Klimakrise und Klimapolitik – too little & too late?

Von Matthias Koderhold

Die Ausgangslage ist klar: Wenn auch bei weitem nicht die einzige Umweltkrise, stellt der Klimawandel, besser gesagt die Klimakrise oder der drohende Klimaumbruch eine existenzielle Bedrohung für Mensch und Natur im Allgemeinen dar. Seit dem zweiten IPCC Report 1995 herrscht wissenschaftlicher Konsens über die vom Menschen verursachte globale Erwärmung. Der Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und Temperaturentwicklung ist freilich schon länger bekannt. So warnte beispielsweise der leitende Wissenschaftler von Exxon die Geschäftsführung bereits 1977 vor einem neuen Super-Interglazial, einer Superwarmzeit, in Folge der Nutzung fossiler Brennstoffe (Rahmstorf 2019). Schon 1982 lagen Exxon konkrete qualitative Prognosen vor. Die Geschäftsführung hat sich allerdings entschieden, die Studien intern zu halten und in der breiten Öffentlichkeit das Gegenteil zu verbreiten, etwa dass sich die Wissenschaft über den Zusammenhang unsicher und das meiste CO2 natürlichen Ursprungs ist.

Es stellt sich jedoch zunehmend heraus, dass die Realität die Prognosen überholt. Die Auswirkungen der Treibhausgaskonzentration auf den Klimawandel dürften bisher also zu konservativ geschätzt bzw. drastisch unterschätzt worden sein: Beispielsweise wurde das Auftauen des Permafrosts im Sommer 2019 erst im Sommer 2090 erwartet (Charisius 2019) und die Schmelze des Arktiseises erreichte 2019 ein Ausmaß, das selbst im pessimistischsten Klimamodell erst für 2070 prognostiziert worden wäre (McFall-Johnsen 2019). Das spiegelt sich auch in den ersten Ergebnissen einer neuen Generation globaler Klimamodelle wider. Das Klimasystem der Erde dürfte viel anfälliger auf globale Treibhausgasemissionen reagieren als bisher angenommen, was sich auch auf Prognosen und Annahmen der nächsten Absätze auswirken wird. Das bedeutet geringere Treibhausgasbudgets für die Erreichung der Klimaziele und damit weniger Zeit für die Dekarbonisierung unserer Produktions- und Lebensweise sowie eine höhere Erwärmung als bisher prognostiziert und eine höhere Wahrscheinlichkeit, Kipp-Punkte zu überschreiten (Belcher und Boucher 2019).

Ausdrücklich formuliertes Ziel des Pariser Klimaabkommen ist, die globale Erwärmung auf deutlich unter +2°C zu beschränken, nach Möglichkeit auf höchstens +1,5°C. Die zugrundeliegenden Annahmen hierfür sind zunächst, dass, trotz hoher Unsicherheit über Temperaturverläufe und die dazugehörigen Auswirkungen, die Schäden und größten Gefahren durch den Klimawandel noch bewältigbar bleiben. Zweitens, dass die globalen Treibhausgasbudgets in 66% der untersuchten Szenarien mit den Klimazielen übereinstimmen. Und weiters, dass keine Kipp-Punkte überschritten werden. Doch auch schon bei +2°C sind irreversible Auswirkungen zu erwarten bzw. gelten praktisch als sicher und Kipp-Punkte können nicht ausgeschlossen werden. So werden bei +2°C globaler Durchschnittstemperatur mehr als 99% der Korallenriffe zerstört sein, bei +1,5°C bleiben 10 bis 30% erhalten (Umweltbundesamt 2019, S. 23). Bei +2°C könnte aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels langfristig eine Landmasse dauerhaft überschwemmt sein, die aktuell von 280 Millionen Menschen bewohnt wird (Umweltbundesamt 2019, S. 21).

Die Folgen des Klimawandels sind direkt vom Grad der Erwärmung abhängig. Die globalen Umweltauswirkungen reichen von der Zunahme von Extremereignissen (Hitzewellen, Starkregen, Stürmen) über das Auftauen der Eisflächen, den Anstieg des Meeresspiegels, die Veränderung von Meeres- und Landökosystemen und Ernteausfällen (ab ca. 2030 zunehmender globaler Nettoverlust an Ernteerträgen) bis hin zu Kipp-Punkten. Zu den daraus resultierenden Folgen zählen zunehmend Hunger, verschiedene Formen von Konflikten und Migrationsbewegungen. Seit 2008 wurden durchschnittlich 21,8 Mio. Menschen durch wetterbezogene Katastrophen (Unwetter, Überflutungen, Dürre, Erdrutsche) vertrieben, 2016 waren es weltweit rund 23,5 Mio. Menschen (Umweltbundesamt 2019, S. 21). Die Weltbank geht bis 2050 von einer klimabedingten Migration im Ausmaß von 140 Mio. Menschen aus, 86 Mio. davon aus der Subsahara-Region Afrikas, wenn nicht entschiedene Maßnahmen gegen den Klimawandel umgesetzt werden (Umweltbundesamt 2019, S. 21). Auch Österreich wird mit drastischen Folgen rechnen müssen: doppelter Temperaturanstieg als im globalen Mittel; zunehmende Hitzetage (≥ 30°C, v.a. im Osten und Südosten drohen mehr als 96 Hitzetage im Jahr 2085) und Tropennächte (≥ 20°C); vermehrtes Auftreten wärmeliebender Schädlinge; Rückgang der Schneedecke und -höhe in niedrigen und mittleren Lagen; Austrocknung der Böden im Sommer und vermehrte Erosion durch Starkregen, inklusive Unterversorgung fast aller landwirtschaftlicher Kulturen; Verringerung der Wasseraufnahme der Böden, die mit dem Rückgang der Gletscher zumindest auf lokaler Ebene zu Versorgungsproblemen mit Trinkwasser führt; Zunahme von Rutschungen, Muren und Steinschlägen sowie Hanginstabilitäten durch auftauenden Permafrost (vgl. Fels- und Bergsturz in Kaprun 2019); steigende Waldbrandgefahr; Verringerte Wasserführung von Gletschern gespeister Flüsse; wetter- und klimabedingte Schäden erhöhen sich von derzeit durchschnittlich einer Mrd. € pro Jahr bei global +2°C (Österreich +4,5°C) auf durchschnittlich 4,2 bis 5,2 Mrd. € auf heutigem Preisniveau und steigen bei höheren Temperaturen weiter an; wirtschaftlich werden der Wintertourismus, die Land- und Forstwirtschaft sowie die Stromproduktion über Wasserkraft besonders betroffen sein (Umweltbundesamt 2019, 23ff ).

Basierend auf dem Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) über 1,5 Grad Celsius globale Erwärmung (IPCC 2018) tickt die CO2-Uhr des Berliner Forschungsinstituts MCC (MCC 2018). Mit einem jährlichen globalen Ausstoß von 42 Gigatonnen CO2-Äquivalenten (CO2e): v.a. Kohlendioxid, Methan und Lachgas) verblieben Anfang 2020 für das 1,5°-Ziel ca. 8 Jahre und für das 2°-Ziel 25 Jahre und 10 Monate. Je länger zugewartet wird, die dringend notwendigen entschiedenen Maßnahmen v.a. zum Ausstieg aus fossiler Energie zu setzen, desto drastischer müssten die Einschnitte sein, um die Klimaziele zu erreichen bzw. desto unrealistischer wird es, den Klimaumbruch zu verhindern. Plastisch dargestellt und unter der Annahme, dass der jährliche globale Ausstoß an CO2-Äquivalenten bei 42 Gigatonnen verharrt und die Treibhausgasbudgets mit den Klimazielen übereinstimmen (Wahrscheinlichkeit von 66%) bedeutet das: Warten wir die 8 Jahre ohne Veränderung zu, müssten wir die Treibhausgasemissionen von einem Moment auf den anderen auf maximal 5%–10% des derzeitigen Niveaus reduzieren, d.h. auf ein Netto-Null-Emissionsniveau, das durch aktive Kohlenstoffspeicherung mittels Boden- und Waldbewirtschaftung ökologisch gut verträglich zu binden wäre (Kirchengast 2019, S. 12).1 Ein Teil des Kohlenstoffdioxids kann zwar innerhalb mehrerer Jahrzehnte durch Aufnahme in den Ozeanen „entschärft“ werden – bei gleichzeitiger Versauerung dieser –, doch 20% bis 35% bleiben noch Jahrtausende in der Atmosphäre wirksam (Schlemm 2019, S. 58).

Eine entscheidende Frage ist, ob die oben angesprochenen Kipp-Punkte überschritten werden. Kipp-Punkte können das globale Klimasystem in einen qualitativ neuen, unumkehrbaren Zustand versetzen und selbstverstärkende Effekte hervorrufen, die ohne weiteren äußerlichen (menschlichen) Einfluss weiterlaufen. Durch schleichende oder sprunghafte Entwicklungen verändern sie schließlich die Funktionsweise des Erdsystems derart, dass sie mit ihr auch die menschlichen Lebensgrundlagen selbst gefährden. Die ohne schnelle und entscheidende Gegenmaßnahmen bis Ende des Jahrhunderts befürchtete Erderwärmung um +3°C bis +4°C wird so nicht eintreten, da die davor überschrittenen Kipp-Punkte für eine zusätzliche Erhitzung sorgen. Permafrostböden speichern beispielsweise riesige Mengen Methan, deren Auftauen das Klima weiter aufheizt. Durch Abschmelzen der Eisflächen verringert sich die Rückstrahlquote der Erde (Albedo Effekt), dunkle (Wasser)Oberflächen nehmen mehr Sonnenstrahlung auf und unser Planet erhitzt sich weiter. Auch die Verlangsamung des Jet-Streams, die Abschwächung des Golfstroms und die Versteppung v.a. des Amazonas Regenwaldes durch Brandrodungen und in Folge veränderter Niederschlagsmuster zählen zu den Kippelementen (www.pik-potsdam.de). Ab ungefähr +4°C nimmt die Wolkenbildung ab und sorgt, infolge geringer Reflexion der Sonnenstrahlung, über die Erwärmung der Ozeane zu einem durch Wasserdampf verstärkten Treibhausgaseffekt. Das drohende Verschwinden der niedrigen Wolken ab einer CO2e-Konzentration von ca. 1.200 ppm, die der Summe aus gegenwärtiger Treibhausgaskonzentration und vermuteten Methaneinlagerungen im Permafrost entsprechen, hätte eine zusätzliche Erwärmung von +8°C auf +12°C zur Folge (Wolchover 2019).

Das Szenario klingt nach Endzeitstimmung, aber entscheidend ist, dass eine Begrenzung der Erwärmung auf +1,5°C physikalisch noch möglich ist. Notwendig dafür ist jedoch ein sofortiges wirtschaftliches, politisches und gesellschaftliches Umdenken, das vor allem den notwendigen Ausstieg aus fossilen Energieträgern unmittelbar und konsequent angeht! Andernfalls sieht es auch düster für künftige progressive Gesellschaftsmodelle aus. Ein Sozialismus auf verbrannter Erde wird das Reich der Notwendigkeit verschärfen. Die Hoffnungen auf Überflussbedingungen für spätere kommunistische Verhältnisse werden sich als weitgehend zerstört erweisen. Annette Schlemm formulierte diesbezüglich eine entscheidende Frage: „Was bringt es mit sich, wenn es für lange Zeit nicht mehr um ein besseres Leben, sondern um das Überleben in extrem instabilen Bedingungen geht?“ (Schlemm 2019, S. 64)

Betroffene und Verursacher

Der Klimawandel wird bestehende Risiken verstärken und hat das Potenzial einer existenziellen Bedrohung für Mensch und Natur im Allgemeinen. Die Betroffenheit wird sich nach Ausmaß und Zeitpunkt regional jedoch unterscheiden (Oxfam Media Briefing 2015, S. 5). Innerhalb einzelner Länder oder Regionen werden Menschen abhängig vom Wohnort, Alter, Gesundheitszustand und Beruf unterschiedlich betroffen sein. Die Anpassungsmöglichkeiten auf den Klimawandel werden sehr heterogen verteilt sein – abhängig vom Entwicklungsstand und der Wertschöpfung eines Landes bzw. einer Region sowie von der individuellen Klassenzugehörigkeit, Einkommens- und Vermögenssituation innerhalb unterschiedlicher Regionen. Der UN-Menschenrechtsexperte Philip Alston spricht in diesem Zusammenhang von Klimaapartheid. Die Reichen zahlen, um Überhitzung, Hunger und klimabedingten Konflikten zu entkommen, während der Rest der Welt leidet. Zuerst werden jene Menschen leiden, die an der Verursachung der Klimakrise keinen oder kaum Anteil haben (UN News). Der globale Süden wird besonders stark von Unwettern, Über-, Dürren oder Erdrutschen betroffen sein. Die ärmsten 50% der Menschheit werden die Hauptlast tragen, obwohl sie nur 10% der Treibhausgase aus individuellem Konsum verursachen. Treibhausgase aus individuellem Konsum stellen 64% der globalen Emissionen dar (Oxfam Media Briefing 2015, S. 3).2

Die Frage der Klimakrise und ihrer Lösung ist auch eine der Klimagerechtigkeit also eine Verteilungsfrage. Klimagerechtigkeit macht darauf aufmerksam, „dass nicht zuerst wir als jene Menschen, in deren Wirtschaftssystem die Ursachen für die Misere stecken, unter den Folgen leiden“ (Schlemm 2019, S. 63). Der Begriff der Klimagerechtigkeit dreht sich allerdings nicht nur um die oben genannten Auswirkungen sondern ist auch hinsichtlich des Anteils an den historischen Treibhausgasemissionen sowie dem Anteil am verbleibenden Treibhausgasbudget relevant, von dem die Entwicklungsmöglichkeiten von Regionen sowie der Lebensstandard von Menschen v.a. im globalen Süden abhängig sind. Wie sich anhand der Schwellenländer deutlich zeigt, ist der ökonomische Aufholprozess, unter gegebenen technologischen Möglichkeiten, mit hohen und schnell wachsenden Emissionen verbunden. Werden die produktionsbasierten CO2-Emissionen nach Ländern verglichen, hatte China 2017 mit 27% den mit Abstand höchsten Anteil. Dahinter reihten sich die USA mit 15% und die EU-28 mit 10% ein. Werden jedoch die Anteile an den kumulierten CO2-Emissionen 1751 bis 2017 betrachtet, zeigte sich ein anderes Bild: Die USA liegen hier mit 25% vor den EU-28-Staaten mit 22% und China mit 13% (Vgl. Abbildung 1). Dieser Vergleich trägt zwar nicht zur Lösung der Klimakrise bei, macht aber deutlich, dass der ökonomische Entwicklungsstand eng mit den kumulierten produktionsbasierten CO2-Emissionen verbunden ist und die Aufteilung des verbleibenden Treibhausgasbudgets auch entwicklungspolitisch gesehen werden muss.

Die absoluten produktionsbasierten CO2-Emissionen stellen zwar plakativ die größten Kohlendioxidemittenten nach Staaten dar, vernachlässigen mit der Bevölkerungsgröße jedoch eine wesentliche Komponente. Vor allem wenn wir die Klimakrise auch als Verteilungsfrage verstehen wollen, sollten die produktionsbasierten Emissionen, als erster Schritt, pro Kopf verglichen werden. Hier ergeben sich bereits wesentliche Umschichtungen unter den größten Verursachern. 2012 lagen die weltweit CO2e-Emissionen (v.a. Kohlendioxid, Methan und Lachgas) bei durchschnittlich 6,2 Tonnen pro Person. Die zu erreichenden, ökologisch verträglichen CO2e-Emissionen (Netto-Null-Emissionen) würden nach Chancel und Piketty bei ca. 1,3 Tonnen pro Kopf liegen (Chancel und Piketty 2015). Beim Regionenvergleich tritt hier die globale Verteilungsfrage schon deutlicher hervor. Nordamerika lag 2012 mit einem produktionsbasierten CO2e-Emissionsniveau von 20 Tonnen/Kopf an der Spitze, gefolgt von Russland/Zentralasienmit 10 Tonnen/Kopf, Westeuropa mit 9 Tonnen/Kopf, China/Mittlerer Osten mit 8 Tonnen/Kopf, Süd-Amerika mit 5,2 Tonnen/Kopf und Afrika mit 2,4 Tonnen/Kopf.

Dass globaler Kapitalismus und Klimakrise Hand in Hand gehen, zeigt der Länder- bzw. Regionenvergleich zwischen produktions- und konsumbasierten CO2e-Emissionen pro Kopf, die eng mit dem Transfer im globalen Süden geschaffener Werte in die kapitalistischen Zentren verknüpft sind. Rohstoffe, Vorprodukte niedriger Verarbeitungsstufen sowie Konsumgüter werden im globalen Süden oft unter besonders umwelt- und gesundheitsschädlichen Bedingungen gefördert und produziert. Die Verlagerung von arbeitsintensiven und schmutzigen Industrien aus den kapitalistischen Zentren während der letzten Jahrzehnte spielt hier eine wesentliche Rolle. Die Jagd nach möglichst geringen Sozial- sowie Umweltstandards und somit höherem Profit hat nicht nur die Kassen der Konzerne gefüllt. Produktionsbasierte CO2e-Emissionen werden damit ebenfalls in andere Regionen verlagert. Die ökologische Bilanz nationaler und v.a. internationaler Warenströme, die einen wesentlichen Bestandteil der CO2-Emissionen des Verkehrssektors ausmachen und oft nur kleinteilige Arbeitsschritte beinhalten, stellt sich hier besonders katastrophal dar. Der globale Transportsektor war 2016 für über 24% der Emissionen aus Verbrennung fossiler Energieträgern verantwortlich (IEA 2019). Chancel und Piketty berechneten die konsumbasierten CO2e-Emissionen pro Kopf sowie die Veränderung zu den produktionsbasierten CO2e-Emissionen pro Kopf für 2013 (Chancel und Piketty 2015): In Nordamerika stiegen die CO2e-Emissionen pro Kopf auf 22,5 Tonnen (+13%), in Westeuropa auf 13,1 Tonnen (+4%). In Österreich lagen die konsumbezogenen CO2e-Emissionen, die direkt oder indirekt bei der Bereitstellung von Produkten entstehen, zwischen 1997 und 2013 pro Kopf um 50% bis 60% über den produktionsbezogenen (territorialen) Emissionen (Giljum 2018). Im Gegensatz dazu verringerten sich die Pro-Kopf-Treibhausgasemissionen im Mittlerer Osten auf 7,4 Tonnen (–8%), in China auf 6,0 Tonnen (–25%), in Latein-Amerika auf 4,4 Tonnen (–15%), in Süd-Asien auf 2,2 Tonnen (–8%) und in Afrika 1,9 Tonnen (–21%).

Wie Oxfam haben auch Chancel und Piketty (Chancel und Piketty 2015) die konsumbasierten CO2e-Emissionen mit der Welteinkommensverteilung verknüpft. Sie erweitern in ihrer Analyse die CO2e-Emissionen aus dem individuellen Konsum (vgl. Oxfam) um staatliche Konsumausgaben und öffentliche Investitionen (z.B. in Infrastruktur), da ersterer nur für 64% der globalen Emissionen verantwortlich zeichnet und letztere im Endeffekt individuellem Konsum dienen. Neben klimatischen Bedingungen, technischen Faktoren (z.B. Energieeffizienz oder Wärmedämmung), dem Energiemix, der Siedlungsstruktur oder Konsummustern ist für Chancel und Piketty das Einkommens- bzw. Konsumniveau hauptverantwortlich für die gesamten, direkten wie indirekten, CO2e-Emissionen der Haushalte. Die Verteilung der so zugerechneten Treibhausgasemissionen entspricht jener von Oxfam im Wesentlichen. Die Top 10% der Welteinkommensverteilung verursachen demnach 45% der CO2e-Emissionen, die mittleren 40% emittieren 42% und die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung nur 13% der Treibhausgasemissionen. Während sich 2013 die durchschnittlichen Treibhausgasemissionen pro Kopf welt-weit auf 6,2 Tonnen beliefen, emittierten beispielsweise die Top 1% der USA (3,2 Mio. Menschen) mit durchschnittlich 318,3 Tonnen mehr als das 51fache des globalen Pro-Kopf-Durchschnitts. 82% davon waren indirekte Emissionen, die in Produktion und Bereitstellung entstanden. Dass die reichsten der Welt die größten Klimasünder sind, ist soweit wenig überraschend und gern zitiert. Oft vernachlässigt wird jedoch, dass sich die globalen Treibhausgasemissionen mit durchschnittlich 6,2 Tonnen pro Kopf um das ca. fünffache über einem nachhaltigen Netto-Null-Emissionsniveau befinden (bei Chancel und Piketty 1,3 Tonnen). Eine reine Reduktion bei den Reichsten der Welt, wird daher bei Weitem nicht ausreichen. Weiters bleibt oft unbeachtet, dass sich sämtliche Haushalte in den kapitalistischen Zentren in der oberen Hälfte, vorwiegend im obersten Viertel der Welteinkommensverteilung befinden (Lakner und Milanovic 2013, S. 35). Dementsprechend sind im globalen Norden die konsumbasierten CO2e-Emissionen pro Kopf generell viel zu hoch, um den drohenden Klimaumbruch abzuwenden. So emittierte im Jahr 2013 beispielsweise das 2. Einkommensdezil in Deutschland (mit kaufkraftbereinigt 8.921 € verfügbarem Haushaltseinkommen pro Jahr an der Grenze zu den untersten 20%) mit 7,1 Tonnen konsumbasierten CO2-Äquivalenten jährlich genauso viel wie Haushalte in China zwischen dem 73. und 77. Einkommensperzentil (mit kaufkraftbereinigt 3.277 € pro Jahr im Bereich zum obersten Viertel der chinesischen Einkommensverteilung) (Chancel und Piketty 2015, S. 30). In beiden Fällen liegen die jährlichen CO2e-Emissionen um das 5,5fache über den notwendigen Netto-Null-Emissionen.

Treibhausgasemissionen in Österreich

Produktionsbasiert emittierte Österreich 2017 82,3 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente (Umweltbundesamt 2019, S. 58). Der Bereich Energie und Industrie war mit 44,9% der bedeutendste Sektor, danach folgte der Verkehr mit 28,8%, dann die Sektoren Gebäude (10,1%), Landwirtschaft (10,0%) sowie Abfallwirtschaft (3,5%) und fluorierte Gase (2,6%). Nicht enthalten in den produktionsbasierten Treibhausgasemissionen ist der internationale Flugverkehr, der mit zusätzlichen 2,3 Mio. Tonnen eine Größenordnung ähnlich der Abfallwirtschaft erreichte. Im Vergleich zu 1990 erhöhten sich die produktionsbasierten CO2e-Emissionen um +4,6%.

Im Sektor Energie und Industrie stiegen die Emissionen gegenüber 1990 um +1%. Durch die Substitution von Kohle- und Ölkraftwerken durch Gaskraftwerke, einen gestiegenen Anteil der Erneuerbaren, aber auch durch gestiegenen Stromimport (2017: 9%) konnten die produktionsbasierten Emissionen im Bereich der Kraft- und Fernwärmewerke im Vergleich zu 1990 um –37% verringert werden. Gegenüber 2016 ergab sich durch steigende Stromerzeugung aus Gaskraftwerken jedoch wieder ein Emissionsanstieg um +11,9%. Das Beispiel des Stromimports zeigt schön, wie produktionsbasierte Emissionen verlagert werden können, in diesem Fall auf Kohle- und Atomkraftwerke in Deutschland und Tschechien. Die in den Emissionshandel fallende produzierende Industrie weist gegenüber 1990 mit +19% eine starke Steigerung der CO2e-Emissionen auf.

Eines der größten Problemkinder der österreichischen Treibhausgasemissionen bleibt der Sektor Verkehr. Hier nahmen die Emissionen gegenüber 1990 um +71,8% zu. Der Straßenverkehr verursacht rund 99% der österreichischen Verkehrsemissionen. Mit 61% haben PKWs den größten Anteil an den Emissionen im Straßenverkehr, gefolgt von LKWs mit 29% und leichten Nutzfahrzeugen mit 7%, Bussen mit 2% sowie Mopeds/Motorräder mit 1%. Nochmals sei hier darauf hingewiesen, dass der internationale Flugverkehr in der Sektorzurechnung nicht enthalten ist und die Einbeziehung 2017 mit 2,3 Mio. Tonnen eine Steigerung der Verkehrsemissionen um +10% bedeutet würde. Gegenüber 1990 haben sich die Emissionen im internationalen Flugverkehr um ca. das 2,5fache mehr als verdoppelt.

Im Sektor Gebäude sind die Emissionen gegenüber 1990 unter anderem in Folge thermischer Sanierung, steigendem Anteil erneuerbarer Energien, Erneuerungen von Heizungsanlagen und verstärktem Fernwärmebezug um –35,1% zurückgegangen. Gleichzeitig wirken die steigende Anzahl der Wohnsitze sowie steigende Wohnnutzflächen den Emissionsminderungen entgegen. Nicht zu vernachlässigen sind in diesem Bereich mildere Winter. Dennoch ist in diesem Sektor das dritte Jahr in Folge eine leichte Steigerung der Treibhausgasemissionen zu beobachten.

Die Emissionsreduktionen im Sektor Landwirtschaft erbeben sich im Wesentlichen aus einer Verringerung des Viehbestandes zwischen 1995 und 2005. In der Abfallwirtschaft wirkte das Ablagerungsverbot von unbehandelten Abfällen mit hohen organischen Anteilen reduzierend, während die Emissionen aus der Abfallverbrennung stiegen. Der verstärkte Einsatz fluorierter Kohlenwasserstoffe als Kälte- und Kühlmittel erhöhte die Emissionen im Sektor der fluorierten Gase.

Kurz zusammengefasst sind Klimapolitik und Emissionsreduktionen in Österreich bisher kaum bzw. besser gesagt nicht existent. Gegenüber 1990 haben sich die Treibhausgasemissionen erhöht, lediglich gegenüber dem Referenzwert von 2005 befinden sie sich auf niedrigerem Niveau. Darin spiegelt sich allerdings der Rückgang der Emissionen in Folge der großen Wirtschafts- und Finanzkrise sowie der verhaltenen wirtschaftlichen Entwicklung der Folgejahre wider. Wir sind also auch in Österreich nicht einmal ansatzweise auf einem CO2e-Reduktionspfad, geschweige denn auf dem notwendigen, der den Klimaumbruch verhindern soll. Für den notwendigen Reduktionspfad der produktionsbasierten Treibhausgasemissionen in Österreich, um die Chance eines Erreichens des 1,5°C-Ziels aufrecht zu erhalten, ist entscheidend, dass in allen Sektoren drastisch reduziert werden muss und es nicht die eine oder andere große Lösung gibt, während andere Bereiche den Status Quo aufrechterhalten. Kein Sektor kann von einem drastischen Reduktionspfad ausgenommen werden. Bis 2030 müssen die CO2e-Emissionen in großen und schnellen Schritten halbiert werden. Das von der EU vorgegebene Reduktionsziel um –36% gegenüber 2005 reicht bei Weitem nicht aus, um das 1,5°C-Ziel zu erreichen. Spätestens 2045 muss Österreich ein Netto-Null-Emissionsniveau erreichen, d.h. ein Emissionsniveau, das ökologisch gut verträglich gebunden werden kann. Dazu dürfen die produktionsbasierten Emissionen maximal 5% bis 10% des derzeitigen Niveaus betragen.

Konsumbasiert müssen ÖsterreicherInnen ihre CO2e-Emissionen von durchschnittlich ca. 13 bis 15 Tonnen pro Jahr und Kopf auf ca. 1 bis 1,5 Tonnen reduzieren, um Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Die Emissionsniveaus sind auch in der österreichischen Bevölkerung sehr heterogen verteilt und hauptsächlich vom Einkommensniveau und dem damit korrelierenden Konsumverhalten abhängig. Die Hälfte der konsumbasierten Emissionen entspringt aus dem Bereich öffentlicher Infrastruktur und kann individuell kaum gesteuert werden, trägt aber wesentlich zum Lebensstandard bei. Auch bei der anderen Hälfte hängt viel von strukturellen Rahmenbedingungen ab, einiges ist aber wesentlich vom persönlichen Konsumverhalten geprägt. So werden durchschnittlich 2,8 Tonnen im Bereich Mobilität emittiert, 2,2 Tonnen im Bereich Ernährung und 1,4 Tonnen im Bereich Wohnen, Konsumgüter und Freizeitgestaltung. In all diesen Bereichen streuen die Emissionen stark mit den Haushaltseinkommen. Im Bereich Mobilität sind v.a. Flugreisen relevant für die individuellen Unterschiede. Ein einziger Hin- und Rückflug nach Havanna verursacht beispielsweise 2,9 Tonnen CO2, 10.000 km mit dem Dieselauto bei 5 Liter Verbrauch 2,4 Tonnen CO2. Im Bereich der Ernährung hängt viel von Fleischkonsum bzw. dessen Häufigkeit ab, im Wohnbereich ist beispielsweise die Wohnfläche ausschlaggebend. Die Verhinderung des Klimaumbruchs wird also unvereinbar sein mit massenhaftem Konsum von rohstoff- und energieintensiven sowie zunehmend kurzlebigen Konsumgütern, mit ökologisch desaströsem Reiseverhalten oder der bloßen Auslagerung von umweltschädlicher, insbesondere klimaschädlicher Produktion, die zumeist auch gesundheitsschädlich ist und unter miserablen Arbeitsbedingungen ohne sozialer- und arbeitsrechtlicher Absicherung vonstattengeht.

Wie weiter?

Ein Warten auf den großen technologischen Schub, der die Problematik der Treibhausgasemissionen beseitigt, kann keine Lösung sein, da alternative Technologien in vielen Bereichen nicht existieren, zu wenig ausgereift sind, die Reduktionspotentiale viel zu gering sind oder Emissionen bloß verschoben werden. Selbst wenn entsprechende Technologien vorhanden wären, würden die Innovationszyklen vermutlich zu lange dauern, um ohne andere weitreichende Maßnahmen die Reduktionsziele zu erreichen, um die Treibhausgasbudgets sowie die Erwärmungsziele nicht zu überschreiten und um den Klimawandel über Kipp-Punkte nicht zum Selbstläufer werden zu lassen. Ein weiter wie bisher ist damit ausgeschlossen, will man den Klimaumbruch vermeiden! Daher bleibt letztlich bzw. vorübergehend nur eine drastische Senkung des Energieverbrauchs in allen Bereichen. So ist Elektromobilität und ein Festhalten am Individualverkehr keine Lösung der Emissionsproblematik im Verkehrssektor. Wasserstoff löst das Energieproblem in der Industrie nicht, denn unter den gegebenen technologischen Möglichkeiten würde alleine die Umstellung der österreichischen Stahl- und Zementproduktion nahezu eine Verdoppelung des Strombedarfs bedeuten (Kirchengast 2019, S. 58). Die gegenwärtige Stromaufbringung in Österreich, also die Summe aus inländischer Stromerzeugung und Stromimporten, besteht nur zu 63% aus erneuerbaren Energien, der Anteil der fossilen Energieträger liegt bei 30% und jener aus Kernkraft bei 6% (Umweltbundesamt 2019, S. 13).

Ohne bzw. ohne weitreichende CO2e-neutrale Technologien ist die notwendige Senkung des Energieverbrauchs gleichbedeutend mit einem entsprechenden Produktionsrückgang in den emittierenden Bereichen bis hin zur Umwandlung oder Abwicklung ganzer Branchen. Bei den verbleibenden Treibhausgasbudgets bedarf es einer weitreichenden und vorausschauenden Prioritätensetzung. Etwa zwischen Investitionen in erneuerbare Energien oder Festhalten an fossilen Energieträgern, zwischen einem Ausbau des öffentlichen Verkehrs oder Festhalten an der Automobilproduktion, zwischen Regionalisierung der Wirtschaft oder Festhalten am emissionsintensiven Welthandel, usw. Investitionen in klimaschädliche Projekte sind nicht nur hinsichtlich der Klimakrise zu verwerfen sondern auch eine ökonomisch deplatzierte Ressourcenverschwendung. Der mit der Umsetzung von Reduktionspfaden einhergehende strukturelle Wandel muss anhand gesellschaftlicher Notwendigkeiten gestaltet und gesteuert werden sowie soziale Aspekte, etwa Arbeitsplätze oder individuelle Anpassungsmöglichkeiten berücksichtigen. Darüber hinaus müssen die Kosten der Klimapolitik aus den Gewinnen der Konzerne sowie den Vermögen der Reichen finanziert werden und dürfen nicht auf die breite Bevölkerung abgewälzt werden.

Zunächst liegt es auf der Hand, dass eine wesentliche Ursache der Klimakrise tief in der kapitalistischen Logik von Kapitalverwertung, Profitorientierung, Wachstum, Wettbewerb und Konkurrenz verankert ist. Der industrielle Kapitalismus basiert zudem auf der Verbrennung fossiler Energieträger, v.a. von Öl, Gas und Kohle. Dementsprechend erweisen sich die Interessen vor allem jener Konzerne als Verhinderer dringend notwendiger entschiedener Maßnahmen, deren Profite eng mit dem Ausstoß von Treibhausgasen verbunden sind: von den Öl-, Gas- und Kohleproduzenten, über die Energiekonzerne, die Automobilindustrie, die energieintensiven Industrien (wie etwa Stahl, Zement oder chemische Industrie), den Konzernen aus Luft- und Schifffahrt bis hin zur Agrar- und Tourismusindustrie.

Übersehen werden darf aber nicht, dass Produktion und Konsum nicht voneinander getrennt gedacht werden können. Ohne Produktion kein Konsum und ohne Konsum, zumindest längerfristig, keine Produktion. Schafft die Ware ihren Salto Mortale nicht, schafft sie es nicht als Gebrauchswert anerkannt zu werden oder fehlt ausreichend Kaufkraft, wird sie ihren Tauschwert nicht realisieren. Schafft die Ware ihr letztes Zirkulationsstadium W‘–G‘ oder im Transportsektor die Verwandlung P–G‘ nicht, ist der Kreislauf des Geldkapitals unterbrochen. Ohne Konsumtion keine Mehrwertrealisation und kein Profit. Konsum und Profit sind im Kapitalismus also untrennbar verbunden: der Kauf eines Autos ist der Profit der Konzerne in der Automobilindustrie, dessen Betrieb der Profit der Mineralölkonzerne, die Flugreise der Profit der Luftfahrtindustrie, usw. Ohne technologische Alternativen bedeutet die Einstellung klimaschädlicher Produktion auch keinen Konsum der entsprechenden Waren, in denen die indirekten Emissionen aus der Produktion enthalten sind. Ohne direkten klimaschädlichen Konsum auch keine Produktion dieser Waren, selbst wenn die Produktion klimaneutral wäre. Man kann das Pferd von vorne oder hinten aufzäumen, letztlich kommt es aufs Gleiche hinaus: Ohne einer drastischen Veränderung unserer Produktions- und Lebensweise wird das Abwenden des Klimaumbruchs nicht möglich sein. Eine reine Veränderung der Eigentumsverhältnisse wird das Problem ebenso wenig lösen, auch wenn gerne angeführt wird, dass 100 Konzerne für 70,6% der von 1988 bis 2015 kumulierten Emissionen verantwortlich zeichnen (Griffin 2017, S. 14). Einerseits handelt es sich bei diesen Konzernen, ausschließlich um solche, die fossile Energieträger fördern und sich darüber hinaus zum Teil in staatlichem Besitz befinden. Andererseits entstehen nur 10% der Emissionen direkt bei den Konzernen, 90% hingegen produktbezogen, vorwiegend durch Verbrennung der fossilen Energieträger zur Energiegewinnung (Griffin 2017, S. 5). Eine reine Verstaatlichung dieser Konzerne ist gegen die Klimakrise daher wirkungslos, der Ausstieg aus fossilen Energieträgern ist unumgänglich.

Der Lösung der Klimakrise in einem grünen Kapitalismus stehen mit der Kapitalverwertung, der Konkurrenz und dem Wachstumszwang drei dem Kapitalismus immanente Eigenschaften im Wege. Das Ziel der kapitalistischen Produktionsweise ist die Kapitalverwertung, der Profit. Der Kreislauf des Geldkapitals muss sich vollenden, am Ende des Produktionsprozesses muss mehr Kapital herauskommen als investiert wurde. Denn der Tauschwert steht im Mittelpunkt des Produktionsprozesses, nicht Gebrauchswert und Bedürfnisbefriedigung. Die kapitalistische Konkurrenz zwingt das Kapital, bei Strafe des Untergangs, zu sich ständig erweiternden Investitionen. Kapitalakkumulation, Kapitalkonzentration und Kapitalzentralisation sind die Folgen eines Wachstumszwangs, von dem im Kapitalismus gesamtwirtschaftlich Einkommen (Gewinne, Löhne und Gehälter), Konsumnachfrage, Beschäftigung und Investitionen abhängen. Im nationalen und globalen Wettbewerb konkurriert das Kapital um Zukunftstechnologien und hemmt damit den wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Die Ausbeutung von Mensch und Natur ist Wesensmerkmal des Kapitalismus, die Produktion sozial-ökologischer Externalitäten somit systematisch in ihm verankert, jedoch nicht verallgemeinerbar, weil sie mit ihrer Ausdehnung an Grenzen stößt. Eine Internalisierung der Kosten, eine Bepreisung der Natur ohne Lenkungseffekt wäre nichts weiter als eine Ablasszahlung für produktions- und konsumbedingte Umweltschäden, die den Eindruck erwecken soll, dass Natur substituierbar ist. Dabei ist Natur ein komplexes System, und die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und Natur meist nicht in Preisen ausdrückbar. Eine Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Naturverbrauch ist kaum zu realisieren, eher kommt es zu einer Verlagerung der sozial-ökologischen Kosten, beispielsweise bei der Energiewende. Die Klimakrise stellt in den kapitalistischen Zentren die Verteilungsfrage auf neue Art. Da das Wirtschaftswachstum im industriellen Kapitalismus auf dem Konsum fossiler Energieträger basiert, stellt die Klimakrise mit dem Wirtschaftswachstum auch den Kapitalismus in Frage, denn ohne Verwertung und Akkumulation von Kapital funktioniert dieser nicht. Wird schließlich die, sich mit der kapitalistischen Produktionsweise herausgebildete, imperiale Lebensweise nicht in Frage gestellt, sondern ihre ökologische Modernisierung versprochen, suggeriert das Normalität des Naturverbrauchs in der vorherrschenden Produktions- und Lebensweise (Brand und Wissen 2017).

Das heißt aber nicht, dass im Kapitalismus nicht um die ökologische Frage gekämpft werden kann und muss, genauso wie um die soziale Frage gekämpft werden muss. Einerseits geht es darum, mit allen Mitteln der Klimakrise Einhalt zu gebieten. Dazu gibt es auch im Kapitalismus Spielräume, die die Treibhausgasemissionen verringern. Auch wenn sie das Problem nicht lösen kann, führt kaum ein Weg an einer CO2-Steuer vorbei. Sie macht allerdings nur dann Sinn, wenn sie einen weitreichenden Lenkungseffekt aufweist, also Treibhausgasemissionen massiv verringert. Für Menschen ohne kurzfristige Anpassungsmöglichkeiten und entsprechendem Einkommen muss sie allerdings sozial abgefedert werden. Gleichzeitig müssen die nötigen strukturellen Maßnahmen angegangen werden, die einen entschiedenen CO2e-Reduktionspfad ermöglichen. Auch Einschränkungen und Verbote von klimaschädlicher Produktion und klimaschädlichem Konsum sind in einem regulierten Kapitalismus erreichbar. Aufgrund der geringen verbleibenden Treibhausgasbudgets kann im Kampf gegen den drohenden Klimaumbruch keine Zeit verloren und die Lösung auf einen derzeit eher fernen Sozialismus verschoben werden! Andererseits wird der Kapitalismus bei der Lösung der ökologischen, wie in der sozialen Frage, an seine Grenzen stoßen. Diese gilt es aufzuzeigen, Widersprüche und Alternativen sichtbar zu machen. Es müssen die Eigentumsverhältnisse verändert werden, um nachhaltige Bedürfnisbefriedigung sowie global kollektive Technologieentwicklung und Technologietransfer gegenüber Profitinteressen, Konkurrenz und Wachstumszwang durchzusetzen. Lokale und regionale Produktion muss die Jagd des globalen Kapitalismus nach geringsten Kosten und größtem Profit ersetzen, sowie den emissionsintensiven Handel und Transport auf globaler Ebene drastisch reduzieren. Schließlich muss ein Sozialismusbild entwickelt werden, in dem nachhaltige Bedürfnisbefriedigung im Mittelpunkt steht. Unter gegebenen technologischen Möglichkeiten wird Sozialismus allerdings nur fernab einer, die kapitalistische Lebensweise prolongieren wollenden, Massenkonsumgesellschaft denkbar sein, zumindest wenn er in größerem Ausmaß oder weltweit gedacht wird. Abgesehen davon, dass die Vision eines Konsumsozialismus fragwürdig erscheint.

Anmerkungen

(1) Die Basis sind hier produktionsbasierte THG-Emissionen – dazu weiter unten mehr.

(2) Die restlichen 36% ergeben sich aus Konsumausgaben des Staates, Investitionen (z.B. Infrastruktur) und internationalem Transport.

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