Das System gerät aus den Fugen

Arbeitslos_Suche_ArbeitKOMintern-Erklärung zur explodierenden Arbeitslosigkeit
Es liegt ziemlich genau 40 Jahre zurück, als in einer legendären Fernsehkonfrontation dem damaligen SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky von seinem konservativen Kontrahenten Josef Taus die seinerzeitigen 33.000 Arbeitslosen als politisches Versagen vorgerechnet wurden. 2013 unter SPÖ-Kanzler Werner Faymann stellte es kaum mehr eine größere gesellschaftliche Aufregung dar, dass wir über das Jahr das 10fache an Arbeitslosen hatten. Und dass Menschen nach wirtschaftlichem Belieben aus dem Arbeitsprozess ausgespuckt, und bei Bedarf teils wieder reingeholt werden, sich teils aus einer „industriellen Reservearmee“ jedoch überhaupt zum „stehenden Heer“, genannt „Sockelarbeitslosigkeit“, wandeln. Eine Arbeitslosigkeit und Entwicklung, die vor wenigen Jahrzehnten noch schlicht einen gesellschaftlichen Skandal bedeutet hätten.
Als ob es noch eines Beweises der regressiven Entwicklung des Kapitalismus bedurft hätte, wird die Arbeitslosigkeit mit Ende Jänner 2014 um nochmals zusätzlich über 100.000 Arbeitslose mehr auf prognostizierte rund 450.00 Arbeitslose emporschießen. Ein absolutes, alles bisher Gesellschaftsfähige in den Schatten stellendes Rekordhoch der österreichischen Nachkriegszeit. Bezieht man dazu noch die Angehörigen wie den Umstand mit ein, dass die Werktätigen über die Monate verschiedentlich betroffen sind, dann reden wir übers Jahr gesehen von einem noch Vielfachen an, sich in diesen Arbeitslosenzahlen abspiegelnden, Betroffenen. So verzeichnete 2012, bei einer Arbeitslosigkeit von 261.000 Personen, über das Jahr über 1 Mio. Zugänge in die Arbeitslosigkeit (Mehrfachzugänge pro Person nicht herausgerechnet) – uneingerechnet der mitbetroffenen Angehörigen, PartnerInnen und Kinder.
Entfesselte Marktkräfte und ein doppeltes Neuphänomen des Spätkapitalismus
Und eines ist klar, die viel beschworenen Marktkräfte werden dieser Entwicklung nicht Abhilfe schaffen. Darauf verweist schon der Umstand eines doppelten Neuphänomens des Spätkapitalismus, das schon vor Ausbruch der Krise in Erscheinung trat. Des Phänomens, dass in den kapitalistischen Hauptländern die Reallöhne sogar in der Hochkonjunktur stagnierten bzw. absanken und die Arbeitslosigkeit auch im Aufschwung nach oben kletterte.
Während die Produktivität je Arbeitsstunde in der österreichischen Industrie zwischen 1995 und 2005 um 4% pro Jahr anstieg, begleitet von einem Wirtschaftswachstum von 2,7% 1995, über 3,7% 2000, auf 2,4% 2005 (gefolgt von abermaligen 3,7% 2006 und 2007), verzeichneten wir das Novum gleichzeitiger Reallohnverluste. Ein Unikum der Konjunkturgeschichte – zumindest nach 1945. Die insgesamte Arbeitsproduktivität wuchs in den letzten beiden Jahrzehnten in Österreich mit rund 26% nicht weniger als sechs Mal so stark wie die Löhne und Gehälter. „Netto und preisbereinigt“, so eine dahingehende AK-Studie, „war 2012 ein Durchschnittslohn um zwei Prozent weniger wert als 1992.“ Und das, wiewohl die Arbeit parallel um besagte 26% „ergiebiger“ wurde. Laut OECD war der Anteil der Löhne am BIP zu Beginn der Krise in den reichsten 15 EU-Staaten seit den achtziger Jahren um 13% zurückgegangen. In Österreich seit 1978 um 12,4% ebenfalls um diese Größenordnung, seit 1981 kontinuierlich absinkend. Besonders drastisch ergeht es dabei den ohnehin ums Alltägliche ringenden untersten Einkommensschichten. Sie mussten, dem aktuellen Rechnungshof-Einkommensbericht zufolge, von 1998 auf 2011 überhaupt die stärksten Kaufkrafteinbußen verbuchen, weil in ihren Lohn- und Gehaltsabschlüssen vielfach deutlich unter der Inflationsrate liegend. Quer über alle Berufsgruppen sanken die Reallöhne- und Gehälter des untersten Viertels der Lohnabhängigen im benannten Zeitraum um mehr als 15% – 2012 und 2013 noch gar nicht in Rechnung gestellt. Jene des einkommensschwächsten Zehntel von 2001 bis 2011 gar um sage und schreibe -24%. Aber auch die mittleren Einkommen, um die an sich bereits Bände sprechende durchschnittliche Einkommensentwicklung noch ein letztes Stück weit nach Einkommensgruppen aufzuschlüsseln, sanken innerhalb des Vergleichszeitraums 2001 auf 2011 real und netto um weitere -2% ab, bereits das Jahrzehnt zuvor spürbare Kaufkraftverluste verbuchen müssend.
Ein paralleles Phänomen zeigte sich in der Arbeitslosigkeitsentwicklung. Selbst in den Aufschwung-Jahren Mitte der 90er kletterte die Zahl der Arbeitslosen stetig nach oben. Im EU-Beitrittsjahr 1995 auf 1996 von 216.00 auf 231.000 und die beiden Folgejahre dann, wenn auch etwas abgeschwächter, bis 1998 auf 238.000. Nach einer kurzen Erholung des Arbeitsmarktes zwischen 1999 und 2001 (mit 194.000 2000, der geringsten Arbeitslosenzahl seit EU-Beitritt), sprang die Arbeitslosigkeit das Jahr darauf bereits wieder auf 232.000 hoch und pendelte sich die 2002 folgenden Jahre, mit Rückgängen 2006 bis 2008, bis 2009 auf 260.000 fort, um 2012 mit 261.000 Arbeitslosen das bisherige Rekordhoch seit 1995 zu erreichen. 2013 schoss sie mit über 360.000 Arbeitslosen auch in Österreich endgültig durch die Decke, um mit Anfang nächsten Jahres auf das einsame Allzeithoch von prognostizierten 450.000, vielleicht auch einer halben Million hochzuschnellen.
Hohlphrasen und realkapitalistische Wirklichkeiten
Die wirtschaftliche Entwicklung, wenngleich in Krisenjahren selbstredend nach wie vor negativ auf die Beschäftigungslage durchschlagend, entkoppelt sich mehr und mehr der Beschäftigungsentwicklung. Der dümmliche, nicht unbezeichnend an des Volksmundes Sentenz „Geht’s dem Herrl gut, geht’s dem Hunderl gut“ gemahnende, WKÖ-Slogan „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ jedenfalls, ist, wo nicht ohnehin nur einfältige Propaganda, mindestens ökonomischer Analphabetismus. Nicht weniger als die seit den 70igern geflügelte, propagandistisch beinahe im Tone eines sakrosankten Dogmas vorgetragene Phrase: „Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und Arbeitsplätze von übermorgen“. Die Investitionsquote ist trotz jahrzehntelanger Gewinne im langfristigen Sturzflug. Die Dividendenausschüttungen und Finanzveranlagungen überflügeln das Investitionsvolumen immer stärker. So fiel allein 2011 etwa die Dividendenausschüttung im Verhältnis zum Investitionsumfang in Sachanlagen im Sachgütersektor mit 191% fast doppelt so hoch aus wie Zweiterer. Korrelierend geht denn auch die gesamtwirtschaftliche Investitionsquote (Sachinvestitionen an der Wirtschaftsleistung) kontinuierlich zurück. Während die Gewinne von 1992 auf 2012 um 133% anwuchsen, stiegen die Investitionen mit lediglich 74% im selben Zeitraum bloß um etwas mehr als die Hälfte. 1972 30% des BIP markierend, lag die Investitionsquote 1981 das letzte Mal knapp über 25%, seit 2002 nur mehr um die 22% und ist mittlerweile auf lediglich mehr 21% abgesackt. Und so noch realiter investiert wird, geschieht dieses vorrangig in Form Arbeitsplatz vernichtender Rationalisierungsinvestitionen, ohne entsprechender Erweiterungsinvestitionen (in denselben Unternehmen oder anderen Branchen und Sektoren). Die Gewinne von heute sind denn auch vielmehr die Rationalisierungen von morgen und Arbeitslosenheere von übermorgen. Mehr noch. Die Gewinne von heute, sind heutigentags mehr und mehr die Casino-kapitalistischen Spekulations-, Finanz- und Übernahmeveranlagungen sowie Gewinnausschüttungen an Aktionäre und Muttergesellschaften von morgen. Und als solche mitnichten Arbeitsplätze von übermorgen.
An den Gewinnmargen, Profiten und Cash-Positionen jedenfalls, liegt es mithin nicht. Die Gewinne steigen vielmehr seit Jahrzehnten konstant auf Kosten der Löhne. Betrug der Anteil der Löhne und Gehälter am gesamten in Österreich erwirtschafteten Volkseinkommen (Lohnquote) 2012 nur mehr knapp zwei Drittel (69%), belief sich dieser Anteil der lohnabhängigen Werktätigen vor zwei Jahrzehnten noch auf fast drei Viertel der Wertschöpfung (73,5% 1992, 74,6% 1994). Das restliche Viertel bzw. mittlerweile Drittel waren resp. sind Gewinn- und Besitzeinkommen (als Gewinnquote von 26,5% 1992 auf 31,2% 2012 emporgestiegen). „Allein im letzten Jahrzehnt“, so die AK-“Fakten zur Verteilung der Einkommen und Arbeitszeit“ (2002 – 2012), „betrugen durch das Steigen der Gewinnquote bzw. das Sinken der Lohnquote die `Verteilungsverluste´ der Arbeitseinkommen gegenüber den Gewinn- und Besitzeinkommen in Summe 32,4 Milliarden Euro. Umgelegt auf alle Arbeitnehmer/-innen entspricht das pro Kopf einem Wert von etwa 9.000 Euro.“ Gewinne wären wahrlich mehr als reichlich vorhanden. Und werden, so nicht ins Finanzcasino eingespeist, an Dividenden ausgeschüttet oder in Rationalisierungen gesteckt, zudem gehortet wie nie. Die österreichische Industrie hat Cash-Bestände wie nie zuvor. Die mehr als 15 Mrd. Euro Cash-Positionen sind so hoch wie die Bruttoanlageinvestitionen von 6 Quartalen (Quelle: ÖNB). Allein nur diese staatlich abzuschöpfen und umzuverteilen sowie beschäftigungswirksam zu investieren würde schon einen ersten Markstein setzen.
Erschöpfung und Perversität des kapitalistischen Entwicklungsmodells
Einhergehend damit dümpelt denn auch die Binnennachfrage mehr recht als schlecht vor sich hin. Das krude Modell, sich mittels vorrangiger Exportorientierung, verschärfter Rationalisierung und gedämpften Reallohnzuwächsen bis Reallohnverlusten, sowie teils an keinem Punkte ihres Kreislaufes mehr den realen Reproduktionszusammenhang berührender, hochriskanter Finanzveranlagungen aus der Nachfragelücke hinausexportieren und hinauspekulieren zu wollen, schlägt heute voll auf den Arbeitsmarkt durch. Das (obschon insgesamt länger zurückwährende) mit 1989/91 etablierte Entwicklungs- und Globalisierungsmodell hat sich erschöpft. Die verlangsamte Akkumulationsdynamik reicht, zumal nunmehr auch seine kreditfinanzierte Übertünchung weitgehend ausgeschöpft, schon seit Anfang der 1980er Jahre nicht mehr aus, um einen Anstieg der Massenarbeitslosigkeit zu verhindern.
Dem nicht genug, soll der Perversität der Kapitallogik zufolge, während auf der einen Seite ein immer größeres Arbeitslosenheer anwächst, für jene die noch in Arbeit stehen die Arbeitszeit ausgedehnt (wie intensiviert) werden – mit zunehmender physischer und psychischer Belastung und deren Folgen. Die über 300 Mio. Überstunden pro Jahr, deren Abbau allein gut 35.000 Arbeitsplätze brächte, sind nur die kapitalimmanente Kehrseite ein und derselben Medaille.
Für eine gesellschaftliche Wende: mehr Arbeit, weniger Arbeit!
Was, neben einem aktiven Beschäftigungs- statt Belastungspaket, und Abkehr des sozial-regressiven Austeritätskurses, vor allem Not tut, ist eine radikale Arbeitszeitverkürzung und gesellschaftliche Umverteilung auf alle Arbeitssuchenden. Als gleichermaßen beschäftigungspolitischem Hebel, wie über eine ledigliche Konsumpartizipation hinausgehende Aneignung der Produktivitätssteigerung seitens der Werktätigen auch in Form mehr freier Zeit.
D’accord mit der ÖGB-Führung, dass „falsche Sparpakete“, Belastungspakete für die Massen, öffentliche Investitions-Rückfahrungen und soziale Rotstiftpolitiken die Massenarbeitslosigkeit nur noch weiter in die Höhe trieben und im Anschluss weitere sozial-reaktionäre Sparpakete entzündeten, es demgegenüber vielmehr „gezielter Investitionen“ und eines aktiven Beschäftigungspaketes bedarf, braucht es für eine tiefgreifende Wende unseres Erachtens darüber hinaus vor allem einer weitreichenden Arbeitszeitverkürzung.
Und es ist mitnichten eine Frage, ob eine solche möglich sei. Gesamtgesellschaftlich findet sie nämlich in Form zunehmender Massenarbeitslosigkeit bereits faktisch statt. Aufgrund der gesteigerten, schneller als die Produktion wachsenden, Produktivität, werden für die Produktion derselben Menge an Gütern und Dienstleistungen immer weniger Arbeitskräfte gebraucht oder in anderen Worten gesellschaftlich benötigte Arbeitszeit aufgewandt. Was nichts anderes denn eine Arbeitszeitverkürzung im gesellschaftlichen Maßstab bedeutet. Allerdings auf Kosten sowohl der in Arbeit Stehenden wie dem damit einhergehenden Heer an Arbeitslosen. Gegen beides gilt es eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich durchzusetzen (sowie begleitende Arbeitszeitregelungen zu denen wir als KOMintern ebenfalls gerade einen entsprechenden Antrag in der AK gestellt haben).
Die 35-Stunden-Woche, bereits 1983 von der GPA gefordert, ist, von ÖGB und AK vielfach beschlossen, auch nach drei Jahrzehnten noch nicht durchgesetzt. Die gesetzliche Regelarbeitszeit liegt unverändert bei 40 Stunden. Zwar konnten seither in diversen Branchen kollektivvertragliche Arbeitzeitverkürzungen durchgesetzt werden. Von einer flächendeckenden Arbeitszeitverkürzung, gar Einführung einer gesetzlichen 35-Stunden-Woche als erstem Schritt einer radikalen Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden, sind wir nichts desto trotz weit entfernt. Dabei brächte alleine die endliche Durchsetzung der 35-Stunden-Woche gut 180.000 zusätzliche Arbeitsplätze und würde zusammen mit einem Überstundenabbau über 200.000 Arbeitslose wieder in Broterwerb und Arbeit setzen. Mit einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich ließe sich im Folgeschritt dann überhaupt eine Wende einleiten.
Dafür wird die Resolution als höchste „Kampf“form nicht ausreichen. Mag Papier geduldig sein, wir Werktätigen haben nicht die Zeit Jahrzehnt für Jahrzehnt abzuwarten.
In diesem Sinne fordern wir als KOMintern die AK- und Gewerkschaftsführung zu einer offensiven Initiative der längst überfälligen Durchsetzung der 35-Stunden-Woche als erstem Schritt einer radikalen Arbeitszeitverkürzung unter Einbeziehung und Mobilisierung der Werktätigen in den Betrieben auf!
Klassenkampf macht´s möglich!
 

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