Lohnsteuer runter! Aber so?

lohnsteuerAm 18. September fanden sich über 5000 BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen, AK-RätInnen und FunktionärInnen aus AK und ÖGB in Wien zur groß angekündigten Präsentation der Lohnsteuervorstellungen von ÖGB und AK ein. Eine breit angelegte Kampagne, die v.a. die Gewerkschaften in eine Bittstellerposition gegenüber der Regierung bewegt und kämpferischer Lohn- und Gewerkschaftspolitik einen Bärendienst erweist.

Über Monate hinweg wurden on- und offline an die 700.000 Unterschriften unter der Losung „Lohnsteuer runter!“ gesammelt. Dies ist eine gewaltige Zahl und zeigt mitunter zu welchen Mobilisierungen der ÖGB in der Lage ist – wenn er denn nur will. Klarerweise ist die Reduktion der Lohnsteuer und die damit verbundene Entlastung von Beschäftigten eine erstrebenswerte Sache. Hundertausende Beschäftigte spüren beim Griff ins Geldbörsel täglich, dass immer weniger zum Leben übrig bleibt. Während sinkende Reallöhne, Teuerung beim täglichen Bedarf und Mietpreissteigerungen zu einer beständigen Verschlechterung der Lebenssituation der Arbeitenden führen, wurden Kapital und Unternehmen in den letzten Jahrzehnten ein Steuergeschenk nach dem anderen gemacht. Sie wurden unter dem Unwort des „Standortwettbewerbs“ systematisch entlastet.

Tatsächliche Entlastung sieht anders aus!

Das von ÖGB und AK im Rahmen einer spektakulären und an der Grenze zur Peinlichkeit aufbereiteten Inszenierung nun vorgestellte Konzeptwirkt wie ein Kompromiss, der aus den gewohnten sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen heraus gegangen ist. Für eine spürbare Verbesserung ist es völlig ungeeignet. Ohne allzu viel ins steuerpolitische Detail gehen zu wollen, müssen hier die konkreten Zahlen zu einer kurzen Skizzierung herhalten:

Derzeitige Steuerstufen:

11.000 – 25.000 36,5%

25.000 – 60.000 43,2%

ab 60.000 50%

Forderung von ÖGB und AK:

11.000 – 20.000 25%

20.000 – 30.000 34%

30.000 – 45.000 38%

45.000 – 60.000 43%

60.000 – 80.000 47%

ab 80.000 50%

Zwei Punkte springen hierbei besonders ins Auge: zum einen trifft die vorgeschlagene zweitniedrigste Steuerstufe mit einer Besteuerung von 34% bereits Beschäftigte mit einem Brutto-Monatseinkommen von 2.000 Euro und liegt somit bereits 9% über dem vorgeschlagenen Eingangssteuersatz von 25%. Dies führt dazu, dass bei etwaigen Lohnerhöhungen dann beinahe genauso viel abgezogen werden würde, wie das ohnehin bereits jetzt der Fall ist. Ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten stellt zum anderen das Greifen des Spitzensteuersatzes von 50,0% überhaupt erst ab einem Einkommen von 80.000 dar. Als Beispiel: während etwa einem Beschäftigtem unter dem vom ÖGB geforderten Mindestlohn von 1.500 Euro mit diesem Modell lediglich eine steuerliche Entlastung von 534 Euro zugutekommen würde, käme einem Beschäftigten mit 6.000 (also dem bisherigen Spitzensteuersatz) eine rund fünfmal so hohe Entlastung in der Höhe von 2.600 Euro zugute – und das bei einem viermal so hohen Einkommen. Sinnvolle Verteilungspolitik und eine Entlastung der ohnehin Geschröpften sieht anders aus!

Von Steuer“gerechtigkeit“ keine Spur

Zusätzlich muss in Rechnung gestellt werden, dass lediglich knapp über 5% aller Steuereinnahmen aus Gewinnen stammt. Die effektive Steuerleistung der österreichischen Großunternehmen liegt bei mageren 19%. Demgegenüber beläuft sich die durchschnittliche Abgabenbelastung aller Löhne und Gehälter auf rund 41% und liegt damit doppelt so hoch. So werden durch die im internationalen Vergleich immense Steuerbelastung für Beschäftigte noch die letzten Krümel Lohnerhöhung aufgefressen. Die österreichischen Staatseinnahmen speisen sich zu exorbitanten zwei Drittel, vor allem aus den beiden Massensteuern (Lohn- und Mehrwertsteuer).

„Fair, gerecht, ausgewogen“

Nach den Berechnungen von ÖBG und AK summiert sich die steuerliche Entlastung in ihrem Modell auf insgesamt sechs Milliarden, die schließlich wieder irgendwo her kommen müssten. Das erst letztes Jahr von ÖGB und AK vorgestellte Vermögenssteuermodell spielt bei der Refinanzierung keine Rolle, vorrangig wird lediglich von vermögensbezogenen Steuern gesprochen. Die „ausgewogene Gegenfinanzierung“ ist eine klassisch-sozialpartnerschaftliche Mixtur: so sollen davon z.B. eine Milliarde aus Maßnahmen gegen Steuerbetrug und zwei Milliarden über Strukturreformen im öffentlichen Bereich reinkommen. ÖGB-Präsident Foglar machte im Rahmen der Präsentation klar, dass es hier um keine „Neiddebatte“ ginge und „wir“ beispielsweise von den Milliardären ja nur einen „fairen“ Beitrag fordern würden. Nach dem Hinweis darauf, dass wir alle ja ihren Reichtum erarbeiten würden (soweit richtig) und die Banken und Konzerne in der aktuellen Krise schließlich von uns allen (wenn auch unfreiwillig) unterstützt wurden, kommt er zu dem Schluss, dass es aber doch nicht anginge, den Superreichen etwas weg zu nehmen. Viel klarer kann der Unsinn darüber, dass wir alle im selben Boot sitzen, nicht formuliert werden. Ja, wir sitzen alle im selben Boot. Nur die einen als schuftende Galeerensklaven und die anderen als Steuermänner und Kapitäne über Deck.

Klassenkampf? Bitte nicht!

Mit einem derart zahnlosen Modell in Verhandlungen bzw. mit dieser Bitte an die Regierung zu treten, muss natürlich ideologisch untermauert werden. Das gelang ÖGB-Präsident Foglar bei der Lohnsteuerpräsentation ganz hervorragend. Ganz klar wurde im Hinblick auf die Satirekampagne der „VertreterInnen des Mittelstands“ wie der Industriellenvereinigung, darauf verwiesen, dass „wir“ ja keinen Klassenkampf führen würden, sind „wir“ ja keine „Linkslinken“. Angesichts dessen dass der Klassenkampf von oben mit Angriffen auf die erkämpften Rechte der Arbeitenden ohnehin auf Hochtouren läuft, konnten die Spitzen von ÖGB und AK wie so oft mal wieder lediglich darüber jammern, dass sich die Arbeitergeber ja nicht an die heilige Kuh Sozialpartnerschaft halten würden. Ojemine!

Absage an entschlossene Lohnpolitik

Über die anstehenden Kollektivvertragsrunden wurde kein Wort verloren. Letztes Jahr wurde breit über Monate zu einem einheitlichen Abschluss des zuvor bereits faktisch zersplitteten Metall-KVs mobilisiert, haben die Auseinandersetzungen um den Metall-KV doch eine kaum zu gering einzuschätzende Signalwirkungen für alle weiteren Branchen. Versammlungen von tausenden BetriebsrätInnen im Vorfeld der Metallverhandlungen von PRO-GE und GPA-djp, zahlreiche Betriebsversammlungen und Aussendungen bildeten die Vorbereitung letztes Jahr. Der (miserable) einheitliche Abschluss gelang dann letztes Jahr. Bei einer Beibehaltung der aktuellen Gewerkschaftspolitik wird sich das Kapital in diesem Punkt endgültig und auf lange Dauer durchgesetzt können. 2014 wird ein einheitlicher Abschluss kaum mehr möglich bzw. spätestens ab 2015 Geschichte sein. In Relation dazu wurden dieses Jahr fleißig Unterschriften gesammelt. Die bereits am 25. September beginnenden Metallverhandlungen haben auf der gesamten Konferenz keinerlei nennenswerte Rolle gespielt. Es scheint so, als ob die Lohnsteuerkampagne die leider zu erwartende und tiefgreifende Niederlage in den anstehenden KV-Auseinandersetzung kaschieren soll.

„Jetzt liegt’s an der Regierung!“

Die vollständige Absage an zumindest mit einer ansatzweisen Entschlossenheit geführte Lohnauseinandersetzungen in den KV-Runden stellt einen neuen Höhepunkt an Orientierungslosigkeit und Defätismus der Gewerkschaftsspitzen dar. Der Austausch von betrieblichen und allgemein gewerkschaftlichen Konflikten mit einer höflich formulierten Bitte an die Regierung ist fatal. „Jetzt liegt’s an der Regierung“ ist die zentrale Richtungsvorgabe. Sie bringt den ÖGB, der sich immerhin in seinem Statut noch als Kampforganisation definiert, in eine noch viel massivere Bittstellerrolle gegenüber der Regierung als das bisher ohnehin der Fall war. Was hier geschieht, hat gravierende Folgen für die weitere Lebens- und Arbeitssituation der Beschäftigten in Österreich. Dass das gesamte vorgestellte Konzept mehr einen typischen Kompromiss, der am Ende von sozialpartnerschaftlichen Gesprächen steht, darstellt, als einen effektiven und starken Vorschlag mit dem entschlossen in Verhandlungen getreten werden kann, sagt viel über die Perspektive, die hier aufgeworfen wird, aus. Unser Part soll durch das Sammeln von Unterschriften beendet sein. Die sozialpartnerschaftliche Stellvertreterpolitik wird noch eine Ebene höher gehoben und jetzt geben „unsere“ Interessensvertreter an den Schaltstellen von Gewerkschaften und Arbeiterkammern das Ganze wiederum ab.

Im Gegenteil: Es liegt an uns!

Im Endeffekt wird durch so ein Herangehen der entscheidende Punkt – und das ist und bleibt die Selbstermächtigung der Arbeitenden – noch weiter ins Abseits abgedrängt, als wir es als über den Grünen Tisch Gezogene bisher kannten. Dem gegenüber können wir nur festhalten, dass das Gegenteil zutreffend ist: nichts liegt an der Regierung, alles liegt an uns! Es liegt an uns Druck aufzubauen und mit aller Entschlossenheit in die Kollektivvertragsverhandlungen zu treten. Es liegt an uns, die Angriffe von Kapital und Regierung zurück zu drängen und für spürbare und wirkungsvolle Umverteilungspolitik zu kämpfen. Diese Aufgabe wird uns niemand abnehmen.

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