröffnung eines Versorgungs- und Nachschub-Korridors für die eingeschlossenen KämpferInnen der Volksverteidigungseinheiten fegte die Türkei brüsk vom Tisch. Vor diesem Hintergrund entfalteten sich sowohl in der Türkei wie international breite Proteste gegen die türkische Unterstützung der djihadistischen Kalifat-Krieger und Demonstrationen für Kobanê. Selbst der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura forderte die Türkei parallel auf, doch zumindest die freiwilligen kurdischen KämpferInnen samt Waffen nach Kobanê zu lassen. Vergeblich. Das Regime in Ankara ließ auch die UNO kalt abblitzen.
Und fernab der zwischenzeitlich notorisch geschlossenen Augen der Weltöffentlichkeit reorganisierte sich mit Ankaras Segen und tatkräftiger Unterstützung in den letzten Jahren nicht nur in der von der NATO-Macht annektierten Provinz Afrin unter dem Namen Haiat Tahrir Al-Scham – kurz: HTS – in Einbeziehung der ehemaligen Kämpfer der Mörderbanden des IS der Al-Kaida-Ableger Al-Nusra-Front als pro-türkische Söldnertruppe und Terror-Miliz neu. Vielmehr tobt seit mittlerweile fünf Jahren auch der schmutzige Krieg der Türkei gegen die kurdischen Gebiete, deren zivile Infrastruktur und deren politischen wie Selbstverteidigungs-Kräfte immer heftiger. Gerade letzte Woche startete die Türkei wieder eine flächendeckende Angriffswelle auf Nordsyrien per Drohnen, Artilleriebeschuss und Luftschlägen aus Kampfjets.
Den heroisch erzwungenen Kampfausgang im Zeichen eines revolutionären Humanismus vor 10 Jahren, einer umfassenden Frauenbefreiung, der Eröffnung einer sozial-revolutionären Perspektive und einem rätebasierten Demokratie- und Selbstverwaltungsexperiment, konnte allerdings auch Ankara nicht verhindern. Umso energischer rollt durch die Regionen seit Jahren denn auch ein türkischer Kriegs- und Rachefeldzug gegen das Rojava-Projekt und die Medya-Verteidigungsgebiete bzw. Kandil-Berge.
Und so liegen zum 10. Jahrestag des Kampfs um Kobanê mit grünem Licht des Westens – der NATO, der USA und EU-Europas – erneut dunkle Wolken über der symbolträchtigen Stadt, ohne dass die medial vermittelte Öffentlichkeit und Weltöffentlichkeit davon auch nur Notiz nimmt. Also – in Wien, Sa. 2.11., Treffpunkt: 14.00 Uhr, Votivpark – raus auf die Straßen!